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Märtyrer, Wahrsprecher, Volkspoet - Der Autor im Spiegel seiner Inszenierungen

  • Christoph Jürgensen / Gerhard Kaiser (Hg.): Schriftstellerische Inszenierungspraktiken - Typologie und Geschichte. (Beihefte zum Euphorion 62) Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2011. 436 S. 22 s/w Abb. Gebunden. EUR (D) 66,00.
    ISBN: 978-3-8253-5869-3.
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»SCRIBBLER, n. A professional writer whose views are antagonistic to one’s own«, notiert Ambrose Bierce dem Teufel ins Wörterbuch. 1 Positionierung durch Abwertung des Gegners – diese Selbstdarstellungsstrategie erfreut sich offenbar, wie Bierces satirischer Eintrag anzeigt, auch im sozialen Handlungsfeld ›Literatur‹ reger Beliebtheit. Dass Bierce diesen Mechanismus in aphoristischer Form öffentlich macht, kann wiederum als Teil einer bestimmten, sarkastisch-ironischen Strategie der Selbstpräsentation aufgefasst werden.

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Autoren – so die Ausgangsbeobachtung des zu besprechenden Bandes – erzeugen Aufmerksamkeit für ihre Texte also nicht nur durch dieselben, sondern auch durch deren Kommentierung in Vor- und Nachworten, durch Interviews, bildliche und filmische Formen der Selbstdarstellung und anderes mehr. 2 Mitunter geht es ihnen dabei auch nicht oder nicht nur um die Durchsetzung des eigenen Werkes oder einzelner Texte, sondern viel »profaner« um eine Form der Selbstdarstellung, die als »Imagepflege« bezeichnet werden könnte.

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Ziel des Bandes ist eine Typologisierung dieser resonanzbezogenen Präsentationstechniken und eine Skizze ihrer historischen Ausprägungen anhand von Fallstudien. Dieses Interesse an Formen und Funktionen der Selbstdarstellungspraxis von Autoren verdankt sich zum Einen der Theoriedebatte zur Rückkehr des Autors in die Literaturwissenschaft, 3 zum Anderen geht es zurück auf neuere Ansätze innerhalb der Literatursoziologie, genauer auf die Feldtheorie Pierre Bourdieus.

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Theoretische Voraussetzungen und Leitfragen

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Den Herausgebern Christoph Jürgensen und Gerhard Kaiser geht es um eine diachrone Beschreibung der textuellen, vor allem aber paratextuellen und habituellen Positionierungen von Autoren im von der Konkurrenz um Aufmerksamkeit geprägten literarischen Feld. Für diese Positionierungen schlagen sie den in der Theaterwissenschaft schon länger geläufigen Begriff der Inszenierungspraxis vor: »Inszenierungspraktiken, das meint hier zunächst jene textuellen, paratextuellen und habituellen Techniken und Aktivitäten von SchriftstellerInnen, in oder mit denen sie öffentlichkeitsbezogen für ihre eigene Person, für ihre Tätigkeit und / oder für ihre Produkte Aufmerksamkeit erzeugen.« (S. 10)

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Der Begriff sei aber »nicht als kulturkritischer, pejorativer Gegenbegriff zu diversen ›Authentizitäts‹-Vorstellungen im Sinne von ›Täuschung‹«(ebd.) zu verstehen. »Vielmehr geht es um eine Rekonstruktion jener Praktiken, deren Inszenierungscharakter, d.h. deren absichtsvolle Bezogenheit auf öffentliche Resonanzräume sich aufzeigen lässt.« (ebd.) Was genau hier mit »absichtsvoll« gemeint ist, wird nicht ganz deutlich, beziehungsweise es bleibt offen, welches intentionalistische Modell sich hinter der Bezeichnung »absichtsvoll« verbirgt. Die Herausgeber betonen allerdings, dass Inszenierungspraktiken von Autoren nicht immer klar von Fremdinszenierungen durch andere Akteure unterschieden werden könnten. (S. 11)

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Anschließend stellen sie ein heuristisches Modell, eine Typologie zur Beschreibung von Autorinszenierungen vor, das hinsichtlich einer lokalen und einer habituellen Dimension differenziert:

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In lokaler Hinsicht unterscheiden sie mit Genette textuelle und paratextuelle (peri- und epitextuelle) Inszenierungspraktiken, die alle dem Bereich der sprachlichen Inszenierungspraktiken zugehören und deren Referenzobjekt vorrangig der literarische Text selbst ist.

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Die habituellen Inszenierungspraktiken hingegen nehmen nicht unbedingt auf einen bestimmten Text Bezug, sondern dienen der Markierung eines bestimmten Lebensstils: »Dieser ist ablesbar an den Inszenierungspraktiken, deren Komponenten als Verweisungsmuster, Symbole, Zeichen im Hinblick auf soziale Positionierung und Orientierung gelesen werden können.« (S. 13) Hier geht die Typologie deutlich über Genettes sprach- und textbezogenen Ansatz hinaus, indem sie unter die habituellen Inszenierungspraktiken performative, soziale beziehungsweise politische und ästhetische Formen von Autorinszenierungen subsumiert.

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Ergänzt wird die Typologie durch drei Thesen zum historischen Verlauf: Erstens nehmen Jürgensen / Kaiser an, dass die Geschichte der Autorinszenierung als eine Ernüchterungsgeschichte erzählt werden könne, die »von der hochgestimmten, durch den Neuhumanismus beförderten Kunstemphase des späten 18. Jahrhunderts bis zum angeblichen ›Verschwinden‹ des Autors in der heutigen ›Mediengesellschaft‹«reiche (S. 16). »Zwar sind Autoren auch heute in der Öffentlichkeit präsent […]. Aber ihre Rolle als Sprecher der Menschheit, als Repräsentanten der Nationalkultur, Historiker der Gesellschaft oder politisch einflussreiche Akteure an der literarischen Front der Klassenkämpfe scheint ausgespielt […].« (ebd.)

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Zweitens vermuten sie, dass parallel zu dieser Entwicklung der Inszenierungsdruck auf die Autoren im Zuge der Medienkonkurrenz in diachroner Perspektive zunehme.

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Drittens gehen sie davon aus, dass »[d]ie grundlegenden Innovationen der Selbstinszenierungspraktiken [ ] schließlich mit den Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts [enden]«: »Die Stilisierungsstrategien sind bis zur Selbstverletzung allesamt durchgespielt und können nun – nur noch – kombinatorisch eingesetzt werden.« (S. 17)

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Die Fruchtbarkeit der Heuristik, die Validität der historischen Verlaufsannahmen, der Zusammenhang von auktorialen und nicht-auktorialen Autorinszenierungen und das Verhältnis von Autorinszenierung und Werk bilden die Leitfragen des Bandes.

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Die Einzelbeiträge ordnen Jürgensen / Kaiser – zum Einen ökonomie-, zum Anderen literaturgeschichtlichen Gesichtspunkten folgend – chronologisch in insgesamt drei Sektionen: I. Autorinszenierungen vor der Entstehung des literarischen Marktes, II. Autorinszenierungen während der Formation und der Etablierung des literarischen Marktes, III. Autorinszenierungen von der literarischen Moderne bis zur Gegenwart.

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Autorinszenierungen vor, während und nach
der Entstehung des literarischen Marktes

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In der ersten Sektion rekonstruiert Christian Seebald anhand der Schriften des Dominikaners Johannes Meyer (1422 / 23–1485) das Autorbild, das Meyer für einen monastisch-ordensinstitutionell begrenzten Kommunikationsraum entwirft und das bereits sehr deutlich zwischen Autor- und Redaktorrolle unterscheidet, dem die Vorstellung vom Autor als souveränem Textbeherrscher allerdings noch fremd ist.

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Kai Bremer analysiert die Formen und Funktionen von Martin Luthers Selbstdarstellung im Brief an den Vater aus dem Jahre 1521 und vermutet angesichts von deren Virtuosität, »dass die Anfänge der Selbstinszenierungen von Schriftstellern schon vor der Reformation liegen müssen« (S. 63), betrachtet Luther und mit ihm die reformatorische Öffentlichkeit aber dennoch als einen in inszenatorischer Hinsicht fast modern anmutenden Solitär seiner Zeit.

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Der Beitrag von Christoph Deupmann wendet sich den Autorinszenierungen und deren Funktion im Leipzig-Zürcher-Literaturstreit zwischen Gottsched und Bodmer und Breitinger zu und verdeutlicht an diesem Beispiel, wie »die Ausbildung von Medien und Netzwerken um die Leitfiguren der literaturkritischen Kommunikation zu Formen der ›Inszenierung‹ von Autorschaft beiträgt […].« (S. 72)

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Die Beiträge der ersten Sektion legen den Eindruck nahe, dass Schriftstellerinszenierungen bereits vor der Etablierung des literarischen Marktes eine gewisse Signifikanz im Rahmen literarischer Kommunikation zukommt, deren Stellenwert jedoch noch vergleichsweise gering ist, weil sie einerseits noch nicht an dessen ökonomische Beschränkungen gekoppelt sind, andererseits aber auch nicht denselben Grad an Publizität erreichen. Entweder sind sie – wie bei Meyer – noch nicht an eine anonym bleibende Öffentlichkeit gerichtet, oder müssen – wie im Falle Luthers – als historische Sonderfälle betrachtet werden. Die Dichterkrönung Christoph Otto von Schönaichs durch Gottsched ließe sich dann als ein Schwellenphänomen in der Geschichte der Autorinszenierung begreifen.

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Diese erste historische These der Herausgeber gälte es in weiteren Fallstudien zu überprüfen.

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Sektion Zwei versammelt insgesamt sieben Beiträge: Rüdiger Singer vollzieht anhand der Selbst- und Fremddarstellungen von Gleim und Bürger den Wandel der Rolle des Balladendichters vom Maskenspieler zum Volkspoeten nach.

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Der Beitrag von Gerhard Kaiser widmet sich Schiller und seinen paratextuellen Inszenierungspraktiken, die sensu Kaiser durch die drei wesentlichen Elemente der Abgrenzung, Überbietung und Beweglichkeit (das ist die kritische Überprüfung eigener Positionen und eine sich gegebenenfalls anschließende Selbstdistanzierung) gekennzeichnet sind.

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Claudia Stockinger betrachtet die Debatte um Lessings Spinozismus und den Vorwurf des verbalen Mordes Jacobis an Mendelssohn, bei der es letztlich »um die Verteidigung von Positionen der Spätaufklärung im Allgemeinen« (S. 145) gegangen sei, vor allem unter polemiologischen Gesichtspunkten.

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Die Bedeutung des Namens beziehungsweise der Namenlosigkeit für die Selbst- und Fremdinszenierung von Autoren rekonstruiert Stephan Pabst am Beispiel von E.T.A. Hoffmann, der als Verfasser seiner literarischen Schriften zunächst anonym bleibt und erst vermittelt durch Jean Paul auch namentlich auf dem literarischen Markt in Erscheinung tritt.

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Ingo Irsigler bezieht das Dichterbild in Adelbert von Chamissos Peter Schlemihls wundersame Geschichte auf Chamissos Selbstinszenierung in dessen Tagebuch Reise um die Welt und sieht beide Texte durch eine Strukturhomologie verknüpft, durch die »Dichter-Ich und Werk schließlich als eine organisch gewachsene Einheit« präsentiert werden (S. 213).

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Ralf Schnell beschreibt Heines Positionierungsstrategie der (polemischen) Abgrenzung sowie deren spätere Differenzierung anhand von dessen eindimensionaler Platen- und der komplexeren Börnekritik und sieht diesen Differenzierungsprozess in Heines Hegellektüre und seiner Pariser Metropolenerfahrung begründet.

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Stefan Scherer schließlich betrachtet die Selbstinszenierungen Storms in Auseinandersetzung mit der im 19. Jahrhundert zu beobachtenden Popularisierung literarischer Texte durch die sich etablierende Massenpresse, bei der Storms Artistik im Kontrast zu Conrad Ferdinand Meyer (und später Stefan George) »einsichtig für den Kenner und verständlich für die breite Leserschaft« (S. 247) bleibe.

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In den Beiträgen der zweiten Sektion werden so exemplarisch verschiedene, der zweiten historischen These der Herausgeber folgend als innovativ zu bezeichnende Formen der Autorinszenierung in gattungs- (Singer), medien- (Singer, Pabst, Scherer), gesellschafts- (Pabst, Scherer), gruppen- (Stockinger), personen- (Kaiser, Pabst, Schnell) und textbezogener (Irsigler) Perspektive betrachtet.

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Die acht Beiträge der dritten Sektion setzen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den 1950er Jahren ein:

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Elisabeth Kampmann rekonstruiert, wie Gottfried Benns eremitenhaft-asketisches Dichterbild und sein »Pathos der Distanz« dem Autor nach dem Krieg einerseits erhebliche Distinktionsgewinne sichern, dieser Erfolg ihn andererseits aber auch zu einer Modifikation genau dieses Bildes zwingt.

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Dass Rolf Dieter Brinkmanns distinktionsstrategische Selbstinszenierung als popkultureller »artiste maudit« in Spannung zu seinen privaten, epitextuellen Selbstkommentaren steht, in denen Brinkmann sich in der spezifisch modernen Tradition der Antipoesie verortet, weist Anke Detken nach.

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Für die Schriftsteller der »halbierten Moderne« der DDR nennt Wolfgang Emmerich den zentralen Inszenierungstypus des »Wahrsprecher[s] und Weisheitslehrer[s]« (S. 309), der doch qua seiner heteronomen Rollenzuweisung durch den Staat ein »primus inter pares« bleibt.

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Torsten Hoffmann befasst sich anhand von Schriftstellerinterviews von Heiner Müller und W.G. Sebald mit der für beide typischen Strategie der Selbstkritik, die als Auseinandersetzung mit dem eigenen Label gedeutet werden kann und bei Müller der Rettung des Werks vor der Fremdkritik am Autor dient.

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Eine wesentlich stärkere Autorposition als »alter Christus« behauptet, wie Kai Sinas Beitrag verdeutlicht, Walter Kempowski, der die eigene Autorlegende vom Sühnewerk auch dazu verwendet, eben dieses Werk vor Trivialitätsvorwürfen zu schützen.

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Katrin Blumenkamp entwirft am Beispiel von Schriftstellerfotografien unter anderen von Judith Hermann, Karen Duve und Benjamin von Stuckrad-Barre eine dreigliedrige Typologie von Praktiken der Autorinszenierung um die Jahrtausendwende (Inszenierung von Authentizität, Inszenierung von Inszenierung, Inszenierung von Thematisierung der Inszenierung).

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Vom »Salonraubtier zum geschätzten deutschen Romancier« (S. 403): Diese von Feridun Zaimoglu selbst so beschriebenen Veränderungen der eigenen Inszenierungspraxis zeichnet Gesa Husemann nach.

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Christoph Jürgensens Beitrag, der den Band beschließt, widmet sich am Beispiel von Rainald Goetz und Alban Nikolai Herbst zwei Spielarten der Autorinszenierung im Internet und kommt zu dem Ergebnis, dass das Netz eine Erweiterung bereits bekannter Inszenierungsstrategien ermögliche und damit sogar ein besonders starkes, an traditionellen Rollenbildern orientiertes Autor-Ich hervorbringen könne – ein Befund, der im Gegensatz zu verallgemeinernden Annahmen vom Verschwinden des Autors im Netz steht.

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Die meisten Beiträge dieser Sektion scheinen die dritte historische These vom wachsenden Inszenierungsdruck im Zuge des Modernisierungsprozesses zu bestätigen – sei es, indem sie verdeutlichen, wie Autoren ihr Werk durch verschiedene, mitunter plakative Inszenierungsformen durchzusetzen oder zu schützen versuchen (Detken, Hoffmann, Sina, Blumenkamp, Jürgensen), sei es, dass sie zeigen, wie Autoren sich gezwungen sehen, ihre Inszenierungsstrategie zu ändern, um neue Aufmerksamkeits- und Distinktionsgewinne zu erzielen (Kampmann, Husemann). Der Beitrag von Wolfgang Emmerich verdeutlicht allerdings auch, dass diese These uneingeschränkt nur für pluralistische, moderne Gesellschaften Geltung beanspruchen kann. Zu diskutieren wäre außerdem, ob die Nutzung einer neuen Textsorte – dem Blog (vgl. Jürgensen) – zumindest unter mediengeschichtlichen Gesichtspunkten als innovativ bezeichnet werden kann und damit der in These Drei enthaltenen Annahme von den lediglich noch kombinatorisch einsetzbaren, etablierten Inszenierungspraktiken in der Moderne und Nachmoderne entgegen steht.

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Kritik und Perspektiven

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Der Band dokumentiert eindrucksvoll eine Fülle an fundierten Fallstudien zu schriftstellerischen Inszenierungspraktiken. Das von den Herausgebern vorangestellte heuristische Modell erweist sich für deren Beschreibung als fruchtbar. 4 Indem es von den Einzelbeiträgern immer wieder herangezogen wird, vermittelt der Band insgesamt den Eindruck einer für diese Publikationsform ungewöhnlich großen konzeptuellen Geschlossenheit.

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Neben dieser hilfreichen Heuristik gewinnen die Überlegungen der Herausgeber zur Geschichte der Autorinszenierung in den Einzelbeiträgen Kontur und liefern damit wichtige Bausteine für eine umfassende historische Darstellung. Das Bild, das sie umreißen, kann und sollte durch Folgestudien ergänzt werden.

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Diese hätten sich vor allem mit der Geschichte der Autorinszenierung vor der Etablierung des literarischen Marktes zu befassen – zum Beispiel mit der Selbstpräsentation von Autoren in mittelhochdeutschen Texten oder in der Literatur des Barock. Auch weitere kanonische Autoren wie Goethe, George oder Thomas Mann oder die typischen »Außenseiter« wie Kleist oder Kafka sollten hierzu in den Blick genommen werden, ebenso die Literatur um 1900 bis 1950 et cetera. Ebenso könnte eine komparatistische Perspektive auf das Phänomen der Autorinszenierung sich als fruchtbar auch für die germanistische Forschung erweisen.

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Die vielfältigen Anknüpfungspunkte, die der Band bietet, seien exemplarisch anhand der Beiträge von Christian Seebald, Stefan Scherer und Torsten Hoffmann benannt:

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So arbeitet Seebald heraus, dass Johannes Meyer in seinen Schriften »das Vorbild der großen christlichen Autoren anzitiert, um sich […] durchaus selbstbewusst als deren Nachfolger zu inszenieren […].« (S. 42) Diese historische Linie ließe sich in Folgestudien breiter ausarbeiten und differenzieren – ergänzend auch mit Blick auf die Antike.

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Stefan Scherers Beitrag enthält in nuce ein ganzes Forschungsprogramm, indem er am Beispiel Storms (mit Seitenblicken auf Meyer und George) die mediensozialgeschichtlichen Wandlungsprozesse des 19. Jahrhunderts auf ihre Konsequenzen für die Inszenierungspraxis von Autoren befragt.

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Als »Einschaltung der Ausschaltung des Autors« charakterisiert Torsten Hoffmann pointiert eine Selbstinszenierungsstrategie, die mit hoher Wahrscheinlichkeit als spezifisch modern angesehen und deren unterschiedlichen Ausprägungsformen weiter nachgegangen werden kann – ebenso wie Hoffmanns These vom Kunstcharakter des Schriftstellerinterviews.

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Diskussionsbedürftig erscheinen mir lediglich zwei eher marginale Punkte: Zum Einen rekurrieren die Herausgeber und mit ihnen viele der Beiträger immer wieder auf den Begriff der Authentizität, ohne dass dieser insgesamt klar konturiert wäre. Zwar betonen die Herausgeber, dass sie ›Authentizität‹ nicht als Gegenbegriff zu ›Inszenierung‹ verstanden wissen wollen. Und statt eines essentialistischen vertreten die einzelnen Beiträge denn auch folgerichtig ein Authentizitätskonzept, das wiederum als Konstrukt beziehungsweise als Produkt von Inszenierungen gefasst wird. Daran anknüpfende Thesen wie diejenige von der Authentifizierung als Strategie zur Erzielung von Distinktionsgewinnen (Kampmann) oder zur Erzeugung von Aufmerksamkeit (Jürgensen) oder Vertrauen (Bremer) erscheinen im konkreten Fall dann durchaus plausibel, würden aber von einer klareren Begriffsbestimmung profitieren, die über die bloße Feststellung des Konstruktcharakters von ›Authentizität‹ hinausgeht. 5 Ob diese sinnvoll vorgenommen werden kann, wenn auf das in der Alltagssprache geläufige, kontradiktorische Verhältnis von ›Inszenierung‹ und ›Authentizität‹ verzichtet wird, scheint mir allerdings fraglich.

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Zum Anderen bin ich trotz der von den Herausgebern vorgenommenen klaren Explikation im Zweifel, ob der Begriffsname der ›Inszenierung‹ glücklich gewählt ist. Dass dieser für bestimmte literarisch-soziale Handlungsfelder wie beispielsweise dasjenige der DDR durchaus problematisch sein kann, macht Wolfgang Emmerich in seinem Beitrag deutlich: Bestimmte Formen der Selbstdarstellung von Autoren dienen hier nämlich nicht einfach nur der Positionierung im literarischen Feld, sondern sind gleichfalls mit der Gefahr einschneidender Sanktionen durch den Staat verbunden. Hier von ›Inszenierung‹ zu sprechen, erscheint, wie Emmerich betont, denn doch euphemistisch angesichts der alltagssprachlichen, theatermetaphorischen Konnotation des Inauthentischen, des In-Szene-Setzens. An anderer Stelle verwenden Jürgensen / Kaiser – terminologisch möglicherweise etwas uneleganter, aber auch neutraler – stattdessen den Ausdruck »Selbstpräsentation« (S. 18). Von diesem Begriff ausgehend ließe sich vermutlich auch das Verhältnis von ›Inszenierung‹ und ›Authentizität‹ genauer fassen.

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Diese kleinen Einwände schmälern aber in keiner Weise die Bedeutung des Bandes: Die in ihm dokumentierten grundlegenden Annahmen und fundierten Fallstudien zu Typologie und Geschichte der Autorinszenierung stellen einen zentralen und überzeugenden Beitrag zur neueren Autorschaftsforschung dar, dem eine breite Resonanz zu wünschen ist.

 
 

Anmerkungen

Ambrose G. Bierce: The Devil’s Dictionary. In: A. G. B.: The Collected Works of Ambrose Bierce. Bd. 7. New York: The Neale Publishing Company 1911, S. 316.   zurück
Vgl. dazu auch Christine Künzel und Jörg Schönert (Hg.): Autorinszenierungen. Autorschaft und literarisches Werk im Kontext der Medien. Würzburg: Königshausen und Neumann 2007; Gunter E. Grimm und Christian Schärf (Hg.): Schriftsteller-Inszenierungen. Bielefeld: Aisthesis-Verlag 2008.   zurück
Vgl. dazu Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matías Martínez und Simone Winko (Hg.): Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Tübingen: Niemeyer 1999; Heinrich Detering (Hg.): Autorschaft. Revisionen und Positionen. Stuttgart, Weimar: Metzler 2002.   zurück
Am Rande erwähnt sei allerdings, dass mir die interne Struktur der zugrunde gelegten Typologie in zwei Punkten nicht ganz klar ist: So bleibt erstens offen, ob die lokalen Inszenierungspraktiken lediglich dadurch definiert sind, wo im Vergleich zum »eigentlichen« Text sie platziert sind, oder ob sie enger dadurch bestimmt werden, dass sie der Kommentierung dieses Textes und damit seiner »Buchwerdung« dienen sollen, das Autorbild also eng an den Text koppeln. Diese zweite Definition erscheint mir für das Anliegen des Bandes zu eng, denn natürlich können auch Paratexte dazu genutzt werden, ein bestimmtes Autorbild zu erzeugen, das kaum noch oder sogar gar keine Verbindungen mehr zum Text aufweist. Hier wäre zum Beispiel an die Darstellungsform des biographischen Abrisses im Klappentext zu denken.Zweitens scheinen mir die Subtypen der habituellen Inszenierungspraktiken nicht alle auf der gleichen Ebene zu liegen: Während die Kategorie der performativen Inszenierungspraktiken mit dem für die habituellen Inszenierungspraktiken kennzeichnenden Lebensstil in der Bestimmung durch die Herausgeber meines Erachtens nahezu zusammenfällt, beziehen die sozialen beziehungsweise politischen und ästhetischen sich auf das Verhältnis des Autors zur Gesellschaft oder zu seinem eigenen Berufs- und Rollenverständnis. Diese Verhältnisse können sich aber natürlich auch performativ in der Wahl eines bestimmten Kleidungsstils, einer Haartracht et cetera ausdrücken.   zurück
Vgl. dazu neuerdings Markus Wiefarn: Authentifizierungen. Studien zu Formen der Text- und Selbstidentifikation. Würzburg: Ergon 2010.   zurück