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Eine neue Methode zur Öffnung von Apparaten und Disziplinen?

Zwei aktuelle Publikationen in der MIT-Reihe »Platform Studies«

  • Steven Jones / George K. Thiruvathukal: Codename Revolution. The Nintendo Wii Platform. (Platform Studies) Cambridge (Massachusetts): The MIT Press 2012. 212 S. 7 s/w Abb. Cloth. USD 24,95.
    ISBN: 978-0-262-01680-3.
  • Jimmy Maher: The Future Was Here. The Commodore Amiga. (Platform Studies) Cambridge (Massachusetts): The MIT Press 2012. 344 S. 60 Abb. Cloth. USD 26,95.
    ISBN: 978-0-262-01720-6.
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Zum zentralen Medium unseres Wissens (des Wissenserwerbs, wie der Wissensproduktion, -übermittlung und -speicherung) ist längst der Digitalcomputer geworden. Doch es scheint beinahe so, dass, je weiter seine Entwicklung voranschreitet, das Wissen um ihn selbst, seine Geschichte und die Bedingungen seiner Möglichkeit immer weiter in Vergessenheit und sogar unter Verschluss geraten. Waren Computer der 1970er-Jahre noch Einladungen zum bastelnden Verstehen, so tragen die verklebten und verschweißten Apparate von Sony, Apple und anderen Herstellern heute den Nimbus der verbotenen Zone, deren Betreten sogar tatsächliche juristische Probleme nach sich ziehen kann. Ist der Grund hierfür darin zu suchen, dass – wie es der Informatiker Mark Weiser zu Beginn der 1990er-Jahre über Computer schrieb – ein Werkzeug nur dann profund sein/werden kann, wenn es ihm gelingt, unsichtbar zu werden? Mit anderen Worten: Ist die Bedingung der Allgegenwart heutiger Computertechnologie ihr Verschluss als »Black Box«, wie sie Norbert Wiener als materielle Grundlage der Kybernetik eingefordert hat? Natürlich ist der Computer an sich keine unbekannte Maschine; die Informatik und die Elektrotechnik wissen das Notwendige, um seine Entwicklung voranzutreiben. Jedoch ist dieses Wissen auf einen Spezialistenkreis beschränkt, allenfalls auf seine unmittelbare Vergangenheit bezogen und gar nicht auf seine wissensgeschhichtliche Verfasstheit und medientheoretische Analyse angewiesen, um praktikabel werden zu können.

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8 Bit

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Diesen Umstand zu ändern – und zuallererst einmal darauf hinzuweisen, dass technisches und historisches Wissen über Computer basal für eine Mediengesellschaft sind – waren im Jahre 2009 die Herausgeber der Serie »Platform Studies« im MIT-Verlag, namentlich: Ian Bogost und Nick Montfort, angetreten. Als »Platform Studies« definierten Sie in dem von ihnen geschriebenen ersten Band Racing the Beam eine medien- und kulturwissenschaftliche Methode, das Wissen um die Funktion und Genese historischer Computerhardware und -software zur Grundlage des Verständnisses darauffolgender und also auch heutiger Computertechnologie anzusehen. In ihrem Buch untersuchten Sie eine spezifische Plattform, die Atari-VCS-Spielkonsole, die ihnen zufolge Ende der 1970er-Jahre nicht nur einen gänzlich neuen Medienmarkt etablierte, sondern zugleich auch eine Computertechnologie für jedermann »spielerisch zugänglich« machte. »Platform Studies« analysiert sowohl die hierfür notwendigen Hardware-Spezifikationen (zum Beispiel die vor allem technisch bedingte Verbilligung von Mikroprozessoren zu jener Zeit), die Programmierung (als das über der Hardware liegende Code-Level), Form und Funktion dieses Verbundes, seine Interfaces (alle Aus- und Eingabetechnologien, aber auch die medialen Darstellungstechniken von Spielinhalten) und schließlich die Rezeption und Operativität als oberstes Level – um all dies in einen kulturellen Kontext einzubetten, welcher diese Level erst ermöglichte und gleichermaßen auch definierte. Die Analyse geriet den Autoren trotz detaillierter technischer Beschreibungen und obwohl sie vom Leser dafür die Bereitschaft, sich für Fragen von Informatik und Elektronik zu öffnen, einforderten, erstaunlich eingängig. Racing the Beam etablierte damit auf erfolgreiche Weise eine neue kulturwissenschaftliche Methode der Medienanalyse, weswegen es sich lohnt, innerhalb einer Rezension für IASL zu fragen, ob die im Mai dieses Jahres erschienenen zwei Nachfolgebände diesem Ansatz gerecht werden und ihn vielleicht sogar erweitern.

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16 Bit

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Jimmy Mahers The Future was here. The Commodore Amiga setzte als zweiter Band die Reihe auch auf logische Weise fort. Maher behandelt darin einen der wichtigsten Computer der so genannten 16-Bit-Ära, die etwa von Mitte bis Ende der 1980er-Jahre das Novum des Computermarktes definierte. War die Atari-VCS-Konsole noch ein echtes 8-Bit-Gerät (was Konsequenzen für Programmiermöglichkeit und Geschwindigkeit der Hardware und somit für die Qualität der Spiele hatte), so war es in dieser 16-Bit-Ära möglich, wesentlich mehr und dieses Mehr wesentlich schneller mit dem Computer zu vollbringen. Insbesondere im Bereich Multimedia hat sich der Commodore Amiga seinerzeit verdient gemacht, was den zentralen Aspekt von Mahers Untersuchung darstellt. Begonnen wird seine Geschichte der »Zukunftsmaschine« Amiga mit der Beschreibung der Hardware-Entwicklung auf Basis einer der berüchtigsten Demonstrationsprogramme für diesen Computer, dem so genannten »Bouncing Ball«. Maher schreibt, wie die spezifischen Leistungsmerkmale (die CPU, der vergleichsweise große RAM-Speicher sowie die Spezial-Chips für Grafik, Sound und Adressierung) eine bis dahin – und vor allem in diesem Preissegment – ungekannte Grafik- und Soundfähigkeit zutage förderten.

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Das zentrale Argument Mahers – und darin geht er sogar noch weiter als die Reihenherausgeber Bogost und Montfort in ihrem Eingangsband – bemüht jedoch nicht die Zeitzeugenaussage oder die technische Beschreibung, sondern den Code und seinen Ablauf. Zwar findet sich auf den über 300 Seiten des Buches kein einziges Code-Fragment, auf der ergänzenden Internetseite (http://amiga.filfre.net/) können jedoch Dutzende davon abgerufen werden und – als Filmclips – ihr Ablauf mit den Ausführungen des Textes vergleichen werden. Das ist weniger ein Zugeständnis an die bislang eher Code-freie Textsorte »kulturwissenschaftliches Fachbuch« als vielmehr an die Textsorte »Programmcode« selbst, denn dieser offenbart seinen Sinn erst zur Laufzeit; und Zeitabläufe lassen sich in Büchern lediglich erzählen, aber nicht vorführen. Maher untersucht den Amiga von da ausgehend vor allem in seinen Fähigkeiten der Grafikerzeugung und -manipulation, der Animationstechniken, der Spielmöglichkeiten (darin lag das zentrale Verkaufsargument und auch der Erfolg des Amiga!) und zuletzt in der Community, die sich um das System herum gebildet hat und aus deren Mitte es teilweise einige selbst schafften, zu erfolgreichen Contentproduzenten zu werden. Hier verdeutlicht sich nicht nur abermals die Einbettung des Amiga-Buches in die Plattform-Studies-Level-Perspektive (die Community wird hier als Teil des kulturellen Rahmens gesehen), sondern auch der ungenannte akademische Kontext des gesamten Projektes: Nicht weniger als eine techno-informatische Ergänzung der Cultural Studies – aber auch leider nicht mehr!

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32 Bit

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Welche Einschränkungen diese Einbettung mit sich bringt, lässt sich am deutlichsten am dritten Buch der Reihe zeigen: Steven E. Jones’ und George K. Thiruvathukals Abhandlung über die Nintendo-Wii-Konsole mit dem Titel Codename Revolution, kurz nach dem Amiga-Buch erschienen. Die Wii, Ende 2006 in Japan, Europa und den USA auf den Markt gekommen, gehört als Spielkonsole zur jüngsten Konsolengeneration, als Computer (und jede Computerspielkonsole war und ist ein Computer oder zumindest computerähnlich) zu den 32-Bit-Geräten. Definiert wird diese Zuschreibung wie oben angedeutet über die interne Busbreite (also wie komplex/groß in einem Takt verarbeitete Befehle und Daten sein können) sowie über die mögliche Speicheradressierung des Mikroprozessors. Letztere war bei den 8-Bit-Geräten (wie der Atari VCS) auf wenige Kilobyte begrenzt, erreichte bei den 16-Bit-Computern immerhin schon Megabyte-Bereiche und lässt es in 32-Bit-Architekturen zu, Gigabytes RAM zu nutzen. Dieses Faktum ist vor allem vor dem Hintergrund der sehr speicherintensiven Medienverarbeitung nicht unwichtig und erklärt unter anderem den sogar augen- und ohrenfällig markanten Fortschritt von der 8– über die 16– zur 32-Bit-Generation.

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Diesem Komplexitätszuwachs – das ahnt man schon angesichts des merklich geringeren Umfangs von Codename Revolution im Gegensatz zu The Future was here – wird vom Buch nicht auf dieselbe Weise Rechnung getragen wie von den Vorgängerbänden. Technische Beschreibungen stehen hier eher parenthetisch; Codebeispiele finden sich weder im Buch noch anderswo. Und das hat seinen (unerwähnten) Grund: Denn es existiert ein eigentümlicher Chiasmus zwischen dem Komplexitätszuwachs von Hard- und Software zum eingangs zitierten »Verschwinden« derselben. Je komplexer die Möglichkeiten, desto besser sind sie unter Oberflächen verborgen, die allerdings genau das Gegenteil suggerieren: dass nämlich alles ganz einfach sei. Ließen sich der Prozessor und der kombinierte Video- und Soundchip des Atari VCS mit einer sehr einfachen Maschinensprache programmieren, so forderte der Motorola-Prozessor bereits mehr Anstrengungen, kam aber zugleich mit leichteren, höheren (das heißt hardwareferneren!) Programmiersprachen und einer grafischen Nutzeroberfläche (GUI) daher. Schreiben Bogost und Montfort in Racing the Beam noch viel über Programmierung, so spricht Maher in The Future was here schon deutlich mehr von vorhandenen Anwendungen (Grafiktools, etc.). In Codename Revolution zeigt sich deutlich: Das System hinter der Wii (namentlich verborgen im speziell für sie angefertigten IBM-Mikroprozessor) verschwindet hinter der »sozialen Bedeutung« des Bedienkonzeptes der Konsole, und ein Computerspiel wie »WarioWare D.I.Y.«, das die Möglichkeit einräumt, eigene kleine Spielchen per Drag und Drop von Symbolen zu erstellen, wird in den Rang einer Programmiersprache erhoben (Vgl. Jones/Thiruvathukal, S. 216 ff.).

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Jones und Thiruvathukal haben gar nicht mehr den Anspruch, das System Wii auf dieselbe detaillierte Art zu analysieren, wie ihre Vorgänger die von ihnen behandelten Hardwares. Anstelle dessen konstatieren sie gleich zu Beginn, dass die Wii eine »soziale Plattform« sei und sie diese Eigenschaft in den Fokus rücken wollen. In Codename Revolution geht es daher vor allem um die Eingabekonzepte (die Revolution der Wii liegt eigentlich in ihrer Spielsteuerung begründet: Erstmals ist Ganzkörpereinsatz vom Spieler gefordert, was vor allem »casual gamer«, also solche, die nur gelegentlich einmal spielen, lockt). Davon ausgehend wird die Potenz der Konsole diskutiert, versprengte Spielgemeinschaften (etwa für gemeinsam gespielte Sportspiele) zu restituieren, immersive Spielkonzepte zu verwirklichen und ähnliches, das der Bedeutung der Wii als »soziale Plattform« entspricht. Nach drei Bänden – und zumal angesichts der Tatsache, dass Bogosts/Montforts ursprüngliches »Plattform Studies«-Programm jedem Buch als Einleitung vorangestellt ist – kann man natürlich nicht von einer Verwässerung der Methode sprechen. Vielmehr zeigt sich hierin die oben angesprochene Einschränkung, welche die Situierung der Methode in den Cultural Studies mit sich bringt.

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Computerspielarchäologie

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Racing the Beam und The Future was here erwecken zunächst den Eindruck eines historischen Ansatzes in der Gegenstandswahl der behandelten Plattformen. Da es sich bei der Wii jedoch um eine sehr moderne Hardware handelt, wird deutlich, dass wir es hier nicht mit einer kulturwissenschaftlich argumentierenden Technikgeschichte (oder umgekehrt) zu tun haben, sondern vielmehr ein synchroner Ansatz vorliegt. Demzufolge sind historische Anmerkungen aller drei Bände auch oft ereignis- und fortschrittsgeschichtlicher Couleur. Gefragt wird oft nach »dem Ersten«, dem »Vorgänger«, dem »direkten Einfluss«, der »Wirkung« auf nachfolgende Technologien und so weiter. Aus dem Blick fällt dabei, dass sich hinter den Plattformen und ihren Historien auch epistemologische Momente ausmachen lassen, die nicht nur ebenso interessant sein könnten, sondern vielleicht einen viel größeren Einfluss auf die verhandelten Diskurse und technischen Verfasstheiten besitzen. In Momenten blitzt solch ein Verständnis auf, wenn etwa Jones und Thiruvathukal über die Feedback-Möglichkeiten des Wii-Controllers schreiben und sich an Norbert Wiener und die Kybernetik mit ihren Untersuchungen von Mensch-Maschine-Feedback und Kontrolltechnologien erinnert fühlen. (Vgl. Jones/Thiruvathukal, S. 62).

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Die Konsequenz aus dieser durchaus richtigen und spannenden Allusion hätte in die Frage münden können, wer denn da eigentlich wen kontrolliert? Eine Frage, die Claus Pias in seiner Dissertation Computer Spiel Welten ins Zentrum gerückt hat und die zehn Jahre später an die Wii gestellt zur genau gegenteiligen Antwort führen würde: Wir sind keineswegs freier in der Steuerung der Spiele geworden, nur weil wir jetzt den ganzen Körper dafür einsetzen können, sondern der Spielhard- und Software ist es vielmehr gelungen, nunmehr unseren ganzen Körper darauf zu konditionieren »zur rechten Zeit am rechten Ort« zu sein, um nicht zu verlieren, wie Pias schrieb. Aufbauend darauf wäre die auch eingangs gestellte Frage zu stellen, inwieweit es die Technologie und die Geschichte ihres sukzessiven Verschwindens mit genau diesem Fehlschluss von »Freiheit« zusammenhängen könnte. Die Machtfrage (im Foucault’schen Sinne als Kontroll- und Disziplinarinstanz), die sich schon aus der Auseinandersetzung mit der Kybernetik ableiten lässt, drängt sich so gesehen geradezu auf.

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Fazit

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Den »Platform Studies« bloß eine andere Methode (hier die Medienarchäologie und -epistemologie) entgegenzustellen, scheint nicht dazu geeignet, (negative) Kritik an ersterer und den aus ihr folgenden Publikationen zu üben. Allerdings laden gerade die sehr ähnlichen Verfahren im (endlich wieder gewagten) Zugriff auf das den Geisteswissenschaften jahrzehntelang suspekt gebliebene Feld der Ingenieurswissenschaften dazu ein, nach dem Mehrwert solcher Auseinandersetzungen zu fragen. Sollen die »Platform Studies« am Ende bloß technische Aufklärung auf dem Feld der Cultural Studies betreiben? Soll eine jüngere und jüngste Technikgeschichte kulturwissenschaftlich reflektiert werden? Soll die oftmals kritisierte Technikvergessenheit der immer noch jungen Game Studies überwunden werden. Diese Fragen ließen sich allesamt mit ja beantworten. Es bleibt aber ungeklärt, warum die Herausgeber gleich eine ganze Buch-Reihe dazu etablieren (die zudem noch von den »Software Studies« im selben Verlag und teilweise denselben Herausgebern flankiert wird). Die Ausweitung der Perspektive auf die Bedeutung von »Plattformen« nicht nur für ein sozialhistorisches Sediment, sondern ihre Betrachtung als Wissensgeschichte der Mediengesellschaft verspricht ertragreicher zu sein. Hierfür bieten die »Platform Studies« einen guten Ansatz, der allerdings weniger in ihrer Methode als in ihrem Gegenstand begründet liegt.