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„C’est comme au cinéma“

Mediengeschichte der romanischen Literatur in Schlaglichtern

  • Jochen Mecke (Hg.): Medien der Literatur. Vom Almanach zur Hyperfiction. Stationen einer Mediengeschichte der Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. (machina 2) Bielefeld: transcript 2010. 298 S. Paperback. EUR (D) 29,80.
    ISBN: 978-3-8376-1675-0.
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Die Beiträge des von Jochen Mecke herausgegebenen Sammelbandes beleuchten an Beispielen aus den romanischen Literaturen die Wechselwirkungen zwischen literarischen Formen und ihren Trägermedien beziehungsweise anderen Medien, die die Literatur jeweils historisch umgeben und irritieren. Dass diese Perspektive gerade von deutschen Romanisten eingenommen wird, ist sicherlich kein Zufall angesichts der besonderen Virulenz medientheoretischer Ansätze in den im deutschsprachigen Raum gepflegten Literaturwissenschaften.

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Der Band gliedert sich in vier Teile, die neben der sachlichen auch einer historischen Ordnung folgen. Teil 1 widmet sich den Printmedien und dabei besonders den Auswirkungen des historischen Wandels des Pressewesens auf die Literatur. Teil 2 versammelt Beiträge zu den (audio-)visuellen Medien, das heißt zu den Wechselwirkungen zwischen Literatur, Theater, Fotografie und Film. Die Beiträge im 3. Teil behandeln die besonderen Ausformungen der Literatur in den akustischen Medien Radio, Hörspiel und Hörbuch. Der abschließende 4. Teil ist den digitalen Medien gewidmet und beleuchtet neue Möglichkeiten des Erzählens, die durch diese eröffnet werden.

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Printmedien

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Susanne Greilich geht in ihrem Beitrag auf den Ausdifferenzierungsprozess literarischer Kommunikation vor dem mediengeschichtlichen Hintergrund des Wandels der französischen und deutschen Presselandschaft im 18. Jahrhundert ein. Insbesondere zeigt sie dabei die unterschiedlichen Strategien auf, mit denen die althergebrachten Volksalmanache und die Romanliteratur auf das Aufkommen der Tages-, Wochen- und Monatspresse reagieren. Der Bedeutungsverlust als Informationsmedium über politisch-historische Ereignisse führt zu einer zunehmenden Literarisierung der Almanache. Um dem Vorwurf der Lügenhaftigkeit zu entgehen vermitteln sie aber weiterhin den Eindruck des Wahrheitsbezugs der in ihnen erzählten Ereignisse. Die Romanliteratur der Zeit beginnt dagegen im modernen Sinne auf den Eigenwert des Fiktionalen zu vertrauen und ersetzt den vorgeblichen Realitätsgehalt des Erzählten durch die interne Wahrscheinlichkeit der Erzählung.

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Der Beitrag von Klaus Peter Walter spannt einen mediengeschichtlichen Bogen von der Entwicklung moderner Massenmedien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zu TV-Serien der Gegenwart. Vor dem Hintergrund der Revolutionierung des Pressewesens im Frankreich der 1860er Jahre zeigt er am Beispiel des Feuilletonromans, wie die narrative Gestaltung literarischer Texte durch neue Vermarktungsbedingungen des Mediums Zeitung beeinflusst wird. Anhand des 1857 bis 1870 erschienenen Rocambole-Zyklus von Pierre Alexis Ponson du Terrail unterscheidet er vier Grundtypen der Gestaltung des Schlusses einzelner Erzähleinheiten, die zum erneuten Kauf des Blattes am folgenden Tag anregen sollen. Diese werden am Beispiel von Gute Zeiten, schlechte Zeiten mit den Überbrückungstechniken verglichen, die aktuelle Daily Soaps unter ihren spezifischen medialen und ökonomischen Konditionen entwickelt haben. Die dabei erkennbaren Gemeinsamkeiten und Unterschiede literarischer Erzählzyklen und neuerer TV-Formate sind für sich informativ, allerdings fehlt der Bezug zur vorliegenden Forschung zum Thema, etwa zu der umfangreichen Studie von Christine Mielke. 1

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(Audio-)visuelle Medien

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Der den zweiten Teil des Bandes eröffnende Beitrag widmet sich dem Verhältnis von Theater und Film. Volker Roloff formuliert dabei eine Kritik an der Filmwissenschaft, die es in ihrem vordringlichen theoretischen Bemühen, den Film als autonome Kunstform zu beschreiben, versäumt habe, die offensichtlichen intermedialen Verbindungen von Theater und Film angemessen zu erfassen. Am Beispiel der Filme von Jean Renoir beschreibt er, wie das Kino in unterschiedlichen Formen traditionelle Theaterelemente nutzt, um damit gerade die Theatralität der sozialen Wirklichkeit zur Anschauung zu bringen.

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Der Beziehung zwischen Literatur und Fotografie widmet sich Marina Ortrud M. Hertrampf an Beispielen des nouveau roman von Alain Robbe-Grillet und Patrick Deville. Eine durch die Fotografie geprägte Ästhetik des Sehens spielt in der Poetik des nouveau roman eine wichtige Rolle. Hertrampf stellt jedoch heraus, dass die fotografische Schreibweise nicht das Ziel verfolgt, die vollständige Übersetzbarkeit des einen Mediums in das andere zu behaupten, sondern dass die Literatur einen »medialen Ironieeffekt« (S. 86) gerade dadurch erzielt, dass sie die Nichtübersetzbarkeit der Bilder in Sprache erkennen lässt.

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Dieser medialen Ironie im Anschluss an den von Harald Weinrich geprägten Begriff der »Fiktionsironie« spürt auch Christian von Tschilschke in seinen Ausführungen zur Funktion filmischer Schreibweisen in den Romanen Jean Echenoz’ und Patrick Devilles nach. Er verfolgt die These, dass die filmischen Techniken in den Romanen vor allem eine selbstreferentielle Funktion haben und auf die Literatur und ihre eigenen Möglichkeiten zurückverweisen. Der Verlust des Alleinstellungsmerkmals Fiktionalität ist es, der die Literatur veranlasst, verstärkt ihre medialen Bedingungen, auch durch die Auseinandersetzung mit anderen Medien, zu reflektieren.

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Den vielfältigen Beziehungen zwischen Literatur und Film widmen sich drei weitere in ihren Beispielen sehr unterschiedlich ausgerichtete Beiträge. Claudia Gronemann zeigt unter Verbindung postkolonialer und poststrukturalistischer Theorieansätze an Beispielen der Maghrebliteratur, wie sich dort Oralität, Schrift und Film in transmedialen Schreibstrategien verschränken, um damit zu einer kultur- und textübergreifenden Gedächtnisbildung beizutragen.

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Mario Burg liest die Romane Sandro Veronesis aus den 1980er und 1990er Jahren im Hinblick auf die sich dort manifestierenden filmischen Schreibweisen. Er deutet diese als Reaktion der Literatur auf ihre historische Ablösung als Leitmedium durch die Bildmedien.

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Dagmar Schmelzer zeigt in ihrem Beitrag zu einer Kurzgeschichte des Spaniers Francisco Ayalas aus den 1920er Jahren, wie dieser in der Orientierung am damals jungen Medium Film nicht nur eine neue literarische Ausdruckform sucht, sondern auch eine Form der Auseinandersetzungen mit den Bedingungen des modernen großstädtischen und technifizierten Lebens.

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Akustische Medien

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In der Einleitung des Bandes geht der Herausgeber auf die relative Vernachlässigung der Medien Hörspiel und Hörbuch durch die Wissenschaft ein und erklärt sich diese einerseits durch die untergeordnete Rolle akustischer Medien in der visuell geprägten Gegenwartskultur und andererseits durch die im Vergleich zu den visuellen Medien »geringere mediale Differenz des akustischen zum gedruckten Medium der Sprache« (S. 22). Vier Beiträge im vorliegenden Band versuchen diese Forschungslücke zu verkleinern.

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Jörg Türschmann beleuchtet an Antonio Muñoz Molinas El dueño del secreto das Verhältnis zwischen Hör- und Lesebuch im Hinblick auf Wertungsfragen, mediale und ästhetische Eigenheiten sowie die jeweiligen Rezeptionsbedingungen der beiden medialen Formen des Textes.

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Der Herausgeber Jochen Mecke selbst widmet sich in seinem Beitrag zu Jean Thibaudeaus Reportage d’un match internationale de football von 1961 einem Meilenstein der Hörspielgeschichte. Das Medium wurde bis dahin hauptsächlich als defizitäre Form eines auf den akustischen Kanal beschränkten Theaters wahrgenommen. Thibaudeaus experimentelles Hörspiel orientiert sich jedoch nicht mehr an Theater oder gedruckter Literatur, sondern besinnt sich auf seine eigenen medialen und erzählerischen Möglichkeiten. Mecke verweist jedoch darauf, dass es zu dieser Emanzipation des Hörspiels von der Literatur paradoxerweise durch einen Anstoß aus der Literatur kam, nämlich durch die Anwendung von Elementen aus der Poetik des nouveau roman auf das akustische Medium.

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Der Verbindung zum nouveau roman geht auch Ludger Scherer in seinen Überlegungen zu den Hörspielen des französischen Autors Michel Butor nach, die in der ersten Hälfte der 1960er Jahre als Auftragsarbeiten für den Süddeutschen Rundfunk entstanden sind. Als verbindendes Moment mit der Poetik des nouveau roman identifiziert Scherer die »Aktivierung« der Rezipienten, die im Falle von Butors Hörspielen dadurch entsteht, dass die Elemente der akustischen Collagen geordnet und selektiv wahrgenommen werden müssen.

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Jürgen E. Müller geht anhand des Hörspiels La Fin de Fantômas von 1983, das auf Pierre Souvestres und Marcel Allains Romanvorlage von 1911 beruht, der Zirkulation und Rekonstruktion von Geschichten in verschiedenen Medien nach. Das gewählte Beispiel ist im Hinblick auf intermediale Verhältnisse deshalb besonders ergiebig, weil es thematisch ein weiteres Mediendispositiv behandelt, das des Theaters.

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Digitale Medien

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Der abschließende Teil des Bandes widmet sich in zwei Beiträgen dem Universalmedium Computer und damit verbundenen neuen Gestaltungsmöglichkeiten. Hyperfiction zeichnet sich sowohl durch multilineare Erzählarrangements als auch durch multimediale Zeichensysteme (Schrift, Ton, Bild, Film etc.) aus. An Fred Romanos Edward_Amiga, 1999 eine der ersten ambitionierten französischsprachigen Hyperfictions im Netz, 2 zeigt Elisabeth Bauer das Potenzial der Gattung als »Einführung in neue Medientechniken« und »Lehrstück postmoderner Lektürepraxis« (S. 273) auf. Aus heutiger Sicht muss jedoch gesagt werden, dass dieses Lehrstück kein großes Publikum gefunden hat. Jedenfalls kam Hyperfiction trotz des medientheoretischen Interesses nie über ein Nischendasein hinaus.

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Im abschließenden Beitrag widmet sich Franziska Sick der Narrativik von Computerspielen. Sie stellt die strukturellen Unterschiede zwischen Spiel und Geschichte sowie die neuen Formen ihrer Kombination in verschiedenen Computerspielgenres wie Strategie- und Adventurespielen schlüssig dar. Allerdings scheint der Beitrag vor der Publikation längere Zeit in der Schublade oder mediengeschichtlich wahrscheinlicher auf einer Festplatte gelegen zu haben, kommt er doch ohne jegliche Referenz auf die einschlägige Forschungsliteratur der letzten zehn Jahre daher.

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Fazit

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Obwohl bei einzelnen Beiträgen eine stärkere Anbindung an die allgemeine Forschungsdiskussion wünschenswert wäre, bietet der Band insgesamt ein vielschichtiges und facettenreiches Bild der Wechselwirkungen zwischen literarischen Formen und den sie transportierenden beziehungsweise umgebenden Medien. Auch wenn die Beispiele dem romanischen Sprachraum entstammen, sind die daran erkennbaren Zusammenhänge doch auch aufschlussreich für andere Sprachgemeinschaften, in denen Literatur unter ähnlichen technischen und ökonomischen Bedingungen entstanden ist und entsteht.

 
 

Anmerkungen

Christine Mielke: Zyklisch-serielle Narration. Erzähltes Erzählen von 1001 Nacht bis zur TV-Serie. (Spectrum Literaturwissenschaft 6) Berlin, New York: de Gruyter 2006.   zurück