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Bayern in Lateinamerika

Transatlantische Verbindungen und interkultureller Austausch

  • Peter Claus Hartmann / Alois Schmid (Hg.): Bayern in Lateinamerika. Transatlantische Verbindungen und interkultureller Austausch. (Beihefte zur Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 40) München: C. H. Beck 2011. XIII, 350 S. EUR (D) 39,00.
    ISBN: 978-3-406-10723-8.
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Der Band ist das Ergebnis eines zweitägigen wissenschaftlichen Symposions, das im Februar 2011 im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München zum Thema Bayern und Südamerika in der Neuzeit stattfand. Sieht man von den Grußworten der bayerischen Staatsministerin Emilia Müller und des brasilianischen Generalkonsuls Marcelo Leonardo Da Silva Vasconcelos sowie der Zusammenfassung und dem Register ab, umfasst das Buch zwölf teilweise sehr spezielle Beiträge, von denen sich die Hälfte mit dem Wirken der Jesuiten aus der Oberdeutschen Provinz (die neben Altbayern den Schwäbischen Reichskreis, die Schweiz und das damalige Tirol abdeckte) in den verschiedenen Missionsgebieten Südamerikas im 17. und 18. Jahrhundert (bis zur Vertreibung des Ordens aus Spanisch-Amerika im Jahr 1767) beschäftigt.

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Von diesen sechs Referaten stützen sich vier mehr oder weniger stark auf das von der DFG geförderte Projekt Jesuiten zentraleuropäischer Provenienz in Portugiesisch- und Spanisch-Amerika (17./18. Jahrhundert) und stellen das Werk des Ordens und einzelner seiner Angehöriger in Brasilien, Neugranada, Peru und Chile in den Mittelpunkt.

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Fernando Amado Aymore beschreibt einleitend die Organisation der Jesuiten in Brasilien, bevor einzelne Ordensangehörige in Kurzbiographien vorgestellt werden. Hauptthema ist jedoch das von dem Schweizer Missionsoberen Jodocus Perret (1633–1707) verfasste Regimento das Missioes von 1686, das die Führung der Missionsdörfer und das Verhalten zu den Indianern in Amazonien in Abgrenzung zur staatlichen Verwaltung regeln sollte und deshalb von zentraler Bedeutung für die Arbeit des Ordens war. Auch Christoph Nebgen widmet sich zunächst dem Umfeld der in Neugranada (heute Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Panama) eingesetzten fünfzehn Jesuiten und gibt dann einen kurzen Überblick über ihr Leben und ihre Leistungen. Im Fall von Peru (Uwe Glüsenkamp) liegt der Schwerpunkt auf den verschiedenen Tätigkeiten des Ordens in diesem Gebiet. Dagegen wendet sich Michael Müller in seinem Beitrag über Chile dem Münchener Pater Karl Haimhausen (1692 1767) zu, der dem Orden über vierzig Jahre meist in führenden Positionen diente und dem die deutsche Jesuitenmission in Lateinamerika seit 1740 viele wichtige Impulse verdankte. Bei den beiden anderen Beiträgen kann sich Peter Claus Hartmann in seinem Referat über den Jesuitenstaat in Paraguay (1609–1768) auf eine eigene Untersuchung (1994) zum gleichen Thema 1 stützen und exemplifiziert das Wirken der Jesuiten an zwei Vertretern des Ordens, die zusammen über achtzig Jahre die Geschicke dieser Hierokratie mitbestimmten. Auch Sabine Anagnostou legt beim Thema Missionspharmazie eigene Forschungen (2000; 2011) zugrunde, wenn sie die Einrichtung von Apotheken und den Wissenstransfer zwischen europäischer und indigener Heilkunde untersucht.

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Naturgemäß können die anderen sechs ebenfalls chronologisch angeordneten Referate das Generalthema nur teilweise abdecken. Das 16. Jahrhundert wird zunächst repräsentiert durch Franz Obermeiers Würdigung des Straubinger Abenteurers Ulrich Schmidel (ca. 1500 – ca. 1580) und seines Reiseberichts über die Rio de la Plata-Region von ca. 1560 sowie von dessen Rezeption (mit umfassender Bibliographie). Das ökonomische und politische Fiasko des Augsburger Handelshauses der Welser in Neugranada (1528–1556) und die Folgen erörtert Wolfgang Wüst.

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Ab dem beginnenden 19. Jahrhundert spielen die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Bayern und dem Subkontinent eine besondere Rolle. Das gilt besonders für Brasilien, dem Eckhard E. Kupfer ein Übersichtsreferat widmet, das von Michael Puchta durch eine Studie anhand von Quellen aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv für die Zeit von 1814 bis 1950 breiter ausgeführt wird. Michaela Putz untersucht Ausmaß und administrative Bewältigung der Auswanderung von Bayern nach Lateinamerika im 19. Jahrhundert, die sich zahlenmäßig natürlich nicht mit dem Norden des Kontinents vergleichen lässt (sie erreichte nicht einmal ein Zehntel des Zustroms nach den USA und Kanada) und deshalb in der Forschung bisher wenig Beachtung fand, obwohl die deutsche Minderheit in vielen Staaten eine nicht unbedeutende Rolle spielte.

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Der Bezug zu Bayern ist mitunter nur schwach ausgeprägt. Das zeigt sich besonders deutlich im einzigen Referat, das ganz ins 20. Jahrhundert gehört und die beiden Diplomaten Gebhard Seelos (1901–1984) und Karl Graf Spreti (1907–1970) vorstellt (Rainald Becker). Der Münchener Seelos wirkte von 1962 bis 1966 als bundesdeutscher Botschafter in Brasilien, der Niederbayer Spreti in gleicher Funktion seit 1960 in Kuba, der Dominikanischen Republik und Guatemala, wo er 1970 ermordet wurde. Ein spezifisch bayerisches Element lässt sich bei der Tätigkeit beider allenfalls indirekt feststellen.

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Auf der anderen Seite vermisst man Themen, die der Mitherausgeber Alois Schmid in seiner Zusammenfassung teilweise selbst benennt, etwa die Expeditionen der beiden Naturforscher Carl Friedrich Philipp von Martius und Johann Baptist von Spix in Brasilien, die Heirat der bayerischen Prinzessin Amalie von Leuchtenberg mit Kaiser Dom Pedro I. von Brasilien (1829), auch wenn dies eine Episode ohne Folgen blieb, oder die Flucht bzw. Emigration bayerischer Nationalsozialisten nach Lateinamerika.

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Alois Schmid stellt diesen Tagungsband in eine Reihe ähnlicher Themenstellungen von Symposien wie Bayerisch-chinesische Beziehungen in der frühen Neuzeit (2007, erschienen 2008), Von Bayern nach Italien (2010) und Bayern und Russland (für 2012 vorgesehen). Den Hintergrund für diese Aktivitäten bildet eine Neuausrichtung der bayerischen landesgeschichtlichen Forschung auf den Schwerpunkt Außenbeziehungen. Dazu sind bereits einige »hochrangige Qualifizierungsschriften « (Schmid) erschienen; weitere sollen folgen. Für das neue Großprojekt steht »in den Archiven uferloses Quellenmaterial zur Verfügung, das noch der Auswertung harrt« (Schmid, S. 322). Der Rezensent hegt trotzdem leise Zweifel, ob dieses Vorhaben den Historischen Atlas von Bayern (HAB), der offenbar zum Abschluss kommt, in seiner ganzen Bedeutung und Breite ablösen kann.

 
 

Anmerkungen

Der Jesuitenstaat in Südamerika 1609–1768. Eine christliche Alternative zu Kolonialismus und Marxismus. Weissenhorn: Konrad, 1994.   zurück