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Seit längerem werden zu Recht und immer öfter textgenetische Forschungen privilegiert, die das ›Schreiben‹ nicht mit Blick auf dessen fertiges Produkt (den ›Text‹), sondern in Hinsicht auf seinen Status als Prozess untersuchen.
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Die Autorin der vorliegenden Monographie diskutiert dieses Thema aus der Perspektive von Kunsttheorie, -pädagogik und -didaktik, wobei es speziell um die Analyse einer Ästhetischen Erfahrung in ihrer Darstellbarkeit geht. Im Mittelpunkt steht das Begriffspaar ›Inszenierung‹ und ›Suche‹, das am Beispiel einer zentralen Kulturtechnik, das heißt der Aufzeichnung als »prozessuale Manifestation« und »genetische Schnittstelle zwischen ästhetischer und theoretischer Praxis« (S. 17), eine ausführliche Erläuterung erfährt. Synonym zu griechisch gráphein = ritzen, einritzen, eingraben, zerschneiden, schreiben et cetera untersucht Sabisch, wie sie selbst erklärt, entsprechend »lernbegleitende Notations- und Dokumentationspraktiken, die sowohl einen ›Inhalt‹ (Biografie, Kosmografie et cetera) als auch eine mediale Weise der Darstellung (Fotografie, Videografie, Audiografie et cetera) bezeichnen« (ebd.) als ›Grafien‹ und mithin in den Erscheinungsformen Tagebuch, Journal, Portfolio, Mapping, Kartierung und ähnlichen. In drei Abschnitten (›Grafien: Zugang zur Forschung‹, ›Grafien: Zugang zu den Daten der Anderen‹ und ›Grafien: Zugang zur kunstpädagogischen Anwendung‹) werden die damit aufgerufenen Theoreme und ihre Anwendungsmöglichkeiten ausgeführt, um die These zu verfolgen, dass »Aufzeichnungen eine ästhetische Produktivität eignet, welche in ihrer Anwendung als kunstpädagogische Methode eine Möglichkeit darstellt, die oft getrennten Bereiche von Erfahrung, Inszenierung und Forschung neu miteinander zu verknüpfen.« (Ebd.) Den Rahmen dazu bildet dabei die Idee einer Ästhetischen Forschung im Sinne Kämpf-Jansens.
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Im ersten Teil verdeutlichen begriffstheoretische Explikationen eine Phänomenologie der Grafie, die nicht nur stilistisch überzeugt, sondern dieser eine komplexe forschungsgeschichtliche Kontur verleiht. Hervorzuheben sind etwa die Bezüge auf Writing Culture sowie Performative Writing,
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aber auch unter anderem auf Konzepte ›post-moderner‹ Provenienz
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und vor allem auf Waldenfels.
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Die große Stärke der Studie erweist sich an dieser Stelle zudem darin, nicht bei der Theorie gleichsam stehen zu bleiben, sondern das ›Aufzeichnen‹ als Praxis »anzuerkennen, die sich nicht allein vom Endprodukt her entschlüsseln lässt« (S. 79). Gleichzeitig zeigt sich hier zugleich eine Schwäche der Arbeit, da durchaus mögliche, zum Teil auch offensichtliche Forschungs-Anschlüsse (beispielsweise an die Critique Génétique)
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leider vernachlässigt werden. Andererseits erfreulich ist wiederum die Forderung Sabischs nach einer »Produktionsforschung, die genetisch rekonstruiert, wie Entstehungsprozesse sich vollziehen und unter welchen medialen Bedingungen sie ablaufen« (ebd.) – ein Postulat, das neuere Schreib-Forschungen ausdrücklich unterstreichen.
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Der zweite und dritte Teil zielen auf die empirische Fundierung, auf Datenerhebung, -analyse und -auswertung sowie auf deren Übertragung auf konkret pädagogische Tätigkeiten. Durch den sozialwissenschaftlichen Ansatz wird ästhetisches Handeln exemplarisch hinterfragt, hier: am Beispiel eines Studentenseminars mit circa 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, das die Verfasserin selbst durchgeführt hat. Einer qualitativen Methode folgend,
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geht Sabisch der Frage nach der Aufzeichnungspraxis als »Prozess einer performativen Herstellung von Studierenden« (S. 99) nach. Gefragt wird nach den Erfahrungsräumen, die diese »von sich aus suchen bzw. entdecken und welche Orientierungen sich innerhalb dieser Erfahrungsräume dokumentieren« (ebd.). So überschaubar die Gruppe der Probanden ist, so vielschichtig und explizit auch an den zuvor vorgeführten theoretischen Rahmen anschlussfähig erweisen sich die – im Buch zum Glück auch abgebildeten (vgl. S. 125–186) – Beispiele. Sie verdeutlichen im Ensemble mit den konzisen und hellsichtigen Schlussfolgerungen der Autorin, welchen Stellenwert die Grafie als Instrument zur Motivation und Generierung von Erfahrung und zur Orientierung und Organisation im Erfahrungsprozess sowie zu dessen Speicherung, Interpretation und Darstellung einzunehmen vermag (vgl. S. 218). Dieses Zwischenergebnis bildet den idealen Übergang zum dritten Teil mit der Botschaft, dass Erfahrungen »niemals direkt, als ob es sich dabei um etwas Gegenständliches handelte, mitgeteilt werden, insofern sich Erfahrungen nur in ihrer Anwendung aktualisieren«
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(vgl. S. 225).
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In diesem Teil wird das abschließende Thema der Praktikabilität im Unterricht beleuchtet, nicht überraschend im Kontext des so genannten ›Forschenden Lernens‹ (vgl. S. 242–244) sowie wiederum der Ästhetischen Forschung (vgl. S. 244 f.), um »eine Beschreibung der Einsatz- und Erfahrungsmöglichkeiten in der Lehre zu geben und damit gleichzeitig die Bezugspunkte der Reflexion zu markieren« (S. 245). Der genuin theoretisch geleitete Blick Sabischs bewahrt sie hierbei vor einer in dieser Arbeit sicherlich unangebrachten Skizzierung pragmatischer Unterrichtsmodelle oder -entwürfe; vielmehr denkt sie methodologisch, phänomenologisch, philosophisch Prinzipien für eine Lehr- und Unterrichtswirklichkeit vor, denen mit demjenigen der ›Setzung‹ auch das Schlusskapitel gewidmet ist, und zwar als »erste Bausteine für eine Theoriebildung der kunstpädagogischen Anwendung von Erfahrungen anhand von Grafien« (S. 259).
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Es mangelt somit auch nicht an (naturgemäß provokativen) Prognosen zukünftiger Forschung. Sabischs Buch ist insgesamt selbst ein wichtiger, notwendiger Baustein einer theoretisch ambitionierten wie empirisch gesicherten Produktionsästhetik der Zukunft, der auch optisch Rechnung getragen wird – in ungewöhnlich-toller Formataufmachung wie in adäquater Visualisierung der Datengrundlage. Es wird darüber hinaus jedem von Nutzen sein, der seine ästhetische Erfahrung und diejenige ›der Anderen‹ nicht allein realisieren, sondern reflektieren, um- und anwenden, sie bedenken und epistemologisch verhandeln will.
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