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Simulative Verhältnisse

Authentizität im Serienmordfilm

  • Stefan Höltgen: Schnittstellen. Serienmord im Film. (Marburger Schriften zur Medienforschung 16) Marburg: Schüren 2010. 420 S. zahlr. tw. farbige Abb. Paperback. EUR (D) 29,90.
    ISBN: 978-3-89472-555-6.
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Ziel und Aufbau des Buches

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Die Faszination am Phänomen Serienmord lässt sich nicht nur an der Unmenge popkultureller Erzeugnisse und der massenmedialen Aufmerksamkeit ablesen, sondern auch am Umfang der Forschungsliteratur zum Thema. Auf gesteigertes Interesse stößt dabei ganz offensichtlich das Thema »Serienmord im Film«, denn der hier zu besprechende Band von Stefan Höltgen ist bereits das vierte deutschsprachige Werk, das sich innerhalb der letzten Dekade diesem Aspekt widmet. 1

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Höltgens Buch 2 passt sich insofern in diesen Forschungsdiskurs ein, als auch er davon ausgeht, dass den Serienmordfilm ein »simulatives Verhältnis zur außerfilmischen Wirklichkeit« (S. 13) auszeichne. Anders als fiktionale Thriller oder fantastische Horrorfilme beziehe sich der Serienmordfilm beständig auf die Alltagserfahrungen seiner Zuschauer und verschaffe ihnen mit dem konstitutiven Verweis darauf, dass sein Sujet möglich sei, einen »horriblen Bonus« (ebd.). An dieser »Schnittstelle« zwischen Fakt und Fiktion stelle sich jedoch auch die Frage, »wie weit die fiktionale Darstellung gehen kann, darf und muss, damit das Vergnügen nicht ausbleibt« (S. 12). Höltgens analytische Arbeit richtet sich entsprechend darauf, diese Schnittstelle auszuloten und die wechselwirkenden Bezüge zwischen außerfilmischer Realität und Serienmordfilm aufzuzeigen. Wechselwirkend sind diese Bezüge deshalb, weil außerfilmische Diskurse wie etwa kriminologische und juristische Debatten in den Serienmordfilmen verarbeitet werden und umgekehrt Serienmordfilme ihrerseits die außerfilmischen Diskurse entscheidend mitprägen.

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Im Einklang mit der Grundthese vom simulativen Verhältnis zwischen Serienmordfilm und außerfilmischer Wirklichkeit stellt Höltgen vor allem den zweiten Einflussfaktor, die Filmwirkung also, in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Er will zeigen, »welche Strategien filmästhetischer Produktion und gesellschaftlicher Rezeption zu den vielfältigsten zirkulären Einfluss- und Rückfluss-Erscheinungen führen« (S. 11). Als zentrales Moment dieser medialen Wirkungserzeugung auf Seiten des Serienmordfilms identifiziert Höltgen die filmischen Strategien der Authentizitätserzeugung, worunter zum Beispiel Rekurse auf historische Serienmordfälle, aber auch quasi-dokumentarische Inszenierungen oder Filmtechniken wie etwa das Kamerawackeln fallen.

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Authentizität ist für Höltgen eine »Ästhetik der Konstruktion«, wie der Titel des zweiten Kapitels verrät. Damit sei, ganz im Sinne der konstruktivistischen Filmtheorie, keineswegs gemeint, »dass in den Filmen eine wie auch immer geartete außermediale ›Realität‹ zur Darstellung gelangt«. Die Authentizitätsästhetiken des Serienmordfilms seien vielmehr auf eine Weise konstruiert, dass etwas authentisch wirke; es handele sich hierbei um einen ästhetischen Prozess, der den »Realitätseindruck erst konstruiert« (alle Zitate S. 14; kursiv im Original).

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Die Authentizitätsstrategien des Serienmordfilms und damit dessen simulatives Verhältnis zur außerfilmischen Wirklichkeit arbeitet Höltgen zunächst theoretisch (Kapitel 2) und dann anhand von 37 Serienmordfilmen auch analytisch heraus (Kapitel 3). Das dritte Kapitel – mit annähernd 300 Seiten das bei weitem längste – ist chronologisch aufgebaut und hat, wie der Autor festhält, einen beinahe enzyklopädischen Charakter. Ein abschließendes Kapitel fasst die zuvor ermittelten Diskurse des Serienmordfilms zusammen, bevor ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Film- und ein Personenregister den Band, der übrigens 220 zum Teil farbige Abbildungen enthält, abschließen.

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Die wichtigsten Ergebnisse der beiden Hauptkapitel sollen vor der Auseinandersetzung mit »Schnittstellen« im Folgenden kurz zusammengefasst werden. Der Aufbau der Besprechung folgt dabei der Kapitelstruktur des Buches.

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Authentizitätsstrategien

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Höltgen macht zu Beginn des zweiten Kapitels über »Authentizität als Ästhetik der Konstruktion« noch einmal seinen konstruktivistischen Standpunkt deutlich: Da Medienwirklichkeiten vermittels ästhetischer Mittel versuchten, die Gemachtheit etwa eines Films zu verschleiern, müsse Authentizität gleichsam nachträglich wieder hergestellt, also mit ebenfalls ästhetischen Mitteln in einem Prozess der Authentisierung eigens erzeugt, eigens konstruiert werden (S. 17).

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Unter dieser Perspektive vollzieht der Autor zunächst die Authentizitätsdebatten in der Filmwissenschaft nach, wobei die Diskussionen um Authentizität im Dokumentarfilm, in Doku-Fiktionen und schließlich im True Crime- und im Serienmordfilm zur Sprache kommen. Höltgen arbeitet überzeugend den Kern dieser Debatten heraus: die (misstrauische) Frage nach der Echtheit und damit durchaus nach der Wahrheit des Dargestellten.

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Im zweiten Teil des Kapitels widmet sich der Autor ausführlich den Authentizitätsstrategien im Serienmordfilm, um für die Analyse der Filme »über einen Katalog an Authentizitätsästhetiken des Serienmordfilms zu verfügen« (S. 30). Zunächst geht Höltgen davon aus, dass das Genre bereits aufgrund seiner kriminalhistorischen Referenzen und der jederzeitigen Möglichkeit des Sujets beim Betrachter den Eindruck von Authentizität herstelle – Höltgen bezeichnet diese konstitutiven, außerfilmischen Bezüge als »hybridisierende Authentizitätsästhetiken« (ebd.), da sie die Grenze zwischen Fakt und Fiktion verwischten. Das mache den spezifischen, stark affektiven Charakter der Filme aus, der – als ästhetische Strategie eingesetzt – nicht selten einen »somatischen Wirklichkeitseindrucks« zur Folge habe (ebd.).

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Höltgen unterteilt die in Serienmordfilmen eingesetzten Verfahren zur Authentisierung in drei Kategorien: in historisierende, ontologisierende und somatisierende Strategien beziehungsweise Ästhetiken. Der Serienmordfilm bediene sich historisierender Authentizitätsstrategien, indem er dokumentarische Techniken wie textuelle Ergänzungen des Filmbildes und scheinbar authentische Szenen nutze oder Bezüge zu historischen Serienmordfällen herstelle. Der Serienmordfilm bediene sich ontologischer Authentisierungsstrategien, wenn er Verfahren der Inter- und/oder Paratextualität (zum Beispiel explizite Hinweise auf Authentizität im Vorspann) oder der Metalepse (Durchbrechen der »vierten Wand« zum Zuschauer, Mitinszenierung von Produktionstechnik) verwende.

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Und schließlich bediene er sich somatisierender Authentisierungsstrategien, indem Strategien eingesetzt würden, die direkt auf den Körper des Zuschauers wirkten und so in die Wirklichkeit des Zuschauers eingriffen. Bei diesen Strategien des Serienmordsfilms unterscheidet Höltgen noch einmal zwischen Techno- und Psycho-Affekten: Erstere wirkten durch die Montagetechnik als Schock auf den Zuschauer, der darauf mit psychischem Schutz vor diesem Reiz reagiere. Diesen wiederum gelte es mit noch intensiveren ästhetischen Mittel erneut zu überwinden. Auch Psycho-Affekte wirkten auf den Körper des Zuschauers, wenn es, wie in Horror- und Pornofilmen und Melodramen, um die Evozierung einer körperlichen Reaktion (Angst, Erregung, emotionale Überwältigung) auf das Gesehene geht. So auch im Serienmordfilm, der seinen Zuschauern stets neue Attraktionen bieten müsse und dadurch immer »affektproduktiver« (S. 48) geworden sei, was mittlerweile in einer Überbietungsspirale etwa um ein möglichst authentische anatomische Repräsentation von Wunden kulminiere. Gleichwohl sei die Affektproduktion im Serienmordfilm eben nicht nur eine ästhetische Strategie unter anderen, sondern das hauptsächliche ästhetische Stilmittel (S. 52).

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Enzyklopädie des authentischen Serienmordfilms

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Höltgen analysiert 37 Filme, die aufgrund ihres Authentizitätsgehalts, ihrer diskurs- und motivgeschichtlichen Relevanz sowie nach dem Grad ihres medialen Echos ausgewählt worden sind. Im Unterschied zu bisherigen Untersuchungen, die eher thematisch strukturiert seien und die Filme als Beispiel für den jeweils besprochenen Sachverhalt heranzögen (Höltgen bezieht sich explizit auf die Arbeiten von Juhnke und Schwab), wählt Höltgen einen chronologischen Weg – nicht zuletzt, um der historischen Progression der in ihnen verhandelten Diskurse gerecht zu werden (S. 55). Darüber hinaus bildeten die Filme selbst auf diese Weise abgegrenzte Einheiten; dies verleihe, so Höltgen, der Analyse einen enzyklopädischen Charakter, vermeide aber auch die Redundanzen einer inputhermeneutischen Herangehensweise, nach der eine leitende Fragestellung dazu führen könne, dass wichtige Details nicht oder falsch wahrgenommen werden (S. 14 f.). Höltgen unterteilt seine Motiv- und Diskursgeschichte des authentischen Serienmordfilms in vier Phasen:

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1. Die frühe Phase (1895–1945). Serienmord wurde bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts filmisch verarbeitet, wobei die meisten Filme vor allem auf Jack the Ripper rekurrierten. Viele dieser frühen Filme bezogen sich zudem auf die junge Psychoanalyse und machten einerseits die Tätersuche als (psychologische) Spurensuche, andererseits die Täterpsyche als Triebstruktur verstehbar. Analysierte Filme dieser Phase sind etwa Das Wachsfigurenkabinett (1924) von Paul Leni, The Lodger (1927) von Alfred Hitchcock und natürlich M – Eine Stadt sucht einen Mörder (1931) von Fritz Lang. Diskurs- und motivgeschichtlich bedeutsam gewesen für diese Phase sei die Konstruktion des Täters als ›Jedermann‹, die eine »Affektproduktion durch Verunsicherung« (S. 63) und zugleich die Identifikation des Zuschauers mit den Protagonisten (und damit auch dem Mörder) ermöglicht habe. Früh wurde auch das psychoanalytisch begründete und später durch Anthony Perkins Darstellung in Psycho ikonisch gewordene Motiv des krankhaften Mutterbezugs in den Serienmordfilm eingeführt.

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2. Die klassische Phase (1946–1959). Diese sei vor allem durch die Arbeiten deutscher Exilregisseure wie Robert Siodmak und Fritz Lang geprägt worden. Höltgen stellt die Serienmordfilme dieser Phase in einen (welt-)politischen Kontext: Sie seien zunächst für eine Abrechnung mit dem Nationalismus, dann als Anklage gegen die politische Verfolgung von Künstlern im Zusammenhang mit der Kommunisten-Verfolgung der McCarthy-Zeit politisch instrumentalisiert worden. Stilistisches Merkmal dieser unterliegenden politischen Botschaft sei die zunehmende Ununterscheidbarkeit zwischen Täter und Vermittler gewesen, ein Merkmal natürlich des film noir, den diese Film motivgeschichtlich durchaus mitprägten. In dieser klassischen Phase habe sich nicht nur das Motivinventar stabilisiert, sondern auch das Personal vor (zum Beispiel Vincent Price, Boris Karloff) und hinter der Kamera (zum Beispiel Siodmak, Lang) etabliert. Die entscheidende Entwicklung habe die Figur des Serienmörders durchgemacht: Er »verliert seinen Nimbus als Monster zusehends zugunsten einer psychologisch komplexer gezeichnet Persönlichkeit« (S. 100). Analysierte Filme dieser Phase sind unter anderem The Spiral Staircase (1947) von Robert Siodmak, Monsieur Verdoux (1947) von Charlie Chaplin, Nachts, wenn der Teufel kam (1957) ebenfalls von Siodmak oder Es geschah am hellichten Tag (1958) von Ladislao Vajda. Die Beispiele Charlie Chaplin oder Heinz Rühmann zeigten im Übrigen, dass der Serienmordfilm immer auch mit der Zuschauererwartung an eine rollenspezifische Besetzung gespielt habe.

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3. Die moderne Phase (1960–1989). Diese Phase sei kinogeschichtlich von der Konkurrenz durch das Fernsehen geprägt, das die Studios unter anderem dazu gezwungen habe, neue Sehgewohnheit der Zuschauer zu antizipieren. Zentrales stilistisches Merkmal sei die enge Verbindung zwischen Sehen und Morden gewesen, die – auf häufig selbstreflexive Weise – die Serienmordfilme der Zeit ausmachten. Parallel dazu habe eine deutlich explizitere Darstellung von Sexualität und Gewalt den Authentizitätscharakter der Filme verstärkt. Gleich der erste Film dieser Phase, Hitchcocks Psycho (1960) habe darüber hinaus ein weiteres, später konstitutives Element des Serienmordfilms definiert: die Manipulation des Zuschauers, was sich bei Hitchcock allerdings zur Kontrolle des Zuschauers ausweitete, wie Höltgen umsichtig heraus arbeitet. Gegen Ende der Phase hätten Elemente des Dokumentatorischen zu einem weiteren Authentisierungsschub geführt – am deutlichsten vielleicht in Henry – Portrait of a Serial Killer (1986) von John McNaughton. Der Film inszeniere seine Affektübertragung auf den Zuschauer (erreicht vor allem durch die Verwendung der durch die Täter selbst gedrehten Tatvideos) mit der durchaus kritischen Absicht, dem lediglich auf Schauwerte bedachten Filmpublikum seine Tat-Verharmlosung und Täter-Glorifizierung (S. 249) vor Augen zu führen – im Wortsinn.

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4. Die postmoderne Phase (1990–2004). Auch diese Phase beginnt mit einem das Genre definierenden Film, mit The Silence of the Lambs (1991) von Jonathan Demme. Während die spezifische Figurenkonstellation bereits den Authentisierungsstrategien der literarischen Vorlage von Thomas Harris zu verdanken ist (Harris besuchte mehrfach die ›Behavioral Science Unit‹ des FBI), etabliert Silence diese nun, mit ähnlichen Strategien, auch visuell. Diese außerfilmische Referenz steht im zeitlichen Zusammenhang mit der verstärkten medialen Aufmerksamkeit, die dem Thema Serienmord zu Beginn der 1990er Jahre in den USA geschenkt wurde: Vorbereitet durch eine Phase Anfang der 1980er Jahre, als das FBI einerseits die Bedrohung durch Serienmörder stark überzeichnete und andererseits sich selbst als potenten Problemlöser anbot, machten spektakuläre Serienmordfälle (Dahmer, Wuornos) das Thema zum Gegenstand gesteigerter medialer Repräsentation. Neben Ästhetiken des postmodernen Kinos (zum Beispiel ästhetisierte Gewaltdarstellung, Selbstreflexivität, Verwischung von Gattungs- und Mediengrenzen) zeichnen sich die Filme dieser Zeit auch durch Hyperrealisierung aus: Die belgische Produktion Mann beißt Hund (1992) etwa macht den Zuschauer mittels simulativer und authentisierender Strategien, die eine nie dagewesene »Ästhetik des Distanzverlusts« (S. 268) zur Folge gehabt hätten, zu Zeugen und zwingt sie zur Reflexion ihrer eigenen Position (die Kameraführung gleicht der eines Dokumentarfilms, mit dem Zuschauer in der Rolle der Kameraperson). Natural Born Killers (1994) von Oliver Stone erhob den Appell zur Selbstreflexion zum Programm – und scheiterte, weil er genau das zeigte, was er zu kritisieren dachte (S. 292).

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Schlussbemerkungen

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Höltgen ist mit »Schnittstellen« ein Buch gelungen, dass den Kern des Serienmordfilms – die Ästhetik des Authentischen – sowohl theoretisch als auch filmanalytisch in seiner Breite und in seiner Tiefe auslotet. Er stellt in der Tat das angekündigte Panorama der im Serienmordfilm verwendeten Strategien zur Authentisierung bereit und konkretisiert diese Strategien im Rahmen von sorgfältigen Filmanalysen, die eine Vielzahl interessanter und wichtiger Aspekte bieten, die hier gar nicht alle angesprochen werden konnten. Durch seinen theoretisch-analytischen Ansatz kann Höltgen zeigen, dass das simulative Verhältnis des Serienmordfilms zur außerfilmischen Wirklichkeit nicht nur ästhetisches Mittel, sondern konstitutives Moment ist, dem vielfach auch eine, wenn nicht politische, so doch gesellschaftskritische Kommentarabsicht innewohnt.

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Damit erreicht Höltgen auch das zweite von ihm verfolgte Ziel, nämlich die wechselseitigen Wirkungsflüsse zwischen Serienmordfilm und gesellschaftlichen Diskursen offen zu legen. Dies unternimmt der Autor weniger auf systematische Weise als im Kontext der Filmanalysen. Hier kann er erhellend nachweisen, wie gesellschaftliche Diskurse in die Produktions- und Inszenierungsbedingungen der Filme hinein ragten. Dem kommt auch die chronologische Anlage entgegen, die vor allem in Hinsicht auf die Parallelisierung der filmischen und der außerfilmischen Realitäten gut funktioniert. Zudem entsteht auf diese Weise tatsächlich eine Art Enzyklopädie des Serienmordfilms, die auch allein als solche, gleichsam ohne theoretischen Überbau, gewinnbringend gelesen werden kann.

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Die Einteilung in (chronologische) Phasen erscheint bei aller nachträglichen Stimmigkeit gleichwohl etwas schematisch; sie homogenisiert letztlich doch recht verschiedenartige Filme, die mehr oder weniger deutlich bestimmte Merkmale teilen. Gleiches gilt für die außerfilmischen Einflussfaktoren: So richtig es ist, den Blick auf die wechselseitigen Einflussmechanismen zwischen außerfilmischer Realität und Film zu richten, so eindimensional kann das Unterfangen doch enden – darin etwa, festzustellen: Der Serienmordfilm verarbeitet historische Fälle und gesellschaftliche Debatten über Serienmord und wirkt seinerseits auf diese zurück. Diese Falle wurde nicht immer umgangen. Epochen zu definieren und ihre Grenzen zu ziehen ist zwar immer ein schwieriges Unterfangen; der Historiker wird hier aber zumindest eine Tiefe vermissen, die über »Ende Zweiter Weltkrieg«, »kalter Krieg«, »Postmoderne« hinausgeht.

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Eine ähnliche Tiefe hätte man sich auch im Hinblick auf das Gesamtthema, den Serienmordfilm, gewünscht – ein Wunsch, der aber auch der durch den Publikationsverlauf der Arbeit geweckten Erwartungshaltung des Rezensenten geschuldet sein mag. Die Dissertation als Qualifikationsarbeit nimmt sich einen Ausschnitt des Themas zur vertieften Analyse vor, in diesem Falle eben die Authentisierungsstrategien des Serienmordfilms. Da die Dissertation bereits online veröffentlicht war, 3 richtete sich die Erwartung auf den Untertitel des Buches, »Serienmord im Film«, darauf, dass es sich, wenn schon um keine Einführung, so doch um einen allgemeineren Abriss des Themas handelt. Jedoch halten sich die Veränderungen gegenüber der publizierten Dissertation in Grenzen; der Aufbau ist identisch, nur kleinere Passagen sind verändert. Diese Bemerkung berührt natürlich mitnichten die inhaltliche Leistung des Bandes. Gleichwohl warten wir weiterhin auf eine, die vielen Aspekte (Motivgeschichte, Gewaltdarstellung, Täter-, Ermittler- und Opfertypen usw.) des Serienmordfilms zusammen schauende Darstellung.

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Höltgen ist sich dieser Einschränkung bewusst, begrenzt er seine Motiv- und Diskursgeschichte doch auf den authentischen, genauer: auf den authentisierenden Serienmörderfilm. Diese Einschränkung ist insofern völlig stimmig, als die nachträgliche Authentizitätssimulation des inszenierten Produkts den Kern des Serienmordfilms ausmacht. Es stellt sich aber dennoch die Frage: Gibt es auch noch eine andere Art Serienmordfilm als den authentischen? Wenn nein, dann ist der Serienmordfilm per se authentisierend und nichts weiter. Wenn ja, dann wäre eine Abgrenzung hilfreich gewesen.

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Darüber hinaus scheint mir mit der Fokussierung auf die Authentisierungsstrategien zudem sogar noch eine gewisse Gefahr zu bestehen, zumindest eine Herausforderung, nämlich den geraden Weg nicht zu verlassen und den kreisförmigen des Zirkelschlusses einzuschlagen. Es gilt, sich beim (forschenden) Betrachten der Filme klar zu machen, dass Authentisierungsstrategien Inszenierungen sind, die den Inszenierungscharakter des Films verschleiern und Wirklichkeit simulieren, aber nicht Wirklichkeit sind. Dies zu übersehen (ebenfalls im Wortsinn) birgt die Gefahr, der Strategie zu erliegen. Man ist/wird versucht, Parallelen zu ziehen zwischen dem Gesehenen und der außerfilmischen Wirklichkeit. Und genau das soll man ja auch; aber eben als Teil der Inszenierung. Im Grunde verstärkt der Serienmordfilm die ohnehin vorhandene Tendenz von Zuschauern, die Welt der Fiktion für uninszenierte Wirklichkeit zu halten und sie so zu deuten, wie man Ereignisse der empirischen Welt deutet. 4 Authentisierung im Serienmordfilm zu erkennen, ist eine Herausforderung und erfordert vom Zuschauer, gegen erheblichen Widerstand (gegen die clever eingesetzten Authentisierungsstrategien nämlich) die authentisierende Verschleierung der verschleierten Inszenierung zu entlarven.

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Noch ein Wort zu einer merkwürdigen Leerstelle. Höltgens Konzentration auf die Authentisierungsstrategien von Serienmordfilmen macht die Nichtberücksichtigung dreier Serienmordfilme verständlich und unverständlich – zugleich. Weder Se7en (1995) von David Fincher noch The Bone Collector (1999) von Philipp Noyce oder American Psycho (2000) von Mary Harron werden analysiert. Das verwundert auf den ersten Blick und lädt zu der Vermutung ein, dass diese Auslassung etwas mit dem artifiziellen Inszenierungscharakter dieser Filme zu tun hat.

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In Se7en stellt ein Serienmörder mit seinen Morden methodisch die sieben Todsünden nach; hier scheint ein Serienmordfilm eher den umgekehrten Weg zu gehen, nämlich die vermeintliche Zuschauererwartung, dass Serienmörder hochintelligente Individuen sind mit dem Hang zur organisierten Gestaltung der Tatorte zwecks Kommunikation (einer Botschaft), unkritisch zu bedienen. Ähnliches gilt für The Bone Collector. Damit wäre der Pfad der Hyperauthentisierung, also der bewussten Bedienung von populär-kanonisiertem Zuschauerwissen über Serienmörder, beschritten, der die beiden genannten Filme zumindest graduell von anderen unterscheidet und so aus dem Buch ausschließen könnte. 5 Das trifft auf American Psycho jedoch nicht zu. Meines Erachtens hätte dieser Film unbedingt seinen Weg in Höltgens Buch finden müssen, da er mit all seinen, auf ästhetisierende Weise eingesetzten Markenverweisen der Serienmordfilm mit dem höchsten Grad an Authentisierung überhaupt ist. Gerne hätte man eine ähnlich dichte Analyse über diesen Film gelesen.

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Abschließend aber ist es noch einmal Aufgabe des Rezensenten, den sich hier hoffentlich nicht allzu breit machenden kritischen Ton als weitgehend marginal zu kennzeichnen und das Buch in seiner Gänze erneut zu loben, nämlich als eine informierte und informierende, gut geschriebene Abhandlung über das, was den Serienmord im Innersten ausmacht: ein simulatives Verhältnis zur außerfilmischen Wirklichkeit, die letztlich eben unsere Wirklichkeit ist.

 
 

Anmerkungen

Karl Juhnke: Das Erzählmotiv des Serienmörders im Spielfilm. Eine filmwissenschaftliche Untersuchung. Wiesbaden 2001 (vgl. dazu die Rezension von Joachim Linder [http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=2245]); Angelica Schwab: Serienkiller in Wirklichkeit und Film. Störenfried oder Stabilisator? Eine sozioästhetische Untersuchung. Münster u.a. 2001 [vgl. dazu die Rezension von Klaus Bartels [http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=1972]). Man kann auch den 2010 im Verlag Bertz + Fischer von Stefan Höltgen zusammen mit Michael Wetzel publizierten Band Killer/Culture. Serienmord in der populären Kultur hinzu zählen, denn die Mehrzahl der darin enthaltenen Beiträge beschäftigt sich mit Serienmord im Film.   zurück
Es stellt zugleich die veränderte Fassung seiner Dissertation, die Höltgen 2008 an der Universität Bonn eingereicht und 2009 online publiziert hat, dar.   zurück
Höltgen, Stefan: Schnittstellen – Die Konstruktion von Authentizität im Serienmörderfilm. Diss. Universität Bonn 2009 (http://hss.ulb.uni-bonn.de/2009/1761/1761.pdf).   zurück
Gerigk, Horst-Jürgen: Lesen und Interpretieren. Göttingen 2002, S. 30.   zurück
Allerdings wird Copycat analysiert, der auf ähnliche Weise auf das Zuschauerwissen rekurriert, um seine Authentisierungsstrategien wirksam einsetzen zu können.   zurück