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Die Beherrschung des Unbeherrschbaren
oder
wie man die Ironie der Moderne einholt

  • Armen Avanessian: Phänomenologie ironischen Geistes. Ethik, Poetik und Politik der Moderne. München: Wilhelm Fink 2010. 387 S. Kartoniert. EUR (D) 49,90.
    ISBN: 978-3-7705-4266-6.
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Nichts weniger als eine Phänomenologie ironischen Geistes verspricht die 2010 erschienene Dissertation von Armen Avanessian. Die Anlehnung an Hegel ist durchaus programmatisch zu verstehen (inwieweit sie auch ironisch ist, bleibt zu besprechen) und gründet sich zunächst auf dessen Ablehnung. Ausgangspunkt Avanessians ist nämlich, dass die hegelsche Dialektik an Ironie scheitern muss. Der ironische Geist stört die evolutive Phänomenologie, und Avanessians Anliegen ist, die Logik solcher Störfälle in kanonischen Texten der Moderne nachzuvollziehen. Ihm gelingt dabei auf ganzer Linie zu zeigen – soviel sei vorab gesagt –, dass Ironie nicht vermeidbar und nie funktionslos, sondern immer ein differenziertes und bisweilen sogar das einzig noch mögliche Mittel ist, Sinn zu produzieren. Sinn allerdings, von dem manchmal schwer zu sagen bleibt, wieviel ihm noch zum Irrsinn fehlt.

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Auf den ersten Blick verblüfft die thematische Spannweite der Arbeit. Mit ›Ethik, Poetik und Politik der Moderne‹ widmet sie drei wesentlichen Funktionsbereichen moderner Gesellschaften jeweils eine Teilstudie. Dementsprechend hoch ist ihr Generalisierungspotenzial und ebenso immens ihr Umfang. Zusammenhalt ist dennoch gegeben durch zwei starke erkenntnistheoretische Annahmen, die der Studie Grenze und Struktur verleihen.

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Avanessian geht erstens aus von der (weitgehend) sprachlichen Verfasstheit von Welt. Erst die Hypothese, nicht nur Poetik, sondern auch Ethik und Politik spielten sich wesentlich im Medium der Sprache ab, ermöglicht eine verallgemeinerte Auffassung von Ironie. Entscheidend ist dabei nicht, inwieweit die Welt wirklich sprachlich verfasst sei, sondern zu welcher Art von Weltverständnis man kommt, wenn man diese Annahme macht. In Avanessians historischem Schema ist es Friedrich Schlegel, der die Ubiquität von Sprache als erster radikal behauptet. Für Avanessian markiert er eine epistemische Differenz, die seine Studie zugleich begrenzt: in dem Maße, wie Schlegels Sprach- und Ironiekonzeption noch das unsrige ist, sind für die Phänomenologie ironischen Geistes vor allem ›moderne‹ Phänomene von Belang. In vormodernen – hier: vor Hegel und Schlegel datierten – Konzepten habe schlicht das epistemische Dispositiv gefehlt, um in Ironie wesentlich anderes zu sehen als einen rhetorischen Effekt (S. 32). Ausgenommen aus dieser Historisierung bleibt freilich Sokrates, dessen womöglicher ›Vorwegnahme‹ moderner Ironie Avanessian ein kurzes Auftaktkapitel widmet. Auch die mögliche Zurückweisung der Sprachlichkeitshypothese handhabt Avanessian souverän. Sie gerät als Regulativ seiner ironieaffinen Haltung nie in Vergessenheit und wird in einem Schlusskapitel über die Grenzen von Ironie und Sprache zumindest andiskutiert.

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Die zweite strukturierende These betrifft die Funktion von Ironie selbst. Avanessian diagnostiziert eine historisch invariante Dreidimensionalität. Es lasse sich aus der Vielzahl der Interpretationen von Ironie eine Dreizahl in sich schlüssiger Lektüren destillieren: Ironie könne entweder als affirmativ, neutral oder subversiv aufgefasst werden. Diese drei Modi seien irreduzibel, könnten aber, gemäß der eigentümlichen Logik von Ironie, durchaus nebeneinander bestehen, ohne sich gegenseitig zu invalidieren (S. 14). Das Schema einer dreifaltigen Ironie wird im zweiten Kapitel der Dissertation ausführlich entwickelt und bildet für alles Folgende eine Art Koordinatensystem. Sehen wir zunächst, ob es für sich genommen einleuchtet.

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Dreidimensionale Ironie

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Avanessians systematisches Kapitel heißt ›Rhetorologien‹ und will die Dreidimensionalität von Ironie aus ›logischer‹ und ›rhetorischer‹ Perspektive entwickeln: »unterschiedliche philosophische Lesarten« frühromantischer Ironie sollen »kurzgeschlossen« werden mit zeitlosen, »rhetorischen Deutungen« ironischen Sprechens (womit hier ein eher loses Ensemble aus traditioneller Rhetorik, Sprechakttheorie und gegenwärtiger Linguistik gemeint ist; vgl. S. 14). Tatsächlich speist sich das Gros der Argumentation aus der Lektüre einschlägiger deutscher Autoren um 1800. Diese sind immer wieder äußerst gegenläufig interpretiert worden, was Avanessian als Symptom einer selbstwidersprüchlich, immer schon ›ironisch‹ veranlagten Moderne deutet. Seine eigene Je-nachdem-Charakterisierung soll da zumindest hermeneutische Abhilfe schaffen, indem sie differenzierte Beschreibungen ironischer Phänomene ermöglicht, ohne scharfe Definitionen zu geben. Solchen entzieht sich Ironie ohnehin – und sei es auf ihre letztlich unbeherrschbare, ironische Weise.

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Eine erste Beschreibung ›affirmativer‹ Ironie sieht Avanessian beim Friedrich Schlegel der Jahre 1797/98 und bei Karl Wilhelm Ferdinand Solger. Anders als Fichte beharren die Frühromantiker auf einem unaufhörlichen Wechsel zwischen Ich und Nicht-Ich. Ironie kann da versöhnend wirken, denn ›bis zur Ironie‹ gebildet ist, was so ungezwungen und doch bewusst, geradezu ›glücklich‹ zwischen Selbst und Nichts oszilliert, wie – nach Schlegels Beispielwahl – der Erzähler des Wilhelm Meister. Avanessian führt aus, wie die synthetisierende Ironie die ›Einbildungskraft‹ und das ›Genie‹ aus der Kritik der Urteilskraft beerbt, jenem Werk also, in dem Kant symbolischer Kommunikation erstmals eine systemrelevante Rolle beimaß und damit anschlussfähig für Romantiker wurde. Die vollständige Mitteilung ist ›eigentlich‹ mit Worten nicht zu haben: das wissen nachkantische Ironiker in- und auswendig und indem sie es wissen, beginnen sie damit zu spielen: »Das (ironische) Ich ist immer weiter als seine Mitteilungen und anerkennt dies als gewissermaßen sprechpragmatische Notwendigkeit. Anstatt auf Selbstidentität besteht der so verstandene Ironische auf dem irreduziblen Standpunkt einer Differenz zu sich selbst, fasst diesen jedoch nicht als Problem, sondern gerade als Mittel gelingenden Verstehens« (S. 40). Auf sprachwissenschaftlicher Seite ordnet Avanessian der affirmativen Operationslogik die simple Gegenteilsironie zu. Dass Ironie etwas sagt und das Gegenteil davon meint, mag oft stimmen, ist als Gesamteinschätzung aber unterkomplex.

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Jenseits der Gegenteilsironie

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Schon die zweite Lesart von Ironie macht die Dinge schwieriger. Avanessian ermittelt den ›neutralen‹ Modus wieder bei Schlegel, der auf 1800 hin immer extravaganter und widersprüchlicher formulierte. Darin bloß Lust am Paradox zu sehen, greift für Avanessian zu kurz. Vielmehr müsse einer neuartigen ›Ontosemiologie‹ (Werner Hamacher) Rechnung getragen werden, die sich bei den Romantikern bahnbreche.

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Avanessian greift auf die vielzitierte Verbindung zwischen frühromantischen und poststrukturalistischen Theoremen zurück. Hatte Hegel noch an ein ›sprachfreies Signifikat‹ geglaubt – den ›Geist‹ selber nämlich –, so sei das Schlegel, Novalis, und hundert Jahre später an Saussure anknüpfenden Theoretikern nicht mehr möglich gewesen (S. 46). Indem die Frühromantiker sogar das stille Selberdenken des Geistes als ein ›innerliches Reden‹ deklarieren, wird auch dieses rhetorisch. Eine gedanklich-sprachliche différance mache die Selbstidentität des Denkenden zu einem nie erreichbaren Absoluten und die Sehnsucht danach zur Quelle romantischer Melancholie.

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Avanessian hantiert hier virtuos mit großen Theorielinien und landet zielsicher bei seinen Gegenstand. Bricht man die ontosemiologische Differenz nämlich auf einen einzelnen Sprechakt herunter, ist sie nichts anderes als Ironie. Wenn an dieser nicht mehr die Synthese, sondern das Fragment hervortritt, rechtfertigt das für Avanessian folgende Unterscheidung:

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Anders als in der obigen ersten Ironievariante impliziert diese zweite Einschätzung und Funktionsweise von Ironie nicht mehr das Vertrauen auf ein indirekt-ironisches Gelingen. Einzig mittels offenen Aufzeigens des Misslingens wird ein ehemaliger, jetzt gar nicht mehr ernsthaft vertretener Anspruch noch angedeutet. Zu mehr denn einem zögernden Hinweis, dass man eventuell einmal einen bestimmten Absolutheitsanspruch gestellt haben mochte, reicht es nicht mehr. Ironischer Vorbehalt fungiert hier als eine Art philosophischen Bilderverbots. (S. 48)
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Konsequentermaßen wird das Denken in Paradoxen von den Frühromantikern nicht nur begrüßt, sondern zur Notwendigkeit erklärt. Poesie erhält als angemessene Reflexionsform den Vorzug oder zumindest die Äquivalenz zur Philosophie. So gesehene Ironie – jetzt Sammelbegriff einer Vielzahl ästhetischer Verfahren – ist nicht mehr nur Spielzeug geistreicher Redner, sondern strukturierendes Element von Sprache und Kunst überhaupt. Dieses ›Medialwerden‹ der Ironie führt Avanessian zitatbewehrt vor; man muss seinen Referenzautoren und ihrer Sprache allerdings einen gewissen spekulativen Kredit einräumen, um dabei nicht abgehängt zu werden.

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Auf linguistischer Seite findet Avanessian den ›neutralen‹ Modus der Ironie in pragmatisch orientierten Erklärungsmodellen wieder. Ein ›Es ist heißt hier‹ erreicht seinen Zweck – die Öffnung des Fensters – ohne selbiges zu benennen. Analog kann für die Romantiker das Absolute nur noch angedeutet, nicht mehr behauptet werden. Es hat freilich etwas Bemühtes, jenes selbst schon bemühte linguistische Beispiel appellativer ›Ironie‹ in Analogie zur romantischen Identitätskrise setzen zu wollen. Avanessian tut es mit Hinweis auf die jeweilige Bedeutung des Außersprachlichen: So wie erst der Kontext realer Hitze und ein reales Fenster dessen Öffnung nahelegen, müssen Frühromantiker auf Reales hoffen, wenn ihnen der Gedanke an Identität nicht vollends vergeblich sein soll: dass sie wenigsten im Körperlichen, Nicht-Sprachlichen noch bestehe (S.  57).

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Ironie und Wahnsinn

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Hat man sich aber erst einmal auf Ironie eingelassen, drohen auch solche außersprachlichen Gewissheiten zu zerrinnen. »Die dritte rhetorologische Erscheinungsform der Ironie ist diejenige eines paradoxen Bewusstseins von Wahnsinn«, hebt Avanessians dritter systematischer Abschnitt an (S. 58). Um die hier betroffene ›subversive‹ Ironie zu begründen, zieht er Texte Schlegels heran, von denen nur noch schwer zu sagen ist, was sie eigentlich sind: blanker Unsinn oder doch eine hintersinnige, irgendwie intendierte Version desselben.

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Avanessian unterstreicht das expressive Potenzial solcher Ironie – »bewusst oder methodisch kalkulierte Verrücktheit versucht den sprachlichen Effekt unsinniger Aussagen zu einem befreienden Modus subjektiver Praxis zu machen« (S.  63) – sieht aber auch den Kontrollverlust des Sprechers – »Jenseits subjektiver Intentionen noch zu funktionieren, darin liegt eine dritte der ironischen Rede inhärente Medialität.« (S.  64). Vollends subversiv ist Ironie, wenn sie sich um ihrer selbst willen immer weiter ins Absurde dreht. Ein dergestalt Ironischer glaubt die Bewegung bald zu treiben, bald von ihr getrieben zu sein: Avanessians Kapitelüberschrift ›Wahnsinnsbewusstsein‹ trifft den berauschenden, enthemmten Charakter dieser Ironie recht gut. Eine sprachwissenschaftliche Erörterung subversiver Ironie lässt er allerdings kommentarlos ausfallen. Vermutlich, weil Linguistik in solchen Fällen tatsächlich nur noch Unsinn konstatieren kann.

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Die somit vollständige Entwicklung einer dreifachen ›Rhetorologie der Ironie‹ überzeugt durch ihre klare und plausible Grundidee: Ironie sagt etwas und meint etwas anderes, wobei sie entweder davon ausgeht, das andere werde richtig verstanden (affirmativ) oder daran zweifelt, ob es überhaupt richtig verstanden werden kann (neutral) oder selbst nicht mehr genau weiß, welches andere sie gemeint hat (subversiv). Die philosophischen Implikationen dieser drei Modi werden von Avanessian minutiös und umsichtig anhand frühromantischer Quellen dargestellt. Etwas kurz fällt leider der Kurzschluss mit den Sprachwissenschaften aus. Avanessian klagt wiederholt über den Hang von Linguisten und Sprachphilosophen zur Gegenteilsironie; er scheint schlicht keine Arbeiten gefunden zu haben, die Ironie auch jenseits dieser ersten Logik ernst nehmen.

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Ironie in der Ethik

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Im nun ansetzenden Hauptteil der Arbeit geht Avanessian daran, die rhetorologisch hergeleitete Trias überall dort zu identifizieren, wo ironisch operiert wird. Zunächst im Feld der Ethik, wo man sich affirmativ, neutral oder subversiv zum ›Guten‹ verhalten kann: seine Existenz kann positiv behauptet, simuliert oder negiert werden. Derartige Analogiebildungen strukturieren von nun an die durchaus weitschweifigen Phänomenbetrachtungen.

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Das ausführlichste Unterkapitel zur Ethik widmet Avanessian der »Verteidigung der Verführung«, welche er als eine Art Summe ethischer Ironiemotive ansieht. Einmal mehr erweist er sich als assoziativer Leser, wenn er innerhalb weniger Seiten den Bogen von Hegels Descartes-Deutung über Walter Benjamins Trauerspielbuch zu Plessners Anthropologie und schließlich Luhmanns Funktionsanalyse spannt, um die Mängel einer Subjektphilosophie offenzulegen, die nicht mit ›Täuschung, Lüge, Heuchelei‹ – typischen Verhaltensweisen des Verführers also – gerechnet hat (S. 147–149). An de Laclos’ Liaisons dangereuses wird dann die wahrhaft libertäre, selbstlose Verführer-in(!) herausgearbeitet. Sie steht im Gegensatz zu dem als neurotisch und frauenfeindlich eingeschätzten Verführer Kierkegaards.

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Auch für den Verführer/die Verführerin ergeben sich drei verschiedene Ironie-Performanzen, welche Avanessian zwar ethisch werten – »[o]b ironische Verführung der Erniedrigung des Anderen dient, dem ängstlichen Versuch eines Ausgleichs von Unterlegenheit oder der versuchten Hingabe, also dem unbedingt aussichtlosen Willen, sicht selbst zu verschenken, sind ethische Differenzen ums ganze« –, diese Wertung dann aber »freilich nicht im moralischen Sinne« verstanden wissen will (S. 155).

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In Poetik

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Die Verbindungen zwischen Ethik und Poetik sind vielfältig, handelt es sich doch bei poetischen Erzeugnissen nicht selten um (literarische) Darstellungen ethischer Problemlagen. Eine Strukturparallele zwischen dargestellten Welten und darstellender Literatur kristallisiert sich an Verführung: ebenso wie die notorische Romanfigur des Verführers seine Opfer, muss der Romancier zuallererst seine Leser verführen. Die spezielle Ironielastigkeit des Genres ist auch oft genug hervorgehoben worden und Avanessian belässt es bei der Untersuchung von Roman-Literatur. Sein Gang durch die literarische Moderne wird von seiner Vorliebe für subversive Ironie geleitet. Je reflexiver oder medialer die Ironie, desto studierenswerter erscheint ihm ein Text. Bei manchem Beispiel tritt dann der Wille, genaue Analogien zur Trias affirmativ/neutral/subversiv zu finden, hinter weniger strukturierten Leseweisen zurück. Das fördert lesenswerte Einzelinterpretationen zutage, wie etwa einen Exkurs über den multipel ironischen Mann ohne Eigenschaften 1 .

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Der zweite ausführlich besprochene Romanautor ist Thomas Bernhard. Avanessian betrachtet die ethische Frage, wie sich in der Schrift ein Ich konstituiert. Er affirmiert gewissermaßen die alte These, alles Schreiben sei autobiographisch – allerdings in einer komplizierteren Form. Denn nicht ein als ›natürlich‹ oder ›authentisch‹ postuliertes Ich soll sich zwangsläufig beim Schreiben konturieren, sondern ein ironisches: genau genommen das einzige, von dem eine ironieaffine Episteme noch ausgehen kann.

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Bernhards Holzfällen – Eine Erregung hält Avanessian für das beste Beispiel solcher Ich-Werdung, da es die Vermengung von Autofiktion und -biographie auf die Spitze treibt. Die Analyse bernhardscher Sprachästhetik, fast durchgängig ohne Sekundärliteratur geschrieben, gehört zu den Glanzstücken seiner Arbeit. Es ist eine Lobrede, auch ein ethisches Lob der Literatur. »Woran scheitern all die lächerlichen Universitätsprofessoren, woran noch die späten Journalisten in Bernhards Œuvre mit all ihren möglicherweise auch vollendeten Kleinstudien über Mendelssohn-Bartholdy oder andere austauschbare Sujets?«, möchte Avanessian wissen und findet die Antwort darin, dass sie »klein […] in ihrem Anspruch« seien. Sie seien »klein angesichts des übermenschlichen Willens des Romans, eine eigene Welt zu erschaffen. So lautet der literarischem Schreiben eigene ethische Imperativ« (S. 242).

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Avanessian, der hier plötzlich ein geradezu prometheisches Schreibethos zu verfechten scheint, schaltet rasch auf poststrukturalistische Standards zurück. Etwas lavierend will er sich doch nicht zur Huldigung eines siegreichen Romanschreibers – als Subjekt – durchringen und reicht den Pokal vom Autor zum Text: »Der Triumph Thomas Bernhards ist deswegen aber nicht sein persönlicher. Es ist der Triumph seiner Romane, eine eigene Welt, ein eigenes virtuelles Paralleluniversum errichtet zu haben.« Für Bernhards Bildungsbürgerfiguren gelte dennoch: »Wer nichts aus sich macht, findet sich eines Tages als Abbild, als eigene Totenmaske im fremden Roman wieder. Wer sich nicht neu erzählt, wird nacherzählt und stirbt.« (S. 243).

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Und in Politik

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Den Eintritt der Ironie in die politische Theorie sieht Avanessian in Schlegels Kant-Rezeption. Freiheit werde dort endgültig zu einer bürgerlichen ›Idee‹, der man sich bestenfalls asymptotisch nähern kann. Demokratische Staatsrechtler des zwanzigsten Jahrhunderts hätten die von Kant geerbte Begrifflichkeit insofern weiter aufgelockert, als sie einen Spielraum zwischen aufklärerischem Anspruch und politischer Machbarkeit betonten, den man auch ›ironisch‹ nennen kann. So jedenfalls scheint Avanessian die moderne Politikwissenschaft verstanden wissen zu wollen, wenn er etwa demokratische ›Repräsentation‹ in die Nähe von ›paradoxer Simulation‹ bringt (S. 246–248).

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Nach der Erörterung dreier Strömungen des ›postfoundationalism‹, die Ironie im funktionalen Gefüge der Politik eine herausragende Bedeutung beimessen, geht Avanessian daran, die drei bewährten Operationsmodi von Ironie im Politischen zu identifizieren. Er tut dies, indem er These und Antithese zu ihrer politischen Wirkung konfrontiert. Ist sie strukturell subversiv oder elitistisch, ein Mittel der Emanzipation oder der Repression? Avanessian argumentiert erst in die eine, dann in die andere Richtung, wobei sich das »Feld ironischer Möglichkeiten« aufspannt zwischen »Versuche[n] mäeutischer Herstellung von, unendlicher Sehnsucht nach und anarchistischer Verabschiedung von klaren Machtstrukturen« (S. 21). Ob man diese drei Optionen als reaktionär/konservativ/subversiv oder produktiv/ausgleichend/zerstörerisch bewertet, ist eine Frage des Standpunkts: These oder Antithese. Ironischerweise, muss man sagen, lässt Avanessian die Synthese einfach aus, und schiebt stattdessen ein Kapitel nach über »Kafkas Gesetzeslogik« und die Tatsache, dass Recht und Gesetz nur mit Humor und Ironie zu denken sind. Das ist, als finale ironische Volte, nicht schlecht komponiert, als Ergebnis jedoch wenig überraschend: Man muss sich, was ›politische‹ Ironie betrifft, nicht zwischen progressiv und reaktionär entscheiden. Sie kann beides, ironisch eben.

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Essayistische Methode

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Avananessians Phänomenologie hat damit ihre drei Themenfelder hinter sich und könnte eigentlich aufhören. Es folgen aber noch zwei wichtige Kapitel, zunächst ein kurzes über die »Methode Essay?«, welches grundsätzliche Gedanken zum Schreiben, Leben und ironieaffinen Textformen zusammenfasst. Avanessian verfällt plötzlich, wenn er auf den Zusammenhang zwischen der »Produktionslogik von essayistischem Schreiben« und der »emotionalen Ökonomie des Dandys« zu sprechen kommt, in eine geradezu draufgängerische Diktion:

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Das Leben spielt an den Grenzen von Aktivität und Passivität, bespielt und dissimuliert sie zugleich. Wenn nach Derrida »Leben […] Dissimulation [ist]«, so steht Verstellung im Dienste von Erkenntnis: Verfremdung seiner selbst und der Realität. Es soll Menschen geben, die sich ständig direkt auf ihre Umgebung werfen. Nicht mehr, welchen Eindruck sie machen, sondern was aus Situationen allererst an Gehalt zu ziehen ist, interessiert sie noch. Hauptsache, es gibt überhaupt einen Eindruck; und außerdem: Was soll ein, falscher Eindruck sein? Zwischen Distanzlosigkeit und schreibbedingter Abstandnahme pendelt dann der Rhythmus des experimentellen Vordenkopfstoßens. Einziges Ziel: Reaktionen provozieren; Provokationen gegen die allgemeine Unmündigkeit, die triste Professionalität. Anstelle der allgemeinen Müdigkeit: erschöpfen, seine Umwelt reizen, Situationen ausreizen, Themen ausschöpfen; verführen, sich in Abhängigkeit begeben, sich unterwerfen, sich unscheinbar klein machen. Unsicher und gebrochen sein, oder eben arrogant, peu importe, who cares – deswegen war der Ironische schon bei seiner Geburt kleintuender eiron und sein angeberisches Gegenteil alazon zugleich. (S. 327) 2 .
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Ein nicht geringer Reiz von Avanessians Dissertation besteht darin, dass auch diese Passage, allerdings viel deutlicher als manche andere, in der Schwebe zwischen wissenschaftlich abgeklärter Erkenntnis- und vitalistischer Sinnsuche steht. Mit ihrer eigenen Theorie macht die Arbeit hier insofern ernst, als sie ironisch bleibt. Obiger Absatz verschmilzt auf eine Weise mit Derrida-, Foucault- und Deleuze-Zitaten, dass Avanessian bald zu sprechen, bald gesprochen zu werden scheint.

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Metaphysik ist nicht ironisch

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Am Ende der Dissertation steht ein Kapitel über »Metaphysische Entgrenzungen«, in dem Avanessian das ›materiale Außen‹ besprechen will, das auch keine noch so reflexive Ironie mehr ironisiert. Wenn man sich entscheidet, Ontologie zu betreiben, dann geht dies nicht mehr ironisch. So stellt Avanessian jedenfalls kategorisch fest: »Bis dato wurde kein ironisches Sein gesichtet; kein ironischer logos des Seins also, durchaus aber Sein als ständig heimgesucht (hanté) von allerlei ironischen Konfigurationen.« (S. 330). Wie ironische Operationsweisen dennoch im Sein wirken könnten, versucht Avanessian anhand von vier exkursartigen ›Hanthologien‹ über ›Gespenst‹, ›Parasit‹, ›Porosität‹ und ›Vampir‹ darzustellen. Vier Denkfiguren, die zeigen, wie der Ausschluss sprachtypischer Ungenauigkeiten aus der materiellen Welt – und damit die Abschirmung der Ironie vom Realen – von großen Autoren der philosophischen Moderne obsessiv in Frage gestellt worden ist.

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Wie beendet man eine Phänomenologie ironischen Geistes? Avanessian kommt zum Schluss noch einmal auf seinen Kontrahenten Hegel zurück und versucht, den ironischen Geist in dessen mächtigstes Werkzeug – die Dialektik – einzuarbeiten. Diese Integration läuft auf eine, wie Avanessian formuliert, »,disjunktiv[e] Dialektik‘, die ich als eine materialistische Radikalisierung von Hegels dialektischer Methode verstehe« hinaus (S. 356). Die resultierende Ent-Teleologisierung der Phänomenologie eröffne dem Denken neue Möglichkeiten: »Das Risiko der Unsinnigkeit, der krassen Unvernunft, muss Ironie immer eingeschrieben sein. Anders kann nicht versucht werden, Unmögliches oder Absurdes zu denken. Und nichts anderes als paradox und absurd ist die disjunktive Dialektik der Ironie.« (S. 364). Trotz oder gerade wegen ihrer Offenheit für Paradoxe produziert eine solche Dialektik – daran besteht zumindest für Avanessian kein Zweifel – ein Mehr, und kein Weniger an Erkenntnis.

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Fazit

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Anfangs war die Frage aufgeworfen worden, inwieweit Avanessians Anlehnung an Hegel ›ironisch‹ sei. Nach Ansicht seiner Studie muss festgehalten werden, dass es ihm, sowohl was die reflexive Durchdringungstiefe als auch die Spannweite der behandelten Phänomene angeht, mit seiner Phänomenologie ironischen Geistes äußerst ernst gewesen ist. Nimmt man jedoch seine theoretischen Erkenntnisse beim Wort, dann kann eine solche Phänomenologie nicht mehr anders, als selbst ironisch zu sein. Ironisch in einem bestimmten, wissenschaftlich produktiven Sinn: als Versuch einer epistemologischen Ausweitung; als Anspruch, das Unverständliche zu verstehen, auch dem, was nach Regeln der Logik Unsinn genannt werden muss, einen Sinn abzugewinnen.

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Die Erfahrung zeigt, wie notwendig ein solcher Versuch ist. Nachweislich befindet sich sehr viel Absurdes und zum Abersinn Ironisches in der Welt, und auch an solches wird, mit oder gegen die Intentionen seiner Urheber, immer wieder kommunikativ angeschlossen. Das Denken als ironisches zu konzipieren, so wie Avanessian es vorführt, ist eine Versuch, den unbeherrschbaren Überschuss der Sprache wenn nicht zu ›beherrschen‹, so doch, um eine für ihn typische Formulierung zu bemühen, ›reflexiv einzuholen‹.

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Was meint eine solche ›Einholung‹ ganz konkret? Wie schreibt man eine möglichst scharfe Theorie dessen, was man als ›unscharf‹ zu charakterisieren sucht? Avanessian hat mit seiner dreistufigen Rhetorologie der Ironie eine flexibles Schema entwickelt, dessen strukturierende Kraft sich im Lauf der Studie mehrfach bestätigt. In dieses im Detail diskutable, grundsätzlich aber überzeugende Modell lässt sich ein Großteil der ironischen Phänomengeschichte einschreiben. ›Phänomenologisch‹ ist Avanessians Arbeit dann in dem guten Sinne, dass sie unermüdlich um ihre ethischen, poetischen und politischen Gegenstände kreist, dass sie mit größter Neugier Grenzfälle und Kuriositäten aufspürt und von möglichst vielen Seiten zu durchdringen versucht. Im Zweifelsfall ist dabei die Prägnanz eines Phänomens wichtiger als die formale Stringenz, mit der es beschrieben wird.

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Avanessian postuliert keine feste Methodologie; er passt seine Methode den jeweils fokussierten Phänomenen an, und nicht umgekehrt. Deshalb stehen These und Antithese unversöhnt nebeneinander, deshalb produziert seine Argumentation an manchen Stellen Unschärfen, die als solche hinzunehmen und nicht aufzuheben sind. Detailreich ist die Studie, gesättigt von weitläufigen Lektüren, bisweilen etwas kursorisch und nur durch beharrliche Einarbeitung nachvollziehbar – so kann Geisteswissenschaft im besten Sinne aussehen.

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Avanessian hat eine große Arbeit gewagt und dieses Wagnis bestanden. Sein frühromantisch/poststrukturalistischer Theorierahmen hebt Ironie als strukturierendes Element sinnhafter Prozesse hervor, und auch wenn dieses Insistieren auf Ironie manchmal etwas forciert wirken mag, wird es am Beispielmaterial stets geschickt plausibilisiert. So ist eine unorthodoxe, spekulative Dissertation entstanden, die aufs Ganze geht: nicht als Beitrag zu einer eng umgrenzten Fachdebatte, sondern als Entwurf einer ganzen Theorie der Moderne trägt diese Phänomenologie ironischen Geistes zum Erkenntnisfortschritt bei. Dementsprechend groß- und manchmal grobmaschig sind die Theoriemuster, die Avanessian überblickt und dem Leser zu überblicken abverlangt. Für alle, die an einer ›Beherrschung des Unbeherrschbaren‹, an einer ›exakten Beschreibung des Nicht-Exakten‹ oder an ähnlich paradox anmutenden Theorieprojekten interessiert sind, hat Avanessian einen bemerkenswerten Wurf gelandet.

 
 

Anmerkungen

Für den Mann ohne Eigenschaften wie für andere besprochene Texte gilt, dass Avanessian philologisch sorgfältig arbeitet. Nur ganz selten werden Behauptungen nicht direkt mit Textbeispielen unterfüttert oder als allgemein bekannte Tatsachen vorausgesetzt. (Dass Musils Romanfigur Clarisse fortgesetzt mit ›Clarissa‹ angesprochen wird, ist ein kurioser Versprecher.) Aus handwerklich-philologischer Sicht muss allerdings bemängelt werden, dass im Literaturverzeichnis weder Ersterscheinungsdaten noch Verlage noch Übersetzernamen, ja nicht einmal die Tatsache, dass es sich um Übersetzungen handelt, gekennzeichnet sind. Hinsichtlich der Handhabbarkeit dieses ins Große zielenden Buches vermisst man außerdem ein Register schmerzlich.    zurück
Eckige Klammern im zitierten Text.   zurück