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In der Schule sinnlicher Verfeinerung

Kultur- und literaturwissenschaftliche Beiträge zum Luxus als Ambivalenz des Überflüssigen in der Moderne

  • Christine Weder / Maximilian Bergengruen (Hg.): Luxus. Die Ambivalenz des Überflüssigen in der Moderne. Wallstein 2011. 304 S. 10 Abb. Hardcover. EUR (D) 24,90.
    ISBN: 978-3-8353-0782-7.
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Die Ambivalenz des Luxus reicht tief in unsere Kultur hinein. Sie berührt Fragen der Moral und der Ökonomie, des guten Lebens, der Kunst, der Sexualität und des Genusses – mithin kulturelle Grundprobleme. Dieses Desiderat haben Christine Weder und Maximilian Bergengruen nicht nur erkannt, sie wissen es auch vorzüglich zu nutzen und wissenschaftlich fruchtbar zu machen. Herausgekommen ist dabei ein Band von seltener, geradezu erlesener wissenschaftlicher Qualität. Wie viel Sorgfalt die Herausgeberin und der Herausgeber auf den – übrigens auch hervorragend redigierten – Band gewendet haben, zeigt schon der Materialreichtum der Einleitung. Weder und Bergengruen leisten hier weit mehr als die übliche Zusammenfassung der Beiträge nach kurzem Umriss der Leitfrage; sie entwerfen nichts weniger als eine Theorie des Luxus unter den Vorzeichen der Moderne. Um 1700, so die These der Herausgeber, ereignet sich ein Beleuchtungswechsel des Luxusbegriffs: der vormodern-pejorative Luxusbegriff wird zum modern-affirmativen – und vom sexuell zum ökonomisch konnotierten. Doch auch im Rahmen seiner neuen Zuständigkeit durch die Ökonomie streift der Luxusbegriff die sexuelle Färbung nicht ab. Seine Ambivalenz ist damit garantiert.

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Luxus wird im Titel des Bandes nicht nur als ambivalent charakterisiert, sondern auch als das Überflüssige bestimmt. Ganz und gar überflüssig ist der Überfluss natürlich nicht. Vielmehr, so wird in der Einleitung des Bandes ausgeführt, erfüllt Luxus, erfüllt das Überflüssige für eine Gesellschaft wichtige Funktionen. James Stuart machte im 18. Jahrhundert darauf aufmerksam: Der Konsum von Luxuswaren dient der Wirtschaft, indem er Arbeit schafft. Luxus entsteht also nicht nur in der Folge von Wohlstand, er sichert diesen auch. Ohne Wohlstand, so ließe sich das auf eine Formel bringen, kein Luxus – und ohne Luxus kein Wohlstand.

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Damit sind nur einige Implikationen des Luxusbegriffs angedeutet, den die einzelnen Beiträge des Bandes entfalten. Dabei werden zwei Perspektiven verfolgt: die Beiträge unterliegen einer Grobgliederung in, erstens, systematische Perspektiven und, zweitens, historische Konstellationen, die vom ausgehenden 17. bis ins 20. Jahrhundert führen. Der systematische Teil ist dabei der weniger umfangreiche; die drei Aufsätze von Alexander Honold, Dominik Schrage und Ute Tellmann, die sich hier finden, bereiten den historischen parcours des zweiten Teils jedoch bestens vor.

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Systematische Perspektiven: Luxus zwischen Tugend und Laster in Literatur, Soziologie und Ökonomie

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Alexander Honold spielt zum Auftakt seines Beitrags »Luxuria. Eine Tugend unter den Lastern« virtuos mit der Semantik des Überflusses. An Conrad Ferdinand Meyers Gedicht Der römische Brunnen zeigt Honold, dass Überfluss das ist, was im Wortsinn überfließt, also »jene Wassermenge, die aus bereits randvollen und sodann noch weiter angefüllten Gefäßen heraustritt, über die Ränder schwappt und sich davonmacht« (S. 35). Der Ursprung solch überbordender Fülle bleibt dabei regelmäßig im Ungewissen, so auch bei Meyer, der den »Strahl« ganz einfach aus dem Nichts aufsteigen lässt. Die Ambivalenz des Überflüssigen, die sich hier andeutet, hat, wie Honold ausführt, literaturgeschichtliche Gültigkeit von Dante über George bis hin zu Brecht.

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Weg von der Literatur und hin zur Soziologie geht es mit dem zweite Beitrag des Bandes: Dominik Schrage untersucht mit »Vom Luxuskonsum zum Standardpaket. Der Überfluss und seine Zähmung als Thema der Soziologie« den soziologischen Luxusdiskurs. Dabei erscheint Luxus als gesellschaftsordnende Instanz. Die Auflösung der Stände am Übergang zur Moderne schafft eine Leerstelle, die der Luxus als Medium sozialer Distinktion füllt. Luxuskonsum entspricht damit dem Wandel von der stratifikatorisch zur funktional differenzierten Gesellschaft. Gegenwärtig jedoch, so Schrages Beobachtung, scheint sich diese Funktion des Luxus, soziale Distinktion zu markieren, zu verwässern – und damit lässt auch das Interesse der Soziologie am Luxus nach.

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»Figuren des Überflüssigen und die politisch-moralischen Grenzziehungen in der Ökonomie: luxuriöse Dinge, Menschenmassen und Parasiten« ist der Aufsatz von Ute Tellmann betitelt. Darin begegnet mit John Stuart Mill die Klage eines Ökonomen über die Unfähigkeit der Menschen zu genießen. Dabei hat die Ökonomie traditionell ein gespaltenes Verhältnis zum Luxus, gilt ihr doch die Knappheit der Güter als conditio humana und Triebfeder der Wirtschaft: »Für den ökonomischen Diskurs ist die Knappheit der Mittel der unbefragte Ausgangspunkt des Nachdenkens über Ökonomie« (S. 82). Vor diesem Hintergrund ging es dem Soziologen und Volkswirt Werner Sombart um eine Rehabilitierung des Luxus. Luxus definiert sich für Sombart als die Verbindung des Überflüssigen mit Hochwertigkeit. Ist etwas nur überflüssig, aber nicht hochwertig, so ist es also kein Luxus – und umgekehrt. Wird über die Idee der Hochwertigkeit der Luxus in ökonomische Rationalität rücküberführt, so transzendiert das Luxusgut doch die Ökonomie des Preises. Es zeigt sich, »dass die Grenze zwischen Notwendigem und Überflüssigem notorisch schwer zu ziehen, mit politischer und sozialer Kontingenz behaftet und historisch umkämpft ist« (S. 89).

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Historische Konstellationen:

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1700 – 1800

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Im Anschluss an diese systematischen Perspektiven lenkt der Band den Blick auf historische Konstellationen und führt dabei chronologisch vom ausgehenden 17. Jahrhundert in die Gegenwart. Christine Weder setzt mit ihrer Studie »Literarischer Luxus im Umbruch. Die Modernisierung des Schlaraffenlandes um 1700« genau dort an, wo sich der eingangs angedeutete Beleuchtungswechsel ereignet, und untersucht Imaginationen vom Schlaraffenland auf der Schwelle zur Moderne. Schlaraffia als Fiktion, in der die Grenze zwischen Kultur und Natur überschritten wird, ist »nicht nur das Land des Luxus par excellence, sondern gerade darin auch Kerngebiet der Literatur als Erdichtung« (S. 95). Weder schaut sich zwei Schlaraffenland-Imaginationen im Detail an: einmal die Kartographierung schlaraffischer Sünden der Accurata Utopiæ Tabula von 1694, die Luxus als Laster präsentieren will. Die im Abbildungsteil des Bandes gezeigte Karte gestaltet liebevoll eine Darstellung des Schlaraffenlandes, der Paratext aber verkauft das als moralische Erziehungsgeste und etikettiert die dargestellten Freuden als Laster. Die Ambivalenz in der Bewertung der Welt des Luxus ist also »nicht für moderne Texte reserviert«(S. 103). Die zweite Version von Schlaraffia, die Christine Weder heranzieht, wird von ihr als in der Anlage modern daneben gestellt: François de Salignac de la Mothe Fénelons Voyage dans l’île des plaisirs (zwischen 1689 und 1692) lässt sich auf die Formel bringen: Überfluss produziert Überdruss. Es handelt sich bei Fénelons Text um einen imaginierten Reisebericht mit Didaxe. Auf der geschilderten Insel, der île des plaisirs, werden Appetit und Müdigkeit als im Reich des Überflusses einzige Mangelware verkauft: »Die Händler mit der Mangelware Appetit sind besonders typisch für dieses neue Schlaraffenland, das weniger unter moralischem denn unter ökonomischem Blickwinkel präsentiert wird« (S. 105). Und weiter: »Die literarische neue Erfindung kann in Verbindung gebracht werden mit der Tendenz zur Entmoralisierung der Luxus-Debatte um 1700, genauer: der tendenziellen Abkoppelung der ökonomischen von den theologisch-moralischen Argumentationen« (S. 105). In dieser Version des Schlaraffenlandes ist das Angebot immer garantiert, daher wird die Nachfrage zum Problem. Am Ende führt Überfluss zu Überdruss. Dagegen helfen auch die Taft-Säckchen mit der Funktion künstlicher Mägen nicht, die in Schlaraffia von fliegenden Händlern angeboten werden. Aus dieser Perspektive erscheint Schlaraffia als eine Art Mangelland zweiter Ordnung.

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Der Beitrag von Christine Weder ist bereits durch das darin präsentierte Material eine vergnügliche Lektüre. Doch unabhängig davon macht der Aufsatz einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Luxus an der Schwelle zur Moderne deutlich: »War es früher unmoralisch, ist es jetzt unökonomisch« (S. 108). Ablesen lässt sich daran, dass in der Moderne die Ökonomie im Sinne eines funktionalen Äquivalents die Stelle der Moral vertritt.

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Von Schlaraffia zum bürgerlichen Leben: Im Beitrag von Günter Oesterle mit dem Titel »Der kleine Luxus« geht es um das Problem der Quantität des Überflüssigen. Oesterle macht auf die aufklärungsspezifische Unterscheidung von kommodem Luxus und Exzessen des Luxuriösen aufmerksam. Der Luxusbegriff des 18. Jahrhunderts kennt die Idee eines Luxus, der sich am Komfort orientiert und gegen den maßlosen Überfluss einerseits, die bloße Notdurft andererseits abgrenzt. Diese Neuakzentuierung des Luxus von Pracht auf Komfort geht mit einer bürgerlichen Aneignung des Luxus einher: Das angenehme Leben wird im 18. Jahrhundert zu einem neuen Maßstab. Das führt mit Blick auf den Luxus zu einem Verlust von Normativität. Was notwendig und was überflüssig ist, wird zur Aushandlungssache. So gibt es auch für Immanuel Kant einen vertretbaren, einen guten Luxus, der von Schwelgerei abzugrenzen ist. Üppigkeit ist für Kant Wohlleben mit Geschmack, Schwelgerei ist Wohlleben ohne Geschmack. Am Geschmack hängt in Kants Terminologie also der Unterschied zwischen Üppigkeit und Schwelgerei, gutem und schlechtem Luxus.

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Solche Heuristiken des Luxus fallen mit der Figur des Ornaments in sich zusammen, wie der Beitrag von Ulrich Stadler mit dem Titel »Das Verzierte und seine Verzierungen« deutlich macht. Stadler beschäftigt sich darin mit der Ästhetik von Karl Philipp Moritz, um zu zeigen, dass Luxus im Bereich der Ökonomie das ist, was das Ornament auf dem Gebiet des Ästhetischen ist. Später im Band taucht der Zusammenhang von Ornament oder Arabeske und Luxus erneut auf, wenn nämlich Michael Gamper darauf aufmerksam macht, dass Heinrich Heine seine eigene Schreibweise so – als arabesk – charakterisiert. Moritz’ und Heines Begriff der Arabeske ist dabei je verschieden akzentuiert; wenn bei Moritz die Verzierung jeweils einen zu verzierenden Gegenstand benötigt, gewinnt bei Heine die Arabeske als das eigene Schreiben autonomen Status.

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Die Ambivalenz, die Luxus immer schon mit sich bringt, zeigt sich in den literarischen Texten, an denen die Beiträge des Bandes das Thema zur Sprache bringen. Hervorzuheben ist die Studie von Heinz Drügh »Luxus der Lehrjahre. Zur Logik der Verschwendung in Goethes ›Wilhelm Meister‹«. In seiner Lektüre der Lehrjahre geht es Drügh darum, »den Luxus der Lehrjahre, Aspekte der Verschwendung und des An-Ökonomischen, als vorsichtige Korrektur an der gängigen Lesart zu profilieren« (S. 144). Damit verfolgt Drügh eine für Wilhelm Meister zunächst kontraintuitive Fragestellung – und überzeugt letztlich gerade dadurch. Denn Wilhelm Meisters Lehrjahre wirken »nicht unbedingt wie ein genuiner Kandidat für die Profilierung des Themas Luxus, es sei denn, man wollte Luxus schlicht als Irrweg und etwas zu Überwindendes darstellen« (S. 147). Unabhängig von diesem ersten Eindruck arbeitet Drügh, dem Programm des Bands folgend, die Ambivalenz des Überflüssigen heraus und argumentiert damit gleich dreifach gegen eine dem Roman unterstellte allzu strenge Teleologie:

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Erstens steht eine literarische Phänomenologie des Luxus zur Debatte, wie sie die Lehrjahre entwerfen im Hinblick auf Möbel- wie Theaterleidenschaft oder in Liebesbeziehungen (etwa zu Mariane, Philine oder auch zu Mignon). Zweitens wird darüber nachgedacht, inwiefern die Kultivierung von Subjektivität, inwiefern Lehrjahre überhaupt als Luxus zu denken sind, und drittens soll diskutiert werden, ob es dazu ein entsprechend luxurierendes Textverfahren gibt. (S. 147)
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Zur Beantwortung dieser Fragen zeigt Drügh, wie in Wilhelms Elternhaus, etwa im Bereich der Möblierung, durchaus auf Prachtentfaltung Wert gelegt wird, ohne dass daraus jedoch Genuss erwächst. Ganz anders das berühmte Puppenspiel! Dass dieses dem Bereich des Luxus zugeordnet wird, ist schon daran erkennbar, dass Wilhelm die Puppen in der Speisekammer findet. Die Anordnung der Speisen in der Kammer vergleicht Heinz Drügh mit Stillleben des 17. Jahrhunderts. Szenen des Konsums von Luxuswaren, des Naschens und Trinkens, begegnen in Wilhelm Meister vor allen Dingen im Zusammenhang mit Liebesszenen. So gilt Heinz Drügh der Konsum von Luxusgütern in den Lehrjahren als eine »Schule sinnlicher Verfeinerung«. (S. 153) Drüghs close reading der Speisekammerszene zeigt: sich dem Luxus hinzugeben ist im Wilhelm Meister Selbstpreisgabe. Das gilt auch für Wilhelms und Marianes Liebesmahl aus Champagner und Austern oder Philines Lust am Zuckerwerk. Solche Hingabe wird im Roman aber nicht nur negativ gesehen. Gerade Philine ist eine Figur, die in der Liebe und darüber hinaus luxurierende Freigiebigkeit betreibt – und dies wird durchaus positiv bewertet: »In der Person von Philine führt der Roman also keineswegs ein moralphilosophisches Exempel vor, wie man es nicht machen sollte, sondern zeigt einen ebenso produktiven wie kreativen Umgang mit dem Luxus auf« (S. 156). Als Ergebnis dieser Überlegungen erweist sich Wilhelm Meister als – ambivalenter – Roman des Luxus.

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1800 – 1900

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Heine war kein Kostverächter. Daran erinnert Michael Gamper mit »Ästhetik und Politik des Luxus bei Heinrich Heine«. Heine aß und trank aber nicht nur gern, er verband damit eine anthropologische Bestimmung. »Es giebt«, so schrieb er gegen den dünnen Ludwig Börne polemisierend, »im Grunde nur zwey Menschensorten, die mageren und die fetten« – und Heines Sympathie lag klar bei denen, die »allmählig zur ründlichsten Corpulenz übergehen«. 1 Und in Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland heißt es:

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[Z]u allen Zeiten giebt es Menschen von unvollkommener Genußfähigkeit, verkrüppelten Sinnen und zerknirschtem Fleische, die alle Weintrauben dieses Gottesgartens sauer finden, bey jedem Paradiesapfel die verlockende Schlange sehen und im Entsagen ihren Triumph und im Schmerze ihre Wollust suchen. 2
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Die Feindschaft Heines mit Börne wird also, so Gampers Befund, über die Kategorie des Luxus prozessiert. Heines Verhältnis zum Luxus ist damit als ein (auch) politisches zu bestimmen und widerspricht dem Engagement für die »Communisten« keineswegs. Gerade aus der Bejahung des Luxus entsteht die Überzeugung, dieser müsse allen zugänglich sein.

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Diese Ansicht hätte Balzac wohl nicht geteilt; ihm ging es, anders als Heine, auch um die mit Luxus verbundene Distinktion. Bernd Blaschke befasst sich in seinem Aufsatz mit »Luxus als Leidenschaft bei Honoré de Balzac«. Blaschke geht es darum, »einige der wiederkehrenden Szenarien des Luxus in Balzacs Romanwerk zu einer Typologie zu kondensieren« (S. 192). Balzac selbst lebte stets über seine – ohnehin bereits sehr guten – Verhältnisse, richtete seine Wohnung luxuriös ein und trug teure Kleidung. Er frönte entschieden dem Luxus und verknüpft dies mit einer Gender-Ökonomie, die sich, wie Blaschke beobachtet, genau umgekehrt zu der in seinen Romanen inszenierten verhält. Sind es dort »die koketten Frauen, die Männer zu wilden Verausgabungsorgien treiben«, so ist es im Leben »der luxus- und geldbedürftige Autor, der die Vermögen seiner Freundinnen (und seiner Mutter) zum Schmuck und Genuss seiner Lebensführung verpulvert« (S. 196).

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Zurück nach Deutschland: Peter Schnyder fragt unter dem Titel »Satire in saturierter Zeit« nach der Poesie des Geldes in Heinrich Manns Roman Im Schlaraffenland. Schnyder zeigt auf, dass erst mit Goethes Faust II als Intertext die für Manns Satire spezifische Poesie des Geldes verstehbar wird. Der bei Heinrich Mann karikierte Überfluss der dekadenten Schickeria um 1890 ist dabei nur ein Beispiel für die intensive Auseinandersetzung mit Fragen des Luxus, die, so Schnyders These, die Literatur des 19. Jahrhunderts insgesamt leistet.

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1900 – 2000

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Mit Maximilian Bergengruens Untersuchung des »Verhältnis[ses] von Betriebs- und Nervenkapital in Thomas Manns Buddenbrooks« ist der Band schließlich im 20. Jahrhundert angelangt. Bergengruen demonstriert, dass und wie der Roman die ökonomische und die psychiatrische Dimension der Handlung engführt. Dem Betriebskapital der Buddenbrookschen Firma entspricht ein – ebenfalls bis zum Bankrott schwindendes – Nervenkapital der Familie. Dabei wird die Verfallsgeschichte, die der Roman bekanntlich erzählt, wesentlich an der Neigung zum Luxus festgemacht, die den Niedergang von Firma und Familie bedingt. Doch auch dem Buddenbrooks-Roman ist die Ambivalenz des Überflüssigen eingeschrieben, wie sich etwa anhand der lustvoll beschriebenen Essensszenen zeigen lässt: »Neben die theoretische Verdammung tritt immer auch die darstellerische Rehabilitation und feierliche Inszenierung« (S. 255).

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Bei Robert Musil erfolgt die Rehabilitation des Luxus auch auf programmatischer Ebene. Franziska Bomski zeigt in »Die Vereinigung von Seele und Wirtschaft«, wie in Der Mann ohne Eigenschaften »ein Konzept der Seele kritisiert [wird], das sich an luxusfeindlichen ökonomischen Theorien orientiert« (S. 257). Es geht also um eine Engführung von Ökonomie und ›Seele‹ in Musils Roman, die sich aber gerade für eine luxusaffine Seelen-Ökonomie ausspricht.

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Monika Schmitz-Emans schließlich – und mit diesem fulminanten letzten Beitrag entlässt der Band den Leser – geht es um Phantasien der Sinnlichkeit und Erfahrungen des Entzugs bei Italo Calvino: »Imaginierter Luxus«. Dabei erweist sich, dass Calvinos luxurierende Schilderungen Ähnlichkeiten mit dem Stillleben, der nature morte besitzen: wie die einschlägigen Gemälde auch verknüpft Calvino den Genuss mit dem Tod. Pointierter lässt sich die Ambivalenz des Überflüssigen in der Moderne kaum fassen.

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Die Beiträge des Bandes stecken das Feld einer kulturwissenschaftlichen Luxusforschung nicht nur ab, sie beginnen auch entschieden, es zu bestellen. Dabei wird deutlich, wie wertvoll eine solche Auseinandersetzung sein kann und wie viel Erkenntnis – gerade auch literaturwissenschaftliche – dabei generiert wird. An Weders und Bergengruens Band zum Luxus als Ambivalenz des Überflüssigen in der Moderne werden viele weitere Studien anschließen.

 
 

Anmerkungen

Heinrich Heine: Ludwig Börne. Eine Denkschrift. Kleinere politische Schriften (= Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, hg. von Manfred Windfuhr u.a., 16 Bände, Bd. XI), Düsseldorf: Hoffmann und Campe 1975–1997, S. 32.    zurück
Heinrich Heine: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (= Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, hg. von Manfred Windfuhr u.a., 16 Bände, Bd. VIII), Düsseldorf: Hoffmann und Campe 1975–1997, S. 456.   zurück