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Metamorphosen einer Prinzessin

Turandot-Bearbeitungen für das (Musik-)Theater

  • Elisa Alberti: Wandlungen einer Frauenfigur. Vergleichende Untersuchungen zu den »Turandot«-Bearbeitungen von Gozzi, Schiller, Puccini, Brecht. (Europäische Hochschulschriften XVIII/132) Frankfurt /M.: Peter Lang 2011. X, 260 S. zahlr. farb. und s/w Abb. Paperback. EUR (D) 49,80.
    ISBN: 978-3-631-61625-3.
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Das Motiv der schönen, aber grausamen Prinzessin Turandot hat über die Jahrhunderte hinweg verschiedene Autoren aus unterschiedlichen Kulturkreisen zur Auseinandersetzung angeregt. In Weiterführung der frühen stofflichen Überlieferungstradition (unter anderem des persischen Dichters Ilyāsibn Yūsuf Nizāmi aus dem frühen 12. Jahrhundert) sowie der für die europäische Rezeption entscheidenden Märchensammlungen der französischen Orientalisten Antoine Galland (Tausendundeine Nacht 1 ) und Pétis de la Croix (Tausendundein Tag 2 ) sind seit dem 18. Jahrhundert bis in die Neuzeit im Bereich der (musik)dramatischen Gattungen verschiedene Nacherzählungen und Neuinterpretationen entstanden, die in ihrer sozio-kulturellen Verschiedenheit ein jeweils anderes Bild der geheimnisvollen Prinzessin Turandot entwerfen: In der Reihe der dramatischen Dichter war es zunächst der venezianische Dichter Carlo Gozzi, der die Geschichte zu einem Märchendrama verarbeitete (Uraufführung 1776 in Venedig). Initiiert durch Friedrich August Clemens Werthes’ Übersetzung von Gozzis Turandot setzte in Deutschland eine Welle der Begeisterung für die ›fiabe teatrali‹ Gozzis ein. Im Zuge der Konzeptionierung eines deutschen Nationaltheaters am Ende des 18. Jahrhunderts griff auch Friedrich Schiller auf Gozzis Drama zurück und schrieb eine eigene Fassung des Stoffes (1802 gedruckt bei Cotta, Tübingen). Weitere bedeutende Adaptionen für die Theaterbühne erfolgten danach erst wieder im 20. Jahrhundert mit Bertolt Brechts Turandot oder der Kongress der Weißwäscher (UA 1969 Zürich) sowie Wolfgang Hildesheimers Die Eroberung der Prinzessin Turandot (1961). In der Zwischenzeit entstanden zwei Opernkompositionen: Giacomo Puccinis Turandot (posthum uraufgeführt 1926 in Mailand) sowie Ferruccio Busonis gleichnamige Version (uraufgeführt 1917 in Zürich).

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Bisheriger Forschungsstand und Ziel der Studie

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Obwohl zu diesen Stoff-Adaptionen unter verschiedenen wissenschaftlichen Ansätzen vergleichende Studien denkbar wären, blieb der Fokus bisher entstandener Forschungsbeiträge von Letterio Di Francia 3 und Friedrich Cerha 4 sowie Elisabeth Frenzels 5 lexikalische Zusammenfassung vor allem auf die Entwicklungsgeschichte des Stoffes gerichtet. Nur zwei kürzere Beiträge von Claude Knepper 6 und Arnica Esterl 7 thematisieren zumindest ansatzweise die Wandlung der Hauptfigur, beschränken sich allerdings »auf kurze und oberflächliche Analysen« (Alberti, S. 13). Als vergleichende Arbeit auf dem Gebiet der Opernkompositionen legt Kii-Ming Lo den Schwerpunkt ihrer Dissertation auf die Frage nach den Einflüssen chinesischer oder exotischer Elemente in Dichtung und Musik. 8

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Aufgrund dieser Forschungslage versucht die Autorin in ihrer Arbeit die »Entwicklung dieser [Titel-]Figur innerhalb des stoffgeschichtlichen Komplexes, vor allem auf dem Terrain des Dramas« zu rekonstruieren und in den Kontext »sozial-historische[r] Rahmenbedingungen für die Veränderungen der Figur« (S. 13) zu stellen, wobei auch die Frage nach den verschiedenen »sozial-historischen Weiblichkeitskonzeptionen« im Sinne literaturwissenschaftlich ausgerichteter ›Gender studies‹ besondere Vertiefung erfahren soll.

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Die Auswahl der untersuchten Werke wurde von Elisa Alberti nach dem Kriterium vorgenommen, dass diese »bezüglich der Wandlungen der Frauenfigur der Turandot jeweils eigene Schwerpunkte setzen und eine Weiterentwicklung der Figur in jeweils neue Richtungen einschlagen«. Darüber hinaus soll im Rahmen der Rezeptionsgeschichte auch der »deutsch-italienische kulturelle Austausch« diskutiert werden (S. 16). Damit besteht die Qualität der Arbeit vor allem darin, die Geschichte der verschiedenen Bearbeitungen des Stoffes sowie ihrer Rezeptionsgeschichte unter zentralen dramatisch-literaturwissenschaftlichen Aspekten zu fokussieren, um daraus sowohl für die Wissenschaft als auch die Theaterpraxis neue Erkenntnisse über die unterschiedlichen Figurenkonzepte zu gewinnen.

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Viermal Turandot

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Das erste Kapitel ihres Analyseteils widmet Alberti Gozzis Adaption der französischen Novelle für die Theaterbühne. Darin untersucht die Autorin die Verschmelzung von orientalischer Märchenwelt mit dem bunten Maskenspiel der ›commedia dell’arte‹ und arbeitet dabei insbesondere die Figurenkonstellation und die Disposition der Hauptfigur heraus.

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Im darauf aufbauenden Vergleich mit der Schillerschen Adaption kommt die Autorin zu dem Ergebnis, dass das spielerische Moment der italienischen Dramenvorlage zugunsten des dramatischen Konfliktes zurückgenommen wird. Ganz im Sinne der Weimarer Theaterästhetik wandelt sich schließlich die stolze Prinzessin und gewinnt »ethische Größe« (S. 114). Ihre Liebe vermag fortan »Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung« 9 zu harmonisieren; auf diese Weise kann sich die Figur ihre moralische Freiheit erhalten. Darüber hinaus kann die Autorin für beide Fassungen deutlich machen, dass sich in der jeweiligen Gestaltung der Titelheldin die Kritik der Autoren am Weiblichkeitsbild innerhalb der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts widerspiegelt.

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In ihrem Libretto zur Oper Turandot erweitern Puccini und seine Librettisten das von Schiller ausgeführte Spannungsverhältnis von Macht und Liebe um eine »erotisch-tödliche Thematik« (S. 237). Bei den detaillierten Ausführungen zu Puccinis Opernfassung erweist sich jedoch Albertis rein auf die textliche Ebene zielender Methodenansatz als problematisch, da er die (für jegliches Werk des Musiktheaters entscheidende) dramaturgische Funktion der Musik ausklammert. Zwar weist die Autorin darauf hin, dass Turandots Liebesunfähigkeit als Rache für das Schicksal ihrer Ahnin motiviert wird und dadurch gegenüber der Schillerschen Figur an Profil gewinnt, doch bleiben ihre Argumente gegen die musikwissenschaftliche Beweisführung, Puccini habe die Wandlung der Prinzessin auch musikalisch angelegt, nicht nachvollziehbar. Ist es, im Widerspruch zu Albertis Behauptung, durchaus möglich, im italienischen ›melodramma‹ den Entwicklungsprozess einer Figur nicht nur durch Verkettung verschiedener Affekte (S. 196) musikdramatisch nachzuzeichnen (etwa bei Verdi), so zielt Puccinis musikdramaturgische Anlage insbesondere in seinen Opern Turandot, Madame Lescaut oder auch La bohème nicht auf einen dramatischen Spannungsaufbau, sondern auf eine Reihung selbständiger Einzelbilder. Innerhalb dieser Dramaturgie erfüllen die Szenen um die aufopfernde Liebe der Sklavin Liù zwar eine Kontrastfunktion, doch lässt sich in den zwischen Liebe und Hass schwankenden Gefühlen Turandots die Besonderheit dieser Figur erkennen. Aufgrund dieser spezifischen Figurendisposition scheint Albertis Rückführung der Figur auf das Bild einer Männer mordenden ›femme fatale‹ als eine zu eindimensionale Interpretation, denn die musikalische Ebene gibt bereits sehr früh den Hinweis auf die Liebesfähigkeit der Prinzessin. 10

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In einem letzten Kapitel untersucht Alberti die Brechtsche Turandot und schlägt hier den Bogen zu einer weiteren Transformation der Schillerschen Vorlage. Ausgehend von einem kurzen theoretischen Exkurs in das Theater Brechts stellt die Autorin die »parodistische Textentstellungen« gegenüber der klassischen Vorlage sowie deren »antithematische Behandlungsweise« (S. 227) im Kontext von Brechts Theaterverständnis dar: In diesem Sinne sind die ironischen Verfremdungen (vgl. S. 233) in unmittelbarem Bezug zu den sozialen und politischen Ereignisse der Zeit zu lesen. Aus Schillers stolzer Prinzessin wird bei Brecht eine »naive und alberne Frau« (S. 232). In der Verkehrung des ursprünglichen Charakters wird Turandot bei Brecht zu einer Frau, die zwar »frei über ihre Lebensweise entscheiden kann«, doch ihre neue Freiheit nicht zu schätzen vermag und deshalb bereit ist sich unterzuordnen. In der Brechtschen Deutung erscheint Turandot somit als ein »Steigbügelhalter für faschistisch eingestellte Aufsteiger« (S. 238) – eine provokante Deutung, die den Zuschauer zum Nachdenken anregen soll.

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Fazit

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Damit liegen die Qualitäten dieser Arbeit insbesondere in den vielen neuen werkimmanenten, biographisch-historischen, stilistischen sowie den soziologischen und geistesgeschichtlichen Details, die Elisa Alberti durch gewissenhafte Einzeldarstellungen herausarbeitet. Einige dieser durchweg interessanten Details werden jedoch letztlich nicht in den gesetzten Forschungsschwerpunkt integriert: Etwa wenn die Autorin in ihren Ausführungen zur Bühnenmusik zu Schillers Turandot (S. 133 ff.) vor allem die Aufführungstradition beleuchtet, ohne einen Bezug zur Figurenkonzeption herzustellen. Auch im Kapitel zur Rezeption der Schillerschen Turandot in Deutschland (S. 148 ff.) konzentriert sich die Autorin auf die Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte sowie die Gewichtung der komischen Szenen, ohne darüber nochmals konkret die Bedeutung dieser Veränderungen für die Darstellung beziehungsweise die Interpretation der Hauptfigur herauszuarbeiten.

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Damit überzeugt Elisa Albertis Arbeit zwar hinsichtlich ihrer gründlichen Analysen, eine Vergleichbarkeit aller untersuchten Werke (etwa im Kapitel zu Puccinis Turandot) vermag sich jedoch ebenso wenig einzustellen wie eine durchgehend zielgerichtete Auswertung ihrer Forschungsergebnisse unter dem von ihr selbst gewählten Aspekt literarischer ›Gender Studies‹.

 
 

Anmerkungen

Die französische Übersetzung Les mille et une nuits erschien in den Jahren 1704 bis 1717 in zwölf Bändchen.   zurück
Diese Sammlung persischer Märchen erschien unter dem Titel Les mille et un jours in den Jahren 1710 und 1712 in Paris.   zurück
Letterio Di Francia: La leggenda di Turandot nella novellistica e nel teatro. Triest 1932.   zurück
Friedrich Cerha: Der Turandotstoff in der deutschen Literatur. Diss. Wien 1949.   zurück
Elisabeth Frenzel: Stoffe der Weltliteratur: Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. Stuttgart 2005, S. 935–939.   zurück
Claude Knepper: »Le thème de Turandot ou les métamorphoses d’une parabole sur la qualification.« In: Danièle Sabbah, Patri Feyler (Hg.): L’origine des textes, Eidôlon 63. Bordeaux 2003, S. 427–444.   zurück
Arnica Esterl: »Rätselhafte Turandot. Zur Entwicklungsgeschichte der Rätselprinzessin. Ein Beitrag zum Schiller-Jahr.« In: Märchenspiegel 16 (2005), Nr. 3, S. 2–18.   zurück
Kii-Ming Lo: Turandot auf der Opernbühne. Diss. Frankfurt/M. 1996   zurück
Alberti zitiert hier Norbert Oellers: Schiller. Elend der Geschichte, Glanz der Kunst. Stuttgart 2005, S. 448.   zurück
10 
Hier wäre u.a. die musikwissenschaftliche Analyse von Dieter Schickling: Giacomo Puccini. Stuttgart 1989 (S. 383) heranzuziehen.   zurück