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Buchkommunikation 2.0

  • Anke Vogel: Der Buchmarkt als Kommunikationsraum. Eine kritische Analyse aus medienwissenschaftlicher Perspektive. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 10.10.2011. 387 S. Paperback. EUR (D) 49,95.
    ISBN: 978-3-531-18387-9.
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Die Buchwissenschaftlerin Anke Vogel hat sich in ihrer Dissertation von 2011 die Aufgabe gestellt, die Kommunikationsprozesse des gesamten aktuellen Buchmarkts zu beleuchten. Die Herangehensweise an den Untersuchungsgegenstand, wonach es sich um eine »kritische Analyse aus medienwissenschaftlicher Perspektive« handelt, präzisiert sie in ihrer knappen Einleitung. Dort stellt Vogel klar, dass sie sich von dem linearen Modell der Kommunikationsprozesse im Buchmarkt, wie es Darnton formuliert hat, abgrenzen möchte, da dieses viel zu wenig aktuelle Entwicklungen berücksichtigt – was freilich Darntons Modell, das noch aus den 1990er Jahren stammt, nicht unbedingt anzulasten ist. Ihr ist es also um eine Modifikation dieses Modells zu tun, das einerseits neuere Phänomene (wie Medienkonvergenz beziehungsweise Intermediation) berücksichtigt und andererseits ermöglicht, die Verlaufsrichtung der Kommunikation aus umgekehrter Perspektive in den Blick zu nehmen. Ohne das modische, aber alles andere als unproblematische Schlagwort von der ›Aufmerksamkeitsökonomie‹ zu bemühen, hält sie fest, dass die voranschreitende Ausdifferenzierung der Massenmedien und damit die Vervielfachung der dem Buchmarketing zur Verfügung stehenden Kanäle vom Adressaten her in den Blick zu nehmen sind. Die entscheidende Frage lautet also: »Wie kommt der Konsument zu (s)einem Buch?« (S. 10).

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Zum Aufbau der Arbeit

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An Forschungsstand und Klärung der für ihre Darstellung zentralen Begriffe wie ›Kommunikation‹, ›Medium‹ und ›Buch‹ schließen sich vier Großkapitel an, wovon das erste die an der Buchmarktkommunikation beteiligten Akteure, Gegenstände und ihre Eigenschaften in den Blick nimmt. Im Zentrum der folgenden drei Kapitel wird dann die Kommunikation selbst jeweils in Hinblick auf unterschiedliche Bezugsgrößen verhandelt. Die Arbeit wird mit einem kurzgehaltenen Kapitel zur Frage »Vernetzung als Chance für die Buchindustrie?« und einem ausführlichen Literaturverzeichnis abgeschlossen. Ein die Orientierung erleichterndes Register fehlt leider, was jedoch angesichts der kleinteiligen Darstellung in den Analysekapiteln zu verschmerzen ist. Die genannten vier Großkapitel sollen im Folgenden genauer dargestellt werden.

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Die »Medienökonomische Relevanz von Kommunikation für den Buchmarkt« (S. 35–123) ist Gegenstand des ersten Analysekapitels. Vogel untersucht hier Kommunikation in Hinblick auf ihre ökonomische Bedeutung für Produzenten, Distribuenten und Konsumenten. Einer ihrer Schlüsselbegriffe ist dabei die »Kommunikationspolitik« von buchhändlerischen Unternehmen, worunter sie zunächst alle kommunikativen Handlungen versteht, die ein Unternehmen nach außen richtet. Es liegt auf der Hand, dass dabei der Aspekt ›Werbung‹ von nicht geringer Bedeutung ist. Vogel setzt sich hier detailliert mit aktuellen Marketingstrategien auseinander, wobei hervorzuheben ist, dass sie alle beteiligten Institutionen und Akteure gleichermaßen berücksichtigt. Sie belässt es also nicht nur dabei, das Marketing von Verlagen, Zwischenbuchhandel und Sortimenten darzustellen, sondern widmet sich darüber hinaus ausführlich dem Konsumenten, nimmt also das Buchmarketing von allen Seiten in den Blick. Wer sich sowohl einen Überblick über Marketingstrategien des gesamten Buchhandels als auch über die Kaufmotivationen der Konsumenten oder die marketingrelevanten Eigenschaften des Konsumguts Buch verschaffen möchte, wird hier kenntnisreich auf den neuesten Stand gebracht.

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Die folgenden drei Kapitel nehmen die Kommunikation im eigentlichen Sinne in den Blick. Zunächst widmet sich Vogel dem Thema »Personale Kommunikation« (S. 125–167). Hier differenziert sie zunächst die unterschiedlichen Kategorien der personalen Kommunikation aus, stellt anschließend ihre Funktionen heraus und zeigt schließlich, welche Relevanz sie heute für wen haben. Dabei spannt Vogel einen Bogen vom ›traditionellen‹ Face-to-Face-Verkaufsgespräch im Einzelhandel hin zu Buchevents, Viralem Marketing und Lesegruppen. Und auch hier berücksichtigt sie wiederum alle Akteure des Buchhandels, sie widmet sich also beispielsweise auch Vertretergesprächen, der personalen Kommunikation von Key Account Managern oder von Vertriebsmitarbeiter[inne]n.

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Das sich anschließende Kapitel behandelt die »Massenmediale Kommunikation« (S. 169–243). Etwas redundant erscheint mir hier die historisch weit ausholende Darstellung des Massenmediums ›Zeitung‹ – dass es schon im 17. Jahrhundert Zeitungen gab, trägt für den Gegenstand dieser Untersuchung im Grunde nichts aus. Viel instruktiver sind die Ausführungen zur kommunikativen Funktion der Medien, ihre ökonomische Relevanz und ihre kulturpolitische Bedeutung, die Vogel jeweils zunächst abstrakt darstellt und anschließend auf deren Stellenwert für das Buchmarketing fokussiert. Höchst interessant ist schließlich die Zusammenfassung der vorliegenden empirischen Studien über den Zusammenhang von massenmedialer Kommunikation und Buchkaufverhalten. Vogel stellt hier klar, dass selbst methodisch aufwändige Untersuchungsverfahren die unmittelbare Wirksamkeit von Massenmedien auf den Buchmarkt nur bedingt abbilden können, da sich nie ausschließen lässt, ob nicht auch personale Kommunikationsprozesse an Meinungsbildung und Wertungshandlungen der Konsumenten (wie etwa Kaufentscheidungen) ihren Anteil hatten. Dass die Massenmedien von großer Bedeutung vor allem für die Information über den Buchmarkt sind, lässt sich gleichwohl nach wie vor behaupten; Vogel zeigt jedoch mit Verweis auf einschlägige Studien, wie unterschiedlich sich die Relevanz einzelner Medien in Abhängigkeit vom Bildungsgrad der Konsumenten auswirkt und wie sich die Bedeutung einzelner Medien in den letzten Jahren hierarchisch verschoben hat.

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Etwas schwächer fällt der Abschnitt über die unterschiedlichen massenmedialen Repräsentationsformen des Buchmarketings und der Literaturvermittlung aus. Vogel unterscheidet hier zunächst zwischen nicht-fiktionalen und fiktionalen Darstellungsformen; dass sie hier auf einen etwas unterbelichteten Fiktionalitätsbegriff rekurriert, überrascht, da sie bei der anschließenden, etwas pedantischen und sehr normativen Inventarisierung von Textsorten wie Rezension, Essay, Aufsatz, Glosse et cetera, die sie jeweils anhand von Einführungen, Handbüchern und Lexika definiert, im Grunde von einem textlinguistischen Modell ausgeht, in dem Fiktionalität eigentlich keine Rolle spielt. Aus dem gleichen Grund ist auch der Abschnitt über fiktionale Darstellungsformen als massenmediale Repräsentationen des Buches nur wenig überzeugend. Vogel fasst darunter sowohl die Erwähnung von Büchern in Büchern, als auch Adaptionen und Medialisierungen von Texten sowie Genres wie das Hörspiel ‑ aber auch, dass der Förster vom »Forsthaus Falkenau« den Brockhaus im Regal stehen hat, fällt für sie in diese Kategorie. Was das alles aber bedeutet, von welcher Relevanz dies für den Buchmarkt ist, lässt Vogel leider offen.

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Welchen Stellenwert die Onlinekommunikation mittlerweile für das Buchmarketing hat, lässt sich schon allein daran ablesen, dass Vogel ihr ein eigenes Kapitel widmet (S. 245–333), anstatt diese Kommunikationsform unter die zuvor analysierten Massenmedien zu subsumieren. Nach einer kurzen Skizzierung der technischen Entwicklung des Internets und der Social Media kommt Vogel auf die »Repräsentationen von Büchern in der Online-Kommunikation« zu sprechen. Hier beschreibt sie ausführlich die Kommunikation über Bücher in Onlineshops, per E-Mail, in Newslettern, Buchforen, Blogs, Audio- und Videopodcasts und schließlich in sozialen Netzwerken sowie Microblogs. Anschließend werden Kriterien des Buchmarketings dargestellt, die sich spezifisch aus der Online-Kommunikation ergeben (wobei technische Aspekte wie die Relevanz von Suchmaschinen oder die Content Aggregation und institutionelle Aspekte wie das Sharing berücksichtigt werden). Das Kapitel beschließt Vogel mit Ausführungen zu den »Funktionen der Onlinekommunikation«, wobei sie nur knapp auf Stichworte wie Data Mining und Virales Marketing eingeht. Leider fällt auch dieses Kapitel im Vergleich zu den ersten Kapiteln etwas ab. Dabei fällt weniger ins Gewicht, dass viele Aussagen zu Internetphänomenen bereits zum Zeitpunkt der Drucklegung veraltet waren und mittlerweile obsolet sind (wie etwa die Ausführungen zu studiVZ und Google Buzz). Schwerwiegender ist, dass Vogels Darstellung hier weitgehend katalogisiert und die Fülle des präsentierten Materials nur selten analytisch durchdringt. So bietet dieses Kapitel zwar ein weites Panorama an Fakten zum Thema Onlinekommunikation im Buchhandel, wirklich Neues erfährt man hier jedoch leider nicht.

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Vogel beschließt ihre Arbeit mit einem kurzen Abschnitt zur Frage »Vernetzung als Chance für die Buchindustrie« (S. 335–351) und zieht damit zugleich ein knappes Fazit. Dabei beleuchtet sie die Rolle von neuen Intermediären wie Amazon oder PaperC; leider sind ihre Ausführungen auch hier zum Teil bereits überholt (wie etwa in Bezug auf Amazon Kindle und der schwächelnden E-Book-Plattform libreka des Börsenvereins); das abschließende Statement, wonach Unternehmen des Buchhandels in Zukunft stärker die unterschiedlichen Kommunikationswege nutzen müssen, um im Kampf um die für die Branche so wichtigen Güter Aufmerksamkeit und Vernetzung bestehen zu können, fällt angesichts des zuvor präsentierten Materials leider etwas zaghaft aus.

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Fazit

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Insgesamt gesehen hat Anke Vogel mit ihrer Dissertation aber eine überzeugende Darstellung des Kommunikationsraums Buchmarkt vorgelegt. Dass einzelne Ausführungen mittlerweile schon nicht mehr gelten, ist der Dynamik des Themas geschuldet. Es zeugt vielmehr von dem großen Mut der Autorin, dass sie es auf sich genommen hat, sich in einer über einen langen Zeitraum entstehenden Qualifikationsschrift mit aktuellen Entwicklungen auseinanderzusetzen. Dabei ist es ihr gelungen, die relevanten Akteure und Prozesse herauszuarbeiten. Hervorzuheben ist ferner die Klarheit des analytischen Zugriffs, der sich an keiner Stelle auf intuitive Prognosen über die Zukunft des Buchhandels und der dort gehandelten Medien einlässt. An den wohlfeilen Unkenrufen, die die Debatten in den Feuilletons beherrschen und auch auf die Wissenschaft abfärben, beteiligt sie sich glücklicherweise nicht, sondern stellt vielmehr mit ihrer Arbeit all denjenigen, die sich auf wissenschaftlich fundierter Basis mit dem aktuellen Buchmarkt beschäftigen wollen, eine Fülle an Material zur Verfügung, das auch auf lange Sicht eine wertvolle Quelle sein wird.