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Körper - Maschinen

Menschenbilder im Zeichen von Grenzdiskursen

  • Bianca Westermann: Anthropomorphe Maschinen. Grenzgänge zwischen Biologie und Technik seit dem 18. Jahrhundert. München: Wilhelm Fink 2012. 300 S. Kartoniert. EUR (D) 39,90.
    ISBN: 978-3-7705-5219-1.
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In ihrer Dissertationsschrift untersucht Bianca Westermann aus kultur- und medienwissenschaftlicher Perspektive künstliche Menschen und, genauer, die Schnittstelle zwischen Körper und Maschine als »Medien der Sinnstiftung« (S. 11). Sie ist damit insbesondere an beider kultureller Verfasstheit und dem sie umgebenden »rhizomatische[n] Diskursgeflecht« (S. 80) interessiert. Ein solcher Perspektivwechsel auf die diskursive Konstruktion der Beziehung von Körper und Maschine umgeht Probleme, wie sie sich etwa aus essentialistischen Definitionsversuchen ergeben, die in einem reduktionistischen oder uneigentlichen Sprachgebrauch verschiedener Forschungspositionen ihren Ausdruck finden. In Abgrenzung dazu betrachtet der vorliegende Ansatz die Beziehung von Körper und Maschine als eine sich wechselseitig bedingende: Es ist nicht so sehr ihre Differenz als vielmehr die diskursive Produktion von Ähnlichkeiten und Überschneidungen, die hier im Fokus stehen. Insofern wird die Arbeit selbst zu einer dritten, sinnstiftenden und vermittelnden Instanz, die im ideengeschichtlichen Rückblick auf das »diskursive Referenzierungsrhizom« (S. 9) einen interdiskursiven Dialog zwischen begrifflicher und technisch-medialer Konstruktion der Beziehung von Körper und Maschine anregt.

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Die Ambivalenzen anthropomorpher Maschinen

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Aus diesen diskursiven Überschneidungen gehen Ambivalenzen an der Schnittstelle von Körper und Maschine hervor, mit denen sich die Arbeit anhand der Parameter der Materialität, der Gestalt, der Funktionalität und der Identität auseinandersetzt. Ihre Entsprechung finden diese Ambivalenzen in vier Formen anthropomorpher Maschinen: Automaten, Roboter, Prothesen und Cyborgs zeichnen nicht nur eine ideengeschichtliche Genealogie, sondern markieren »eine spezifische Systematik der Grenzdiskurse zwischen Körper- und Maschinenkonzepten seit dem 18. Jahrhundert«, die »anhand der chronologischen Reihung eine Steigerung der Ambivalenzen« (S. 12) sichtbar werden lässt. Die zweifache Ausrichtung des Vorgehens reflektiert diese These: die Arbeit gliedert sich einmal in vier diesen anthropomorphen Maschinen gewidmete Hauptkapitel, deren Schnittstellen jedoch über drei weitere Kapitel synthetisierend beleuchtet werden.

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Die damit verbundene Zunahme an Komplexität und Kontingenz hängt wesentlich mit der wechselseitigen »Einflussnahme von Körperbegriffen« und »Maschinenbegriffe[n]« zusammen. Sie trägt dazu bei, »dass die Aufladung mittels eines jeweils komplementär gesetzten Körper- oder Maschinenbegriffs der Produktion beziehungsweise dem Erhalt der Komplexität der jeweiligen Konzepte von Körpern und Maschinen gilt« (S. 14). Eine solche Hervorhebung auch der sprachlichen Dimension von Diskursen, die in den Beispielen der folgenden Kapiteln immer wieder eine zentrale Rolle spielt, macht die Arbeit damit auch anschlussfähig für weiterführende Überlegungen: aus diskurstheoretischer, medientheoretischer oder semiotischer Perspektive ließe sich beispielsweise nach der theoretischen Abbildbarkeit eines solchen Beziehungsgefüges fragen.

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Ambivalenz der Materialität

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Die Ambivalenz der Materialität ist Gegenstand der Untersuchung der aufgeklärten Automatentradition, der sich die Argumentation entsprechend ihrer diskursübergreifenden Perspektive aus zwei Richtungen nähert: sie verknüpft die begriffliche Dimension in der philosophischen Denktradition mit der (Re-)Präsentation wissenschaftlicher Erklärungsmodelle in den technischen Innovationen der Werkstätten des 18. Jahrhunderts.

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Ein Vergleich der Maschinenmodelle René Descartes’ und Julien Offray de La Mettries veranschaulicht zunächst die Verschiebung der Grenze zwischen Materiellem und Immateriellem in das Materielle selbst und macht sie damit zu einem Sprachproblem: Es kommt zu einer inneren Ambivalenz des Bereichs des Materiellen, die in einem sowohl objektsprachlichen als auch uneigentlichen Sprachgebrauch der Maschine ihren Ausdruck findet:

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Die metaphorische Aufladung des mechanischen Körperkonzeptes hat die Materialität dieser Körper auf eine neue Weise für Aushandlungen auf kultureller Ebene geöffnet: Indem der Körper durch die mechanistische Metaphorik für Einschreibungen unabhängig von bzw. konträr zu vermeintlich objektiven Zuschreibungen seiner Materialität geöffnet wird, kann sich die diskursive Bestimmung des Körpers von einer festen Bestimmung seiner Materialität lösen. (S. 49 f.)
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Materialität ist damit gerade keine Frage der Essenz, sondern wird als ein diskursiv hergestelltes Konzept umgedeutet.

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Die durch diese diskursive Verankerung provozierte begriffliche Ambivalenz wird in einem zweifachen Moment der Simulation in den technischen Wunderwerken der Aufklärung reflektiert: Automaten wie der Écrivain aus der Werkstatt Jaquet-Droz’ oder Jacques de Vaucansons Flötenspieler und künstlich verdauende Ente verbinden die Repräsentation kultureller oder körperlicher Vorgänge mit einer Präsentation von fast theatralem Aufführungscharakter: »das Streben nach wissenschaftlichen Erkenntnissen« und »das Streben nach Darstellbarkeit« (S. 73) gehen auf in einer Inszenierung der mechanischen Simulation von Funktionalität.

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Drei Ebenen untersucht die Arbeit (im Anschluss an Sutter) am Beispiel Vaucansons und seiner Zeitgenossen: die Funktionen des kultivierten (künstlerischen), des produktiven (fertigenden) und des natürlichen (organischen) Körpers, wobei eingedenk der Prominenz des Kriteriums der Darstellbarkeit ersterem die größte Bedeutung zukommt:

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Die auffällige Konzentration auf Automaten, die kultivierte Handlungen simulieren, lässt sich mit der Verknüpfung von Bewegung und Belebung nachvollziehen. Anschließend an die mechanistischen Körperkonzepte von Descartes und La Mettrie galt die äußere Bewegung als (deutliches) Zeichen für innere Belebung. (S. 75 f.)
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Dieses Zeichen als Ausdruck einer Korrespondenzbeziehung körperlicher und künstlerischer Vorgänge wird in der Vorführung der Automaten selbst zum »Schauobjekt« (S. 71) zwischen Wissenschaft und Theater.

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Ambivalenz der Gestalt

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Auch die Ambivalenz der (humanoiden) Gestalt in ihrer Beziehung zur vergleichsweise langen Tradition der Roboter beleuchtet die Arbeit aus zwei Perspektiven: Hier ergänzen sich der psychologische Blick auf die Wahrnehmung der Robotergestalt und der technikhistorische Blick auf Konzeptionen und Funktionen verschiedener realisierter Robotergestalten vom frühen 20. bis ins 21. Jahrhundert. Mehr noch als das vorangegangene Kapitel ist die vorliegende Diskussion als interdiskursiver Dialog konzipiert.

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Als Ausgangspunkt dient ein Überblick, der die konzeptuelle Breite des Roboterbegriffs sichtbar macht und anhand ihrer Funktionen Arbeitsroboter, Vorführroboter und Forschungsroboter unterscheidet. In allen drei Fällen ist es die Gestalt, »die darüber entscheidet, ob der Roboter als humanoid wahrgenommen werden kann« (S. 101).

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Dementsprechend werden hier wahrnehmungspsychologische Fragen und insbesondere die Gestalt zum tertium comparationis der Beziehung von Körper und Maschine. Zentral dafür ist die These, dass »in der Gestalt prägende Ambivalenzen des Roboterkonzepts angelegt sind« (S. 102).

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Schon Masahiro Moris Konzept des Uncanny Valley macht den durch das Kippmoment in der Wahrnehmung einer Figur als Mensch und als Roboter entstehenden Bedeutungsüberschuss und die dadurch generierte Ambivalenz (graphisch) beschreibbar:

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Hier treffen sowohl eine deutlich erkennbare, große Ähnlichkeit zum Menschen, als auch eine ebenso deutliche und dadurch irritierende Ähnlichkeit zum Maschinellen aufeinander, so dass der Roboter als Mischform zwischen Körper und Maschine wahrgenommen wird, wodurch es zu einer Gleichzeitigkeit von Analogie und Differenz kommt. (S. 103)
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Ausgehend von dieser durch eine Verdoppelung an Ähnlichkeit erzeugten Irritation lässt sich die Wahrnehmung des Roboters in zwei Schritten präzisieren:

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Über zentrale Positionen der Gestalttheorie (Max Wertheimer, Christian von Ehrenfels) lassen sich zunächst wahrnehmungspsychologische Qualitäten mit motorischen und geistigen Bewegungsabläufen verbinden, die am Beispiel von Industrierobotern und Computern diskutiert werden. In ihnen kommt der dichotome Charakter des Konzepts des Roboters allererst zum Ausdruck, in dem sich »jeweils differente Aspekte des Humanen und der Fähigkeiten des Menschen spiegeln und in diesem Sinne durch diese bestimmt sind« (S. 123). Der Mensch wird damit zum Maß der Maschine.

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Daran anschließend erlaubt Embodiment als ein »prozessuales Konzept von Körperlichkeit« (S. 134), den kulturgeschichtlichen Übergang von den motorischen und logischen Aktionen von Industrierobotern und Computern zu den sozialen Interaktionen des Dienstleistungsroboters theoretisch beschreibbar zu machen:

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Embodiment beschreibt die körperliche Involvierung des Roboters innerhalb seiner Umwelt, nicht nur im Sinne einer passiven (sensorvermittelten) Wahrnehmung, sondern ebenso im Sinne aktiver Interaktion. Intelligenz wird somit als Emergenz-Effekt beschreibbar, der sich aus der Interaktion mit der Umwelt ergibt. (S. 133 ff.)
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Diese Verknüpfung dient dabei als Ausgangspunkt nicht so sehr einer theoretischen Diskussion der Haltbarkeit eines solchen Arguments als vielmehr einer Untersuchung seiner technikhistorischen Implementierungen, die »eine friedliche Utopie des Zusammenlebens von Robotern und Menschen« (S. 143) zu realisieren vorgeben, darunter beispielsweise der Partnerroboter Domo.

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Gemein ist allen diskutierten Robotern ihre Spiegelungsfunktion in Bezug auf den Menschen: Insbesondere bemessen an Fragen der Produktivität lassen diese Hybride aus Körper und Maschine verschiedene »Grenzdiskurse im Sinne eines Vergleichs, der den Menschen in seiner Identität bestätigt, verhandeln« (S. 145). Immer geht es dabei auch um Hierarchisierungsprozesse: Damit verschiebt sich der Fokus gegenüber der Automatentradition von einer Simulation auf eine »Transformation des Menschen« (S. 148) im Zeichen ökonomischen Handelns. Beiden kommt jedoch eben durch ihre Position an der Schnittstelle zwischen Körper und Maschine eine sinnstiftende, bedeutungskonstitutive Funktion zu, die ihr Verhältnis neu aushandelt.

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Ambivalenz der Funktionalität

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In der Untersuchung der Ambivalenz der Funktionalität ergänzen sich ein theoretischer Überblick auf Prozesse der Semantisierung und Umwertung der Beziehung von Körper und Maschine von und durch Prothesen und ein Vergleich ihres Gebrauchs zur »Restitution von Gestalt und Funktion« (S. 154) des Arbeitskörpers im Ersten Weltkrieg und des Sozialkörpers in der Gegenwart. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Frage danach, wie Prothesen »als kulturelles Konzept« (S. 164) funktionieren.

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Der theoretische Rahmen versucht die breite wissenschaftliche Rezeption des Prothesenbegriffs aufzufächern, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln den »Prothesengott« 1 Mensch beschreibbar machen will: anthropologische Annäherungen in der Tradition Arnold Gehlens stellen den Menschen als Mängelwesen vor, der sich nur durch technische (und institutionelle) Erweiterungen an seine Umwelt anpassen kann; medienwissenschaftliche Definitionsversuche verstehen mit Marshall McLuhan jedes Medium als prothetische Ausdehnung körperlicher Grenzen im Sinne einer Extension des menschlichen Wahrnehmungsapparats; phänomenologische Untersuchungen versuchen mit Vivian Sobchack eine Umdeutung der Prothese verbunden mit einer Abwendung von einem normierten und einer Hinwendung zu einem prozessualeren Verständnisses des Körpers.

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Die sehr unterschiedlichen Definitionsversuche zwischen materiellem Artefakt und kulturellem Konzept verweisen immer wieder zurück auf die begriffliche Dimension der Prothese. In ihrer Verwendungsgeschichte lässt sich hier eine Verschiebung beobachten, in der die vormalige Dichotomie zwischen eigentlichem und metaphorischem Wortgebrauch als Definiens der Prothese selbst in den Begriff integriert wird: Mit Sobchack wird die Prothese zu einer Kippfigur, die sich gerade über die Ambivalenz einer »Gleichzeitigkeit von wörtlicher und figurativer Bedeutung« (S. 164) bestimmt.

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Damit erweist sich auch die Prothese als eine Figur der Transformation von Grenzen, insbesondere der Grenzen zwischen Körper und Maschine, aber auch der Grenze zwischen imaginierten Idealbildern von Natur und Kultur. Nur auf individueller Ebene gilt es körperliche Mängel zu überwinden, auf kultureller Ebene ist es die eigentliche Leistung der Prothesen, Grenzen zu verschieben und dem Menschen symbolisch die Macht über seinen Körper und dessen kulturelle Bestimmung zu geben. Prothesen sind – mit Foucault – Dispositive der Macht. (S. 164)
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Die Prothese wird damit zu einem doppelten Zeichen der Umwertung, das insbesondere über den Aspekt der Funktionalität die Vervollständigung des Individuums mit der Vervollständigung der Gesellschaft kurzschließt. An dieser Grenze finden fortwährend Semantisierungsprozesse statt, wie die Diskussion einer Vielzahl an Beispielen illustriert. Im Vergleich zwischen Erstem Weltkrieg und dem Irakkrieg hat sich allerdings die Funktion der Prothese verschoben.

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Textvergleiche von Publikationen Konrad Biesalskis (1915/1922) sowie die Diskussion verschiedener Armprothesen zeigen, wie die Kriegsinvaliden des frühen 20. Jahrhunderts nicht als verletzte Individuen, sondern als versehrte Arbeitskörper diskursiviert wurden, die es mittels der Prothese zu recodieren galt:

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Damit wird aus dem mechanischen Artefakt ebenfalls ein kulturelles Zeichen: ein Zeichen der funktionalen Wiederherstellbarkeit und Vervollständigung. [...]. Durch die Prothese wird aus dem negativ besetzten Zeichen des Kriegsbeschädigten das positiv besetzte Zeichen des Prothesenträgers, mit dem das Versprechen der Überwindung aktueller und vergangener Schrecken einhergeht. (S. 177)
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Ein solches Bemühen um Recodierung strukturiert auch den gegenwärtigen Diskurs. Wie die Analyse eines Dokumentarfilms von James Gandolfini (2007) zeigt, geht es heute allerdings um die Umdeutung des versehrten Sozialkörpers über die Prothese. In Interviews werden einzelne Soldaten zu Repräsentanten einer Gruppe an Verletzten, deren »Rückkehr in ein aktives, möglichst selbstständiges Familien- und Sozialleben« (S. 205) in den Mittelpunkt der medialen Präsentation rückt und sie vor allem in ihrer Freizeit beim Tanzen oder Schlittschuhlaufen zeigt: »Die Prothesen werden als Wiedererlangung eines aktiven Privatlebens inszeniert« (S. 204).

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Das Bestreben um die Wiederherstellung einer gesetzten körperlichen Norm jedoch eint beide Prothesenbilder. Daneben steht damals wie heute auch die Vision der Verbesserung in »funktionale und ästhetische Wunschkörper« (S. 219), die vom Wunsch nach technisch erlangter Universalität gelenkt wird.

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Im Vergleich wird deutlich, dass Roboter als »biomorphisierte Maschinenkonzepte« und Prothesen als »technisierte Körperkonzepte« (S. 221) den Maschinenbegriff und den Körperbegriff aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Konsequenzen verbinden:

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Die kulturelle Aufwertung eines Maschinenkonzeptes durch ein Körperkonzept bringt ein technisches Konzept des Humanen hervor, während demgegenüber das durch ein Maschinenkonzept aufgewertete Körperkonzept das Technische ins Humane einschreibt. (S. 222)
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Die parallele Entwicklung von Roboter und Prothese bringt so zwei konkurrierende Bilder der Beziehung von Körper und Maschine als Zeichen diskursiver Wertungsstrukturen und Umwertungsprozesse in Dialog.

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Ambivalenz der Identität

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Eine solche diskursive Pluralität und die mit ihr verbundenen Zuschreibungen bringen nicht zuletzt auch die postmoderne Figur des Cyborg hervor, die durch den Wunsch nach einer unendlichen technischen Erweiterung der körperlichen Funktionalität bestimmt wird. Sie erzeugt eine Ambivalenz der Identität, die in der Gleichzeitigkeit scheinbar widersprüchlicher Eigenschaften begründet liegt und im Mittelpunkt des letzten Abschnitts der Arbeit steht: »Ein Cyborg ist immer Mensch und Maschine, lebendig und tot, natürlich und artifiziell« (S. 225). Funktionelle Erweiterung, Unabgeschlossenheit und Kontingenz gehören daher zu seinen wesentlichen Merkmalen.

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Dem Cyborg ist die (diskursive) Grenzüberschreitung damit bereits konzeptuell eingeschrieben. Drei wesentliche Entwicklungsschritte diskutiert die Arbeit. Schon die erste Vision des Cyborg entstand als interdisziplinäres Gemeinschaftsprojekt Manfred E. Clynes’ und Nathan S. Klines und imaginierte ihn als eine funktionelle Erweiterung körperlicher und lebensweltlicher Grenzen zugleich: der menschliche Körper sollte technisch optimiert und an ein Leben im Weltraum angepasst werden. Als Konzept war der Cyborg damit auch zur Überwindung diskursiver Grenzen geeignet: Donna Haraway verankerte seine Unabgeschlossenheit theoretisch und machte den Cyborg als gesellschaftliches Analysemodell fruchtbar, um damit auch etablierte Geschlechterdifferenzen in Frage zu stellen: »Die Cyborg ist eine Figur des Spiels mit der Grenze« (S. 244). Dieses Spiel wird in Andy Clarks Konzept des ›natural born cyborg‹ schließlich zum Definiens des Menschen: Die Verbindung des Cyborg mit der technischen Formung menschlichen Denkens macht ihn zum Synonym kultureller Praxis, lässt allerdings auch fragen, inwiefern der Cyborg hier selbst Gefahr läuft, zu einem kontingenten Begriff zu werden, der mit einem Allerklärungsanspruch seinen heuristischen Wert einbüßt.

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In allen drei theoretischen Beispielen wirft der Cyborg sowohl Fragen nach der Identitätskonstruktion als auch nach der sozial(-politischen) Gegenwart auf. Darin wird er zu einer doppelten Figur der Verhandlung diskursiver Machtstrukturen:

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Einerseits ist er selbst eine Figur der Macht: als zukünftige Eroberer des Weltalls, die politische Opposition oder Strukturierung des Verhältnisses von (technischer) Umwelt und Körper. Andererseits fördert die Figur des Cyborg das Denken der Grenzziehung zwischen Körper und Maschine im Sinne einer Konstruktion von Macht: sei es im Sinne der Unterwerfung der Technik durch den Menschen oder der Unterwerfung des Menschen durch die Technik. (S. 251)
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Der Cyborg ist damit sowohl soziale Realität als auch diskursive Konstruktion.

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Anhand der Experimente Kevin Warwicks und des Performancekünstlers Stelarcs zeigt die Untersuchung schließlich, wie diese Doppelstruktur in bereits technisch realisierten Metamorphosen reflektiert wird. Warwicks körperliche Transformation zum Cyborg etwa spiegelt sich in seiner narrativen Konstruktion als Cyborg: Seine Biografie entwirft den Cyborg als Prozess der technischen Optimierung des Körpers und als Verfahren der erzählerischen Formung von Identität und lässt ihn damit gleichzeitig auch zu einer Schreibstrategie werden. Damit wird der Cyborg zu einer polyvalenten Figur, die als Narrativ der Kultur und des Subjekts auch außerhalb der Literatur mittels faktualer und fiktionaler Strategien inszeniert wird.

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Als Figur der Grenzüberschreitung wirkt der Cyborg nicht zuletzt auch auf den eigenen Diskurs zurück und lässt die Differenz zur Prothese verschwimmen. Darin ist dem Modell die Gefahr selbst kontingent zu werden, immer in einem gewissen Maße eingeschrieben. Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive schlägt die Arbeit zwei Formen des Umgangs mit dieser symptomatischen »kontingente[n] Grenzziehung« (S. 271) vor: Einerseits kann die Prothese als Vorstufe des Cyborg genealogisch in das Konzept eingebunden werden. Andererseits lässt sie sich als dessen Gegenentwurf konzeptuell integrieren: In Abgrenzung zur »Prothesenmetapher« tritt der Cyborg damit in einen unendlichen Prozess der Recodierung, der »als Versuch gesehen werden [kann], die im Konzept des Cyborg angelegte Spannung der beständigen Grenzaufweichung zu erhalten« (S. 272 f.).

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Fazit

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Im Gang durch die Ideen- und Begriffsgeschichte gelingt es der Arbeit in der Untersuchung jeder der vier gewählten Figuren und der mit ihnen verknüpften Ambivalenzen, genealogische und konzeptuelle Interdependenzen herauszuarbeiten und zu strukturieren: Automaten, Roboter, Prothesen und Cyborgs treten im synchronen und diachronen Vergleich als Hybride auf, die gleichermaßen an der Grenze zwischen Körper- und Maschinenkonzepten entstehen, wie sie diese allererst hervorbringen, um darüber ein Bild des Menschen zu entwerfen.

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Hervorzuheben ist insbesondere der Perspektivwechsel auf die diskursive Verfasstheit der Beziehung von Körper und Maschine, der für die wechselseitige Verknüpfung technisch-materieller Realisierungen und theoretisch-sprachlicher Konzeptualisierungen sensibilisiert. Manchmal scheinen die rhizomatischen Diskursstrukturen zu einer rhizomatischen Theorielektüre zu verführen: Der sinnvoll strukturierte Aufbau und vor allem auch die vergleichenden Zwischenkapitel jedoch wirken dem entgegen und führen die polyvalenten Diskussionsstränge synthetisierend zusammen.

 
 

Anmerkungen

Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur. Wien 1930, S. 50.

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