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Verbotene Blicke und gefährliche Körper

  • Ralph J. Poole: Gefährliche Maskulinitäten. Männlichkeit und Subversive am Rande der Kulturen. Bielefeld: transcript 2012. 305 S. zahlreiche Abb. Kartoniert. EUR (D) 29,80.
    ISBN: 978-3837617672.
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Ausgangslage

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Ralph Pooles Unterfangen ist die »kulturelle Verortung der Spezies ›Mann‹ diesseits und jenseits des Atlantiks von 1800 bis 2000« (S. 10) in ihren Spiegelungen in Literatur, Theater, Film – sowie aus kulturgeschichtlicher Perspektive, den sie umgebenden Geschichten, Gerüchten und Anekdoten. Gefährliche Maskulinitäten ist in vier Teile gegliedert und umfasst insgesamt acht Essays, die über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren entstanden sind.

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In der Betonung von ›Maskulinitäten‹ markiert bereits der Titel die Abweisung einer essentialistischen Auffassung von ›Männlichkeit‹. Das Augenmerk des Verfassers liegt auf Darstellungen »vergessener, ignorierter, diskriminierter und marginalisierter Männlichkeiten« (S. 14), wobei die Äußerungen homoerotischen und / oder schwulen Begehrens und des begehrten männlichen Körpers in ihrer Verknüpfung mit Klasse, Nationalität und Ethnizität, speziell die Konstruktionsmechanismen ›weißer Männlichkeit‹, hervorgehoben werden.

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Erklärtermaßen ist das Aufspüren von Verbergungsstrategien Teil des Projektes. Es geht darum, auf welche Weise das, was nicht ausdrücklich spricht, sich also zunächst durch Unsichtbarkeit auszeichnet, zum Sprechen gebracht wird. Dabei wird der Blick auf unbeachtete und unbekannte, manchmal auch neu aufgelegte ›Männlichkeitsentwürfe‹ gelenkt, die allerdings in neuen Koordinaten lesbar werden.

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Schöne Finnen und Muskelmänner

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Die spannende Reise durch Darstellungen gefährdeter Männer, die selbst auch gefährlich sein können, beginnt mit der Analyse der Figur des schönen Finnen in James Kirke Pauldings Koningsmarke, the Long Finne von 1823. Dessen Stilisierung als ›männliche Schönheit‹ innerhalb eines Diskurses, der Schönheit und Begehrlichkeit mit dem ›Weiblichen‹ assoziiert, lässt ihn zu einer krisenhaften Figur werden (vgl. S. 43). Des Weiteren führt Poole aus, wie die Darstellung seiner Maskulinität den Ur-amerikanischen Heldenmythos bedienen kann, deren Ableger jedoch auch in einer schwulen Subkultur wirksam werden.

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Pooles Suche nach den Spuren finnisch-amerikanischer Verbindungen beleuchtet den Hintergrund der Gruppe finnischer Einwanderer am Rande der Gesellschaft, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu ›Asiaten‹ rassifiziert wurden. Die literarische Figur des Koningsmarke stellt so in verschiedener Hinsicht eine Grenzgängerfigur dar, in die neben der ethnisch-nationalen auch eine geschlechtliche Ambivalenz als ›effeminierter Asiate‹ – der eigentlich ein ›effeminierter Europäer‹ ist – eingeschrieben scheint. Pauldings Inszenierung des Protagonisten, dessen Maskulinität beständig infrage gestellt und wieder bestärkt wird, liest Poole als Ausdruck der gesellschaftlichen Umbruchssituation im Zuge der amerikanischen Selbst-Bestimmung, die eine Verunsicherung, wie auch Neu-Konfigurierung von Männlichkeitskonzepten hervorbringt. Auch wenn »Koningsmarkes hybride Männlichkeit [...] noch in eine heterosexuelle Utopie des amerikanischen frontiersman kanalisiert werden« (S. 52) kann, so stellt Poole jedoch die Problematik der von Paulding inszenierten Blick- und Begehrensökonomie heraus, die die Betrachtung des schönen männlichen Körpers birgt. Dessen mögliche Beschauer/-innen sind nämlich keineswegs davor gefeit, sich auch einem verbotenen Blick hinzugeben.

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Etwa eineinhalb Jahrhunderte später hingegen stellt sich die pralle Homoerotik der männlichen Körper in den Zeichnungen von Touko Laaksonen, der unter dem Künstlernamen Tom of Finland firmiert, dem Blickverbot auf begehrenswerte männliche Körper förmlich entgegen. Tom of Finland wendet ganz bewusst heterosexuell kodierte Männlichkeitsartikulationen um und stellt sie direkt in den Kontext homosexuellen Begehrens. Die Zeichnungen des Künstlers stellen hyperrealistische Darstellungen von Männern aus, die immer gleich aussehen und überpotent sind, was sich in überdimensionierten Schwänzen symbolisiert. Viele der Männerkörper sind in wilden Landschaften angesiedelt, seine Figuren stellen Cowboys, Holzfäller, Ledertypen und Biker dar. Hier sind die ersteren von Interesse, die »archetypische Männlichkeitsentwürfe, die aus Finnland stammen, mit jener traditionslastigen Ikonographie des amerikanischen frontiersman« (S. 54 f.) verbinden. Die hier verhandelten Darstellungen greifen diese homosozialen Gemeinschaften auf, enthalten aber, wie der Autor beschreibt, eine anachronistische Qualität, da sie ebenfalls Kennzeichen einer zeitgenössischen, urbanen Subkultur tragen. Auf diese Weise wird der Mythos einer natürlichen und naturverbundenen Männlichkeit nicht nur fort-, sondern auch in eine sich gerade etablierende schwule subkulturelle Gegenwart eingeschrieben.

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Der Eröffnungsaufsatz ist eine durchweg gelungene Zusammenführung zweier ganz unterschiedlicher Narrationen von Maskulinitätsentwürfen, deren inhärente Instabilität betont wird. Kann der schöne Held bei Paulding als ambivalente Figur gelesen werden, der Anerkennung nur über die fortwährende Versicherung maskuliner Attribute erreichen kann, so wird diese Form der Maskulinität in den Zeichnungen Tom of Finlands bewusst aufgegriffen und in einen homosexuellen Kontext versetzt, der gleichzeitig allerdings auch als ein dezidiert anti-femininer funktioniert.

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Transatlantisches Feedback: Schichten,
Umschichten und Zuhören

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Auch der zweite Essay »Palimpsest und Kassiber« beschäftigt sich mit Randfiguren amerikanischer Kultur und spürt Hubert Fichtes ethnographischer Studie der schwarzen Kultur- und Kunstszene in New York nach, wie dieser sie in Die schwarze Stadt Ende der 70er Jahre betreibt.

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Insbesondere die selbstreflexive Verfahrensweise der Collage und Montage von Gesprächen, Interviews und Essays bei Fichte werden von Poole herausgestellt. Gegenüber Fichtes Technik, die seine eigenen Fragen oft verdeckt und deren Beantwortung neu zu einem zusammenhängenden Text montiert, so das Argument, ließe sich der Vorwurf der »manipulativen Geste« (S. 69) erheben. Jedoch wird diese Verfahrensweise von Poole plausibel als Versuch des »›Sprechenlassens des Anderen‹« (S. 70) gelesen. Gerade durch die Form der Zusammenführung verschiedener Gespräche, wie beispielsweise an Fichtes Ehen in New York verdeutlicht wird, entstehe eine dialogische Struktur oder besser: eine Form der Kommunikation zwischen den verschiedenen Textfragmenten. Auf diese Weise, so Poole, werden Erkenntnisprozesse ermöglicht, welche über das einzelne Interview hinausgehen und gleichzeitig dessen Struktur erkennbar halten. In der so lokalisierten Methode Fichtes, die sich vielleicht als eine Art ›postkoloniales Zuhören‹ verstehen lässt, werden durch Neu-Anordnung spezifische Aspekte herausgestellt und neue Zusammenhänge lesbar. Fichtes Projekt, betrachtet vor dem Hintergrund des von Paul Gilroy geprägten Begriffs des Black Atlantic, wird anschaulich als Konzeption eines nicht-hegemonialen Verständnisses afroamerikanischer Kunst- und Kulturpraktiken begriffen. Die von Fichte nachgespürten Formen ›schwarzer Kunst‹ werden auf diese Weise als Kulturtechniken identifizierbar, die, wie im Ansatz Gilroys, auf Prozesse der Schichtung, Überlagerung, Aneignung und Zersetzung vor dem Kontext der afroamerikanischen Diaspora verweisen.

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Den Fichte’schen Versuch einer anderen Art von Forschung und Erkenntnisproduktion liest Poole in dessen Verbindung von Erotik und blackness, bis hin zur Selbstbezeichnung als ›schwarz‹. Statt eines kolonialistischen Gestus lasse dies eine symbolische Bewegung auf den Anderen zu erkennen, die sich in der Form der beschriebenen Technik äußert und dazu führt, dass Fichte in der »Geste der Vereinigung von fremden Stimmen mit seiner eigenen als Glossographie Schwarzheit für sich selbst in Anspruch [nimmt]« (S. 82). Poole verdeutlicht diese Beanspruchung »eine[r] kulturelle[n] Position, die mit dem Stigma der Unterdrückung und Verfolgung versehen ist« (ebd.) sehr schön als »›kulturübergreifende[s] Schreiben‹« (ebd.), das sich so vor dem Hintergrund von Fichtes eigener Erfahrung als Schwuler und Jude als Form involvierter Untersuchung und Vermittlung begreifen lässt.

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Pelz, Pin-Up und Wolf

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Von den Randgebieten Mitte des 20. Jahrhunderts geht es zur »unmarkierte[n] Mehrheit des weißen Mannes« (S. 15), wenn der dritte Aufsatz das Projekt der Inszenierung und Bewahrung des weißen männlichen Körpers um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert behandelt, der als Antidot gegen eine zunehmend befürchtete Degenerierung der amerikanischen Gesellschaft beschworen wird.

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Für die im Zuge grundsätzlicher ökonomischer, kultureller und sozialer Veränderungen entstehenden Debatten nimmt der Autor Theodore Roosevelt als Epitom, das auf die zunehmende Verunsicherung der Geschlechterökonomie und die damit einhergehenden Bestrebungen der ›Remaskulinisierung‹ verweist: »Roosevelt markiert ein diskursives Zentrum in der um 1900 kursierenden Debatte um die fundamentale Frage: ›Was macht einen Mann zum Mann?‹ « (S. 101). Der amerikanische Präsident, so Poole, führt als Figur kulturelle Prozesse zusammen: den Niedergang des viktorianischen Konzepts von manliness als Ausdruck einer moralischen Geisteshaltung auf der einen Seite und das Aufkommen von masculinity als Betonung und Bewerbung einer ursprünglichen, natürlichen und naturverbundenen Form von Männlichkeit, die mit einer neuen Körpervorstellung und -bearbeitung einhergeht, auf der anderen.

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Drei verschiedene Momente werden für diese beiden kulturellen Prozesse fokussiert: die Bepelzung des edwardianischen Gentleman beziehungsweise die Umformulierung der Pelzmode entsprechend dem amerikanischen Ideal von masculinity; die Körperinszenierungen des preußischen Bodybuilders Eugen Sandow; und schließlich die Transformationen der beiden Hauptfiguren in Jack Londons Roman The Sea-Wolf. War die edwardianische Pelzmode für den Gentleman noch wirksam, um Status und Stil anzuzeigen, so wird sie in den Vereinigten Staaten zunehmend »als Ausdruck effeminierter Dekadenz« (S. 103) wahrgenommen. Jedoch wird der Pelz nicht vollständig aufgegeben, sondern mit Trageweise und Material verändert sich seine Aussage. Ein Wandel findet statt, der sich nun, wie Poole schreibt, als eine scheinbar klassenübergreifende »Selbstaussage« (S. 104) artikuliert. Die Skizze zum ersten männlichen ›Pin-Up‹, dem preußischen Bodybuilder Eugen Sandow, zeigt gewissermaßen die Weiterführung dessen an, was durch die Äußerlichkeit der Pelzmode nur unzureichenden Beweis für Männlichkeit darstellt. Poole verortet das neu erwachte Interesse an der Gestalt des männlichen ›Naturkörpers‹ vor dem Hintergrund von dessen zunehmendem ›Bedeutungsschwund‹ im Zuge der Auflösung der frontier und dem Verlust von Naturnähe als Folge von Urbanisierung.

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Der Kraftmann Sandow steht für die Zuspitzung dreier Aspekte in der Inszenierung des amerikanischen Männerkörpers: Erstens: der Körper, der unter dem Imperativ des »self-made body« (S. 107) nun als direkter Ausdruck von ›Mannsein‹ verstanden wird. Der implizite Aufruf zur systematischen Konstruktion eines solchen Männerkörpers spiegelt vor dem Hintergrund von Roosevelts Projekt der Remaskulinisierung ebenfalls eine Konzeption des gesunden ›Volkskörpers‹. So ist es, zweitens, auch der dezidiert weiße Körper, dessen Muskelkraft und Schönheit zur Betrachtung (und Nachahmung) angeboten und damit als Versicherung gegen die durch Einwanderung und Urbanisierung befürchtete Degenerierung und Dekadenz der Gesellschaft geltend gemacht wird. Drittens schließlich stellt die Zurschaustellung des männlichen Körpers eine Neumarkierung dar, die ihn potentiell auch als Objekt des Begehrens anbietet.

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Dieses dilemmatische Potential wiederum spielt in Jack Londons The Sea-Wolf eine Rolle. Die von Poole bezifferte Wendung der Furcht vor Feminisierung hin zur »Sorge um eine sissification der amerikanischen Männlichkeit« (S. 112) zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wird in der Transformation der beiden Hauptfiguren aus Jack Londons Roman verdeutlicht: Die Verwandlung der als raue Bestie gezeichneten Figur von Wolf, dem skandinavischen Kapitän und die gegenläufige Entwicklung des effeminierten edwardianischen Gentlemans Humphrey, der es über selbst forcierte »Körperkulturierung« (S. 115) schafft, natürliche Maskulinität zu verkörpern. Auch in diesem Artikel stellt Poole anschaulich den Konnex und den Wandel unterschiedlich kodierter Männlichkeitskonzepte, Rasse und Klasse aus.

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Krise des Normativen: White Trash

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Eine wiederkehrende Krise normativer weißer Männlichkeit scheint auch eine Reihe von Romanen, die um die Jahrtausendwende entstanden sind, zu verhandeln. In »Southern Gothic Updated« betrachtet Poole Steve Yarbroughs The Oxygen Man, Dorothy Allisons Bastard Out of Carolina, Carolyn Chutes Snow Man, Merle Drowns The Suburbs of Heaven, Rhett Ellis’ The Greatest White Trash Love Story Ever Told, T. R. Pearsons Polar und Richard Yanceys A Burning in Homeland. Den Erzählungen wird einerseits konstatiert, sich sowohl auf die konventionellen Mythisierungen von white trash zu beziehen, wie sie der literarischen Tendenz der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der der eigentliche Begriff »Southern Gothic« galt, zuzuordnen sind. Andererseits zeigt Poole, wie diese Narrationen genretypische Stereotypen aufbrechen, umschreiben und eine Sichtbarkeit dieser ›weißen Kaste‹ beanspruchen.

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White trash-Figuren nehmen eine zentrale Position in den ausgewählten Erzählungen ein, deren Verdienst Poole vor allem darin sieht, dass ›Weißheit‹ als Kategorie verhandelt, als sichtbar markiert und so die spezifische Form ihrer anwesenden Abwesenheit in den Blick gerückt wird. ›Weiß‹ als rassische Konstruktion wird andererseits hier mit der Kategorie der Klasse verknüpft. Die biologistische Auffassung ›sozialer Degeneration als vererbter Misere‹, die in der ideologischen Vorstellung von ›white trash‹ interessanterweise in einen Zusammenhang mit ›Rassenmischung‹ gestellt wurde, beschreibt Poole für die Romane als über den Rekurs auf Stereotypen exzessiver Körper, Sexualität und Gewalt verhandelt. Mittels Groteske und Überzeichnung schlagen die Erzählungen jedoch Perspektiven vor, die die Naturalisierung dieser stereotypen Konstruktionen als Folge historisch-sozio-ökonomischer Ausschlussprozesse kenntlich machen. Dabei werden allerdings auch Formen von Maskulinität belebt, die sich als Fetischisierungen eines bestimmten Kerl- und Körperbildes erweisen. Inwieweit dies über den begehrenden weiblichen Blick, den Poole herausstellt, modifiziert wird, bleibt indes fraglich. Gefährlich sind white trash-Siegerfiguren, so Poole, vor allem deswegen, weil der weißen (Mittel-) Klasse ein Spiegel vorgehalten wird, was sich insbesondere auf die Desavouierung des amerikanischen Erfolgsmythos bezieht und womit auch die Rede von white trash als ›selbstverschuldetem Elend‹ als solche vorgeführt wird.

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Homosexualität und Textualität

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Homosexualität und / als Textualität ist der Fokus in »Tourniers Anal/yse« und aus dieser Perspektive wird die Robinsonade von Michel Tournier Vendredi ou les Limbes du Pacifique einer genaueren Betrachtung unterzogen, die gegen eine Reduzierung Tourniers als ›homosexueller Autor‹ vielmehr aus der Perspektive der queer theory erfolgt. Der Autor sucht nach einem Streifzug durch die literaturwissenschaftlichen Einordnungsversuche Tourniers, die Einschreibung des Begehrens in Sprache auf der Grundlage von zwei Lesarten zu beleuchten: einer Theorie der Verdoppelung beziehungsweise einer Theorie der Differenz (vgl. S. 165) und nimmt in einem Vergleich mit dem Original von Defoe die Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren Robinson und Vendredi in den Blick. Tourniers Erzählung sieht Poole in dieser komplexen Analyse in verschiedener Hinsicht als »resignifizierende Lektüre« (S. 171) angelegt, bei der sich nicht nur die Dynamik zwischen den Darstellern verkehrt, sondern auch die Kodierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit verkompliziert werden.

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Den Autor interessiert vor allem die Textualität eines perversen Begehrens, die Frage danach, wie sich schwules oder queeres Begehren einschreiben kann in einen Text, was die Frage nach dem Aufspüren einer »schwule[n] Rhetorik« benennt, »die immer zwischen der Verwurzelung in der Sprache der dominanten Kultur und dem Versuch des Entkommens aus dieser homophoben Herkunft oszilliert« (S. 172–173). Zu deren Erkundung wird das Konzept von queer theory skizziert, wobei hier neben der Problematik der Konzeptualisierung von Identität auch die Frage der Ethnizität von Bedeutung ist. Es geht um Machtbeziehungen und mit Verweis auf die von Lee Edelman artikulierte utopische Qualität und die Bedeutung des Insistierens auf der Unbestimmbarkeit von queer (vgl. S. 174) stellt diese eine Grundlage für Pooles Einordnung der Tournier’schen Darstellung der Beziehung zwischen Robinson und Vendredi dar.

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Zentral ist der Versuch der Konzeptualisierung eines schwulen / queeren Begehrens, das sich außerhalb der Auffassung machtgebundener Sexualität zu bewegen versucht. So wird differenztheoretisch prinzipiell von einem Ungleichheitsverhältnis ausgegangen, wodurch jedes schwule Verhältnis nur innerhalb heterosexueller Koordinaten erfassbar bleibt. Zur Hilfe genommen wird hier Leo Bersanis angesichts der AIDS-Krise geleistete Analyse der diskreditierenden Auffassung schwulen Analsexes als Selbstmord (vgl. S. 178), ausgedrückt in der Gleichung »To be penetrated is to abdicate power« (Bersani zit. in Poole: S. 179). Im Anschluss daran fragt Poole, wie die von Tourniers Robinson geäußerte Leugnung »sodomitischen Begehrens« gegenüber Vendredi zu verstehen ist. Über die assoziative Verbindung des Anus mit dem weiblichen Genitale sowie dessen nicht-Spezifik hinsichtlich geschlechtlicher Differenz, wird die Problematik einer heteronormativen Deutung homoerotischen Begehrens deutlich, die darin nur einen Verlust von Macht wie auch von Maskulinität erkennen kann. Könnte man Robinsons Weigerung in diesem Zusammenhang als die Weigerung, auf eine Machtposition zu verzichten, deuten (vgl. 180), so ist in der von Poole angelegten queeren Lesart überzeugend das Verlangen, diese zu überwinden, betont.

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Einen Ausweg aus der differenzlogischen Lesart sieht Poole in Lee Edelmans Homographesis, die in einem Rückgriff auf die Verhandlung des Kannibalismus-Themas bei Tournier angeboten wird. Die verschiedenen Objektziele Robinsons’ Begehrens und die Darstellung seiner geschlechtlichen, sexuellen und ethnischen Ambivalenz werden in dieser detaillierten Lektüre als ein utopisches Projekt Tourniers begriffen, das sich darin ausweist, die Möglichkeiten einer nicht-hierarchisierten Sexualität zum Sprechen zu bringen.

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Serielle Mörder und serielle Leser

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Um Formen der Ikonisierung des amerikanischen Serienmörders geht es im Essay »Zerleiben und Zerschreiben«, wobei der Autor keine Betrachtung der Motivik des Mörders in Aussicht stellt. Vielmehr geht er anhand von Bret Easton Ellis’ American Psycho, Joyce Carol Oates’ Zombie und Dennis Coopers Frisk sowie der Betrachtung zahlreicher Querverbindungen um den ›realen‹ Serienmörder Jeffrey Dahmer der Frage nach, worin die Attraktivität der Erzählungen um den serial killer besteht und was die Formen ihrer kulturellen Inszenierungen ausweist.

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Unter anderem vor dem Hintergrund von Derridas Pharmakon stellt Poole verschiedene Lesarten des Serienkillers zusammen, die als Einblicke in die Auflösung von Grenzen funktionieren, die nicht nur innerhalb der Erzählungen aufbrechen, sondern auch deren Rezeptionsweise tangieren. So wird die in der Derrida’schen Drogenrhetorik grenzauflösende Erfahrung von Suchtverhalten bemüht und andererseits die Serialität des wiederholenden Mordens mit Deleuze als Rhizom aufgegriffen (vgl. S. 208) und die »Formen von wiederholter und suchtbedingter Gewalt in den Zusammenhang mit der Entwicklung unserer ›machine culture‹ gestellt« (ebd.). Dabei ist besonders die Assoziierung des serial killer mit Rassismus, Homosexualität und Nekrophilie interessant, wie der Autor dies auch an Oates’ Zombie nachzeichnet und dabei die Verschränkung und Überlappung ›fiktionaler‹ und ›realer‹ Elemente in der narrativen Konstruktion des Serienmörders herausstellt.

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Das serielle Morden des Protagonisten in American Psycho und dessen obsessives Bodystyling liest Poole als »prekäre Funktionalisierung des Körpers an der Schnittstelle von Ware und Krankheit« (S. 212) und der fetischisierte »hard body« (ebd.), an dem der Protagonist unermüdlich arbeitet, ist insofern als vom ›Anderen‹ potentiell bedrohtes, heterosexuelles Projekt zu verstehen. Die serielle Gewalt – samt den durch sie generierten Erzählungen – wird von Poole als Ausdruck eines Beinahe-Kollapses analysiert, in der der permanente Zwang zum Konsum (der Körper, des Textes) den Hintergrund einer Endlosschleife darstellt, die niemals zu befriedigen scheint. Die Konjunktur des Serienmörders, verglichen mit seinem ›tatsächlichen‹ Auftreten, veranschaulicht diesen auch als Projektionsfläche gesellschaftlicher Ordnungsphantasien und damit als Legitimationsfigur staatlicher Disziplinierungsmaßnahmen (vgl. 222–223).

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In dieser interessanten, aber manchmal zu verästelten Analyse erhalten die Erzählungen auch als Darstellungen des Scheiterns Bedeutung: In der Repräsentation absoluter Verdinglichung wird ein Scheitern ausagiert, das – sowohl für den Killer im nie endenden Zwang zum Morden, das gleichwohl keine Befriedigung bringen kann, wie auch für den Leser – in der endlosen Wiederholung des immer Gleichen besteht.

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Ruinöse Körper

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Der vierte Teil von Pooles Sammlung hebt ab auf »Räume, in denen Männer subversiv agieren« (S. 16) und betrachtet zunächst den Theaterraum des Reza Abdoh mit den gemarterten Körpern in Quotations from a Ruined City, die darin im Kontext von AIDS und Krieg fokussiert werden. Poole nähert sich der Befürchtung des drohenden »Verschwindens des Körpers und seiner Geschichte im von digitaler Simulation und dem Primat der Jetzt-Zeit als Selbst-Referenz ohne Erinnerung beherrschten Techno-Zeitalter« (S. 244) mit der Frage nach den Möglichkeiten des Theaters, jener Entwicklung zu trotzen.

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Als Reflektion eines Verlustes von Sprache in Anbetracht von Traumatisierung und Todeserfahrung stellt Quotations from a Ruined City die Verschränkung von Körper und Macht in den Mittelpunkt. So geht es um die Darstellung von (körperlichem) Leid, Krankheit und Tod und der Autor verweist zu Recht auf die Schwierigkeit der Repräsentation des kranken, verworfenen Körpers im Kontext der AIDS-Krise, soll dieser nicht weiter zum Spektakel werden. Dies führt zunächst zum Rückzug des Körpers, der nunmehr vermittelt dargestellt wird.

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In den 90ern jedoch, so Poole, kommt der Körper verstärkt, vor allem in Form von Körperprodukten, zurück in die Kunst und es gilt, eine neue Beziehung zwischen Körper und Text herzustellen. Abdoh schafft dies, »ohne dass es zu einem Kollabieren in reine Betroffenheitsprotokolle oder aber reine Gewaltdarstellung kommt« (S. 251), in dem immer wieder Stimmen, Körper, Sichtbarkeit und Zuordenbarkeit getrennt werden, wodurch eine Darstellung choreographiert wird, die sich nicht eins zu eins verstehen lässt. Mit Judith Butler begreift Poole das Theater Abdohs als »Resignifikation des AIDS-Spektakels« (S. 257) durch die gezielte Überstrapazierung des Körperthemas bei gleichzeitiger struktureller Dissoziierung von Sprech- und anderen Akten.

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Tea Room, Powder Room und Unisex-Toilette

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Im abschließenden Aufsatz »Wenn in tearooms nicht mehr Damen verkehren« wird vor allem einer derjenigen Orte betrachtet, die als signifikante Bestandteile einer schwulen Subkultur gelten können – die öffentliche Toilette. Unterschiedliche Konnotationen des tearoom werden anhand verschiedener popkultureller Beispiele zitiert, die etwa von John Rechys Roman The Sexual Outlaw aus den 1970er Jahren bis hin zur Serie Sex and the City reichen.

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Die historisch spezifische kulturelle Konstruktion des tearoom als sozialer Raum der Möglichkeiten sexueller, aber auch anderer Kontakte zwischen Männern, »als Ort geschlechtlich kodierten, sozialen Miteinanders« (S. 272), steht zunächst im Mittelpunkt. Das, was hier in der »Verknüpfung von sexuellem Austausch von Körperflüssigkeiten und verdauungsbedingten Körperausscheidungen« (S. 275) um die Jahrhundertwende nicht nur eine geschlechts-; sondern auch klassensegregierte Örtlichkeit markiert, etabliert sich im Zuge der aufkommenden Subkulturen im 20. Jahrhundert »als Teil der Sexualisierung öffentlicher Orte« (ebd.), zugänglich für unterschiedliche Schichten und Lebensläufe. Interessant ist das kulturelle Potential dieses Raums. Denn einerseits verweist er auf die fragliche und fragile Konzeption der Sphären Öffentlichkeit und Privatheit und andererseits stellt seine Umfunktionierung die Frage nach Intimität und Nähe auf neue Weise, die auch eine »Form sexueller Dissidenz« (S. 279) beinhaltet: »Öffentlicher Homo-Sex [...] agiert gegen jene dominante Vorstellung von Sexualität, die weder auf Anonymität noch auf Promiskuität und schon gar nicht auf Öffentlichkeit basiert« (ebd.). Poole betrachtet »[d]eviante Raumordnungen« (S. 271) hier aber nicht nur im schwulen Kontext, sondern zeigt auf, dass der hochkodierte Raum der Toilette ganz verschiedene sexuell-soziale Aushandlungen beherbergen kann.

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Fazit: Quer und Queer

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Mit dem lesenswerten Band liegt ein Buch vor, das aus unterschiedlichen Perspektiven einen Blick auf marginalisierte Männlichkeitsformulierungen wirft und sich damit erfreulicherweise nicht in den dominanten Reigen um ›die Krise der Männlichkeit‹ einreiht. In dem spannenden Beitrag zur in Deutschland zunehmenden Männlichkeitsforschung aus literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive werden zum Verständnis der durchaus ›krisenhaften Existenzen‹, die hier zur Debatte stehen, vielmehr die Querverbindungen diverser Zuweisungskategorien beleuchtet und gegen den Strich gebürstet, quer und queer gelesen. Die untersuchten Darstellungen von – gefährdeten und gefährlichen – Männlichkeiten werden hierbei auch als Entgrenzungsbewegungen, die gegen eine heteronormative Geschlechterökonomie gerichtet sind, wahrnehmbar. Der Band eröffnet darüber hinaus verschiedene Zugänge auf literarische wie kulturelle Darstellungen und Reflektionen der Verschränkungen von Differenzkategorien wie Geschlecht, Sexualität, Ethnizität und Klasse. Die Vielschichtigkeit von Pooles Ausführungen verschafft Leser(inne)n somit eine komplexe Lektüre. Wenn manche Punkte vielleicht nur angerissen werden, lädt dieses Buch damit aber zur weiteren Bearbeitung ein, indem es Schnittmengen mit angrenzenden theoretischen Disziplinen wie Gender und Masculinity Studies, Queer Theory und Whiteness Studies aufzeigt, die zudem auch höchst wünschenswert sind.