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»Benediktus-Regel« und »Geistliches Kompendium« - Abt Peter I. von Metten als Auftraggeber bedeutender Werke der Buchkunst

  • Robert Suckale: Klosterreform und Buchkunst. Die Handschriften des Mettener Abtes Peter I. ; München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 8201 und Clm 8201d. Petersberg: Michael Imhof 2012. 416 S. 175 farb., 92 s/w Abb. Hardcover. EUR (D) 69,00.
    ISBN: 978-3-86568-723-4.
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Bereits 1975 konnte Robert Suckale unter dem Titel »Untersuchungen zu den Mettener Handschriften Clm 8201 und 8201 d« seine Münchener Habilitationsschrift vorlegen, die trotz der herausragenden Bedeutung des Untersuchungsgegenstandes bisher nur als kopiertes Typoskript in einigen wenigen Bibliotheken zur Verfügung stand. Obwohl sich der Autor mit dem Beitrag »Das geistliche Kompendium des Mettener Abtes Peter. Klosterreform und Schöner Stil um 1414/15« im Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1982, S. 7–22, erneut den Mettener Codices zuwandte, gehörte die Veröffentlichung seiner Habilitationsschrift zu den Desideraten der Buchmalereiforschung. Sie liegt nun in überarbeiteter und aktualisierter Fassung in einem voluminösen, reich illustrierten Band vor.

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Niedergang, Reform und Aufstieg des
Benediktinerklosters Metten unter Abt Peter I.

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Die Annäherung an das Thema des Buches, die beiden als didaktisches Lehrwerk und als repräsentatives Kunstwerk gleichermaßen bedeutsamen Handschriften, die Abt Peter I. von Metten in den Jahren 1414–1415 konzipierte, beauftragte und durch böhmische Wandermaler für sein Kloster ausführen ließ, erfolgt in einem ersten, historisch orientierten Kapitel. In dessen Mittelpunkt steht die Erörterung des wirtschaftlich desolaten Zustands der Abtei Metten, mit der sich Abt Peter I. bei Antritt seines Abbatiats konfrontiert sah. Das Hauptaugenmerk des aus Oberalteich postulierten Abtes galt der wirtschaftlichen Konsolidierung des »verödet[en] und mittellos[en]« Klosters (S. 11). Um die Leistungen des Abtes angemessen zu würdigen, setzt Suckale sie, gestützt auf umfangreiches Quellenmaterial und die einschlägige ordens- und wirtschaftsgeschichtliche Literatur, in Beziehung mit der allgemeinen Lage der süddeutschen Klöster im 14. und 15. Jahrhundert (S. 15–18). Dem Verfasser gelingt es dabei einprägsam, die wesentlichen Faktoren, insbesondere die Agrarkrise mit ihren weitreichenden Auswirkungen, nachzuweisen, die zwangsläufig zum Niedergang der bayerischen Klöster beitrugen und denen Abt Peter durch seine Reformen entgegenzuwirken suchte. Als Ergebnis der Überlegungen kann Suckale festhalten: »Die Zustände im Kloster Metten, zumal unter Abt Peter I., lassen sich […] folgendermaßen charakterisieren: wirtschaftliche Reorganisation und finanzielle Erholung in einer schwierigen Zeit; straff geleitet, jedoch durchaus nach den alten Prinzipien; eher eine Erneuerung der alten Zustände als eine Neugestaltung; kein Ausbrechen aus den lokalen gesellschaftlichen Verhältnissen; mehr künstlerisch als wissenschaftlich und mehr praktisch-seelsorgerisch als intellektuell bzw. theologisch tätig. Der Aufschwung ist der Initiative und Persönlichkeit des Abtes zu verdanken« (S. 19).

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Trotz aller wirtschaftlichen Probleme schlägt sich Abt Peters Leistung nach und nach auch in der Ausstattung seines Klosters mit Kapellenbauten, Glasfenstern im Kreuzgang und anderen Kunstwerken nieder, allen voran aber mit der Stiftung der beiden Codices, in denen sich die Rolle des Abtes als kunstsinniger Mäzen ebenso spiegelt wie die Zusammensetzung seines ganzen damaligen Konvents, der im Stifterbild des Regelcodex im Bild verewigt ist (Clm 8201 d, fol. 1v).

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Benediktus – der Ordensgründer und Regelgeber in Wort und Bild

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Der Regelcodex Clm 8201 d, der zwar im durchschnittlichen Format von 33 x 25 cm wesentlich kleiner, aber an Umfang mit 217 ff. stärker ist als der zugehörige sogenannte »Sammelband« (»Kompendium«) Clm 8201 (48,5 x 34,5 cm, 107 ff.), gilt aufgrund seines Verwendungszwecks und des Umfangs seiner malerischen Ausstattung als der ranghöhere der beiden Codices, »denn die in ihm enthaltene lateinische und deutsche Benediktinerregel ist zugleich Verfassung des Klosters und Leitfaden für die Lebensführung der Mönche« (S. 24). Ihm widmet Robert Suckale nach der historischen Einleitung und einer recht summarischen Kurzbeschreibung beider Bände 1 den ersten Teil seiner Ausführungen. Zur Sprache kommt dabei auch der erst 1899 entstandene Einband des Regelcodex, der »reiche Rahmenornamentik in den Formen der Neorenaissance bzw. des Neobarock« (S. 23) aufweise, aber trotz seines blindgepressten königlich-bayerischen Wappensupralibros wohl eher bewusst an die Stempel- und Rollenornamente auf Einbänden des frühen 16. Jahrhunderts anzuknüpfen sucht.

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Die Beschäftigung mit den Illustrationen des Bandes beginnt mit einer »Beschreibung, Ikonographie und Deutung des Benediktzyklus« (S. 24–55), ohne die das Verständnis der folgenden Ausführungen erheblich erschwert wäre. Leider wird eine – wenn auch knappe – Erörterung der Textgestalt und überlieferungsgeschichtlichen Stellung der lateinischen und deutschen Benediktinerregel vermisst.

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Überblickt man den Textbestand des Bandes, dem ein federgezeichnetes Stifterbild mit rubrizierten Beischriften vorangestellt ist, so fällt zunächst auf, dass trotz der umfangreichen Bilderfolge zum Leben und Wirken des heiligen Benedikt eben keine Textfassung der Benediktusvita 2 illustriert wird, sondern eingangs eine lateinische, sodann, beginnend auf fol. 49r, eine deutsche Übersetzung der Benediktus-Regel, auf die mehrere aszetische Texte in lateinischer Sprache folgen, die trotz ausgesparter Felder ohne zugehörige Illustration beziehungsweise Schmuckinitialbuchstaben bleiben (S. 55).

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Bedenkt man die Funktion des Bandes, der zur Lectio innerhalb des Klosters Metten, im Refektorium und im Kapitelsaal, bestimmt war, so verwundert zunächst die Aufnahme der deutschen Version der Regel, die nur dann ihre Berechtigung findet, wenn die Mönche nicht (mehr) über ausreichende Lateinkenntnisse verfügten und dementsprechend die Lesung auch in der deutschen Version vorgetragen werden musste. 3 Über die Funktion des Bildzyklus im Allgemeinen lassen sich nur wenige zuverlässige Beobachtungen machen: Da die einzelnen Bilder eben nicht die Regula Benedicti illustrieren, ist mit ihrer Betrachtung nur die Assoziation des Verfassers Benedikt mit seinem Regelwerk zu verbinden. Dieses Beziehungsverhältnis von Text und Bild ist freilich nur dem individuellen Leser erfahrbar, es sei denn, im Kloster selbst sei eine entsprechende Bilderfolge allgemein sichtbar gewesen, etwa in Gestalt eines Wandmalerei- oder Tafelbildzyklus, wie er für das Benediktinerkloster St. Stephan in Würzburg belegt, aber nicht erhalten ist. 4

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Hauptbestandteil des Kapitels ist die Beschreibung und Kommentierung der einzelnen Darstellungen der Bilderfolge, die sich – zumindest in der Planung des Organisators des Codex – über die lateinische und deutsche Fassung der Regel ausdehnen sollte und in ihrer thematischen Zusammensetzung einerseits chronologisch und inhaltlich der Benedikt-Vita im zweiten Buch der Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum Gregors des Großen folgen, andererseits weitestgehend die Bildauswahl des sogenannten Bis-bini-Zyklus 5 des Abts Hermann von Schuttern berücksichtigen. Innerhalb der Bilderfolge sind die einzelnen Kapitel der lateinischen Regel mit golden, später farbig gerahmten Illustrationen ausgestattet, während die anschließende deutsche Übersetzung bis Kapitel 35 der Regel mit Federzeichnungen versehen ist, die in den eigentlich zur Hinzufügung von Zierinitialen ausgesparten Freiraum eingefügt wurden; hinzu kommen unvollendete kolorierte Bilder zu den Kapiteln 37 und 38 6 ; die Kapitel 36 und 39 bis 73 bleiben ohne jegliche Ausstattung, für welche freilich vom Schreiber ein Freiraum ausgespart ist. Einer der Gründe für das Fehlen weiterer Bilder mag darin zu sehen sein, dass die im zugrunde liegenden Bis-bini-Zyklus auftretenden Illustrationen in ihrer weitgehend chronologischen Abfolge bei Kapitel 39 der deutschen Regel abgeschlossen sind und auch Gregors Benedikt-Vita keine weiteren Illustrationsmöglichkeiten mehr bot. Somit hätte sich eine Anreicherung oder Fortsetzung des Bildzyklus auf keine wie auch immer geartete Bildvorlage stützen können.

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Angesichts des Umfangs des Bildzyklus zur Vita des heiligen Benedikt, der neben dem Stifterbild 74 voll illuminierte Darstellungen zur Einleitung und zu den 73 Kapiteln der lateinischen Regel umfasst sowie 40 Entwurfszeichnungen bis zum 39. Kapitel der deutschen Regel 7 , ist die Kurzbeschreibung aller Szenen mit ihren lateinischen (und übersetzten) Beischriften eine wesentliche Voraussetzung für das Verständnis des Zyklus. Suckale stellt knapp den Zusammenhang der Bilder mit der Benediktus-Vita Gregors des Großen her, wobei allerdings ein Abdruck des Vitentextes für den Leser des Bandes sehr hilfreich gewesen wäre, um die Zusammenhänge der (mit einer Ausnahme) kontinuierlich fortschreitenden Bilderzählung genauer verfolgen zu können.

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Schon bei der Beschreibung einzelner Szenen verweist Suckale gelegentlich auf Parallelen beziehungsweise signifikante Abweichungen der Mettener Bilder zu den illustrierten Zeugnissen des sogenannten Bis-bini-Zyklus, auf den die einzelnen Szenen zurückgehen, wenngleich die in der Mettener Handschrift angestrebten Lösungen nicht selten vom zugrundeliegenden Bis-bini-Zyklus abweichen. Suckale weist einschließlich Clm 8201 d insgesamt sieben Handschriften – eher kleinformatige Libelli – nach, wovon die Exemplare in New York, PML, MS M.55 8 , Würzburg, UB, M.p.th.q.8 9 , Fulda, HLB, B 27 und B 26 und München, BSB, Clm 4308 auf je unterschiedliche Weise den Urtypus der Bilderserie des Abts Hermann von Schuttern widerspiegeln, während die 1444 in der Benediktinerabtei Kleinmariazell entstandene, heute in Wien, Schottenkloster, MS 173 (200) aufbewahrte Handschrift eine direkte Kopie des Mettener Bildzyklus darstellt.

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Evangelistenbilder – Figurengedichte – Biblia pauperum – didaktische Bildschemata und Diagramme:
die Ausstattung des »Sammelbandes«

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Vorläufig alle Fragen der stilistischen Einordnung des Regelcodex ausklammernd, wendet sich Robert Suckale im folgenden Kapitel in ähnlicher Weise der »Beschreibung, Ikonographie und Deutung des Kompendiums« zu (S. 56–132), das in seiner textlichen und bildlichen Zusammensetzung entscheidend von den Illustrationsprinzipien und ihrer künstlerischen Ausführung des Regelcodex abweicht. Insbesondere die dort enthaltenen Lehrfiguren und Schemata erfahren eine eingehende Beschreibung und Erläuterung.

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Doch beschäftigt sich das Kapitel zunächst mit dem Einband des Codex, 10 dessen differenziertes Bildprogramm eindeutig auf die Abtei Metten bezogen ist. In einer weit ausgreifenden Argumentation kommt der Verfasser zu dem Ergebnis, der kostbare Vorderdeckel des Einbandes sei aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt, wobei »der Innenteil älter ist und wie eine Spolie in den neuen Einband eingefügt wurde« (S. 56). Das Bildprogramm der Mitteltafel des Einbandes bezieht sich auf das Kloster Metten, indem in den Emails der inneren Rahmung nicht nur die Hauptpatrone des Klosters sowie mit Martin und Benedikt zwei zentrale Vertreter des Ordens wiedergegeben sind, sondern am Fuß der Maria einer auf zwei Emails verteilten Verkündigung auch die Figur des knienden Albertus ab(b)as, mit dem nur der 1349 verstorbene Abt Albert II. gemeint sein kann. In die Endzeit seiner Regierung weisen auch die wenigen stilistisch enger verwandten Vergleichsbeispiele aus der Buch- und Glasmalerei sowie der Goldschmiedekunst. Der äußere, heute nur noch spärlich mit Steinen besetzte Rahmen hingegen gehört der Entstehungszeit des Codex an. Dass auf den Inschriften der vier von Horn- oder Glasscheiben abgedeckten Reliquienöffnungen im Rahmen der älteren Mitteltafel andere Heiligennamen genannt werden als auf einem Eintrag im Innern des Codex, der seinerseits die Reliquien verzeichnet, die »in hoc libro sunt recondite« 11 seien, scheint darauf hinzudeuten, dass möglicherweise auch unter dem äußeren Rahmen Reliquien in loculi eingelegt waren, wodurch der Einband in seiner Gesamtheit durchaus als Buchreliquiar 12 zu bezeichnen wäre. Der Schmuck des Rückdeckels ist nicht zeitgenössisch; er dürfte im 18. Jahrhundert entstanden sein. 13

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Mit Recht wird man mit Suckale das sogenannte »Kompendium« aufgrund seines vorderen Einbanddeckels als »Codex Aureus des Klosters Metten« (S. 60) bezeichnen können, der die wesentlichen Eigenheiten eines liturgischen Prachteinbands bewahrt, doch scheint gerade der vom Autor herangezogene Vergleich mit dem berühmten Codex Aureus von St. Emmeram in Regensburg (Clm 14000) sehr hoch gegriffen; ob Abt Peter I. diesen kostbaren Einband wirklich aus eigener Anschauung kannte, bloß weil sein Kloster 1412 eine Bitte an St. Emmeram um Gewährung der Verbrüderung richtete (S. 181, Anm. 236), darf bezweifelt werden.

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Der in repräsentativem Großformat angelegte Sammelband Clm 8201 vereinigt in sich mehrere Texte, die sämtlich mit kolorierten oder einfarbigen Federzeichnungen, Figurengedichten, typologischen Zeichnungen und farbig angelegten sowie teilweise schwarz und rot beschrifteten Bilddiagrammen ausgestattet sind. Den einzelnen Textbestandteilen und ihrem Bildschmuck wendet sich der Verfasser in Unterkapiteln zu, die der Abfolge der Texte und Bilder innerhalb des Corpus entsprechen. Den Beginn machen die vier Evangelien (fol. 2r-36v). Der Umstand, dass nur das Matthäus- und das Markusevangelium mit Autorenbildern in Gestalt großer »farbig aquarellierter« Federzeichnungen (S. 62) versehen sind, während die Anfänge zum Lukas- und Johannesevangelium nicht nur kein Autorenbild, sondern in dafür vorgesehenen Bildgründen auch keine illuminierte Initiale mehr aufweisen, bedarf einer Erklärung. Ob der offensichtliche Verzicht auf die Evangelistenportraits von Lukas und Johannes mit »vielleicht fehlten sie bereits in der Vorlage« (S. 62) zu erklären ist, kann angesichts der Feststellung Suckales, das monumentale und feierliche Evangeliar greife »den hohen Anspruch des Golddeckels« auf, mit dem Abt Peter ein »älteres, verehrtes Evangeliar« habe kopieren wollen (S. 62), bezweifelt werden.

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Die folgenden Abschnitte besprechen die Bildikonographie der seitengroßen Zeichnung der »Hostienmühle« (fol. 37r), die auf einen böhmischen Bildtypus zurückgeht. Die unbeschriftet gebliebene Darstellung vermittelt zum anschließenden Liber de Laudibus Sanctae Crucis des Hrabanus Maurus (fol. 38v-80v), an dessen Ende das zweite Widmungsgedicht des Bandes anschließt, das neben Auftraggeber und Datierung auch den Zweck der Stiftung nennt: »… zum Lob des siegreichen Kreuzes Christi, unseres Erlösers, der herausragenden Jungfrau, des Erzengels Michael sowie unseres Vaters Benedikt…« (S. 21). Hier sind die Beschreibungen der einzelnen Figurengedichte mit Verweis auf die Spezialliteratur zu Recht knapp gehalten. Die eher ungewöhnliche Aufnahme des Textes in der von Hrabanus Maurus an den Mitbruder Hatto gewidmeten Version in den vorliegenden Sammelband sieht Suckale als ein Stück retrospektiver benediktinischer Tradition, die auch sonst im Codex allenthalben zu beobachten ist (vgl. dazu besonders S. 132–139).

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Im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts steht mit der (lateinischen) Mettener Biblia Pauperum jener reich illustrierte Text, der recht eigentlich die Bekanntheit des Sammelbandes ausmacht (fol. 81r-89v). Angesichts des hohen Bekanntheitsgrades dieses breit überlieferten typologischen Bildkompendiums beschränkt sich der Verfasser auf eine Definition der Buchgattung und charakterisiert zusammenfassend deren Inhalt, Gebrauch und Layout, welches stark von der originalen Bild-Text-Redaktion abweicht. Auch hier kann die folgende Beschreibung der Einzeldarstellungen sich auf kurze Inhaltsbestimmungen mit Bezug auf die jeweils zugrundeliegenden Textquellen und fallweise Anmerkungen zu Besonderheiten der Bildikonographie beschränken. Der Vergleich der Mettener Biblia Pauperum mit der Parallelüberlieferung kennzeichnet die Nähe beziehungsweise den Abstand der Textstellen und der Bildkompositionen zu älteren Redaktionen, wobei das Layout-Vorbild auf teilweise »recht altertümliche« Vorlagen zurückgeht, die einem Urtypus nahestehen, der als »für sich konzipiertes dünnes Bilderbuch« angelegt war (S. 84).

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Als nächste Text-Bild-Komponente folgt in der Handschrift auf fol. 89r–94r eine Visualisierung von Innozenz’ III. Schrift De missarum mysteriis in Form von 44 zumeist kreisförmigen Lehrfiguren, die den Ablauf der Messe in Gestalt von Diagrammen (figurae) zusammenfassen. Obwohl nicht alle der zahlreichen Inschriften im lateinischen Text und deutscher Übersetzung wiedergegeben werden können, gelingt dem Verfasser auf einprägsame Weise die schwierige Aufgabe, dem Leser den Inhalt, die Bedeutung und Symbolik der einzelnen figurae interpretierend begreifbar zu machen. Er befragt die Inschriften der Schemata nach ihren zugrundeliegenden Textquellen, erklärt die figurative Konzeption der rotae und figurae und weist gegebenenfalls nach, an welche Stelle die Schemata eigentlich hätten platziert werden müssen. Als eindrucksvolles Beispiel für die ganzheitliche Deutung sei nur auf die ganzseitige Pater-noster-rota (fol. 93r, S. 89, Taf. 146) verwiesen oder auf das Rundbild mit Maria als Quell aller Gnaden (fol. 94r, S. 90–91, Taf. 148), für das kein Vorbild bekannt ist.

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Unter Berufung auf neuere Arbeiten von David F. Wright 14 und Jeffrey Hamburger 15 definiert Suckale das Verhältnis des Mettener Illustrationstypus neu. Aufgrund von Vergleichen mit weiteren Handschriften zeigen sich Abweichungen von einem rekonstruierbaren Urexemplar und dessen Bearbeitungen, insbesondere bewusste Veränderungen in der Abfolge, in der figurativen und inhaltlichen Konzeption, die auf ihre spezifische Funktion hin gedeutet werden.

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Besonders ausführliche, den theologischen Aussagegehalt und die daraus jeweils entwickelte Bildfiguration auslotende Beschreibungen erfahren auch die folgenden Darstellungen. Sie gelten unter anderem dem Bild des Messopfers (fol. 94v) und den Lehrfiguren des »Geistlichen Obstgartens« (fol. 95v-97r), bei dem zunächst die nachweisbaren Handschriften aufgelistet und Überlegungen zum Urexemplar angestellt werden. Für viele der dort berücksichtigten figurae mysticae ist die Herkunft aus dem Franziskanerorden wahrscheinlich; »Metten ist bislang das einzige Benediktinerkloster, aus dem eine solche Handschrift, zudem in stark veränderter Form und ›unmoderner‹ Auswahl, nachweisbar ist« (S. 110).

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Unter den verbleibenden Lehrfiguren und Einzelbildern findet sich unter anderen die »Symbolische Kreuzigung« (fol. 97v), die schon lange die besondere Aufmerksamkeit der Forschung erfahren hat. Sie steht in enger Verbindung mit dem Kreuzigungsbild des Uta-Evangelistars Clm 13601, fol. 3v. Suckale benennt zahlreiche ikonographische Unterschiede zwischen dem Uta-Evangelistar und der Zeichnung im Mettener Kompendium und kommt zum Ergebnis: »M. E. bleibt, wenn man nicht ein vermittelndes, das Urbild entstellendes Zwischenglied annehmen will, nur die Annahme, dass nicht der Künstler das Original im Niedermünster zu Regensburg kopiert hat, sondern der Abt, von dem wir ja wissen, dass er häufiger in Regensburg war und historische Studien betrieb; doch könnte es auch ein anderer Dilettant aus dem Freundeskreis des Abtes gewesen sein« (S. 121). 16

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In seiner Zusammenfassung stellt Suckale unter anderem die Frage nach der Nutzung des »Kompendiums«, das am ehesten zur geistlichen Betrachtung und Belehrung dienen solle. »Zugleich kann man in ihm ein ›Monument‹ sehen, das sich der Abt errichtete, weniger ein ›nützliches‹ Buch« (S. 129), was seine »Einbettung in ein Plenarreliquiar« (S. 130) erklären könnte.

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Stildiskussion zur Bestimmung des künstlerischen Umfelds

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Das Schlusskapitel »Die Maler der Mettener Codices und ihre Kunst« (S. 140–168) beansprucht aufgrund seiner Materialfülle, der genauen Beobachtung an den Originalen und der Dichte der Vergleiche die volle Aufmerksamkeit des Lesers. Eingangs wird die Frage nach den Einwirkungsmöglichkeiten des Auftraggebers auf die am Auftrag beteiligten Künstler gestellt. An seinen Vorgaben müssen sich die beauftragten Maler orientieren. Es handelt sich um einen »Meister« und einen ihm nachgeordneten »Mitarbeiter« beziehungsweise »Gesellen«, die allerdings auf vielfältige Weise Hand in Hand arbeiteten und deren jeweiliger Anteil nicht selten schwer zu bestimmen ist. So ist der in den Handschriften zu beobachtende Wechsel zwischen farbig illuminierten Szenen im Benediktus-Zyklus und kolorierten oder reinen Pinsel- beziehungsweise Federzeichnungen nicht allein auf die unterschiedlichen künstlerischen Fähigkeiten der Maler, sondern hauptsächlich auf die besonderen Wünsche des Abtes zurückzuführen. Im Folgenden verfolgt der Verfasser die Möglichkeiten und Entwicklungen der Zeichnung im 15. Jahrhundert im Allgemeinen und untersucht, vor allem in der Auseinandersetzung mit Werken der böhmischen Buchmalerei, anhand von zahlreichen Beispielen die spezifische Maltechnik und die Werkprozesse, die die Ausstattung der beiden Mettener Handschriften charakterisieren. Eindrücklich gelingt die Analyse der Reihenfolge der einzelnen Arbeitsschritte, die auf je andere Weise in den Zeichnungen des Sammelbandes und den Miniaturen des Regelcodex zutage treten.

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Wichtige Erkenntnisse ergeben sich auch bei der Analyse weiterer künstlerischer Ausdrucksmittel: Farbe und Licht (S. 151–154). So beschreibt Suckale die eingesetzten Farben und Farbkonkordanzen sowohl in ihrem Verhältnis zueinander als auch im Hinblick auf ihre Leuchtkraft und ihren Darstellungswert und kann anhand der Farbgestaltung die Unterschiede beider Maler überzeugend herausarbeiten. Eine deutlich unterschiedliche Farbkonzeption konstatiert der Verfasser bei den als »Aquarelle« bezeichneten kolorierten Federzeichnungen. Aus der Farbanalyse ergibt sich eine Abgrenzung von nah verwandten Werken der böhmischen Buchmalerei, etwa dem Martyrologium von Girona, dem zweiten Hasenburg-Missale, der Korczek-Bibel, dem Josua-Meister der Antwerpener Bibel des Konrad v. Vechta oder dem Esra-Meister der Wiener Wenzelsbibel. Als wesentliche Voraussetzung für die Farbgebung der Mettener Handschriften werden schließlich die Tafeln des Meisters von Wittingau/Třeboň (S. 154) erkannt. Bei der bis in kleine Details der Gewandung, Gesichtsbildung, Frisuren, Blicke und Gesten gehenden Analyse der Figurenbildung und der Komposition weist Suckale wiederum auf die Verwandtschaft mit Werken der Prager Buchmalerei, aber auch der Skulptur des »Schönen Stils« hin, wobei die Anregungen über Musterbücher oder das Bildreservoir der böhmischen Kunst, etwa zur Bibelillustration (S. 156), vermittelt worden sein können.

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Alle diese Beobachtungen führen im Schlusskapitel (S. 163–168) zu einer begründeten Einordnung der Mettener Miniaturen. Dabei ergibt sich aus der Stilanalyse die Nähe zu den in Prag tätigen »tonangebenden und stilbildenden Künstlergruppen um den Josua-Meister, den Meister des Martyrologiums von Girona und den Maler des ersten Hasenburg-Missales« (S. 163). An der Ausmalung der letztgenannten Handschrift scheint, so Suckale, der Meister der Mettener Codices selbst beteiligt gewesen zu sein (S. 164). Nicht zuletzt historisch-politische Gründe, die zur Auflösung der Prager Großwerkstätten in den ersten beiden Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts führten, werden auch den Meister der Mettener Codices und seinen Mitarbeiter zum Verlassen des Landes bewogen haben, um als Wandermaler andernorts Buchmalereiaufträge wie die der beiden Mettener Handschriften auszuführen. Ihre mit dem böhmischen Kunstschaffen so eng verbundenen Leistungen bleiben freilich isoliert und ohne direkte Nachfolge.

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Fazit

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Will der Leser den unbestreitbar hohen wissenschaftlichen Ertrag des Werkes angemessen ausschöpfen, muss er leider auch einige (im Wesentlichen formale) Hindernisse überwinden. So werden die 767 teilweise sehr umfangreichen Anmerkungen als Endnoten dem Text angefügt (S. 169–203), was die Benutzung des großformatigen Bandes durch vielfaches Hin- und Herblättern zwischen Text, Anmerkungen, Literaturverzeichnis und Tafeln sehr erschwert, zumal die im Text genannte Literatur in den Anmerkungen in der Regel nur abgekürzt zitiert wird, sodass das vollständige Titelzitat erst aus den annähernd 1100 oft recht entlegenen Titeln des Literaturverzeichnisses entnommen werden kann (S. 204–227). Etwa ein Drittel der dort aufgelisteten Literatur ist erst nach 1975 erschienen – auch dies ein Hinweis auf den Grad der Überarbeitung, den das Werk in den letzten 37 Jahren erfahren hat. Ein nützliches und zuverlässiges Register schließt den Textteil des Bandes ab (S. 229–239). Angesichts der vielen Fallstricke, die die Veröffentlichung eines solchen wichtigen und schwergewichtigen Werkes naturgemäß bereithält, sind gelegentliche Druckfehler und Nachlässigkeiten (etwa im Literaturverzeichnis) ohne Bedeutung. Hervorzuheben ist dagegen die vorzügliche Qualität der 175 Farbtafeln. Selbst bei der Verkleinerung der Abbildungen aus dem »Kompendium« um mehr als ein Drittel auf das Format des Buches bleiben die kleinsten Inschriften in den Lehrfiguren noch gut lesbar. Schade nur, dass die Illustrationen im deutschsprachigen Teil der Benediktvita (auf Taf. 72–83) nur in (teilweise unterschiedlich vergrößerten) Bildausschnitten und umgeben von trauerrandartigen schwarzen Einfassungslinien reproduziert wurden.

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Die Forschung wird Suckales grundlegendes Werk als ausgesprochenes Arbeitsbuch, das für Theologen und Kunsthistoriker gleichermaßen von hohem Interesse ist, künftig nicht mehr missen können. Es verhilft zwei der bedeutendsten Handschriften des frühen 15. Jahrhunderts aus Bayern zur lange entbehrten Aufmerksamkeit und bildet ein tragfähiges Fundament für jede weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit den Handschriften des Mettener Abtes Peter I.

 
 

Anmerkungen

Für weiterführende Informationen sind die Digitalisate beider Handschriften heranzuziehen. Clm. 8201 d: urn:nbn:de:bvb:12-bsb00040563–7; Clm 8201: urn:nbn:de:bvb:12-bsb00040329–3. Vgl. auch die Nachweise in der Forschungsdokumentation der Bayerischen Staatsbibliothek: http://bsb-muenchen.de/index.php?id=172.   zurück
Etwa in Gestalt der Vita Benedikts, die Gregor der Große im zweiten Teil seiner Dialoge mitteilt.   zurück
Leider sind die illustrierten Seiten der deutschen Übersetzung im besprochenen Band nur jeweils in Ausschnitten wiedergegeben, sodass nicht erkennbar wird, inwieweit auch dort Gebrauchsspuren vorhanden sind. Das Digitalisat der Handschrift [urn:nbn:de:bvb:12-bsb00040563–7] zeigt auf den Recto-Seiten solche Spuren, allerdings wohl weniger intensiv als im lateinischen Regeltext. – Inwieweit in Metten auch Konversen, denen im Allgemeinen der Zugang zum Klausurbereich eines Klosters nicht gestattet war, als Zielgruppe für die deutsche Übersetzung der Regel in Betracht kommen, ist ungeklärt. Angesichts der in den Band ebenfalls aufgenommenen, durchgehend lateinischen aszetischen Texte und der Kostbarkeit der bildlichen Ausstattung des Codex ist mit einer Übertragung der Regula Benedicti »für Einfältige in die Volkssprache« wohl nicht zu rechnen; vgl. Hermann Köstler in: Die Benediktinerregel in Bayern. Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek 29. November 1980–10. Januar 1981. München 1980, S. 13.   zurück
Vgl. dazu S. 24 und Anm. 162. Dort ist BRENDEL 1912 in BENDEL 1912 zu korrigieren.   zurück
Die »vita depicta« des Benedikt wird nach dem Wortlaut des ersten der beiden als Bildlegende zum ersten Bild dienenden Verse »Bis bini iusti narrant vitam Benedicti« benannt. Vgl. dazu besonders S. 24–32 mit Anm. 160–177.   zurück
Die Kolorierung erfolgte erst später, wohl in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts (S. 153).   zurück
Die Szenen auf fol. 73r (Kap. 37) und fol. 73v (Kap. 38) sind flüchtig ankoloriert, die Rahmenleisten bleiben unkoloriert.   zurück
Vgl. Vita Benedicti. Farbmikrofiche-Edition der Handschrift Würzburg, Universitätsbibliothek, M.p.th.q.8. Beschreibung der Bilderhandschrift von Hans Thurn. Edition der Bis bini-Verse von Reinhard Düchting. München 1991 (Codices illuminati medii aevi; 21); Digitalisat: http://www.omifacsimiles.com/brochures/cima21.pdf (ohne Abbildungen).   zurück
10 
Siehe aus Bettina Wagner (Hg.): Außen-Ansichten. Bucheinbände aus 1000 Jahren aus den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek München. Ausstellung anlässlich der Tagung des Arbeitskreises Einbandforschung 28. August–15. Dezember 2006. Wiesbaden 2006, Kat. Nr. 7, S. 22–23.   zurück
11 
Fol. 1r, zitiert S. 60; das Reliquienverzeichnis und die Widmungsverse sind im Band nicht abgebildet.   zurück
12 
Suckale fasst den Einband in Kombination mit dem Text der vier Evangelien als »Plenarreliquiar« (S. 60 mit Anm. 239) auf. Solche mit kostbaren Einbänden versehene Handschriften, in denen häufig größere Gruppen von Reliquien verschiedener Heiliger geborgen waren, sind vor allem in Heiltumbüchern belegt. Allerdings sind dort in der Regel nur die Evangelien (bzw. die Festtagsperikopen) ohne weitere, nicht unmittelbar damit in Verbindung stehende Texte enthalten; zu einem solchen Plenarreliquiar, dessen Einband allerdings nur noch in zeitgenössischen Beschreibungen überliefert ist, vgl. Helmut Engelhart: Der Einband des Fuldaer Evangeliars M.p.th.f.66 der Universitätsbibliothek Würzburg in illustrierten Exemplaren der Würzburger Bischofschronik des Lorenz Fries. In: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 73 (2011), S. 227–279, hier: S. 255–270.   zurück
13 
Die Abbildung des Rückdeckels steht auf dem Kopf oder ist seitenverkehrt. Im Digitalisat des Codex [urn:nbn:de:bvb:12-bsb00040329–3] werden zwar Buchrücken und Buchschnitte wiedergegeben, der Rückdeckel jedoch bleibt leider unberücksichtigt.   zurück
14 
David F. Wright: A Medieval Commentary of the Mass, Particulae 2–3 and 5–6 of De missarum mysteriis (ca. 1195) of cardinal Lothar von Segni (Pope Innocent III). Ph. D., Notre Dame/Ind. 1977.   zurück
15 
Jeffrey Hamburger: Haec figura demonstrat. Diagrams in an Early-Thirteenth Century Parisian Copy of Lothar de Segni’s De missarum mysteriis. In: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 58 (2009), S. 7–78.   zurück
16 
Ein Vergleich beider Miniaturen, insbesondere auch ihrer Inschriften wird nicht unerheblich erleichtert durch Karl-Georg Pfändtner und Brigitte Gullath: Der Uta-Codex. Frühe Regensburger Buchmalerei in Vollendung. Die Handschrift Clm 13601 der Bayerischen Staatsbibliothek. Luzern 2012, hier bes. S. 126–127 (Schema mit den lateinischen bzw. den übersetzten Inschriften von fol. 3v des Uta-Evangelistars). Suckale teilt für die Mettener Kopie nur die Abweichungen vom Wortlaut des Uta-Codex mit.   zurück