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Deutsche Enzyklopädien in den Wirren des 20. Jahrhunderts

  • Ines Prodöhl: Die Politik des Wissens. Allgemeine deutsche Enzyklopädien zwischen 1928 und 1956. Berlin: Akademie 2011. 301 S. Gebunden. EUR (D) 49,80.
    ISBN: 978-3-05-004661-7.
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Allgemeines, Gliederung und Aufbau

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Enzyklopädien halten allgemeingültiges Kanonwissen vor. Sie geben Generationen von Lesern eine begriffliche und gesellschaftliche Orientierung an die Hand und ihnen wird zuweilen sogar nachgesagt, weltanschaulich zu prägen. Die Dissertation von Ines Prodöhl geht der zentralen Frage nach, welches Wissen in den allgemeinen deutschen Enzyklopädien des Deutsches Reichs, der Schweiz und der SBZ / DDR im Zeitraum von 1928 bis 1956 aufgenommen wurde. Ihr Untersuchungsansatz ist vergleichend und epocheübergreifend. Eine ihrer Grundannahme geht davon aus, dass diese Nachschlagewerke identitätsstiftend seien und »der politisch motivierten Einflussnahme auf die Allgemeinbildung der jeweiligen Bevölkerung dienten« (S. 17). Um dies zu belegen, stellt die Autorin die Akteure der Produktion in den Mittelpunkt. Es handelt sich in erster Linie um Lexikon-Verleger und -Mitarbeiter sowie um Zensureinrichtungen, die in den deutschen Diktaturen die diesbezügliche Buchproduktion überwachten.

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Der Untersuchungsgegenstand ist in vier Kapitel gegliedert. Zunächst wird unter der Überschrift »Netzwerk Wissen. Deutschsprachige Lexika im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert« das Erfolgsmodell des Konversations-Lexikons vorgestellt. Im zweiten Kapitel »Zwischen Business und Zensur. Enzyklopädien und ihre Verleger im Dritten Reich« wird die »NS-Kulturpolitik« in Bezug auf das Lexikon und die großen universalen Ausgaben von »Meyer« und »Brockhaus« unter die Lupe genommen. Kapitel drei beschreibt »Die Rettung des Wissens. Konkurrierende Lexikonprojekte in der Schweiz und in Deutschland am Ende des Zweiten Weltkriegs« und im letzten Kapitel wird »Die neue Hoheit über das zu Wissende« am Beispiel der lexikographischen Entwicklung in der SBZ und frühen DDR thematisiert.

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Prodöhl betreibt eine intensive Quellenrecherche und hat insbesondere für die NS-Zeit keine Wege gescheut, um auch in entlegenen Archivbeständen Antworten auf ihre Fragen zu finden. Einzig das in Privatbesitz der Familie Brockhaus befindliche Archiv hat sie nicht konsultiert. Sie greift in vielen Einzelfragen allerdings auch auf bereits publizierte Forschungsergebnisse zurück, etwa zur Lexikonforschung, zur »NS-Kulturpolitik« oder zur Unternehmensgeschichte von F. A. Brockhaus und dem Bibliographischen Institut (»Meyer«).

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Zu den methodischen Grundüberlegungen: Wurden allgemeinbildende Lexika von »Netzwerken« erarbeitet?

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Dissertationen legen zumeist großen Wert auf eine theoretische Fundierung. Ines Prodöhl beschreibt so die Erstellung von Enzyklopädien im Kapitel 1 »Netzwerk Wissen« als eine Leistung von Netzwerken und beruft sich hierbei auf eine entsprechende Diskussion innerhalb der Forschung: »Allgemeine Lexika wurden sowohl erarbeitet als auch gelesen von einem offenen, instabilen Netzwerk, welches wegen seiner Flexibilität zwar schwer zu kontrollieren war, das sich aber auf Grund seiner grenzübergreifenden Wirkung offensichtlich als attraktiv für eine nationale Inanspruchnahme erwiesen hat.« (S. 23) Es ist schon so, dass zahlreiche Autoren an einer Enzyklopädie mitwirken. Aber sind sie untereinander vernetzt, ist der Personenkreis der Artikelschreiber »offen« und »schwer zu kontrollieren«? Und trifft das Bild der Vernetzung auch für die Leser zu?

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Kennzeichnend für die Erstellung der deutschen Lexika im Untersuchungszeitraum ist, dass sowohl die privatwirtschaftlichen als auch die volkseigenen Verlage Brockhaus und Bibliographisches Institut (»Meyer«) die Zügel straff in den Händen hielten und ihre Nachschlagewerke im Voraus planten, den Zeilenumfang, die aufzunehmenden Lemmata und den Personenkreis der externen Autoren genau festlegten und letztlich auch alle Texte durch eine eigene, straff und hierarchisch organisierte Redaktion in die rechte Form brachten. Und die externen, zumeist wissenschaftlichen Autoren waren untereinander auch nicht vernetzt. Sie kannten einander in der Regel nicht, denn ihr einziger Ansprechpartner war die Verlagsredaktion, die sich ihre zentrale Stellung nicht streitig machen lassen wollte.

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Interessant sind unter anderem verlagsrechtliche Festlegungen, die in der vorliegenden Untersuchung nicht erwähnt werden. So hatte nach einem um 1930 üblichen Autorenbestellvertrag von F. A. Brockhaus der externe Autor Material und Textentwürfe zu liefern. Er besaß jedoch hinsichtlich der letztendlichen Formulierung im Lexikon kein Mitspracherecht. Für die 14. und 15. Auflage des »Großen Brockhaus« ist zudem belegt, dass der Brockhaus-Verlag die Artikelmanuskripte nochmals durch vertraute, wiederum externe Autoren überprüfen ließ. Von dieser Art des Misstrauens und der inhaltlichen Kontrolle hatten die wissenschaftlichen Autoren natürlich keine Ahnung. So nahm der Theologe Professor Joseph Lammeyer (geb. 1870) per Sondervertrag die Durchsicht aller Artikel mit katholischem Einschlag vor. Anfangs erhielt er ein Revisionshonorar von 120 Mark für den Druckbogen, das später in ein üppiges Stundenhonorar von 5 Mark umgewandelt wurde. Und dem Altphilologen Professor Robert Kauer (1868–1930) aus Wien vertraute die Redaktion die Revision der Artikel über das österreichische Schulwesen an, wofür er ein Honorar von 80 Mark pro Bogen erhielt. Diese umfassende Machtstellung des Verlags gegenüber den Lexikonautoren und später noch die Einflussmöglichkeiten der NS- und DDR-Zensureinrichtungen auf den Lexikon-Verlag selbst legt weniger die Netzwerk-Theorie nahe, sondern eher die Prinzipal-Agent-Theorie, die das wechselseitige Handeln von (Wirtschafts-)Akteuren in Hierarchien gut erklären kann.

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Allgemeine Nachschlagewerke im Nationalsozialismus

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Ausführlich stellt die Autorin das Verhalten der Lexikon-Verleger Brockhaus und Bibliographisches Institut (Meyer) in der NS-Zeit und ihr kompliziertes Verhältnis zu den Überwachungsorganen dar. Eingangs skizziert sie im Wesentlichen die Forschungsergebnisse von Jan-Pieter Barbian nach. 1 Die Reichsschrifttumskammer war insofern zuständig für die Lexikonverlage, weil alle Autoren, Redakteure und Verleger Mitglieder der Kammer sein mussten, um überhaupt tätig zu sein. Diese Art der personellen Vorzensur drängte vor allem jüdische Mitarbeiter aus der Redaktion. 2 Inhaltlich war die Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums zuständig (künftig PPK, gegr. 1934). Diese Einrichtung war in den polykratischen Strukturen der NS-Zensureinrichtungen nicht unangefochten. Aber sie war de facto für eine vorzensorische Kontrolle relevanter Einträge zuständig. So überwachte die PPK die erwähnte 15. Auflage des »Großen Brockhaus« (1928–35), angelegt auf zwanzig Bände, spätestens ab dem 17. Band und das 12-bändige »Meyers Lexikon« (1936–42, nur neun Bände erschienen) vollständig. Durch eine gründliche Quellenauswertung vor allem im Berliner Bundesarchiv bereichert Prodöhl unser Wissen über das komplizierte Verhältnis zwischen der PPK und den angesprochenen Lexikonverlagen. Die Verlage nahmen vorauseilend den intensiven Kontakt zur PPK auf, um einen Schutz vor Beschlagnahmungen oder weiteren Zensurmaßnahmen zu erzielen. Die PPK schrieb sogar circa 100 NS-relevante Sichtworte direkt für den »Brockhaus«, was einerseits einen schweren Zensureingriff in die Freiheit der Lexikonherstellung darstellte, andererseits eine begrenzte Wirkung hatte, handelte es sich doch nur um etwa 0,05 % der insgesamt circa 200.000 Lexikoneinträge. Neu ist die Einschätzung Prodöhls, dass der propagandistische »Taschen-Brockhaus zum Zeitgeschehen« (zwei Auflagen, 1940 und 1942) nicht vom Verlag selbst verantwortet wurde, sondern von der Parteiamtlichen Prüfungskommission und dass er aufgrund der Zwistigkeiten mit anderen NS-Behörden kritisiert wurde.

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Hinsichtlich des Unternehmens Bibliographisches Institut wird erstmals eine (gruppen-)biographische Recherche zu den Lexikonredakteuren vorgelegt. Zumeist kamen sie aus einem bürgerlichen Elternhaus und sie hatten eine universitäre Ausbildung genossen, was für ihren hohen Professionalisierungsgrad spricht. Möglich wurde diese Recherche durch die Auswertung der Werkzeitung »Meyers Nachrichten« (1935–1945). Es handelt sich bei einer Werkzeitung um eine unternehmensgeschichtliche Quelle ersten Ranges, die in der Forschung leider noch viel zu wenig beachtet wird. 3 Vergleichend hätte es sich angeboten, die ebenfalls vollständig überlieferte Werkzeitung von F. A. Brockhaus »Der Fabianer« (1937–1944) hinzuzuziehen.

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Intensiv geht Prodöhl auf die Zusammenarbeit zwischen der Parteiamtlichen Prüfungskommission und dem Bibliographischen Institut bei der Erarbeitung der 8. Auflage von »Meyers Lexikon« ein. Der Vergleich von Lexikoneinträgen zwischen dem »Großen Brockhaus« und »Meyers Lexikon« offenbart Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Eine Auswertung zahlreicher Artikel ist aufgrund des Umfangs schwierig. Aber es wäre interessant, hier eine Ausgewogenheit herzustellen. Beispiel-Artikel wie Zensur, Wahlfreiheit und Völkerbund, aber auch Einträge zu jüdischen Personen will die Autorin nicht bewusst ausgewählt, sondern »mehr oder weniger zufällig gefunden« haben (S. 83). Es fällt allerdings auf, dass diese Begriffe in einem damals aktuell-politischen Kontext zu suchen sind und nicht den Großteil der im Lexikon enthaltenden Sachartikel repräsentieren, etwa zu den Themenbereichen Geografie, Biologie, Medizin, Astronomie, Technik und so weiter. Wie geht man aber mit diesen Einträgen um? Konnten sie auch dazu dienen, die oben angesprochene politisch motivierte Einflussnahme der Bevölkerung durch ein Allgemeinlexikon zu bewerkstelligen? Zumindest hinsichtlich kulinarischer Spezialitäten wird der Vergleich zwischen beiden Großlexika gesucht. Während der »Brockhaus« der Weimarer Republik ausländische Luxusgüter wie Brie, Champagner oder Portwein noch umfassend darstellte, wurden sie bei »Meyer« in der NS-Zeit entweder weggelassen oder mit nationalen Deutungen versehen.

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Leider wird bei dem gebotenen Detailreichtum zum Dritten Reich ein nicht unwesentlicher Aspekt unterschlagen: Die Unternehmerfamilie Brockhaus war jüdischer Abstammung, was nach entsprechenden Denunziationen des Konkurrenzunternehmens Bibliographisches Institut öffentlich bekannt wurde. Daraufhin wurde 1938 ein Arisierungsverfahren durch die RSK vorbereitet, also die Enteignung des Brockhaus-Verlags. Nur aufgrund ihrer Kontakte zu höchsten NS-Stellen und eines Gnadengesuchs bei Adolf Hitler [!] war es ihnen möglich, diese Bedrohung abzuwenden. Diese dramatischen Ereignisse hatten Auswirkungen auf das strategische Verhalten der Unternehmer Brockhaus im Dritten Reich, insbesondere auf ihre Bereitschaft, noch stärker mit dem Regime zu kollaborieren. 4

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Exkurs zur Schweiz – »Rettung des Wissens«

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In diesem Abschnitt unternimmt Prodöhl einen Exkurs in die Schweiz. Die deutschsprachige Schweiz gehört damals wie heute strukturell zum deutschen Buchhandel, denn weit über 90 % aller dort gelesenen Bücher wurden und werden aus Deutschland importiert. Auch allgemeine Lexika gehören hierzu. Nach der weitgehenden Zerstörung der Buchstadt Leipzig in der Bombennacht vom 4. Dezember 1943 gab es in der Schweiz intensive Bemühen, die nun entstehende Lücke in der Lexikonproduktion durch die Herausgabe eines »Schweizer Lexikons« zu füllen. Eigens hierzu schlossen sich fünf etablierte Schweizer Verleger unter Leitung von Gustav Keckeis (Verlag Benziger & Co. in Einsiedeln) zusammen. Der erste Band des »Schweizer Lexikons« erschien allerdings erst nach Kriegsende. 5 Die deutsch-schweizerische Konkurrenzsituation wird durch den Exkurs gut ausgeleuchtet. Durch die Nachkriegsentwicklung, vor allem aber durch die Übersiedlung von Brockhaus nach Wiesbaden, entstand allerdings wieder eine neue Wettbewerbssituation, die die Schweizer Bemühungen allmählich verblassen ließen. So reiht sich das »Schweizer Lexikon« in eine Reihe von Bemühungen ein, deutsche Standardwerke à la »Brockhaus« und »Meyer« für ein weiteres Land zu adaptieren.

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Eingriffe in die Lexikonproduktion der SBZ und DDR

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Die komplizierte Nachkriegsentwicklung führte einerseits zu einer Abwanderung der Unternehmensleitungen von Brockhaus und Bibliographisches Institut in die westlichen Besatzungszonen, andererseits zu deren Enteignung in Leipzig. Trotz der nachgewiesenen Tatsache, dass »Meyers« Lexika zwischen 1933 und 1945 sich stärker auf die NS-Ideologie eingelassen hatten als »Brockhaus«, wurde in der DDR der Beschluss gefasst, die Tradition der allgemeinbildenden Lexika allein bei »Meyer« fortzuführen. Eine Schlüsselfigur dieser schwerwiegenden Entscheidung war Heinrich Becker, ein früher Leiter des VEB Bibliographisches Institut.

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Zuerst erschien in der DDR eine Übersetzung der »Großen Sowjetischen Enzyklopädie«. Sie war in ihrer zweiten Auflage (1949–58) mit 50 Bänden allerdings zu umfangreich, so dass nur ausgewählte Artikel berücksichtigt und in Heftform publiziert wurden. Zwischen 1952 und 1958 erschienen über 200 kleine Hefte in verschiedenen DDR-Verlagen. Die Koordination oblag dem Berliner Verlag Kultur und Fortschritt. Ines Prodöhl bezeichnet diese Übersetzung denn auch als einen inszenierten Kulturtransfer. Die hohen propagandistischen und ideologischen Erwartungen, die das ZK der SED damit verband, erfüllten sich freilich nicht. Das erste mittlere allgemeine Lexikon der DDR erschien erst zwischen 1961 und 1964 als 8-bändiges »Meyers Neues Lexikon« (1. Auflage) im VEB Bibliographisches Institut Leipzig. Es folgte zwischen 1972 und 1978 das einzige große allgemeinbildende Lexikon der DDR in 18 Bänden, ebenfalls unter der Bezeichnung »Meyers Neues Lexikon« (2. Auflage) und wiederum beim Bibliographischen Institut. Hier hätte es sich angeboten, den Untersuchungszeitraum der vorliegenden Studie soweit auszudehnen, dass diese zentralen Ausgaben berücksichtigt werden.

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Fazit

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Summa summarum handelt es sich um eine ehrgeizige Arbeit zur Geschichte der allgemeinbildenden Lexika im 20. Jahrhundert. Der Autorin gelingt es, neben der Präsentation des Forschungsstandes bislang unbekannte Details zur Lexikonproduktion im Untersuchungszeitraum aufzudecken. Der verwendete Untersuchungszeitraum, der bewusst über Bruchzonen hinwegreicht, erweist sich dabei als fruchtbringend. Ferner profitiert die Arbeit von einem interdisziplinären Forschungs- und Methodenansatz, wenn auch gewählte Modelle nicht immer glücklich gewählt wurden. Hinsichtlich der zentralen Fragestellung der Verlagsgeschichte sind jüngere Standardwerke, wie die seit 2001 erscheinende »Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert«, herausgegeben von der Historischen Kommission des Börsenvereins 6 , leider nicht konsultiert worden. Auch hätte ein Blick in Verlagsgeschichten jenseits des Lexikonbereichs geholfen, Befunde besser einzuordnen. Hilfreich wäre es auch gewesen, eingangs die Unternehmen F. A. Brockhaus und Bibliographisches Institut firmengeschichtlich und strukturell vorzustellen. Dies hätte ergeben, dass es sich nicht um reine Lexikon-Verlage, sondern um Mischbetriebe handelte, die auch anderes produzierten und deren Druckereien und Setzereien für andere Verlage arbeiteten. Nur so ist zu verstehen, warum beide Verlagshäuser im Dritten Reich zeitweilig auf Lexikon-Ausgaben verzichten konnten oder deren Erscheinen verzögerten beziehungsweise auf eigenen Wunsch einstellten.

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An vielen Stellen gibt es inhaltliche Fehler oder Mängel in der Darstellung und Argumentationsfolge. So wird beispielsweise in der vorliegenden Untersuchung der 1950 verbotene »Volks-Brockhaus« (geplant in zwei Bänden, Teilband A-K beschlagnahmt und vernichtet) fälschlicherweise als Dreibänder bezeichnet (vgl. S. 226). Ein Blick in die Verlags-Bibliographie von 1962, die laut Literaturliste nicht konsultiert wurde, hätte diesen Fehler vermieden. 7 Warum etwa der »Große Brockhaus« seitenweise mit falscher Rechtschreibung als der »Grosse Brockhaus« bezeichnet wird, bedarf ebensolcher Erklärung. Es ist nicht Aufgabe einer Rezension, diese Mängel umfassend aufzulisten. Ein gutes Lektorat sollte aber besonders bei buch- und verlagshistorischen Arbeiten selbstverständlich sein.

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Trotz der genannten Defizite ist die Untersuchung grundlegend für die Thematik; und sie ist jedem inhaltlich interessierten Leser zu empfehlen. Nachdem die Verlags- und Zensurgeschichte des Lexikons im 20. Jahrhundert weitgehend erforscht ist, sollte künftig ein größeres Augenmerk auf eine möglichst umfangreiche, ja repräsentative Inhaltsanalyse der allgemeinen Lexikonausgaben gelegt werden. Eine solche Untersuchung könnte mit vielen Vorurteilen und Fehlannahmen aufräumen. Soweit möglich, sollte dann auch die Frage beantwortet werden, welche (identitätsstiftenden) Einflüsse die Lexikon-Einträge tatsächlich auf die zeitgenössischen Leser zeitigten. Zahlreiche gut erhaltene und fast ungelesene Großlexika des 20. Jahrhunderts – die man heute zuhauf in den Antiquariaten erwerben kann – legen eher die Vermutung nahe, dass sie kaum rezipiert wurden.

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Nachtrag

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Vor Monaten wurde bekannt, dass der Bertelsmann-Verlag, der 2009 die Brockhaus-Rechte erwarb, nun seine Lexikonproduktion komplett einstellen wird. Dieser Schritt markiert vorerst das Ende der mehr als fünfhundert Jahre andauernden Ära gedruckter allgemeiner Nachschlagewerke in Deutschland. Bleibt abzuwarten, ob die elektronischen Enzyklopädien, allen voran Wikipedia, die gleiche gesellschaftliche Anerkennung erhalten werden wie einige der gedruckten Prestige-Enzyklopädien der Vergangenheit. Ausschlaggebend wird auch sein, ob Wikipedia vom Know-how (und den Fehlern) der professionellen Lexikografen lernen kann oder nicht.

 
 

Anmerkungen

Sein maßgebendes Werk erschien bereits 1993: Vgl. Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im »Dritten Reich«. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 40 (1993). Zu beachten ist aber auch seine jüngste Arbeit, welche die komplizierte Materie selbst für den studentischen Leser verständlich beschreibt: Vgl. Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im NS-Staat. Von der »Gleichschaltung« bis zum Ruin. Frankfurt am Main 2010.   zurück
Die Firmenleitung von Brockhaus half dem Philologen und langjährigen jüdischen Chefredakteur Hermann Michel bei der Ausreise nach England, wo er 1946 in Hayward Heath (Surrey) verstarb. Vgl. Thomas Keiderling (Hg.): F. A. Brockhaus 1905–2005. Leipzig 2005, S. 102, 161.   zurück
Vgl. Alexander Michel: Von der Fabrikzeitung zum Führungsmittel. Werkzeitschriften industrieller Großunternehmen von 1890 bis 1945. (Beiträge zur Unternehmensgeschichte, Bd. 96) Stuttgart 1997.   zurück
Vgl. Thomas Keiderling: Enzyklopädisten und Lexika im Dienst der Diktatur? Die Verlage F. A. Brockhaus und Bibliographisches Institut (»Meyer«) während des Nationalsozialismus. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (2012), H. 1, S. 69–92.   zurück
Prodöhl schreibt zum genauen Erscheinungstermin einmal »August 1945« (S. 22), dann aber »Herbst 1945« (S. 145), was durch eine bessere Prüfung des Manuskripts hätte vereinheitlicht werden können.   zurück
Siehe hierzu die Besprechungen auf IASL-online: http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=845, http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=2617, http://www.iaslonline.lmu.de/index.php?vorgang_id=3654   zurück
Vgl. F. A. Brockhaus. Vollständiges Verzeichnis der von 1906–1960 verlegten Werke. In Abc-Folge mit Biographien der Verfasser, Herausgeber und Übersetzer. Wiesbaden 1962, S. 51. An einer Stelle benutzt sie die zutreffende Bezeichnung »Halbband« (vgl. S. 231), was auf die Konsultation meines Brockhaus-Buches zurückgeht.   zurück