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Nachdenken über das Geschlecht

  • Franziska Bergmann / Franziska Schößler / Bettina Schreck (Hg.): Gender Studies. (Basis-Scripte. Reader Kulturwissenschaften) Bielefeld: transcript 2012. 320 S. Kartoniert. EUR (D) 24,80.
    ISBN: 978-3-8376-1432-9.
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Der Band: Ansatz und Aufbau

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Seit den 1990er Jahren bilden die Gender Studies eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin. Neu eingerichtete Studiengänge und Lehrstühle zeugen ebenso davon wie die Fülle an bisher aus diesem Forschungsbereich hervorgebrachten Publikationen, zu denen auch eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Einführungen, Textsammlungen und Lexika gehören. Vor diesem Hintergrund ist die nun erschienene Anthologie mit Texten der Gender Studies zu betrachten, die die Literaturwissenschaftlerinnen Franziska Bergmann, Franziska Schößler und Bettina Schreck herausgebracht haben.

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Die eindrucksvolle und anregende Textsammlung, die in der Reihe »Basis-Scripte. Reader Kulturwissenschaften« im transcript Verlag unter dem Titel Gender Studies erschienen ist, geht streng genommen über das im Titel genannte Feld hinaus, da sie – mit gutem Grund – auch Klassiker des Feminismus versammelt. Der Band gliedert sich in drei große Abschnitte:

1. Bürgerliche Geschlechterhierarchie und emanzipative Ansätze

2. Gender und Queer Studies

3. (Inter-)Disziplinäre Anschlüsse,

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wobei jeder der Sektionen ein Einleitungsessay der Herausgeberinnen vorangestellt ist. Alle AutorInnen werden im Anschluss an ihre Texte kurz vorgestellt. Ebenso findet sich zu jedem der Textauszüge wie auch zur Einleitung in den Band ein weiterführendes Literaturverzeichnis. Ein Register erleichtert überdies die Orientierung im Band.

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In ihrer Einleitung kündigen die Herausgeberinnen sowohl Stimmen der Gender Studies als auch solche der feministischen Theorie an. Insgesamt folgt die »Auswahl weitgehend den Kanonisierungstendenzen, die sich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt haben« (S. 12). Diese einer Basis-Reihe, welche sich an »Studierende[…] im Speziellen und Interessierte[…] im Allgemeinen« (S. 12) richtet, durchaus gemäße Zusammenstellung ergänzen die Herausgeberinnen um solche Texte, die aus internationaler Perspektive längst zum Kanon der Geschlechterforschung gehören und welche nun erstmalig in deutscher Übersetzung – allesamt von Bettina Schreck – vorliegen. Damit wird der Band seinem Anspruch, Basis-Wissen zu vermitteln, gleich in mehrfacher Hinsicht gerecht.

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Die Anfänge – Geschlecht in historischer Perspektive

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Der erste Teil versammelt unter der Überschrift »Bürgerliche Geschlechterhierarchie und emanzipative Ansätze« Klassiker und weniger geläufige Beiträge zur Geschlechterforschung. In ihrer Einführung erläutert Franziska Schößler die Bedeutung bürgerlich-hierarchischer Geschlechtermodelle seit dem 18. Jahrhundert. Vor allem an Jean Jacques Rousseaus »Differenzprogramm der Geschlechter« (S. 19) verdeutlicht Schößler den Horizont, vor dem die späteren feministischen Ansätze seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zu verstehen sind. Angesichts seiner Bedeutung fragt man sich allerdings, warum die Herausgeberinnen nicht ihrem überzeugenden Ansatz folgend, die Vorläufer und Denkvoraussetzungen der Gender Studies in den Band zu integrieren, auch solche Autoren wie etwa Rousseau oder für die Jahrhundertwende Julius Möbius aufgenommen haben.

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Virginia Woolfs zum Klassiker gewordene Überlegungen zur weiblichen Autorschaft in dem Essay »Ein eigenes Zimmer« bilden dann den Auftakt der Anthologie. Ihm folgen Auszüge aus Simone de Beauvoirs feministischem Beitrag zur Geschlechterdiskussion »Das andere Geschlecht«. Diese beiden Positionen werden ergänzt durch den psychoanalytischen Ansatz von Christa Rohde-Dachser, die in »Expedition in den dunklen Kontinent« Fragen zur »Weiblichkeit im Diskurs der Psychoanalyse« diskutiert. Schließlich findet sich ein Beitrag aus der Frauenbildforschung mit Silvia Bovenschens Reflexionen über »kulturgeschichtliche und literarische Präsentationsformen des Weiblichen«. Mit Hélène Cixous, deren Ausführungen für jene Richtung der Geschlechterforschung steht, die den Spuren Jacques Lacan folgend »nach einem weiblichen Selbstausdruck jenseits männlicher Traditionen« (S. 27) suchen, schließt der erste Anthologieteil ab.

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Poststrukturalismus – Normativität und subversive Strategien des Geschlechtlichen

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Den zweiten Reader-Teil bilden die »Gender und Queer Studies«, in den Franziska Bergmann einführt. Hier geht es vor allem um das doing gender, also jene (poststrukturalistischen) Ansätze, die das Gemachtwerden von Geschlechtlichkeit problematisieren und welche zugleich verschiedene Strategien, kulturelle Normierungspraktiken zu unterlaufen, diskutieren. Den Auftakt zu diesem Abschnitt macht nachvollziehbarer Weise der »Wegbereiter der Gender Studies« (S. 119), Michel Foucault, mit seinen Überlegungen zu »Sexualität und Wahrheit« aus dem Jahr 1976. Auf seine Denkansätze bezieht sich die US-amerikanische Philosophin Judith Butler, die 1990 in ihrer Studie »Das Unbehagen der Geschlechter« herausarbeitet, inwiefern »Weiblichkeit und Männlichkeit prinzipiell Produkte diskursiver Praktiken sind« (S. 120). Butler bildet mit ihren Überlegungen die Grundlagen für die Queer Studies, die in dem vorliegenden Band einen deutlichen Schwerpunkt bilden. So finden sich in der Rubrik »Aktuelle Forschungsfelder der Gender und Queer Studies« gleich drei Positionen in dem Band versammelt: »Der gemachte Mann« von Robert W. Connell, der späteren transgender-Frau Raewyn Connell, sowie Judith Jack Halberstams »Female Masculinity« und Lee Edelmans »No Future. Queer Theory and the Dead Drive«. Halberstams und Edelmans Textauszüge liegen hiermit erstmals in deutscher Übersetzung vor, womit der Band in verdienstvoller Weise »Studien berücksichtigt, die in Deutschland bislang kaum rezipiert wurden, [die] in anglo-amerikanischen Ländern jedoch zum Kanon der Gender Studies gehören« (S. 12). Keine weitere Berücksichtigung finden allerdings solche Stimmen, die Butlers Ansatz kritisch reflektieren, Bergmann reißt die Problematik in ihrer Einleitung nur kurz an, wenn sie Barbara Duden, Martha Nussbaum und Evelyn Annuß zitiert.

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Die Folgen – interdisziplinäre Perspektiven der Gender Studies

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Der dritte und letzte Teil liest sich als eine Art Sammelbecken für gendertheoretische Ansätze, die »Schnittstellen zwischen Gender und Postcolonial Studies, Film-, Literatur- und Naturwissenschaften sowie der Soziologie« (S. 215) bilden – so Bergmann und Schößler in ihrer Einführung. Für die Verbindung von Gender und Postcolonial Studies steht der Beitrag »Impossible Desires. Queer Diaspora and South Asian Public Cultures« der Literaturwissenschaftlerin Gayatri Gopinath, die »sich mit filmischen Repräsentationen queerer Weiblichkeit in diasporischen Kontexten« (S. 217) auseinandersetzt. Für den Genderdiskurs in den Naturwissenschaften greifen die Herausgeberinnen einzig auf Donna Haraways »Ein Manifest für Cyborgs« zurück, andere Ansätze/Forscher_innen (wie etwa die Biologin Sigrid Schmitz oder die Psychologin Anelis Kaiser) werden auch im Einführungsteil nicht genannt. Stattdessen resümieren Schößler und Bergmann, dass die Naturwissenschaften insgesamt noch keinen umfassenden sprachkritischen Wandel in ihren Denkkategorien vollzogen haben: »Das Verhältnis zwischen Natur und Forscher_in wird mithin in den etablierten naturwissenschaftlichen Diskursen nach Maßgabe der asymmetrischen Geschlechterordnung organisiert; die unterstellte Passivität der Naturobjekte entspricht dem weiblichen Geschlechtscharakter und wird in den naturwissenschaftlichen Formulierungen reproduziert.« (S. 219) Als soziologischer, interaktionistischer Ansatz findet sich »ein Meilenstein der gender-sensiblen Soziologie« (S. 221), Regine Gildemeister und Angelika Wetterers Beitrag »Wie Geschlechter gemacht werden«. Die Literaturwissenschaft bzw. die Literatur als Repräsentations- und Reflexionsfeld tradierter Geschlechterrollen findet sich in der Anthologie nicht nur im letzten Teil, sondern bereits bei Woolf, Bovenschen und Halberstam. Eve Kosofsky Sedgwicks Beitrag »Between Men. English Literature and Male Homosocial Desire« im dritten Teil des Readers zeigt nun den methodischen Einfluss der Gender Studies auf die Literaturwissenschaft auf, wenn Sedgwick den literaturwissenschaftlichen Werkzeugkasten um das »Queer Reading« (S. 221) ergänzt. Laura Mulveys Beitrag »Visuelle Lust und narratives Kino« illustriert schließlich die filmwissenschaftliche Geschlechterforschung, indem hier weniger die dargestellte Frau auf der Leinwand, sondern vielmehr der Kamerablick, genauer die »unsichtbare Kamera« (S. 224), Gegenstand der gendertheoretischen Diskussion wird.

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Fazit

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Der Sammelband wird seinem im Klappentext formulierten Anspruch, eine »systematische Einführung in die wichtigsten Theorien und Ansätze« der Gender Studies zu geben sowie »[a]nhand von ausgewählten Originaltexten […] die Anfänge der Frauenforschung, aktuelle Fragestellungen der Queertheory und Verknüpfungen mit anderen Fachrichtungen« vorzustellen, gerecht. Besonders lobenswert ist die Erweiterung des Spektrums durch die Aufnahme von im anglo-amerikanischen Kontext etablierten Positionen, die aber durch die fehlenden Übersetzungen ins Deutsche dem hiesigen Publikum nicht gleichermaßen zugänglich waren. Den Herausgeberinnen gelingt es durch die gewählte historische Perspektive auf die Women’s Studies die Denkvoraussetzungen und den Facettenreichtum der noch relativ jungen Forschungsrichtung aufzuzeigen und diese für den weiteren akademischen Diskurs fruchtbar zu machen. Dass man bei einem solchen Projekt auswählen muss und damit Schwerpunkte setzt, versteht sich von selbst. Dass man sich damit angreifbar macht, liegt ebenfalls auf der Hand. So kann man noch weiter zurückgehende historische Stimmen, die wichtig sind für das Verständnis des feministischen und späteren queeren Blicks, ebenso vermissen, wie man die sozial- und geisteswissenschaftliche Überpräsenz gegenüber naturwissenschaftlichen Ansätzen, die allein durch Haraways Beitrag vertreten werden, bemängeln kann. Doch bietet der Band nicht zuletzt durch die vertiefenden Einführungen der Herausgeberinnen inklusive der Literaturhinweise einen breiten Überblick über das Forschungsfeld der Gender Studies und so eignet er sich in seiner Kompaktheit durchaus auch für die universitäre Seminarlektüre.