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Verlernen um zu Verstehen - Hannah Arendts Methode

  • Marie Luise Knott: Verlernen. Denkwege bei Hannah Arendt. Berlin: Matthes & Seitz 2011. 152 S. Gebunden. EUR (D) 19,90.
    ISBN: 978-3-88221-605-9.
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Verlernen um zu Verstehen

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Das Buch Verlernen – Denkwege bei Hannah Arendt von Marie-Luise Knott stellt eine ungewöhnliche Denkerin auf ebenso ungewöhnliche Weise vor, denn Anspruch des Buches ist es, Arendts Denken als aktives »Verlernen« zu verstehen (vgl. S. 8). ›Verlernen‹ ist nach Knotts Ansatz eine Beschreibung für Arendts Weg und Methode, sich in ihrem und durch ihr Philosophieren von tradierten Denkmustern zu lösen und »Territorien der Freiheit« (S. 9) zu schaffen, in denen sie ihr eigenes Denken eröffnet und entfaltet. Der Drang, sich der Wirklichkeit, wie sie ist, zu stellen und sie verstehen zu wollen, wird als Resultat der Konfrontation mit der unvorstellbaren Grausamkeit der Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes verstanden. Arendt wollte dieses »Verbrechen gegen die Menschheit« gedanklich durchdringen, um so die Auseinandersetzung mit diesem Schock in Bewegung zu bringen (vgl. S. 10). Sie wollte die unverständlichen Taten der Nationalsozialisten durch ihre theoretische Herangehensweise kritisch zerlegen, so dass deutlich würde, wie Menschen so handeln konnten. Durch diese Analyse hoffte sie, dass ein erneuter Rückfall in die Barbarei verhindert werden könnte. Wie und ob man diese scheinbar unbegreiflichen Geschehnisse mit Hilfe der Ratio verstehen kann, ist im Philosophieren Arendts nachvollziehbar gemacht.

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Knott beschreitet Arendts Denkwege über vier Zugänge, die sie aus den verschiedenen Dokumenten und Büchern von und zu Arendt erarbeitet: Lachen, Übersetzen, Verzeihen und Dramatisieren. Für sie sind diese vier Denkfiguren zentral für Arendts Philosophie und zeigen die Wege, die sie wählt, um das Verstehen des Unbegreiflichen und der widerspruchsvollen Wirklichkeit aufzunehmen (vgl. S. 10). Mit Arendts Ansätzen hat man dementsprechend analytische und theoretische Mittel, um der Wirklichkeit kritisch zu begegnen und sie selbstständig zu untersuchen. Dieses Verstehen bleibt aber stets partiell, und letztgültige Erkenntnis wird als unmöglich gesetzt. Trotzdem oder gerade deswegen ist es umso dringender erforderlich, dem Drang des Verstehen-Wollens zu folgen und die Fähigkeit zu einem kritischen Verhältnis zur Wirklichkeit zu üben.

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Arendt wurde häufig kritisiert, weil sie durch ihre unkonventionellen und provokanten Thesen – wie beispielsweise in ihrem Eichmann-Buch – den traditionellen Rahmen der Philosophie aufsprengte. Durch Knotts Zugang wird ersichtlich, dass Arendts originäre Art das Ergebnis eines Prozesses des permanenten Sich-selbst-Hinterfragens ist. Die Produktivität dieses Zugangs erweist sich als enorm wertvoll, weil es Knott gelingt, ein dichtes und überraschendes Bild der Philosophie Arendts und von Arendt als Philosophin zu zeichnen.

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Lachen: Ein erster Schritt auf dem
Weg zum selbstbestimmten Denken

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Die Wahl des Lachens als ersten Zugang zu Arendts Philosophie markiert das ungewöhnliche Vorgehen Knotts: »Wegen eines Lachens wurde Hannah Arendt im Jahr 1963, nach Erscheinen ihres Eichmann-Reportes, weltweit heftig attackiert, ja: aus der Judenheit ›ex-kommuniziert‹ (Amos Elon)« (S. 13). Arendt war für ihr Lachen unter ihren Freunden bekannt. Karl Jaspers beispielsweise wollte in einem Buch über Arendt, was im Entwurfsstadium verblieb, Arendts spezielles Lachen im Zusammenhang mit ihrem ironischen Ansatz in einem gesonderten Kapitel behandeln (vgl. S. 22 f.). Bei Knott geht es unter anderem auch um den ironischen Ton, der Arendt aufgrund ihres Eichmann-Buches vorgeworfen worden war. Knott kommentiert Arendts Lachen aus einem Interview, bei dem sie angibt, sie habe anlässlich des Lesens der Verhörprotokolle des Eichmann-Prozesses mehrmals laut lachen müssen (vgl. S. 18): »Sie hatte probehalber für wahr genommen, was sie sah und was Eichmann von sich gab: lauter Klischees, deren ›Gedankenlosigkeit‹ sie derart erschütterten, dass sie zu Lachen begann. Das empörte nicht nur die jüdische Welt« (S. 18).

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Interviews und Berichte von Freunden/-innen Arendts sind Knotts diskursive Grundlage, um das Lachen als Arendts eigenwilligen Zugang zu eigenständiger Erkenntnis zu charakterisieren. Denn im Lachen könne sich unwillkürlich und plötzlich die Haltung einer Person zur Welt offenbaren. Knott nennt diese Form des Lachens instruktiv ein »Atemholen des Denkens« (S. 27). Historisch gesehen, war Arendt aber aufgrund eben ihres Lachens und ihrer Ironie umfangreichen und vielfältigen Kritiken ausgesetzt. Besondere Empörung lösten in diesem Zusammenhang ihre Thesen und ihre Überlegungen zum Eichmann-Prozess aus, die zunächst als Serie im New Yorker und anschließend als Buch Eichmann in Jerusalem oder Ein Bericht von der Banalität des Bösen 1 publiziert worden waren. Dieser Bericht wurde wegen des angeblich ironischen Untertons von vielen Personen als Provokation aufgefasst. Arendt wurde überhebliche Ironie und Polemik vorgeworfen, die angesichts des Gegenstands unangemessen sei. Knott erklärt, dass und wie ihrer Meinung nach diese Ironie mit dem Lachen Arendts zu verbinden sei.

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So zeigt sie zunächst, dass diese Kritiken an Arendt auf einem groben Missverständnis ihrer Erkenntnisweise beziehungsweise ihres Erkenntniszugangs beruhen, bei denen sowohl das Lachen als auch die Ironie die »Methode« seien, einen Gegenstand auf Distanz zu bringen, um ihn besser betrachten zu können (vgl. S. 34). Arendts Kern-These zur »Banalität des Bösen« sei oftmals als Verharmlosung verstanden worden, obwohl sie als hochkritische Diagnose einer gefährlichen und absolut unverzeihlichen Gedankenlosigkeit und Abstumpfung gemeint gewesen war. Arendt versuchte demnach zu verstehen, wie eine solche Gedankenlosigkeit im Handeln überhaupt möglich werden konnte. Das Mitlaufen und sich Gleichschalten, um den eigenen Erfolg und Platz in der Hierarchie zu sichern, wurden, so Arendt, für Eichmann wichtiger, als sich die Grausamkeit seiner Taten vor Augen zu führen. Die angeblich distanzierte Haltung und der ironische Ton im Eichmann-Buch müssen deswegen, so Knott, als Arendts Versuch verstanden werden, zu ihrer eigenen Position gegenüber diesem grauenhaften Schrecken angesichts einer zunächst nicht nachvollziehbaren Verantwortungslosigkeit im Handeln zu gelangen. Hannah Arendt wollte verstehen, was das »Böse« an Menschen wie Eichmann ist, und fand erst einmal nur eine erschreckende Gedankenlosigkeit vor (vgl. S. 14f.).

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Das Lachen habe für Arendt, nach Knott, diese besondere Bedeutung im Erkenntnisprozess: Es biete die Möglichkeit, einer die »Wirklichkeit transzendierenden Kraft« (S. 19). Denn durch das Lachen könne sich der Mensch »ein Momentum der Freiheit und Souveränität« (S. 19) zurückerobern. Im Lachen schaffe sich der Geist eine Distanz zu den jeweiligen Gegenständen und es sei deswegen ein souveräner Akt des Geistes. So sind Lachen und Ironie Erkenntnismittel, die das selbstständige Urteilen erleichtern. Knott arbeitet auf sehr genaue und überzeugende Art und Weise heraus, wie dieser spezielle Zugang Arendt gerade bei einem schwierigen Gegenstand wie dem Eichmann-Prozess einen eigenen Interpretationsblick erlauben (vgl. S. 30). Nach Knotts Deutung hängen Arendts Lachen und ihre Ironie also deswegen eng zusammen, weil sie beide eine Distanz zu den zu analysierenden Gegenständen herstellen. Sie ermöglichen der / dem Denkenden so, sich Raum für die eigene Bewertung der Realität zu nehmen.

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Übersetzen – Der Raum des Transitorischen
bietet neue Denkmöglichkeiten

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Arendts notwendig gewordene Emigration nach Amerika als Flucht vor den Nationalsozialisten brachte neue Anforderungen für die Philosophin mit sich. Allem voran: das Übersetzen. Knott setzt mit ihrem zweiten Kapitel an dieser Notwendigkeit des Übersetzens an. Für Arendt wurde es zu einer Herausforderung, ihr eigenes Denken den Menschen in einer ihr fremden Welt und Sprache zu vermitteln. Zu Beginn der Emigration schien die Notwendigkeit zu übersetzen für Arendt ein Hindernis zu sein. Dann aber wendete sie es produktiv zu der Möglichkeit um, ihr Denken in einen anderen Kulturkreis zu über-setzen, ohne dass sie dabei den Bezug zu ihrem Ursprung verlor (vgl. S. 42). Knott zeigt zunächst auf, wie schwer Arendt dieses Wandern zwischen den sprachlichen Kontexten zu Anfang fiel, weil ihr Denken beziehungsweise ihr Nachdenken über die Wirklichkeit eine intensive Auseinandersetzung mit der Dichtung und Poesie ihres eigenen Kulturkreises stets mitreflektierte. Gleichzeitig macht sie deutlich, dass die Über-Setzungsleistung, die durch diese zusätzliche, literarisch-geformte Reflexionsebene zunächst erschwert wurde, Arendts Denken auch mit Anstößen für neue und andere Ideen versorgte.

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Wie Knott eindrücklich nachzeichnet, schafft Arendt es, die anfängliche Fremdheit gegenüber der neuen Sprache zu überwinden und schließlich in eine »tätige Zweisprachigkeit« (S. 56) zu verwandeln, was sich besonders gut an der Vita Activa 2 oder in Über die Revolution 3 beobachten lässt. So finde Arendt, wie Knott weiter erläutert, in dem Über-Setzen einen Spielraum, in dem verschiedene Sprachen miteinander in Beziehung treten und ihre jeweiligen Denkkonzepte austauschen. Diese Arbeitsweise erklärt Knott zu dem »einzigartigen Umweg« (S. 37), den Hannah Arendt wählte, um als »Schillers ›Mädchen aus der Fremde‹«(S. 51) sowohl den eigenen Denkhorizont als auch den ihrer neuen Heimat zu bereichern.

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Das Verzeihen Verlernen –

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Wie können tradierte Begriffe neu angeeignet werden?

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Nachdem in den ersten beiden Kapiteln zwei Weisen des »Verlernens« tradierter Denkstrukturen herausgearbeitet wurden, geht Knott im dritten Kapitel dem aktiven Verlernen des Begriffs des ›Verzeihens‹ nach. Das Lachen erlaubte es Arendt, sich eine eigene Stellung und Haltung in der Wirklichkeit zu verschaffen und aus den tradierten Vorstellungen auszubrechen, und der Umgang mit den Problemen der Mehrsprachigkeit kann in den produktiven Modus des Übersetzens münden. Das Verzeihen aber ist ein Begriff, der Arendt mühevolle Aneignungsarbeit abforderte. Sie begegnete diesem christlichen Begriff, der eng mit der Vorstellung der Nächstenliebe verknüpft ist, zunächst mit einiger Skepsis. Vor allem, weil sie die Möglichkeit des Verzeihens anzweifelte und dem Begriff eine wesentliche Bedeutung für das Politische absprach (vgl. S. 63). Knott gelingt es nun, am Beispiel des Verzeihens zu zeigen, wie Arendt sich einen Begriff durch kritisches Zerlegen seiner ursprünglichen Bedeutung und durch ständiges Auseinandersetzen mit der Wirklichkeit neu aneignet: »Einen solchen ›verzweifelten Kampf‹ hat auch Arendt geführt, um das christliche Verzeihen in ein Verzeihen als Fundament des Politischen zu verlernen« (S. 66).

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Die Verbindung zwischen Arendts eigener Biographie und der Auseinandersetzung mit dem Begriff des Verzeihens tritt auch deswegen in den Vordergrund, weil die Kommunistenverfolgung der McCarthy-Ära auch Arendts Mann Heinrich Blücher betraf. Anlässlich dieser persönlichen Bedrohung – Blücher war von Ausbürgerung bedroht, weil er sich lange Zeit positiv über Sowjetrussland geäußert hatte – wurde Arendts Nachdenken über die Möglichkeit des Verzeihens in Bewegung gebracht (vgl. S. 72). Anhand verschiedener Materialien (wie Arendts Denktagebuch; ihrer Auseinandersetzungen über die Problematik des Verzeihens angesichts der Verbrechen des Nationalsozialismus in Briefwechseln mit Freunden/-innen und Reden; aber auch Gedichte und die Thesen über das Verzeihen in Vita Activa und Über die Revolution) wird der Leserin die Aneignungsarbeit Arendts anhand des Begriffs des Verzeihens vorgeführt.

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Schließlich, so Knott, erweist sich der Begriff des Verzeihens für Arendt als eine Möglichkeit, im Raum der politischen Öffentlichkeit miteinander eine Dimension der Freiheit zu sichern. Denn hinter dem Verzeihen stünde das Verständnis, dass jemand zwar eine Tat nicht ungeschehen machen könne, aber dennoch im »Hier und Heute ein anderer ist« (S. 80). In der Tat des Verzeihens kann der Mensch seinen freien Willen beweisen:

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Reue – der Wunsch, etwas hätte nicht stattgefunden – ist für Arendt unmöglich, denn gerade dass wir nichts ungeschehen machen können, garantiert in ihren Augen die menschliche Existenz, das wirkliche Dagewesensein. Mit der Sinnesänderung, so Arendt, bekundet der Übeltäter nicht mehr und nicht weniger, als dass er im Hier und Heute ein anderer ist. Die Idee des neuen Augenblicks, in dem die Beteiligten andere sein können, als sie in der Vergangenheit waren, erkennt Handeln und Verzeihen als Akt (!) des freien Willens, der unter der Voraussetzung eines geänderten Sinns die Tat verzeiht und so den Parteien Freiheit gewährt. (S. 80)
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Knott zeigt in diesem Zitat, dass dieser Auffassung des Verzeihens eine radikale These zu intersubjektiven Beziehungen und deren ethischem Fundament unterliegt. Verzeihen kann nicht aufgrund einer bestehenden moralischen Ordnung passieren, die das Verzeihen zum Beispiel als Akt der Nächstenliebe vorschreibt. Verzeihen können nur die geschädigten Personen oder Gruppen. Dieses Verzeihen ist ein Akt, eine selbstbestimmte Handlung. Wenn eine bestimmte Gruppe eine Tat verzeiht, dann nur aus der Einsicht heraus, dass der / die Täter/-in die Tat eingesehen und sich verändert hat. Ohne diese beiden Komponenten kann eine Tat nicht verziehen werden. Diese Dimension des Verzeihens erweist sich deswegen als bedeutsam für das politische Zusammenleben, weil durch das gegenseitige, freiwillige Verzeihen auch das Neubeginnen als eine Handlungsmöglichkeit den Menschen erhalten bleibe (S. 81).

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Man befindet sich bei der Lektüre dieses Kapitels auf den Spuren der Entstehung eines Begriffs im Denken einer Philosophin, so dass die Arbeitsweise vom ersten Nachdenken über den Begriff und dessen Verhältnis zur Wirklichkeit bis hin zur Formulierung eines eigenen Standpunkts verfolgt werden kann.

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Dramatisieren – Die Gefahr des Lesens

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In diesem letzten Kapitel verhandelt Knott das Arendt’sche Thema der »Welt als Bühne«, eines ihrer bekanntesten Denkmotive. Zwei Fragen rücken nun in den Fokus, nämlich wie Arendt diese Metapher genau gemeint haben könnte und welche Bedeutung sie für ihre Philosophie insgesamt hat.

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Laut Knott geht es Arendt vor allem um den Auftritt einer jeden Person auf der »Bühne der Welt«. Zentral sei für sie die Einzigartigkeit eines jeden Menschen, die er durch die expressiven Akte des Sprechens und des Handelns in der Welt (und gegenüber den anderen) mitteilt und mit denen er die Welt gestaltet: »Arendts entgötterte und antiteleologische Botschaft lautet: Der Mensch kann durch seine ›Präsenz‹, also dadurch, dass er die Gegenwart realisiert, das ›Kontinuum der Geschichte‹ (Benjamin) sprengen« (S. 95). Arendts Ziel sei, durch ihre Texte Denkanstöße und Reflexionen für die Gegenwart bereitzustellen, die es ihren Lesern ermöglichen, im Lesen eine Art ›Probehandeln‹ stattfinden zu lassen (vgl. S. 108). Dadurch werde die Fähigkeit zur eigenen Reflexion und Selbstbestimmung am Leben erhalten und gestärkt. Und durch das Lesen kann das Subjekt zu Emanzipation und Selbstständigkeit, kurz, zu einer eigenen Haltung zur Realität gelangen. Das Arendt dabei in ihren eigenen Texten viele Zitate aus Literatur und Philosophie einfügt, deutet Knott überzeugend als Auffächerung eines Textraums, in dem durch Vielstimmigkeit eine lebendige Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen vor dem inneren Auge der Leser/-innen entstehen kann. Für Knott schafft Arendt es, durch ihre Texte den Wunsch zum Mithandeln zu erzeugen:

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Im Kontext dieser ästhetischen Suchbewegungen erscheint Arendts eigenes ›performatives‹ Schreiben heute in anderem Licht. Die ›toten Stimmen‹, von Arendt in der Not ihres ›Ich will verstehen‹ zu neuem Leben erweckt, ergreifen den Leser zum denkenden Mittun – zu einem Teilhaben an der gemeinsamen ›Performance‹, dem Aushandeln der Welt. Hannah Arendt entprivatisierte und entindividualisierte alltägliche, zwischenmenschliche Phänomene wie Verzeihen und Versprechen ›so dass sie eine für öffentliches Erscheinen geeignete Form‹ fanden, ähnlich wie die Performancekünstler, die nach einer neuen Antwort auf ein drängendes (nicht nur künstlerisches) Problem der Massengesellschaft suchten. (S. 112 f.)
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Zeichnungen von Nanne Meyer

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Jedem Kapitel wurden Zeichnungen von Nanne Meyer vorangestellt. Diese Zeichnungen weisen auf die zentralen Überlegungen der Kapitel hin und führen die Wege und Weggabelungen des Arendt’schen Denkkosmos vor Augen. Sie sind wie »lebendige« (Denk-) Landkarten, die das Verlernen, Umdenken und die Umwege, die die Begriffe und Figuren des Arendt’schen Philosophierens genommen haben, visualisieren. Sie bringen die Gedanken und deren Entwicklungen auf eine erheiternde Weise zum Ausdruck.

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Fazit – Knott lesen!

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Knott ist ein wirklich großartiges Buch zu Hannah Arendt gelungen. Sie schafft es, biographische Motive, die für Arendts Denken wichtig sind, herauszuarbeiten und in Verbindung mit der Entstehung ihrer politischen Philosophie zu bringen. Stilistisch gesehen ist die Studie dabei selbst literarisch-philosophisch. Außerdem zeigt sie die Spuren auf, die Arendts eigener Auftritt auf der Bühne der Welt hinterlassen hat und die wir heute als emanzipierte oder sich emanzipierende Leserinnen, Handelnde und Sprechende weiter verfolgen können. Knott bringt ihren Leserinnen auf heitere, geistreiche, poetische und zugleich ernste Weise das Denken einer der wichtigsten Philosophinnen des 20. Jahrhunderts näher. Verlernen ist kein dickes Buch (152 S.), aber es lädt ein, Hannah Arendt zu erkunden und ermöglicht dies auch. Mehr noch: Dieser Text regt so zum Lesen an, dass man nicht nur mehr von Knott und Arendt lesen möchte, sondern auch auf all die anderen zitierten Literaten/-innen, Dichter/-innen und Philosophen/-innen, die Knott für die Erklärung der Philosophie Arendts gewählt hat, neugierig wird. Es erlaubt einem, im eigenen imaginativen Denkraum das Denken Arendts zu erfahren.

 
 

Anmerkungen

Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem – Ein Bericht von der Banalität des Bösen (1964). München: Piper 20094. Für Einblicke in die Kontroverse zu Arendts Eichmann-Buch ist ebenfalls aufschlussreich: Hannah Arendt / Joachim Fest: Eichmann war von empörender Dummheit – Gespräche und Briefe. Hrsg. v. Ursula Ludz u. Thomas Wild. München: Piper 2011. Vgl. dazu auch die Rezension von Mareike Kajewski: http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=3625   zurück
Hannah Arendt: Vita Activa oder Vom tätigen Leben. München: Piper 2002.   zurück
Hannah Arendt: Über die Revolution. München: Piper 2011.   zurück