IASLonline

Darstellungen des 'bösen' Mädchens im Geflecht der Medienbetrachtungen und wissenschaftlichen Niveaus

  • Renate Möhrmann / Nadja Urbani (Hg.): rebellisch - verzweifelt - infam. Das Böse Mädchen als ästhetische Figur. Bielefeld: Aisthesis 2012. 513 S. 24 Abb. Kartoniert. EUR (D) 34,80.
    ISBN: 9783895288753.
[1] 

»Böse Mädchen, was meinen Sie damit?« (S. 11). Mit dieser Frage leitet Renate Möhrmann ihren Sammelband zum bösen Mädchen als ästhetische Figur ein und beantwortet diese in einem fiktionalen Dialog zwischen zwei nicht weiter definierten Sprechern / Sprecherinnen gleich selbst. Böse Mädchen, das sind jene, die nicht so sind, »wie sie sein sollen« (S. 11). Dieses nicht-so-Sein manifestiert sich, laut Möhrmann, in Form verschiedener Konzepte, die Differenz zur erwünschten Norm beschreiben und mit Verhaltensmustern anreichern. »Böse Mädchen können rotzfrech, aufmüpfig, rebellisch, grausam, verlogen, wahnsinnig, ja infam« (S. 11) sein und sind damit »keineswegs einseitig semantisiert« (S. 14). Diese Bandbreite an Divergenz wird nun im Sammelband näher beleuchtet. Des Weiteren gilt es, so Möhrmann, »nach den Motiven zu fragen, die den Anlass für die Abweichungen vom sogenannten Guten geben und Erklärungsmuster dafür zu finden« (S. 22). Einen ersten Überblick über ›böse‹ Mädchenfiguren gibt Möhrmann in ihrer Einleitung. Von Eva, die Möhrmann in ihrer Rolle zwischen »Mutter des Bösen« und neugieriger Intellektueller beschreibt, führt die Einleitung über Wochenschriften für brave Töchter aus dem 18. Jahrhundert hin zu Pina Bausch und dem feministischen Tanztheater der 1970er Jahre und schließlich zur New Yorker Kunstszene Ende des 20. Jahrhunderts. Möhrmann bereitet damit auf den ersten Seiten vor, was sich in der Auswahl der Beiträge noch genauer zeigen wird: eine Fülle an Blickwinkeln, Medien, Methoden und Epochen, die alle versuchen, das ›böse‹ Mädchen zu fassen und einzuordnen. Diese Vielfältigkeit ist sicher eine Stärke des Bandes. Im Zusammenspiel der unterschiedlichen Medienbetrachtungen werden einige Merkmale in Bezug auf die Darstellung des bösen Mädchens deutlich, die erst im Kontext der Beiträge hervortreten oder aber ihre Prägnanz eben über wiederholte Präsenz in mehreren Beiträgen etablieren. Eines der wichtigsten Themen des Bandes stellt Kindheit und Kindheitsbilder und, in Verbindung damit, Pubertät und das Verlassen der Kindheit dar.

[2] 

›Böse‹ Entwicklungsprozesse

[3] 

In ihrem Beitrag »Böses Blut. Pubertierende Mädchen und sexuelle Neugier in archetypischen Geschichten« macht Susanne Kord in Anlehnung an Walter Benjamins Konzept von Neugier als wichtigem Aspekt des »destruktiven Charakters« deutlich, wie die Pubertät als Erwachen eines zerstörerischen Potentials gelesen werden kann. Pubertierende Mädchen befinden sich am Kreuzweg, bahnen sich von dort neue Wege, die Althergebrachtes einreißen (vgl. S. 87 / 88). Anhand eines Vergleiches von Stephen Kings Carrie und Sneewittchen von den Brüdern Grimm zeigt Kord anhand der Hauptfiguren wie einsetzende sexuelle Neugier als negativ bewertet wird, denn beide Werke erzählen von der Entwicklung vom Mädchen zum Monster. Besonders interessant in diesem Zusammenhang ist Kords Interpretation von Sneewittchen als Wiedergängergeschichte. Anhand zentraler Textstellen des grimmschen Märchentextes macht sie deutlich, wie eine wörtliche Lesart Schneewittchen als Vampirin in Szene setzt (vgl. S. 97) und verweist darauf, dass dieser Zugang, zugunsten eines unschuldigen Mädchenbildes, bisher beharrlich ignoriert wurde.

[4] 

Auch in Lisa Gottos Beitrag »Bösewerden. Mädchen, Macht und Medium in William Friedkins The Exorcist« wird die körperliche Veränderung der Hauptfigur Regan als Entwicklung hin zum ›Bösen‹ inszeniert. Der Film, so zeigt Gotto, arbeitet das Verunsicherungspotential heraus, das diese Schwellenexistenz birgt. »Schwankend zwischen Kind und Frau, zwischen Unschuld und Schuld, zwischen Gesundheit und Krankheit [...]«(S. 373) wird Regan von Gotto beschrieben und so vergleichbar gemacht mit den am Kreuzweg stehenden, ›destruktiven Charakteren‹ in Kords Beitrag. Doch The Exorcist zeigt nicht das zerstörerische Potential Regans, sondern vielmehr die Mittel, mit denen das Liminale eingegrenzt werden soll. Der Beitrag liefert hierzu eine einleuchtende, foucaultsche Lesart des Films. Äußerst detailliert beschreibt Gotto, wie Regan, anfangs noch ein unschuldiges Kind mit Kuscheltier, im Verlauf der Handlung zur Patientin gemacht wird. In den weißen Krankenhauskittel gekleidet wird ihr Körper »in ein Distinktionssystem überführt« (S. 373), in dem ihre Symptome, wie Zuckungen und die Absonderung von Körpersekreten, mit einer Norm verglichen werden, »die jedoch nicht voraussetzungslos existiert, sondern die die Medizin überhaupt erst produziert« (S. 376). Somit wird Regans regelwidriger Körper kontrollier- und messbar gemacht. Der pubertierende Körper wird zum Horrorszenario, als krank und vom Dämon besessen dargestellt.

[5] 

Besetzungsproblematik

[6] 

Am Knotenpunkt von kindlicher Unschuld und Geschlechtsreife werden Mädchenfiguren, so scheint es, in ihrer Entwicklung zur aktiven Sexualität hin zu ›bösen Mädchen‹ oder sie werden zumindest als solche empfunden. In ihrem Beitrag »Recycleter Missbrauch. Lulu oder Vom modernen Umgang mit dem bösen Mädchen« eröffnet Nicole Colin einen beachtenswerten weiteren Blickwinkel auf die Darstellung des sexualisierten Mädchens als ›böse‹. Es ist selten, dass Besprechungen von Inszenierungsgeschichte in einen interdisziplinären Sammelband eingegliedert sind. Daher freut die Aufnahme dieses Beitrags schon alleine wegen des sonst so unterrepräsentierten Fokus’ auf Theater, wie es sich letzten Endes auf der Bühne präsentiert. Für die Inszenierungen von Wedekinds Stück seit seiner Uraufführung konstatiert Colin eine merkwürdige »Fehlbesetzungspolitik« (S. 314). Obwohl Lulu im Stück eindeutig ein junges Mädchen ist, sind die Schauspielerinnen, die sie verkörpern, meist wesentlich älter. Anstatt als ›böses‹ Mädchen wird Lulu so meist als femme fatale dargestellt. Dies hat zwei Gründe. Zum einen die Tatsache, dass die Urfassung des Stückes bis 1988 unbekannt blieb. In dieser war Lulu nicht nur wesentlich jünger, sondern der Text beinhaltete auch (später gestrichene) Stellen, die explizit auf einen Missbrauch Lulus als kleines Mädchen durch ihren Vater hinweisen. Im Laufe der Jahre haben sich Inszenierungen von Lulu als »Gesellschaftsprodukt« (S. 315) hin zu Lulu als Verkörperung negativer, zerstörerisch weiblicher Triebhaftigkeit (S. 316) gewandelt. Diese Darstellung, stellt Colin mit Verwunderung fest, hat sich jedoch auch nach der Rezeption und Aufführung des Urtextes nicht geändert. Die Misshandlung der jungen Lulu wird ausgeblendet und die Figur weiter mit wesentlich älteren Frauen besetzt. Als Grund macht Colin »die Furcht vor dem Abgrund« (S. 323) der Pädophilie aus, der in der erotischen Darstellung eines ›bösen‹ Mädchens schlummert. Auch wird auf diese Weise der Ursprung für Lulus Verhalten von männlicher Verführbarkeit zu weiblichen Trieben, die Männer verführen, verschoben. Das ›böse‹ Mädchen, so scheint es, darf sexuell aktiv sein, wenn es diese Sexualität aktiv einsetzt, um zu verführen. Jedoch darf es nicht sexuell konnotiert sein, wenn der männliche Blick verführt ist, ohne aktiv verführt worden zu sein.

[7] 

Böse gute und gute böse Mädchen

[8] 

Ergänzend werden in anderen Beiträgen des Bandes auch junge Frauen besprochen, die eben weil sie gesellschaftskonform sein wollen oder sind, den Weg des ›Bösen‹ beschreiten. Rudolf Drux zeigt in »Böse Bürgermädchen. Über den gnadenlosen Weg höherer Töchter zum Ehestand in Erzählungen E.T.A. Hoffmanns« wie Normkonformität ebenso ›böse‹ sein kann wie ein Regelverstoß. Die Figuren der hier vorgestellten Stücke befolgen alle das »ihnen verordnete soziale Programm mit seinen Verhaltensmustern«, werden aber »indem sie es gegen alle Widerstände durchsetzen« (S. 198) zu ›bösen‹ Mädchen. In »Vom Ende des bösen Mädchens. Zu Amélie Nothombs Roman Antéchrista« zeigt Liselotte Steinbrügge, wie Christa als Figur, trotz ihrer ›negativen‹ Wesenszüge, in ihren Verhaltensweisen genau dem Ideal »des aufgeklärten, liberalen, großzügigen und urbanen Bildungsbürgertums des 21. Jahrhunderts« (S. 217) entspricht. So wird das brave Mädchen Blanche zur Langweilerin, das ›böse‹ Mädchen Christa aber zur spannenden Verkörperung eines neuen Mädchen- und Frauenbildes. Bedauerlich ist allein, dass Steinbrügge verpasst, die religiöse Terminologie, in die die Ich-Erzählerin Blanche ihre Erlebnisse kleidet, mit der Weltkonstruktion in Verbindung zu bringen, die sie somit vertritt. So fehlt die Fragestellung, ob das Dichotome der Metapher von Christa als antéchrista vielleicht nicht erst das ›gute‹ Mädchen zur ›Bösen‹ macht, weil die im Beitrag angesprochene »postmoderne Selbstperformanz« (S. 220) im essentialistischen Weltbild des Glaubens zwangsweise als böse bewertet werden muss.

[9] 

Eine weitere Spielart des ›bösen‹ Mädchens, dass eigentlich gut ist, stellt Bettina Kümmerling-Meibauer in »›Bad good girls‹ in der internationalen Kinderliteratur« vor. Sie gelangt zu dem Schluss, dass das ›böse‹ Mädchen in der Kinder- und Jugendliteratur um die Jahrhundertwende meist entweder als Exempel dient, um deviantes Verhalten anzuprangern oder, wie etwa im Backfischroman, erzieherisch nutzbar gemacht wird. Der Backfischroman taucht hier als umgekehrter Entwicklungsprozess der zerstörerischen pubertierenden Mädchen von Kord und Gotto auf: Vom animalischen Wildfang werden die Mädchen zu ›guten‹ Frauen, die ›Monstren‹ werden gebändigt. Der Beitrag liefert einen guten Überblick über diverse Romane aus verschiedenen Epochen bis hin zu aktuellen Werken, wo ›böse‹ Mädchen meist psychologisiert sind, ihr Verhalten also mittels der »Beweggründe und sozial-gesellschaftliche(n) Umstände, die zu ihrer emotionalen Kälte oder psychischen Instabilität geführt haben« (S. 64) als nachvollziehbar gestaltet wird. Der Beitrag bleibt allerdings, was die Besprechung der Romane angeht, teilweise oberflächlich und gibt zum Ende hin die Analyse zugunsten einer Aneinanderreihung von Buchvorstellungen auf. Hier wäre eine rigorosere Auswahl an Werken, die dafür detaillierter analysiert werden, gewinnbringender gewesen. Auch eine Darstellung des in der Fachtheorie oft behaupteten Besonderen der Erzählsituation der Kinder- und Jugendliteratur wäre interessant gewesen. Am Ende des Beitrags wird zwar immerhin die Frage gestellt, ob die Abwesenheit wirklich ›böser‹ Mädchen mit Hinblick auf die Adressaten zu lesen sei, die Antwort – das ›böse gute‹ Mädchen eventuell auch einfach »reizvoller« als Gegenstand seien (S. 65) – fällt jedoch einfach zu kurz aus.

[10] 

Korrekturbedarf

[11] 

Möhrmanns Projekt bietet viele Ansätze, um über Darstellungen von ›bösen‹ Mädchen nachzudenken. Einige Grundsatzentscheidungen, vor allem was die Auswahl der Beiträge sowie deren Bearbeitung anbelangt, sind nicht unproblematisch. Zum einen ist der Sammelband mit seinen fünfundzwanzig Beiträgen sehr umfangreich. Eine grobe thematische Einordnung in Unterkapitel hätte die Orientierung im Band erleichtert. Warum die Konvention der einheitlichen Zitierweise aufgegeben wurde, ist nicht nachzuvollziehen. Besonders unübersichtlich gestaltet sich hierbei Rudolf Drux’ Beitrag, der alle Textstellen in der ersten Fußnote chronologisch aufführt. Dies macht es unmöglich, am Zitat selbst die Seitenzahl der Stelle im Theaterstück zu finden. Vielmehr wird von der Leserin verlangt, dass sie jedes Mal abzählt, um das wievielte Zitat im Beitrag es sich gerade handelt (wobei nicht einmal alle Zitate lang genug sind, um als Block formatiert zu sein), um dann in der ersten Fußnote nachzuvollziehen, welche Quellenangabe zum jeweiligen Zitat gehört. Der zentrale Kritikpunkt betrifft jedoch die Auswahl der versammelten Beiträge selbst. Nicht nur hätte eine gezieltere Selektion zur Vermeidung von ärgerlichen Redundanzen geführt, sie hätte auch geholfen, den Band auf einem einheitlichen wissenschaftlichen Standard zu halten. Viele Beiträge weisen diesbezüglich deutliche Mängel auf, die zumindest einer kritischen Korrektur bedurft hätten. Zwei der eklatantesten Beispiele sollen hier kurz herausgegriffen werden.

[12] 

Zusammenfassung statt Besprechung

[13] 

Hiltrud Gnügs Beitrag »Colettes Claudine à l’ecole / Claudine erwacht. Ein pikanter Schulmädchenreport aus bösem Mädchenblickwinkel« ist eine lange Nacherzählung des um die Wende zum 20. Jahrhundert spielenden Claudine-Zyklus; speziell des ersten Romans. Über 18 Seiten werden hier die erotischen Beziehungen und intriganten Machenschaften der Hauptfigur beschrieben und kommentiert. Die Betrachtungen zum ›bösen‹ Mädchen Claudine bestehen dabei größtenteils aus langen Charakterbeschreibungen. Eine These ist in dem Beitrag nicht zu finden. Ab und an zeichnet sich eine Deutung des Romans ab, die den voyeuristischen Blick als den im Titel propagierten »bösen Mädchenblick« bespricht, doch sie gewinnt nie Kontur. Hinzu kommt, dass der Beitrag oft unvermittelt von Nacherzählungen zu biographischen Hintergrundinformationen zur Autorin und deren Verhältnis zu ihrem Mann Willy springt. Die an diesen Stellen angesprochene Beeinflussung der erotischen Ausrichtung des Textes durch den Gatten, der die lesbischen Beziehungen im Text angeblich für den Blick des männlichen Lesers inszenieren möchte, bleiben sowohl unbeweisbar als auch ungenau. Zudem werden Aussagen über die Sympathien der Autorin für die Hauptfigur getroffen. Es wird also eine Übereinstimmung vom Wertgefüge des Romans mit den persönlichen Meinungen der Autorin behauptet, die unmöglich aufzuzeigen ist.

[14] 

Zum Ende ihrer Ausführungen behauptet Gnüg, dass es analog zur »bad boy novel« keine »bad girl novel« (S. 214) gebe und beschreibt Claudine schließlich als Bruch des um die Jahrhundertwende vorherrschenden Mädchenbildes vom »liebenswerten Wildfang« (S. 214). Nicht nur wird hier das Mädchenbild in der Literatur mit dem in der Gesellschaft gleichgesetzt, auch ignoriert diese Aussage völlig, dass gleichgeschlechtliche erotische Abenteuer nicht unbedingt in derselben Sparte einzuordnen sind wie eine »bad girl novel«. So sie denn analog zur »bad boy novel« zu sehen ist, wäre letztere schließlich Teil der Kinder- und Jugendliteratur, wozu der Claudine-Zyklus keinesfalls zählen kann. Von einem Konventionsbruch ist also nicht unbedingt auszugehen. Ein Vergleich des vorgestellten Anfangs von Claudine à l’ecole mit dem Anfang von Emmy von Rhodens Trotzkopf, der etwa durchaus als »bad girl novel« dieser Zeit zu bezeichnen wäre, hätte hingegen durchaus fruchtbar sein können, um den Roman als ›unanständige‹ Variante des Backfischromans zur Diskussion zu stellen. Solch ein Versuch – und mit ihm jedwede Erwähnung der Mädchenliteratur der Zeit um die Jahrhundertwende – bleibt jedoch aus.

[15] 

Behauptung statt Beweisführung

[16] 

Ebenso unerfreulich wie Gnügs Ausführungen gestaltet sich Petra Fohrmanns Beitrag »Wanted! Böse Hexen im Kinderfernsehen«. Fohrmann stellt zu Beginn des Aufsatzes fest, dass es im Kinderfernsehen keine bösen Hexen mehr gebe, behauptet jedoch, dass diese aktuellen TV-Hexen nur zum Schein gute Hexen seien, und noch immer »böses Potential« (S. 79) besäßen. Dieses ›Böse‹ will Fohrmann im historischen Vergleich mit geschichtlichen Hexendarstellungen freilegen. Während die Besprechung der historischen Quellen äußerst detailliert und gut belegt ist, gestaltet sich die Diskussion der Kinder- und Jugendserien ausgesprochen oberflächlich. Anstatt anhand dezidierter Textstellen und genauer Angaben von Staffeln und Folgen das Behauptete zu beweisen, liefert Fohrmann grobe Zusammenfassungen der Serien. Das einzige Zitat, das herangezogen wird, ist ein mehrzeiliger Wikipediaeintrag zu Harry Potters Besen. Darüber hinaus wird die These, die guten Hexen seien eigentlich böse, äußerst unsauber argumentiert, so dass sehr schnell deutlich wird, dass die Behauptung eigentlich nicht haltbar ist. Nicht nur trifft der Text wiederholt Aussagen über angebliche Meinungen von Kindern zu Hexen und ihrem ›bösen Potential‹, die mit keiner einzigen Quelle belegt werden; auch stützt sich die Argumentation einzig auf einen Vergleich von Inventar. Aus der Feststellung, dass moderne, gute Hexen noch Hexenbesen, ab und an Tiere, und meist Zauberbücher besitzen, schlussfolgert Fohrmann, dass diese »verdächtigen Utensilien« (S. 76) die Hexen »als nicht ganz so harmlos« markieren (S. 80), wie sie erscheinen. 1 Und auch wenn die guten Hexen nichts Böses mit diesen Utensilien anrichten, so reicht für Fohrmann die Tatsache, dass die Hexen ab und an ihre Kräfte für eigene Zwecke einsetzen, um sie als »eigennützig, d. h. böse« (S. 84) einzustufen. Auf diese Weise werden in diesem Beitrag die ›bösen‹ Mädchen herbeigeschrieben, die in den Serien selbst nicht zu finden sind.

[17] 

Die beiden hier kritisierten Beiträge sind die problematischsten des Sammelbandes, die hier angeführten Punkte lassen sich jedoch vereinzelt in mehreren anderen Beiträgen wiederfinden. Ebenso wird von Texten gewecktes Interesse oftmals enttäuscht, da häufig keine Quellenangaben zur Verfügung gestellt werden, um die Argumentation weiter nachzuvollziehen. Nicht unproblematisch ist auch der anfangs erwähnte Dialog, der die Einleitung eröffnet, weil er nicht als fiktional gekennzeichnet ist. Erst viele Beiträge später wird in einer Fußnote klar, dass dieser Dialog kein nicht-gekennzeichnetes Zitat ist, sondern von der Herausgeberin erdacht wurde. Man mag dies als irritierende Unsauberkeit oder aber willkommene Auflockerung eines trockenen wissenschaftlichen Genres sehen. Egal für welche Deutung man sich entscheidet, Möhrmanns Erfindung von Merkmalen des ›bösen‹ Mädchens wird spätestens dann problematisch, wenn sich einige der Beiträge auf diese Kategorien beziehen und so ihre Funde mit dem Erfundenen beweisen oder abgleichen.

[18] 

Selektion oder Vielfalt

[19] 

In rebellisch verzweifelt infam. Das böse Mädchen als ästhetische Figur steht eine durchaus informative und anregende Bandbreite an dargebotenen Blickwinkeln auf ein reizvolles Thema einem partiell vorhandenen Mangel an sauberer Argumentationstechnik und Beweisführung gegenüber. Die Beurteilung dieses Sachverhaltes mag je nach Leserin unterschiedlich ausfallen. So werden Akademiker und Akademikerinnen viel durchaus Interessantes aber auch Ärgerliches bemerken und sich mehr Bemühen um gleichbleibende Qualität wünschen. Leser und Leserinnen, die einfach aus Begeisterung für das Thema zu dem Band greifen, werden wohl weniger die Formalien einer kritischen Überprüfung unterziehen, als die dargebotene Fülle als bereichernd empfinden.

 
 

Anmerkungen

Der Behauptung, dass Hexenbesen in Bibi Blocksberg ihren ursprünglichen Nutzen verloren hätten und die Hexen »zu keinem unheilvollen Ort« (S. 75) mehr bringen würden, fehlt mindestens die Fußnote, dass dies nur in der Fernsehserie der Fall ist. In Bibi auf dem Hexenberg – Folge 18 der Hörspielreihe – treffen sich zur Walpurgisnacht alle Hexen des Landes zum Kongress. Hier wird der Flug der Hexen über das Land und eine Nacht auf dem Hexenberg beschrieben. Der Hexenberg wird zwar nicht als ungebrochen böser Ort präsentiert, jedoch klingt hier durchaus Unheilvolles an. Auf den Feierlichkeiten gibt es ein Buffet mit »Krötenbäuchen« und »Spinnenbeinen« (≈ 23:50) und die Hexe Mania hält eine hitzige Rede für die Rückkehr der »alten Hexentugenden« (≈25:55), wie etwa das Verwandeln von Menschen in Ungeheuer. Obwohl Fernsehserien der Fokus des Beitrags sind, fällt diese Leerstelle in der Argumentation negativ auf.

   zurück