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Erfolgreiche Entdeckungsreisen in eine literaturgeschichtliche Epoche

  • Marcel Lepper / Dirk Werle (Hg.): Entdeckung der frühen Neuzeit. Konstruktionen einer Epoche der Literatur- und Sprachgeschichte seit 1750. (Beiträge zur Geschichte der Germanistik 1) Stuttgart: S. Hirzel 2011. 226 S. Kartoniert. EUR (D) 42,00.
    ISBN: 978-3-7776-2088-6.
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Literatur- und sprachgeschichtliche Epochenbegriffe

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Die Frühe Neuzeit begann mit einem Anruf eines überlasteten Professors für Neuere Geschichte im Ministerium, der sich beklagte, dass er unmöglich weiter die gesamte Breite historischer Themen von der Reformation bis zur Gegenwart lehren und prüfen könne, und um Entlastung bat.

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Dieses aphoristische Dictum des Historikers Winfried Schulze 1 illustriert die Problematik von Epochenbegriffen, die die Arbeit aller historischen arbeitenden Disziplinen begleitet. Epochenbegriffe dienen dem Beobachter zur Periodisierung, zur diachronen Ordnung des Vergangenen. Sie erheben den Anspruch, die Geschichte sinnvoll zu unterteilen, indem ihre Verwender präsupponieren, dass die Einteilung auf bestimmten gemeinsamen Merkmalen oder Strukturen der Phänomene eines Zeitabschnitts beruhe. 2 Zugleich aber basieren Epochengrenzen stets auch auf der Privilegierung bestimmter, als epochenspezifisch angesehener Phänomene, deren Auswahl das Ergebnis, die Begrenzung einer Periode, beeinflusst. Und nicht zuletzt werden sie – das Eingangszitat illustriert dies – beeinflusst von wissenschaftsorganisatorischen Rahmenbedingungen wie der Tradition von Teilfächern.

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Wenn nun ein in der Geschichtswissenschaft entstandener Epochenbegriff wie ›Frühe Neuzeit‹ 3 in der Germanistik auf literatur- und sprachgeschichtliche Gegenstände übertragen wird, stellt sich zudem die Frage, inwieweit der rezipierte Begriff den Bedürfnissen der Literatur- und Sprachgeschichte entspricht. Ein solcher Begriffstransfer 4 bietet die Chance, literatur- und sprachgeschichtliche Spezifika im Lichte größerer Zusammenhänge zu sehen, er impliziert aber auch die Gefahr, die Entwicklungen eigenen Rechts, die zu den konkurrierenden vorgängigen Angeboten von Epochenbegriffen geführt haben, – in diesem Fall: ›Renaissance‹, ›Humanismus‹, ›Reformation‹ und ›Barock‹ oder auch ›Übergang‹ – zu überdecken.

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Angesichts eines solchen Bündels von Problemen, die immer auch eine forschungsgeschichtliche Dimension haben, ist es sinnvoll, dass die Herausgeber des anzuzeigenden Sammelbands den Epochenbegriff ›Frühe Neuzeit‹ in der germanistischen Sprach- und Literaturgeschichte 2008 zum Thema einer Tagung des Marbacher Arbeitskreises für Geschichte der Germanistik gemacht haben, deren Vorträge im vorliegenden Band dokumentiert werden (S. 7). Dass es gerade die Frühe Neuzeit ist, der sich der Sammelband widmet, ist auch dem Forschungsboom geschuldet, dessen sich diese lange Zeit – aufgrund ihrer institutionellen Randlage zwischen Alt- und Neugermanistik – vernachlässigte Epoche der deutschen Literaturgeschichte erfreut (S. 7). 5

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Es ist sehr zu begrüßen, dass von vornherein – wie im Untertitel festgehalten – Literatur- und Sprachgeschichte in den Blick genommen wurden. Jedoch bilden die Fachteilzugehörigkeit der Beiträger des Bands – zehn Literaturwissenschaftler stehen nur zwei Sprachgeschichtlern gegenüber – und wohl auch die Tatsache, dass beide Herausgeber Literaturwissenschaftler sind, die Dominanz der Literaturgeschichte in der Fachhistoriographie der Germanistik ab. 6 Auch in der Einleitung der Herausgeber (S. 7–13) dominiert die literaturgeschichtliche Perspektive. Lepper und Werle bezeichnen als zentrales Thema der Tagung und damit des Bandes »die Frage, wie die ›Übergangsepoche‹ in sich wandelnden fachhistorischen Konstellationen literaturhistorisch integriert wurde« (S. 7, Hervorhebung J. K. K.). Die Konstruktion der Frühen Neuzeit als sprachgeschichtlicher Epoche und ihres Pendants, des Frühneuhochdeutschen, wird ehrlicherweise nicht genannt. Neben der üblichen Vorstellung der Beiträge, die in vier Kategorien eingeteilt werden (S. 12 f.), enthält der kurze Einführungstext eine Überschau über die Rolle der Frühen Neuzeit in jüngeren literaturgeschichtlichen Entwürfen (S. 9–11). Hier kommen einerseits neuere einbändige Literaturgeschichten (Heinz Schlaffers provokante Kurze[r] Geschichte der deutschen Literatur, die diese bekanntlich erst nach 1750 beginnen lässt, 7 und die von David Wellbery initiierte A New History of German Literature) zur Sprache, andererseits zwei Sammelbände, die einen vollwertigen Überblick über die Epoche geben wollen, der von Werner Röcke und Marina Münkler herausgebene erste Band von Hansers Sozialgeschichte der Literatur 8 und der von Max Reinhart herausgegebenen Band zur Early Modern German Literature der Camden House History of German Literature. Aspekte der Sprachhistoriographie werden ausschließlich in den beiden sprachgeschichtlichen Beiträgen (von Oskar Reichmann und Andreas Gardt, S. 179–199) erwähnt. Dadurch aber bleibt der zutreffende Hinweis der Herausgeber, dass »Literatur- und Sprachgeschichtsschreibung […] in vielerlei Hinsicht eng verzahnt« seien (S. 13), in systematischer Hinsicht ungenutzt.

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Die Spannung literatur- und sprachgeschichtlicher Arbeit zwischen einem konstruktivistischen und einem realistischen Ansatz spiegelt sich bereits im Titel des Bandes. Der »Entdeckung der frühen Neuzeit« (nicht ›Erfindung‹) im Haupttitel steht als Spezifizierung der Untertitel »Konstruktionen einer Epoche der Literatur- und Sprachgeschichte« (nicht ›Rekonstruktionen‹ oder ›Rekonstruktion‹) gegenüber. Der Begriff ›Entdeckung‹ im Titel scheint – so jedenfalls mein Eindruck – weniger die Entdeckung einer zusammengehörigen oder gar in sich einheitlichen Epoche zu meinen, sondern eher die Aufmerksamkeit der Forschung für eine Vielzahl von Einzelthemen, die nach heutiger Periodisierung in der Frühen Neuzeit angesiedelt sind, also etwa zwischen 1500 und 1750. In dieser Spannung manifestiert sich zugleich die größte Gefahr des Bandes, denn die wenigsten der untersuchten Literaturgeschichten oder Forschungsarbeiten setzen ja bereits die Frühe Neuzeit als eine gemeinsame Epoche voraus, die nach der Minimaldefinition der Herausgeber das 16. und 17. Jahrhundert umfasst (vgl. S. 7), und noch seltener beziehen sie sich damit auf den in der literatur- und Sprachgeschichte erst seit etwa 20 Jahren rezipierten Begriffsnamen ›Frühe Neuzeit‹. 9 Sie gehen vielmehr von Epochensignaturen wie ›Reformationszeit‹, ›Humanismus‹, ›Renaissance‹ und ›Barock‹ aus.

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Dies hat Folgen und diese Folgen müssen wissenschaftsgeschichtliche Studien, die sich auf historiographische Fragen jedweder Art konzentieren, bewusst halten. Die Beiträge des Sammelbands tun dies durchweg und diese Tatsache trägt dazu bei, dass der Sammelband das selbstgesteckte Ziel, zentrale Aspekte der Konstruktion der Frühen Neuzeit als einer literaturgeschichtlichen Epoche aufzuzeigen, in einer – für einen Sammelband mit seinen unausweichlichen Heterogenitäten – geradezu mustergültigen Weise erreicht. Denn die Beiträge sind nicht nur ausnahmslos hochwertig, instruktiv und gut recherchiert, sie ergänzen einander auch in wünschenswerter Weise und machen so zentrale Probleme der germanistischen Literaturhistorie anhand von forschungsgeschichtlichen Beispielen in einer Weise sichtbar, die geeignet ist, heutige literaturgeschichtliche Forschung reflektiert anzuleiten.

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Die Herausgeber benennen »vier Ebenen wissenschaftsgeschichtlichen Fragens«: »Literaturgeschichten«, »Geschichte der Forschung zu einzelnen Autoren« sowie zu einzelnen Wissenschaftlern, »[b]egriffsgeschichtliche « und »[s]prachhistorische Aspekte« (S. 12). Das Gros der Beiträge widmet sich – in unterschiedlichem Abstraktionsgrad – den Zugriffen der Literaturgeschichten auf die Epoche der Frühen Neuzeit bzw. die ihr entsprechenden Epochenkonstrukte. Fünf Beiträge, die sich dieser Frage unter generellen Fragestellungen widmen, folgen auf die Einleitung der Herausgeber, drei weitere Aufsätze bieten literaturgeschichtliche Einzelstudien. Von den fünf Beiträgen, die grundsätzlich nach Zugriffen der Literaturgeschichte fragen, befassen sich die ersten beiden mit Epochenkonstruktionen, die drei anderen fragen nach Prinzipien und/oder Methoden der Literaturhistoriographie.

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Epochenkonstruktionen der Literaturgeschichten

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Jan-Dirk Müller rekonstruiert in seinem magistralen Beitrag »Die Frühe Neuzeit in der Literaturgeschichtsschreibung« (S. 15–38) die Stellung des 16. Jahrhunderts als eines »Stiefkind[s] der Literaturgeschichtsschreibung« (S. 15) in der Folge ihres »nationalgeschichtlichen Paradigmas«, das Martin Opitz zum »Gründungsheros« (S. 17) einer deutschen Nationalliteratur erhob, die sich an gelehrten Maßstäben misst. Im Einklang mit ähnlichen Beiträgen, die aus den von ihm geleiteten Teilprojekten des Münchner SFBs ›Pluralisierung & Autorität in der Frühen Neuzeit‹ (2003–2012) hervorgegangen sind, 10 diskutiert Müller in Auseinandersetzung mit den auch in der Einleitung der Herausgeber erwähnten neueren Literaturgeschichten (s. o.) die Notwendigkeit (»Brauchen wir Literaturgeschichte?«, S. 18) und die Möglichkeit einer Literaturgeschichte des »ungeliebte[n] 16. Jahrhundert« (S. 20). Er plädiert für eine »nicht-teleologisch[e]« (S. 35) und plurale Literaturgeschichte (»Geschichten der Literatur«, ebd.), die neben der Kontinuität zu spätmittelalterlichen literarischen Formen auch eine »Renaissancepoetik« in der Volkssprache (S. 34), etwa bei Fischart, findet.

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Kai Bremers Aufsatz »Die frühe Neuzeit – ein Trümmerfeld. Über Anfänge und Ursprünge der Neueren deutschen Literatur« (S. 39–51) ergänzt Müllers Versuch der Rettung des 16. Jahrhunderts für Aspekte eines Humanismus der Volkssprache aufs Schönste, da er mit Blick auf das 17. Jahrhundert den theoretischen Status von Epochenbegriffen diskutiert. Zum einen plädiert er entschieden – in bewusster Spannung zum Titel des Bandes – dafür, dass »die ›Frühe Neuzeit‹ […] in der germanistischen Literaturgeschichtsschreibung gar nicht« existiere (S. 40), da Literaturgeschichten, die das Epochenkonzept aufgriffen, fehlten. Zum anderen reflektiert Bremer stärker als jeder andere Beitrag des Bandes Probleme der literaturgeschichtlichen Epochenbildung (Begrenzung, Ontologie, Verhältnis zu alternativen Epochenbegriffen). Ob sein abschließender Appell zur »Re-Lektüre« (S. 50) von Walter Benjamins Trauerspielbuch 11 über die wissenschaftsgeschichtliche Erinnerung an einen »Impulsgeber einer […] kulturwissenschaftlichen Frühneuzeitfroschung« (S. 51) hinaus auch für eine Konstitution eines germanistischen Frühneuzeitbegriffs »Anknüpfungspunkte« (ebd.) bietet, scheint jedoch fraglich, da Benjamins Epochenkonzept doch auf die Barockzeit beschränkt ist und für die Integration des 16. Jahrhunderts kaum Ansätze bietet. 12

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Literaturhistorisches Bewusstsein und Prinzipien der Litetaturgeschichtsschreibung

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Eine zweite Gruppe von Beiträgen beschäftigt sich generell mit der Frage der Entwicklung eines (literar- bzw. literatur-)historischen Bewusstseins und mit Prinzipien der Literaturhistoriographie. Klaus Weimar (»Interesse an der deutschen Literatur des 16. und 17. im 18. Jahrhundert«, S. 53–63) bietet einen souveränen Überblick über die Beschäftigung mit frühneuzeitlicher Literatur in der Frühphase der Germanistik. Auf der Grundlage seines Standardwerks zur germanistischen Fachgeschichte 13 fragt er nach Möglichkeiten der Kenntnis der frühneuzeitlichen Literatur im 18. Jahrhundert und konstatiert einen »permanenten Traditionsverlust[ ] oder -abbruch[ ]« (S. 57) in der deutschen Literaturgeschichte, der erst ab der Mitte des 18. Jahrhunderts eine Veränderung erfährt, weil ab diesem Zeitpunkt »alte Texte aus dem 16. oder 17. Jahrhundert« vermehrt erneut gedruckt wurden, »fast immer modernisiert« (S. 59). Der kurze und erfrischend theoriearme Text zeigt unprätentiös auf, wie »ein neuer Sinn für (Literar-)Historisches« bzw. »historische[s] Bewusstsein« (S. 63) es ermöglicht, dass »[d]as Alte und Fremde […] in seinem Eigenwert entdeckt und anerkannt« wird (S. 62 f.). Zu fragen ist allein, ob dieses Bewusstsein für die Alterität des historisch Vergangenen nicht schon in früheren Epochen gefunden werden kann – etwa in der Frühen Neuzeit bezogen auf das Mittelalter. 14

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Auf abstrakterer Ebene bewegt sich Marcel Leppers Überblick zu »Frühneuzeitphilologie und Frühneuzeithistorie 1750–1850« (S. 65–77). Der einzige nennenswerte Schwachpunkt des Beitrags ist sein falscher Titel: Lepper handelt nicht vom Verhältnis der germanistischen zur geschichtswissenschaftlichen Fachgeschichte, wie der Begriff ›Frühneuzeithistorie‹ nahelegt, sondern von der »Verflechtung« (S. 75) zwischen philologisch-antiquarischen Traditionen und ihrer Auswertung in Literaturgeschichten der formativen Phase der institutionalisierten Germanistik. Statt ›Frühneuzeithistorie‹ hätte es ›Literaturhistorie der Frühen Neuzeit‹ heißen müssen. Lepper postuliert, dass »die Philologie dort, wo die Literaturgeschichtsschreibung aus Mangel an Kenntnissen oder Interesse vergröbernd verfahren war, präzise Details liefert« (S. 75), während die Literaturgeschichte »mehr als einmal enttäuscht feststellen« habe müssen, wie wenig qualitativ hochstehende Dichtung die deutsche Literatur der Frühen Neuzeit biete. Drei zentrale Argumente macht Lepper zur Bewältigung dieser »Asymmetrie von philologischer Datenerhebung und literarhistorischer Enttäuschung« (S. 77) aus: das »Komplexitätsargument«, die »Relevanzbrücke« und das »historistische Aufmerksamkeitsargument« (S. 75).

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Freilich gerät in Leppers Beitrag das Bewusstsein darum, dass ›Frühe Neuzeit‹ kein historischer Begriff ist, in den Hintergrund. So ist sein Fazit, dass Philologie und Literarhistorie zwischen 1750 und 1850 »sich eine frühe Neuzeit bauen, nach der sie in den Bibliotheken vergeblich gesucht« hätten (S. 77), dahingehend zu präzisieren, dass dies eine Frühe Neuzeit avant la lettre ist, die noch nicht als eine zusammengehörige Epoche wahrgenommen wird. Leppers Beitrag weckt in mir den Wunsch nach einer begriffs- und diskursgeschichtlichen Untersuchung zu den literaturgeschichtlichen Epochenkonzepten des Reformationszeitalters, die – anders als der literaturgeschichtliche Barockbegriff – noch nicht eingehend untersucht sind, 15 zu der der vorliegende Band jedoch zahlreiche Anregungen bietet.

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Literaturhistorische Fallstudien

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Eine Reihe von exemplarischen Untersuchungen verschiedener Literaturgeschichten wird von Dirk Werles Untersuchung »Die Literatur des 16. Jahrhunderts in Literaturgeschichten des 19. Jahrhunderts. Wissenschaftsgeschichte und Darstellungsform« (S. 79–100) eröffnet. Werle wählt dabei sechs Darstellungen, die allesamt universalen Anspruch haben und »Teile einer größeren Darstellung« bilden (S. 80), aus. Mit den sechs Aspekten »Szenarien« (S. 83), »Periodisierung und Bewertung« (87), »Struktur der Artikel« (S. 89), »Erzählerfiguren« (S. 90), »Leitfiguren« (S. 91) und »Abhängigkeiten« (S. 92) entwirft Werle nichts weniger als ein tragfähiges Programm zur Analyse literaturgeschichtlicher Darstellungen. Besonders interessant im Kontext des Bandes sind die beiden ersten Kategorien. Unter ›Szenarien‹ verhandelt Werle, der diesen Terminus leider nicht definiert, zentrale Interpretamente der Literaturhistoriker für eine Epoche, die die »Daten und Fakten« in einen »sinnhaften Zusammenhang« bringen (S. 83). Generell liegt das 16. Jahrhundert für die Literaturhistoriker des 19. Jahrhunderts in einer »Talsohle« (ebd.) zwischen den zwei Klassiken um 1200 und um 1800. Innerhalb dieses Groß-Szenarios finden sich jedoch zahlreiche Differenzierungen. Während die Reformationszeit für Georg Gottfried Gervinus den »Rücktritt der Dichtung aus dem Volke unter die Gelehrten« (ebd.) bewirkt, ist sie für Theodor Mundt durch eine »neue Umwandlung des Geschichtslebens durch die Wissenschaft« (S. 85) geprägt. Ludwig Ettmüller sieht im 16. Jahrhundert »die Geister« »dem heitern Reiche der Phantasie, der Dichtkunst« entfremdet (ebd.).

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Für August Vilmar ist das Jahrhundert geprägt vom »Kampf einer hereinbrechenden neuen Zeit« mit den »abgestorbenen Elementen der vorigen Jahrhunderte« (S. 86). Zugleich ist die Reformatiosepoche für den nationalkonservativen Lutheraner die »letzte[ ] Zeit, da die Deutschen noch ganz Deutsche und nichts als Deutsche« (ebd.) waren. Für Wilhelm Scherer ist die Epoche von »Reformation und Renaissance« vom Fehlen einer großen Persönlichkeit geprägt: »das größte litterarische Ereignis« (S. 87) des Jahrhunderts sei Luthers Bibelübersetzung gewesen. Werle ordnet die untersuchten Literaturgeschichten zwei Tendenzen zu: Einer »konfessionell-parteiische[n]« Richtung bei Gervinus, Vilmar und Mundt stehen die »nüchtern-distanzierten« Literaturgeschichten von Ettmüller und Scherer gegenüber. Auch kann Werle hinsichtlich einzelner Topoi, etwa der Charakterisierung der Leitfiguren der Epoche (Luther, Sachs etc.), Abhängigkeiten innerhalb der untersuchten Reihe feststellen. Einzelne dieser Topoi wirken bis heute fort.

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Einem einzelnen Literaturgeschichtler widmet sich Myriam Richters Beitrag »Richard M. Meyers Literaturgeschichtsschreibung und die frühe Neuzeit« (S. 101–128). Richter ordnet dessen Beschäftigung mit frühneuzeitlichen Themen in verschiedenen übergreifenden Werken, besonders aber in seiner nachgelassenen Deutschen Literatur bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts (postum 1916) in das literaturgeschichtliche Œuvre des zu seiner Zeit »omnipräsent[en]« (S. 110) und überaus produktiven Scherer-Schülers ein.

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Meyer legt der Epochengliederung seiner einbändigen Literaturgeschichte zunächst sprachgeschichtliche Begriffe zu Grunde (›germanisch‹, ›alt-‹, ›frühmittel-‹, ›mittel-‹ und ›frühneuhochdeutsch‹, S. 104), wechselt dann zu einer politischen (›Reformation‹) und einer literarischen Kategorie (»Neuaufbau der Literatur«, ebd.) und benennt seine Epochen schließlich nach einzelnen Autoren (»Lessing, Herder, Wieland«, »Goethe«, »Schiller«, ebd.). Bis zu vier dieser Epochen können als Äquivalent der Frühen Neuzeit gelten. So fungiert bei Meyer bereits »die ›frühneuhochdeutsche Epoche‹ (1350-1500)« als »kunstarme Übergangszeit« (S. 126), und auch das 17. Jahrhundert, das »emblematische Zeitalter« (S. 127), ist als Periode des »systematischen Aufbau[s] einer neuen Literatur« (S. 128) noch eine Zeit der Vorbereitung. Richter bietet so gleichsam eine fokussierende Detailstudie zu den globaleren Zugriffen Müllers und Werles. Ihre Ergebnisse bestätigen die Gültigkeit der Beobachtungen in den übergreifenden Beiträgen.

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Claudius Sittig dagegen widmet sich einem zentralen Interpretationsbegriff in Literaturgeschichten des 20. Jahrhunderts, der »Rede von ›Bürgerlichkeit‹ und ›Verbürgerlichung‹« (S. 129–139). Er macht »zwei korrespondierende Konjunkturen« (S. 135) des Begriffs um 1920 und um 1970 aus und ordnet diese in größere fachpolitische Strömungen ein. Obwohl der luzide Beitrag die diskursgeschichtliche Einbettung der literaturhistorischen Kategorie ›Bürgerlichkeit‹ präzise herausarbeitet, löst er doch das anspruchsvolle Programm einer »komplexe[n] dynamischen Relation zwischen Text und Kontext« (S. 132) nicht vollauf ein, denn ein nicht nur historischer Blick auf den Begriff der ›Bürgerlichkeit‹ hätte zeigen können, dass er in der Frühneuzeitforschung seit den 1980-er Jahren von der Frageperspektive ›Literatur und Stadt‹ abgelöst wurde, 16 einer Perspektive, die gezeigt hat, wie stark die deutsche Literatur seit dem 14. Jahrhundert von städtischen Kreisen getragen wird, die als neue Trägerschicht neben monastische und höfische Institutionen treten, und die den ideologischen Ballast der Kategorie ›Bürgerlichkeit‹ nicht mitschleppt. 17

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Die Darstellung eines einzelnen Schriftstellers in verschiedenen Literaturgeschichten untersucht Caroline Emmelius (»Wickram zwischen Ost und West. Zur Darstellung des 16. Jahrhunderts in Literaturgeschichten der Nachkriegszeit am Beispiel der Romane Jörg Wickrams«, S. 159–178). Sie arbeitet zwei grundlegende Argumentationen der Literaturgeschichten heraus: das »Verbürgerlichungsnarrativ« (S. 164) und das »Konfessionalisierungsnarrativ« (S. 172). Unter Rückgriff auf Erich Kleinschmidts Untersuchungen zeigt sie, wie differenzierungsbedürftig die Kategorie des »bürgerliche[n] Autor[s]« (S. 164) sein kann, musste Wickram als unehelicher Sohn eines Colmarer Patriziers doch Jahrzehnte auf das Bürgerrecht warten. Auch verweist sie auf Unterschiede in ost- und westdeutschen Literaturgeschichten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinsichtlich der Implikationen des Begriffs des Bürgerlichen. Dennoch bleibt als Fazit die ungebrochene Dominanz der identifizierten Narrative in den untersuchten Literaturgeschichten, die erst in neuesten Handbuchbeiträgen durch die »Leitthemen […] ständeüberschreitende Liebesbeziehungen und die Möglichkeit sozialer Nobilitierung« (S. 176 Anm. 83) ergänzt werden.

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Zugriffe der Sprachgeschichtsschreibung

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Nur zwei Beiträge widmen sich – wie erwähnt – der Sprachgeschichte der Frühen Neuzeit und sie tun dies mit unterschiedlicher Intensität. Oskar Reichmann präsentiert unter der Überschrift »Das Frühneuhochdeutsche in der Sprachgeschichtsschreibung: Themen, Unterlassungen, Wertungen« (S. 179–194) eine kritische Bestandsaufnahme der Disziplin Sprachgeschichte der letzten 30 Jahre, in dem er »Themen und Themenunterlassungen« (S. 181) sowie »Wertungen« (S. 187) zusammenstellt und im »Ausblick« »Vorschläge für bestimmte Weichenstellungen in die Zukunft« erteilt (S. 193).

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Das alles zeugt von einem souveränen Überblick über die aktuelle Lage der Sprachgeschichte und enthält eine Vielzahl instruktiver Beobachtungen, doch lässt der nur sparsam mit Zitaten belegte Beitrag eine klare wissenschaftsgeschichtliche Ausrichtung vermissen. Wer etwa erwartet hätte, etwas zur Historizität der Kategorie ›Frühneuhochdeutsch‹ in der Sprachgeschichtsschreibung zu erfahren, sieht sich getäuscht: In einem einzigen Satz nimmt Reichmann darauf Bezug und erklärt die Frage für »eher technisch bedingt« (S. 186) und diskutiert sie daher nicht – das »14. bis 17. Jahrhundert« sei nun mal die »für das Frühneuhochdeutsche üblicherweise angesetzte Zeit« (ebd.).

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Dabei zeigt schon ein Blick in gängige Studienbücher, dass die Bezeichnung eine Geschichte hat und es eine Fülle von alternativen Periodisierungsvorschlägen gibt. 18 Möglicherweise hat Reichmann, der fraglos in der Lage gewesen wäre, statt einer (notwendig subjektiven, vgl. S. 179 Anm. 1) Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Lage des Fachs ›Sprachgeschichte‹ einen fundierten Beitrag zur Geschichte des Epochenbegriffs ›Frühneuhochdeutsch‹ zu liefern, die Themenstellung schlicht missverstanden. Bedauerlich ist ein solcher Ausfall allemal, zumal er einen von nur zwei sprachgeschichtlichen Beiträgen betrifft.

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Andreas Gardt dagegen (»Die Frühe Neuzeit in der historischen Sprachwissenschaft«, S. 195–199) stellt in größtmöglicher Klarheit das Verhältnis des Epochenbegriffs ›Frühe Neuzeit‹ zur Sprachstufenbezeichnung ›frühneuhochdeutsch‹ dar und weist auf Zusammenhänge zwischen Kultur- und Sprachgeschichte seit den Anfängen der Germanistik im 18. Jahrhunderts hin (S. 196 f.). Die Übernahme der Epochenbezeichnung ›Frühe Neuzeit‹ wertet Gardt als Spezifikum einer »kulturhistorisch arbeitenden Sprachwissenschaft« (S. 199). Sein Ausblick gilt der Öffnung der Sprachgeschichte hin zu einer textübergreifenden Diskursgeschichte und der Möglichkeit einer Geschichte der Mentalitäten.

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Randständiges

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Zwei Beiträge indes fügen sich nur widerstrebend in die Thematik des Sammelbands, da sie die literatur- und sprachgeschichtliche Epochenkonstruktion der Frühen Neuzeit allenfalls indirekt thematisieren. Frieder von Ammons Beitrag »Gelehrte und ihre Gesellen. Deutsche Schriftsteller als Frühneuzeitgermanisten« (S. 201–226) ist kurzweilig zu lesen und glänzend geschrieben. Er zeigt, wie sich Dichter wie Rudolf Borchardt, Hans Magnus Enzensberger, Hubert Fichte und Klabund als Editoren, Anthologisten, Poetik-Dozenten und Literarhistoriker im Feld der »Para-Germanistik« (S. 204 u. ö.) betätigt haben. Dabei zeigt sich, wie intensiv die Dichter, die sich literaturwissenschaftlich betätigen, die Ergebnisse und Topoi der Literaturgeschichtsschreibung rezipieren und reproduzieren. Im Fall von Borchardt tritt sogar ein poeta doctus als Editor in Erscheinung, der mit eigenen Thesen zu einer deutschen Reinaissancepoesie in die Literaturhistoriographie eingreifen will.

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Dabei schreckt Borchardt als Herausgeber nicht vor Eingriffen in die Überlieferung zurück, indem er überlieferte Dichternamen in seiner Anthologie tilgt und im Dienste seiner literaturhistorischen Vorstellungen einer frühen Rezeption italienischer Renaissancelyrik in Deutschland das Alter der Texte weit vor das der Erstdrucke verlegt. Doch insgesamt bleibt der Ertrag des schönen Beitrags für das Thema des Bandes begrenzt, da einzig im Fall von Borchardt ein ›Para-Germanist‹ auch den Anspruch erhebt, selbst Literaturgeschichtler zu sein.

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In den übrigen Beispielen (Enzensberger, Fichte, Klabund) arbeiten die Dichter zwar auch literaturwissenschaftlich, aber kaum mit dem Anspruch, als Literaturgeschichtler wahr- und ernstgenommen zu werden. Am ehesten noch tritt der eingangs zitierte Franz Blei als Herausgeber der einflussreichen Anthologie Das Lustwäldchen (1907) mit diesem Anspruch auf (S. 203).

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Ohne Bezug zur Frage nach der literaturhistorischen Epochenkonstruktion der Frühen Neuzeit bleibt Anna Kathrin Bleulers Beitrag »Vom Stehen auf einem Bein. Zu Norbert Elias’ Erasmus-Rezeption« (S. 141–157). Anders als von Ammon versucht sie nicht, ihr offenkundig in anderen Zusammenhängen entstandenes Thema an die Fragestellung des Bandes anzunähern. Zur Relevanz ihrer Fragestellung für die Frage der literaturgeschichtlichen Epochenkonstruktion sagt sie nur, dass Norbert Elias »kein Literaturwissenschaftler« sei, aber sein Bild der Frühen Neuzeit »prägend für die Geisteswissenschaften des 20. Jahrhunderts« bis heute gewesen sei (S. 141). Um aber zu zeigen, auf welche Weise Elias’ Frühneuzeitbild die Literaturgeschichtsschreibung geprägt hat, hätte die Elias-Rezeption in einzelnen Literaturgeschichten untersucht werden müssen. Bleuler beschränkt sich aber auf die Analyse der wenigen Stellen, an denen Elias Erasmus, vor allem seine pädagogische Schrift De civilitate morum puerilium (1530), zitiert. Dabei weist sie dem Kulturhistoriker philologisch-historische Ungenauigkeiten nach, die zu Missverständnissen führen, und kommt zu dem Resümee, dass Elias’ Erasmus-Interpretation »heutigen philologischen bzw. literaturgeschichtlichen« Ansprüchen nicht genüge (S. 142). Das ist interessant und lehrreich zu lesen, trägt jedoch zur Frage nach Frühneuzeitkonstruktionen in der Literatur- oder Sprachgeschichte wenig bei, da der Schritt von Elias’ Zivilisationsgeschichte zur Literaturgeschichte nicht vollzogen wird.

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Dieser und vielleicht auch von Ammons Beitrag hätten an anderer, geeigneterer Stelle erscheinen sollen. Dann wäre in dem ohnehin schmalen Band Platz für die angemessenere Berücksichtigung der Sprachgeschichte und ihrer Verflechtung mit der Literaturgeschichte gewesen.

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Fazit

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Insgesamt aber kann und muss ein Gesamturteil zu diesem Band positiv ausfallen. Ihm liegt ein klares Thema zugrunde, zu dem fast alle Beiträge Substantielles zu sagen haben. Eine Stärke des Bandes ist die durchweg hohe Qualität der literaturgeschichtlichen Beiträge. Auch das Verhältnis zwischen den fünf eher übergreifend ansetzenden Beiträgen zur Literaturgeschichte (Müller, Bremer, Lepper, Weimar, Werle) zu den Fallstudien (Richter, Sittig, Emmelius; mit Einschränkungen von Ammon, Bleuler) ist ausgewogen. Überdies ergänzen sich die Fallstudien durch unterschiedliche Frageperspektiven, da zuerst ein einzelner Literaturhistoriker untersucht wird (Richter), dann ein literaturhistorischer Topos (Sittig) und schließlich ein frühneuzeitlicher Autor (Emmelius).

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Der gute Gesamteindruck wird auch die eine im Ganzen sorgfältige Redaktion gestützt. 19 Der Band weist nur wenige dokumentatorische Lücken auf. 20 Ein (Namen-)Register jedoch hätte die selektive Arbeit mit dem Band sehr erleichtert.

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Das einzige größere Manko des Bandes ist, dass – bezogen auf den im Untertitel formulierten Anspruch »Konstruktionen der Literatur- und Sprachgeschichte« zu untersuchen, – in ihm die Sprachgeschichte unterrepräsentiert ist. Die Beiziehung eines Sprachgeschichtlers als Herausgeber hätte der Sprachgeschichtsschreibung größeres Gewicht verschaffen können. Dass die zentrale sprachgeschichtliche Kategorie ›frühneuhochdeutsch‹ (trotz eines ihr gewidmeten Beitrags) nicht fachgeschichtlich untersucht wird, ist eine echte Leerstelle. Auch programmatisch wird dieses Ungleichgewicht nicht ausgeglichen, da Kategorien und Prinzipien der Sprachgeschichtsschreibung in der Einleitung und in den großen programmatischen Beiträgen (Müller, Bremer, Weimar) nicht vorkommen.

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Angesichts der Tatsache, dass sich die Linguistik erst in den 1960-er und 1970-er Jahren als eigenständige Disziplin etabliert hat, die ältere Fachgeschichte somit Sprach- und Literaturgeschichte noch institutionell ungetrennt betrieben hat, ist aber gerade die Verbindung zwischen sprach- und literaturgeschichtlicher Kompetenz für die Fachgeschichte der Germanistik unerlässlich. Dies wird in den Beiträgen mehrfach deutlich.

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So zeigt Richters Beitrag, dass in Richard M. Meyers Darstellung 21 die Epochengliederung weitgehend (bis zum Ende des Mittelalters) sprachgeschichtlichen Prinzipien folgt, und mindestens drei Epochen (»Frühneuhochdeutsche Zeit 1350–1500«, »[d]as Zeitalter der Reformation 1500–1600« und »Neuaufbau der Literatur 1600–1700«, S. 103) für die moderne Epoche ›Frühe Neuzeit‹ relevant sind. Auch die Tatsache, dass die frühneuhochdeutsche Periode (nach heutiger Ansetzung zumeist von etwa 1350 bis etwa 1650) weit ins späte Mittelalter (der Literaturhistoriker) hineinragt, hätte reflektiert werden können.

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Insgesamt aber sollte der Band für seine Herausgeber, den Marbacher Arbeitskreis und für die Herausgeber der neuen Reihe ein Ansporn sein, auf dem eingeschlagenen Weg weiter zu gehen. Wenn germanistische Fachgeschichte so wie in den vorliegenden Beiträgen betrieben wird, dient sie nicht der bloßen Selbstbespiegelung oder gar der selbstgefälligen Abarbeitung an der eigenen secondarité, sie bietet Kategorien für das eigene Handeln in der Literaturgeschichte und hilft, ein Bewusstsein für die Historizität der literatur- und sprachgeschichtlichen Kategorien, mit denen wir umgehen, zu gewinnen. Und das können wir gebrauchen.

 
 

Anmerkungen

Diskussionsbeitrag auf der Abschlusstagung ›Frühe Neuzeit: Revisionen einer Epoche‹ des SFB 573 (›Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit ‹) in München (9.–12.10.2011), hier aus dem Gedächtnis wiedergegeben.   zurück
Vgl. ausführlicher Michael Titzmann: Epoche. In: Klaus Weimar u. a. (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 1. Berlin, New York: de Gruyter 1997, S. 476–480, bes. S. 476.   zurück
Der Rezensent bekennt, zu den in der »Einleitung« der Herausgeber scherzhaft angesprochenen »besonders emphatischen Freunden« der Epoche zu gehören, die ›Frühe Neuzeit‹ stets »mit großem F« schreiben (S. 7). Andreas Gardt begründet in seinem Beitrag die Großschreibung des Adjektivs: Diese ist im terminologischen Gebrauch als feststehender Epochenbegriff tatsächlich anzuraten (S. 195), zumal der ›Frühen Neuzeit‹ – anders als dem ›frühen Mittelalter‹, dem ein ›hohes‹ und ›spätes Mittelalter‹ folgt, – nur die ›Neuzeit‹ schlechthin gegenübersteht.   zurück
Vgl. dazu die Sektion »›Frühe Neuzeit‹ als eine ›importierte‹ Epochensignatur in der Musik-, Literatur- und Kunstgeschichte«. In: Helmut Neuhaus (Hg.): Die Frühe Neuzeit als Epoche. (Historische Zeitschrift. Beiheft NF 49) München: Oldenbourg 2009, S. 125–236, zur Literaturgeschichte den Beitrag von Sandra Richter: ›Frühe Neuzeit‹ in der Deutungskonkurrenz literaturwissenschaftlicher Epochenbegriffe, S. 143–164; zur Forschungsgeschichte in der Geschichtswissenschaft die Einleitung des Herausgebers, S. 1–6.   zurück
Belegen lässt sich diese ungebrochene Konjunktur durch die 1989 begründete, mittlerweile 153 Bände umfassende Reihe ›Frühe Neuzeit‹ (Tübingen: Niemeyer; seit 2010: Berlin u. a.: de Gruyter). Die Vernachlässigung betraf indes lange Zeit v. a. das 16. Jahrhundert, während das Barockzeitalter seit Mitte des 20. Jahrhunderts ein zentrales Paradigma der germanistischen Literaturgeschichte war (vgl. S. 15–17).   zurück
Der Sprachgeschichtler Oskar Reichmann bringt dies auf den Punkt, wenn er am Anfang seines Beitrags bemerkt, »vor einem Kreis von Literaturwissenschaftlern« gesprochen zu haben (S. 179).   zurück
Dass Schlaffers Diagnose, das kollektive Gedächtnis der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert reiche nicht weiter zurück als zur Klassik oder allenfalls zu einigen Autoren der Aufklärung, nicht neu ist, zeigt eindrucksvoll der Beitrag Frieder von Ammons (S. 201–226), der ein gleichgerichtetes Urteil Hans Magnus Enzensbergers von 1962 zitiert, demzufolge die deutsche »literarische Tradition […] als selbstredendes, ungebrochenes Herkommen […] weiter nicht zurück[reiche] als bis zum Werther« (S. 212). Auf solche Zusammenhänge hätten die Herausgeber ruhig hinweisen dürfen.    zurück
Werner Röcke / Marina Münkler (Hg.): Die Literatur im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. (Hansers Sozialgeschichte der Literatur 1) München: Hanser 2004. Zu diesem Band hätte deutlicher gesagt werden können, dass er, bei allen methodischen Verdiensten und der Qualität der meisten Beiträge, eine monographische Literaturgeschichte des 16. Jahrhunderts nicht ersetzen kann. Ein Sammelband, der die humanistische Lyrik nur bis Konrad Celtis († 1508) erfasst und etwa das deutsche und lateinische Bibeldrama, die produktivste und formgeschichtlich dynamischste Gattung des gesamten Jahrhunderts, komplett ignoriert, ist keine Literaturgeschichte. Auch die (Lied-)Lyrik der Epoche ist nicht abgebildet; vgl. Gert Hübner: Literaturgeschichte als Genesis der Neuzeit. Rezension über: Werner Röcke, Marina Münkler (Hg.): Die Literatur im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. München: Hanser 2004. In: IASLonline [07.12.2004]. URL: http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=1008.   zurück
Am deutlichsten bringt Andreas Gardt dies für die Sprachgeschichte auf den Punkt: »Der Begriff der Frühen Neuzeit ist in der Sprachwissenschaft noch nicht lange im Gebrauch, vielleicht seit etwas mehr als zwei Jahrzehnten.« (195). Für die Literaturgeschichte diskutiert Kai Bremers Beitrag diesen Umstand am detailliertesten; den ungefähren Zeitpunkt der Verwendung des Epochenbegriffs in der germanistischen Literaturwissenschaft markiert das Erscheinungsdatum des ersten Bandes der in Anm. 5 genannten Buchreihe.   zurück
10 
Vgl. v. a. Jan-Dirk Müller / Jörg Robert (Hg.): Maske und Mosaik. Poetik, Sprache, Wissen im 16. Jahrhundert. (Pluralisierung & Autorität 11) Münster u. a.: LIT 2007.    zurück
11 
Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels. Hg. v. Rolf Tiedemann. (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 225) Frankfurt/M.: Suhrkamp 1978.   zurück
12 
So finden sich in den »Nachweise[n]« Benjamins (Anm. 12, S. 212–232) fast keine deutschsprachigen Texte des 16. Jahrhunderts.   zurück
13 
Klaus Weimar: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. 2. Aufl. München: Fink 2003. Der Titel gehört zu den meistzitierten im Sammelband (S. 7, 55, 68, 80 u. ö.).   zurück
14 
Dafür plädiere ich (bezogen auf Martin Opitzens Ausgabe des Annolieds und auf Matthias Flacius’ Behandlung von Otfrids Evangelienbuch) in meinem Aufsatz: Wann beginnt im deutschen Sprachraum die Mittelalterrezeption? Vergleichende Beobachtungen zu Rezeptionsweisen volkssprachiger und lateinischer mittelalterlicher Literatur (ca. 1450–1600). In: Mathias Herweg, Stefan Keppler-Tasaki (Hg.): Rezeptionskulturen. Fünfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur. (Trends in Medieval Philology 27) Berlin/Boston: de Gruyter 2012, S. 15–49.   zurück
15 
Vgl. die S. 12 f. Anm. 19 genannten Arbeiten. Eine solche Untersuchung müsste die Rezeption des Humanismusbegriffs in der Germanistik (und dessen interne Unterteilungen) ebenso mit einschließen wie die Ansätze, in der deutschen Literatur eine (Sonder-, Eigen-)Renaissance auszumachen, und natürlich müsste sie auf die Rezeption des Reformations- und des Konfesssionalisierungsbegriffs eingehen.   zurück
16 
Vgl. die klassische Studie von Erich Kleinschmidt: Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit. Voraussetzungen und Entfaltung im südwestdeutschen, elsässischen und schweizerischen Städteraum. Köln u. a.: Böhlau 1982; sowie die Überblicksdarstellungen von Hartmut Kugler: Literatur und spätmittelalterliche Stadt. In: Röcke/Münkler (Hg.) (Anm. 8), S. 394–408; und ders.: Selbstdarstellung und Gemeinschaftsleben. Ebd., S. 409–419.   zurück
17 
Caroline Emmelius weist darauf in ihrem gleich zu besprechenden Beitrag hin (S. 164 f.).   zurück
18 
Vgl. Frédéric Hartweg, Klaus-Peter Wegera: Frühneuhochdeutsch. Eine Einführung in die deutsche Sprache des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit. (Germanistische Arbeitshefte 33) Tübingen: Niemeyer 1987, S. 18–23. Auch Andreas Gardt spricht in seinem Beitrag sprachgeschichtliche Periodisierungsfragen an (S. 195 f.).   zurück
19 
Mir sind nur wenige Tippfehler aufgefallen: Der Mitverfasser von Kaiser Maximilians I. Theuerdank heißt Melchior Pfinzing, nicht »Prinzing[ ]« (S. 98). Der Theater- und Literaturhistoriker heißt Max Herrmann (nicht »Hermann«, S. 108 Anm. 19).   zurück
20 
Im Beitrag von Emmelius fehlt eine zitierte Literaturgeschichte (S. 170 mit Anm. 44 f.), die im »Bibliographische[n] Anhang« (S. 177) zu ergänzen ist: Geschichte der deutschen Literatur. Kontinuität und Veränderung. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hg. v. Eberhard Bahr, Bd. 1: Vom Mittelalter bis zum Barock. (UTB 1463) 2., vollst. überarb. u. erw. Aufl. Tübingen, Basel: Francke 1999. In von Ammons Beitrag ist die für Rudolf Borchardt zentrale Abhandlung zum Gesellschaftslied des 16. Jahrhunderts zwar mehrfach erwähnt, wird aber nicht nachgewiesen; gemeint ist: Rudolf Velten: Das ältere deutsche Gesellschaftslied unter dem Einfluß der italienischen Musik. (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte NF 5) Heidelberg: Winter 1914.   zurück
21 
Richard M. Meyer: Die deutsche Literatur bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Hg. v. Otto Pniower: Berlin: Bondi 1916.   zurück