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Kunsthistorische Überblickswerke zur Entwicklungsgeschichte der druckgraphischen Techniken gibt es einige,
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eine detaillierte Studie zum Tiefdruck auf der Basis zeitgenössisch praktischer Anleitungen existierte bisher jedoch nicht.
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Dieses Desiderat hat Ad Stijnman durch seine Arbeit Engraving and Etching 1400–2000 geschlossen, mit der er 2012 an der Universität Amsterdam promoviert worden ist. Der mit 302 Abbildungen reich illustrierte Hardcover-Band ist durchgängig in Farbe gedruckt und bildet eine Fülle von zum Teil neu aufgefundenen Blättern und Handbuchillustrationen ab.
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Ad Stijnman ist in der Druckgraphikforschung kein Unbekannter.
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Er arbeitet jedoch nicht nur als Kunsthistoriker, sondern auch als praktischer Künstler wie einzelne Abbildungen zu ausgefallenen Drucktechniken belegen.
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Aus dieser doppelten Profession zieht der Leser seinen Nutzen: Denn der Autor erklärt die einzelnen Druckverfahren, die er selbst ausübt oder zumindest erprobt hat, aus der Praxis heraus und wahrt doch stets den Blick des Historikers.
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Zum Aufbau der Arbeit
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Die Arbeit ist in vier Hauptkapitel unterteilt: Legen die Kapitel 1 + 2 die Grundlagen zur technischen Entwicklung und zeitgenössischen Arbeitsorganisation dar, so bauen die folgenden Kapitel 3 + 4 auf diesen auf. Dem Haupttext sind fünf Anhänge beigegeben, welche die in den einzelnen Kapiteln vorgetragenen Informationen teilweise tabellarisch aufbereiten.
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Die Einleitung (S. 1–22) legt den Forschungsstand dar und benennt die bereits erwähnte Forschungslücke. Das erste Kapitel »Antecedents, Early Developments and Dissemination« (S. 23–74) liefert einen Überblick zur Genese des frühen Tiefdrucks, dem sich mit »The Trade of Intaglio Printmaking« (S. 75–130) ein Kapitel zu den Umständen von Handel und Vertrieb sowie den Produktionsbedingungen selbst anschließt. In Stijnmans Studie bilden die beiden grundlegenden Arbeitsschritte des Druckvorgangs den Rahmen für die verbleibenden Kapitel zur Anfertigung der Druckplatte »Producing the Matrix« (S. 131–256) und dem Abzug derselben »Printing the Matrix« (S. 257–401).
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Diese Orientierung an den zur Erstellung eines druckgraphischen Blattes nötigen Arbeitsschritten bringt dem Leser die konsekutiven Prozesse der Bilderzeugung näher. Stijnmans klare und sachliche Sprache ist eingängig; komplexe Sachverhalte werden verständlich erklärt. Ausgehend vom Standpunkt des technisch Möglichen werden alle nur erdenklichen Phänomene des Tiefdrucks behandelt. Für den Leser sind Stijnmans Ausführungen aufgrund der durchgängig angestrebten Verschränkung von Theorie und Praxis gewinnbringend. Ein ausführlicher wissenschaftlicher Apparat erschließt allen Wissbegierigen die jeweiligen Primär- und Sekundärquellen. Nach der kurzen jedes Kapitel beschließenden Abschlussdiskussion werden die Anmerkungen zu demselben angeführt. Hierbei unterscheidet Stijnman die Primärquellen typographisch von den zahlreichen Sekundärquellen, so dass die Quellenbasis seiner Aussagen leicht überprüft werden kann. Der wissenschaftliche Wert der Studie beruht maßgeblich auf Stijnmans akribischer Quellenarbeit.
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Im ersten Anhang »General Chronology of Intaglio Printmaking Processes« (S. 405–407) werden die zuvor erläuterten Entwicklungslinien des Tiefdrucks in ihrer Chronologie von um 1435 bis zum Jahr 2002 aufgeführt. Es folgt mit »Early Engravers up to 1500« (S. 409–412) eine weitere Übersicht, die die im 15. Jahrhundert tätigen Kupferstecher auf Grundlage einschlägiger Verzeichnisse und Nachschlagewerke in chronologischer Reihung benennt.
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Mit Anhang 3 »Terms in Print Addresses« (S. 413–418) liefert Ad Stijnman eine Zusammenstellung zu jenen Beschriftungen gedruckter Blätter, die seit der frühen Neuzeit unterhalb der Darstellungen angeführt werden.
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Die als Anhang 4 beigegebene »Bibliography of Practical Manuals« (S. 419–597) ist in ihrer Ausführlichkeit für den Tiefdruck einmalig, zumal es sich um keine selektive, sondern eine auf Vollständigkeit abzielende Zusammenstellung handelt. Sie umfasst in den Hauptnummern 625 Titel,
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welche um gut 950 Unternummern einzelner Abschriften, Übersetzungen und Neuauflagen ergänzt werden. Um dem Benutzer der Bibliographie einen systematischen Zugriff auf die für sein Arbeitsvorhaben relevanten Titel zu ermöglichen, wurden diese annotiert und mit einheitlichen Schlagworten (S. 423–428) versehen. Die insgesamt etwa 1570 Titel werden in Anhang 5 »Indices to the Bibliography of Practical Manuals« (S. 599–604) zudem chronologisch und nach dem Ort ihrer Publikation erschlossen – die 75 handschriftlichen Zeugnisse werden gesondert aufgeführt (S. 599). Entsprechend umfasst die Literaturliste (S. 605–635) ausschließlich Sekundärliteratur. Den Band beschließt ein Personen- und Sachregister (S. 637–658).
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Zur Methode
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Methodisch stützt sich Ad Stijnman auf die in diesem Bereich zum Teil rare schriftliche Überlieferung an Rezepten und praktischen Anleitungen, greift jedoch nicht ausschließlich auf diese zurück, zumal für die Anfänge der Tiefdrucktechniken kaum Schriftquellen überliefert sind. Aus diesem Grund nutzt Stijnman Materialuntersuchungen zur Ermittlung von Farbzusammensetzungen und argumentiert im Hinblick auf eine mögliche Werkstattorganisation sowie Werkstatteinrichtung vor dem Hintergrund zeitgenössischer Bildquellen.
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Zur Ermittlung des Aussehens der zu einer bestimmten Zeit benutzten Werkzeuge erwiesen sich beispielsweise Künstlerporträts als hilfreich, auf denen diese Utensilien den Berufsstand der abgebildeten Person deutlich werden lassen.
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Ein gedrucktes Handbuch zur Tiefdrucktechnik erschien erstmals 1645, als der Kupferstich als ältestes Tiefdruckverfahren bereits gut 200 Jahre praktiziert wurde: Abraham Bosses Traicté des manieres de graver en taille douce sur l’airin sollte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts das Standwerk zum Tiefdruck bleiben. Daher argumentiert Stijnman in der vorliegenden Studie auf Basis dieses Handbuches, das vielfach von Hand kopiert wurde und in unzähligen Auflagen und Übersetzungen erschienen ist (Appendix 4, S. 447–454, Nr. 042.2–042.41). Die maßgeblichen Entwicklungslinien der Tiefdrucktechniken diskutiert Stijnman unter Verweis auf unterschiedliche Auflagen und Übersetzungen von Bosses Handbuch und führt die technischen Innovationen jeweils chronologisch auf. Die im Text beschriebenen Spezifika der einzelnen Drucktechniken sind in den Illustrationen gut ersichtlich, obgleich letztere zum Teil erheblich verkleinert abgebildet werden mussten. Gut ein Viertel der 302 Abbildungen in Engraving and Etching speist sich allein aus den Beständen des Herzog Anton Ulrich Museums Braunschweig und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, wo Ad Stijnman am Aufbau des virtuellen Kupferstichkabinetts beteiligt war.
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Für weiterführende Detailstudien empfiehlt sich zudem eine Konsultation der online verfügbaren Bilddatenbanken des British Museum London
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sowie des Rijksmuseums Amsterdam.
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Diese Datenbanken bieten jeweils die Möglichkeit, einen Großteil der in den einzelnen Institutionen überlieferten Blätter ausgiebig zu studieren. Mittels der Zoomfunktion lassen sich hierbei Feinheiten erkennen, denen man vor der Lektüre von Stijnmans Ausführungen wohl weniger Beachtung geschenkt hätte. Am stärksten sind Stijnmans Ausführungen immer dann, wenn er Arbeitsabläufe und Techniken auf der Grundlage von einzelnen Illustrationen erklärt und aus seinem Quellenfundus schöpfen kann.
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Aspekte der Gender Studies konnte Ad Stijnman nicht berücksichtigen (S. 76), doch deutet er in Anmerkung 3 an, dass er stilistisch den Eindruck habe, einige Kupferstiche mit religiösen Darstellungen des 15. Jahrhunderts könnten von Frauen gestochen worden sein. Worin dieses weibliche Element der Komposition besteht, wird allerdings nicht weiter ausgeführt. Es ist grundsätzlich nicht auszuschließen, dass Frauen in den Werkstätten mitgearbeitet haben, obgleich sich dies für die Frühzeit des Tiefdrucks durch schriftliche Zeugnisse nicht zweifelsfrei belegen lässt. Zum Nachvollzug dieser Überlegung wäre der Verweis auf konkrete Blätter hilfreich gewesen. Zwar gibt es einige Kupferstiche, die in den in die Druckplatte eingeschnittenen Textstücken auf Frauenklöster Bezug nehmen, doch ist die Faktenlage dünn. Gesichert ist nur, dass 1466 in einem Inventar in dem der Windesheimer Reform zugehörigen Frauenkloster Bethanië bei Mechelen, das nach dem Tod der Priorin Jacoba van Heinsberg-Loon angefertigt wurde, für den Druck notwendige Werkzeuge und Druckplatten erwähnt werden.
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Für einige Holzschnitte, die mit Miniaturen aus niederländischen Frauenklöstern in Verbindung stehen, nimmt Ursula Weekes an, dass diese möglicherweise von den Nonnen selbst entworfen worden seien.
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Bisher konnte allerdings nicht abschließend geklärt werden, ob die fraglichen Druckformen von den Nonnen selbst erstellt oder durch externe Handwerker angefertigt worden sind. Durch wen der Abzug der Druckformen letztlich erfolgte, muss ungeklärt bleiben, doch scheinen die Druckformen im Kloster verwahrt worden zu sein, sodass von einer kontrollierten Vervielfältigung auszugehen ist.
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Im Kapitel zum Abzug der Druckplatte geht Ad Stijnman abschließend genauer auf den farbigen Tiefdruck sowie die Möglichkeiten der plastischen Abformung von Tiefdruckplatten im 16. Jahrhundert ein. Von der kunsthistorischen Forschung sind derartige flache, leicht reliefierte Objekte bislang nur en passant behandelt worden, was nicht zuletzt darin begründet liegt, dass sie sich kaum erhalten haben. Die von Ad Stijnman angesprochenen Objekte aus dem Bestand der Herzog Anton August Bibliothek in Wolfenbüttel erinnern in ihrer negativen Abformung der Druckplatte mit den auf der Grundmasse aufliegenden Linien an die von Thomas Ollive Mabbott untersuchten Siegeldrucke des 15. Jahrhunderts.
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Hierin sowie in der Zusammensetzung der Prägemasse unterscheiden sie sich klar von Teigdrucken (S. 40, Abb. 38), deren Konturlinien mittels einer von der Metallschnittplatte abgeformten Prägeplatte in den Untergrund eingepresst worden sind.
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Fazit
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Aufgrund der dargebotenen technischen Beschreibungen und deren Untermauerung mit zahlreichen Primär- und Sekundärquellen zur Drucktechnik, dürfte diese für den Tiefdruck einmalige Studie zu einem Standardwerk in der Beschäftigung mit den druckgraphischen Künsten werden.
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