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‚Berufen‘, ‚Bestimmtsein‘, ‚Bestimmung‘, ‚Selbstbestimmung‘

Der lange Weg der Beschäftigung mit Sinn und Zweck menschlichen Lebens in seiner Begriffsgeschichte

  • Laura Anna Macor: Die Bestimmung des Menschen (1748-1800). Eine Begriffsgeschichte. (Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung, Abteilung 2 25) Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 2013. 432 S. Leinen. EUR (D) 128,00.
    ISBN: 978-3-7728-2615-3.
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›Wozu bin ich da?‹ – ›Was ist der Mensch?‹ So fragen sich Spalding und Kant über den jeweiligen Bestimmungshorizont des Menschen und unterscheiden sich in der Beantwortung dieser das 18. Jahrhundert bewegenden Fragen nicht nur in ihrer Fokussierung auf das einzelne Individuum oder aber auf dieses als untergeordneter Teil der Gattung, sondern auch im entweder religiösen oder moralphilosophischen und schliesslich geschichtsphilosophischen Bezugsrahmen; bestens bekannt und erforscht, mag sich der Aufklärungsforscher denken. Und in der Tat liegen zahlreiche Arbeiten nicht nur über Spalding und Kant, sondern über alle sich wegweisend mit der Frage nach Sinn und Zweck des menschlichen Daseins beschäftigenden Autoren des 18. Jahrhunderts vor. Doch welchen Prozess hat die Beantwortung der Frage nach der Bestimmung des Menschen durchlaufen von Spalding bis zu Kant und darüber hinaus zu Fichte, der die letzten wichtigen Schriften verfasst hat? Welche dynamischen Wechselwirkungen bestehen zwischen den einzelnen Auslegungen, welche Faktoren führten zur stetigen Neuinterpretation, welche kultur-, ideen-, theologie- und philosophiegeschichtlichen Entwicklungen lassen sich nachvollziehen anhand der unterschiedlichen Auslegungen? Das sind Fragen, die bisher nicht in Bezug auf den gesamten Zeitraum, in dem die Bestimmung des Menschen diskutiert wurde, beantwortet worden sind; es sind Fragen, die nur eine fundierte Begriffsgeschichte beantworten kann. Eine solche liefert Laura Anna Macor in ihrer verdienstvollen Arbeit. Sie zeigt erstmals eine über die Darstellung einzelner Autoren (Spalding, Mendelssohn, Kant, Schiller, Fichte) oder deren Debatten (Spalding – Goeze, Abbt – Mendelssohn, Mendelssohn – Herder) hinausgehende lückenlose Darstellung der Entwicklung des Begriffs der Bestimmung des Menschen, indem sie differenziert auf seine immer wieder erfolgte Neuinterpretation und Bedeutungsverschiebung eingeht und dadurch dessen Schlüsselfunktion für die Bewegungen im religiösen, philosophischen, historischen und ethischen Denken des 18. Jahrhunderts aufzeigt.

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Historisch-philologischer Zugang zur Begriffsgeschichte

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Ausgehend von Norbert Hinskes Ansatz, eine Epoche nicht nur auf ihre ›Leitideen‹ und deren weiterwirkenden Errungenschaften hin zu befragen, sondern die für die damalige Gelehrtenwelt prägenden und diskutierten Topoi zu untersuchen 1 , will die Autorin der für das 18. Jahrhundert prägenden Frage nach der menschlichen Bestimmung nachgehen. Diese zählt sie der Typologie Hinskes entsprechend zu den ›Basisideen‹, die zusammen mit den ›Programm‹- (Eklektik, Selbstdenken, Mündigkeit) und ›Kampfideen‹ (dunkle, verworrene Vorstellungen, Vorurteile, Aberglauben und Schwärmerei) die, unabhängig von ihrem Weiterwirken, jede kulturelle und geistliche Bewegung charakterisierenden ›Grundideen‹ einer Epoche ausmachen (S. 20 f.). Dass diese ›Grundideen‹ in ständiger Wechselwirkung zu betrachten sind und dadurch einen dynamischen Prozess der Weiterentwicklung und Umgestaltung erfahren, zeigt Macor in ihrer methodisch fundierten Arbeit. In fünf Teilen geht die Autorin auf der Grundlage von breit angelegten Quellenstudien auf die verschiedenen Etappen der Begriffsgeschichte ein und stellt sie in ihren Wechselwirkungen, Abgrenzungen und Bezugsrahmen vor.

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Offenbarte Wahrheit und Wahrheit durch Vernunft: Von Luther zu Spalding

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Im ersten Teil ihrer Arbeit widmet sich Macor der Vorgeschichte des Begriffs und widerlegt die weit verbreitete Meinung über die Spaldingsche ›Urheberschaft‹, indem sie aufzeigt, dass der Begriff bereits bei Luther, wenn auch nicht in der späteren Ausgeprägt- und Differenziertheit, Verwendung fand. Spalding war es allerdings, der dem Begriff mit seinem erstmals 1748 erschienen Werk Bestimmung des Menschen wegweisende Bedeutung verlieh und ihn zum Ausgangspunkt für die das 18. Jahrhundert bewegenden theologischen, moralischen und geschichtsphilosophischen Reflexionen machte.

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Neben August Friedrich Wilhelm Sack, von dem Spalding wichtige Impulse für sein aufgeklärtes religiöses System erhielt und dessen Selbst-Gespräch Vertheidigter Glaube der Christen ihm die Gattungsvorlage für die als Monolog verfasste Bestimmung des Menschen lieferte, war es insbesondere Shaftesbury, dem Spalding wichtige Impulse verdankte. Um sich des Englischen zu bemächtigen, hatte er sich dem als Deisten verschrieenen Shaftesbury nicht ohne theologische Vorbehalte zugewandt und war dergestalt beeindruckt von dessen Sittenlehre, dass er beschloss, sowohl The Moralist und An Inquiry concerning Virtue, or Merit ins Deutsche zu übersetzen. Diese Werke waren es, so erläutert Macor den Kontext des ersten für die Begriffsgeschichte bedeutenden Werks, die Spalding trotz ihres Verzichts auf jeglichen Miteinbezug der göttliche Offenbarung zu den Grundannahmen seiner Theologie führten: zur jedem Menschen inhärenten Anlage zum Guten und Wahren und damit zur Fähigkeit eines gottgefälligen, tugendhaften Lebens. Spalding eignete sich also deistisches Gedankengut an, um davon ausgehend eine neue christliche Apologetik zu etablieren (S. 83). Diese bestand darin, »die traditionellen Beweise für die christliche Religion so zu revidieren, daß sie existentiell verankert und deswegen allen zugänglich seien« (S. 94).

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Orthodoxe Kritik und überkonfessionelle Ausbreitung: Theologische Rezeption

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Im zweiten Teil ihrer Arbeit geht Macor auf die Diskussion ein, die Spaldings Schrift innerhalb der orthodoxen Theologie ausgelöst hat. Sie erläutert die Kritik der Orthodoxie, welche die Loslösung von christlichen Lehren und der Verzicht der göttlichen Offenbarung (insbesondere der Verzicht auf die Bedeutung und Funktion von Jesus Christus als Erlöser) als schwerwiegende Untergrabung der Grundpfeiler des Christentums empfand und somit den Begriff der Bestimmung, wie ihn Spalding erläutert, nicht als religiös verstanden haben wollte – ein Vorwurf, gegen den sich Spalding zur Wehr setzte, wie aus dem Anhang der dritten Auflage der Bestimmung des Menschen von 1749 hervorgeht. Macor erläutert, wie dieser Anhang auf Johann Melchior Goezes anonym veröffentlichte Gedanken über die Betrachtungen von der Bestimmung des Menschen, in einem Sendschreiben entworfen von G*** reagiert und dessen Hauptkritik, die Vernachlässigung der göttlichen Offenbarung und somit den deistischen Inhalt der Schrift, zu entkräften versucht. Indem Spalding die göttliche Offenbarung als notwendige Voraussetzung festlegt, die es dem Menschen möglich gemacht hat, die rein sinnliche Wahrnehmung zu übersteigen und die Vernunft zu entwickeln, was ihn wiederum dazu befähigte, losgelöst von geoffenbarten Wahrheiten zu Erkenntnissen über Gott und die Welt und über die Bestimmung des Menschen zu gelangen (S. 121 f.), entkräftet er Goezes Einwand, ohne sein auf der Perfektibilität des Menschen beruhendes Konzept aufgeben zu müssen (S. 123).

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Dass sich Spalding mit seiner Widerlegung des Deismus-Vorwurfs keineswegs aus der orthodoxen Schusslinie manövrieren konnte, zeigen Macors Erläuterungen zu Johann Martin Chladenius-Kritik. In leicht verständlicher Sprache expliziert Macor die theologisch komplexen Einwände, die sich auf heterodoxe Auslegung oder aber Nicht-Beachtung der christlichen Dogmen der Rechtfertigung, der Prädestination und der Erbsünde beziehen (S. 126–130). Im Gegensatz zu den Vorwürfen Goezes ist Spalding nicht auf die Kritik von Chladenius eingegangen – umso wichtiger ist deshalb Macors der Chladenius-Kritik folgendes Kapitel, in dem sie auf die der christlichen Religion verpflichtete Begrifflichkeit von Spaldings Bestimmung eingeht. Seit jeher würde in der Forschung kritisch bemerkt, dass Spalding die christliche Tradition und ihre Dogmatik vernachlässige, auf der anderen Seite sei aber auch die Komplexität seines Verhältnisses zum Christentum zum Ausdruck gebracht und als praktische, populäre oder ethische Dogmatik umschrieben worden. Macor betont, dass es Spalding um das im »offenen Raum zwischen zur Lebensorientierung notwendiger Religion und leerer, gelegentlich schädlicher Spekulation« (S. 133) anzusiedelnde Wesen des Christentums gehe und er sorgfältig unterscheide zwischen »Dogma um der Erkenntnis willen« und »Dogma um der Seligkeit willen« (S. 139). Um letzteres gehe es ihm in seiner Bestimmung, da er sich darin mit dem Glück des Menschen beschäftige, was seiner Meinung nach, losgelöst von jeder theologischen Debatte, der Grundinhalt der christlichen Religion sei (S. 139). Spaldings Schrift und somit sein Begriff der Bestimmung des Menschen erfuhr denn auch eine überkonfessionelle Ausbreitung, wie Macor anhand der Rezeption in der deutschsprachigen reformierten Schweiz zeigt, die über Johann Georg Sulzer, Johann Caspar Lavater und den in Zürich weilenden Martin Christoph Wieland stattfand. Der Begriff behielt in dieser Rezeption seine theologische Bedeutung, so das Ergebnis dieser ersten, den Begriff prominent machenden Etappe der Entwicklungsgeschichte.

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Moralphilosophische und geschichtsphilosophische Auffassung des Begriffs: die Bestimmung wird zur Selbstbestimmung

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Im dritten und vierten Teil ihrer Arbeit untersucht Macor den ab Beginn der 1760er Jahre stattfindenden Wandel in der Begriffsgeschichte zu einer moral- und geschichtsphilosophischen Auffassung, dessen Hauptursache in einer Ablösung von metaphysischen Erklärungs- und Begründungsansätzen liegt.

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Annahmen über die jenseitige Weiterexistenz, die bis anhin den Ausgangs- und Zielort der menschlichen Bestimmung bildeten, wurden zunehmend in Frage gestellt und verloren schliesslich ihre Gültigkeit als Argumente in einer schlüssigen Theorie über Sinn und Zweck menschlichen Seins und Handelns. Dieses wurde nun an für das irdische Leben relevanten und an ihm überprüfbaren Massstäben bemessen. Einen wichtigen Impuls für diese Wandlung lieferte Thomas Abbt mit seinem Hinweis auf die folgenschwere Zweideutigkeit des Begriffs ›Bestimmung‹. Dieser müsse nicht nur in Bezug auf den Endzweck des Menschen, also das ›Bestimmtsein‹, sondern auch im Hinblick auf sein Verhalten, also das ›Bestimmen‹, erörtert werden (S. 169). Obschon in der auf Abbts Zweifel folgenden, breit erforschten Debatte zwischen ihm und Mendelssohn, die Macor kurz und sachlich in ihrer begriffsgeschichtlichen Bedeutung wiedergibt, eine im Phädon (1767) gipfelnde Rückkehr zur metaphysischen und somit finalen Begründung aufleuchtet, ist die moralphilosophische Bedeutungsverschiebung nicht aufzuhalten.

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Bei dieser Verschiebung kommt dem jungen Schiller Bedeutung zu, führt Macor die Reihe der begriffsgeschichtlich wichtigen Autoren fort. Sie vergisst nicht darauf hinzuweisen, dass die von ihr besprochenen Schriften vor Schillers spät erfolgter Kant-Rezeption verfasst wurden und deshalb philosophiegeschichtlich zur vorkantischen Epoche gehören (S. 187). Schiller verfestigte, was Abbt eingeleitet hatte: Der Mensch sei zu Moral und Tugend bestimmt, diese sei nicht durch den Glauben an Unsterblichkeit motiviert, sondern konstituiere sich durch die Erkenntnisse über die Natur und den Ursprung der von ihm einzuhaltenden Vorschriften (S. 193–199).

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Schillers Versuch, die Moral aus sich heraus zu begründen, verpflichtete sich auch Immanuel Kant in seinen ersten Reflexionen über die Bestimmung des Menschen. Wie Macor anhand der sprachstatistischen Auswertung der für die Begriffsgeschichte der Bestimmung wichtigen Termini in Kants Bemerkungen zu den ›Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen‹ von 1764 aufzeigt, benutzt Kant den Begriff ›Bestimmung‹ und das dazugehörige Prädikat ›bestimmen‹, für die er vorher keine Verwendung fand, ab besagter Schrift in auffallender Häufigkeit (S. 201 f.). Aus dieser Häufigkeit schliesst Macor, dass die zu Recht in der Forschungsliteratur immer wieder erläuterte Rousseau-Rezeption in den Bemerkungen um eine auf dem Hintergrund von Spaldings Bestimmung gemachte Analyse erweitert werden muss. Macor zeigt denn auch, wie Kants Auseinandersetzung mit Spaldings Schrift zum für die Begriffsgeschichte wichtigen neuen Paradigma führte: Kant hob die von Abbt initiierte Trennung des Begriffs wieder auf und kontrahierte das ›Bestimmtsein‹ und das ›Bestimmen‹ zur Selbstbestimmung.

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Herders Auseinandersetzung mit dem Begriff führt von Spalding über Abbt und Mendelssohn zum eigenen kulturrelativistischen Ansatz, dessen synchroner und diachroner Blick auf die Menschheit auch die menschliche Bestimmung als Teil der geschichtlichen Ganzheit miteinschliesst, doch nur als »Vorstellungen und Charakteristika der jeweiligen Szene, d.h. der jeweiligen historischen Lage« (S. 245). Die erneute Beschäftigung mit Kant erklärt sich aus dessen geschichtsphilosophischer Auseinandersetzung mit dem Begriff, die im Gegensatz zur zuvor erläuterten moralphilosophischen Interpretation neue Wege einschlägt. Der einzelne Mensch sei nicht in der Lage, seiner Bestimmung vollumfänglich gerecht zu werden, darum müsse diese sich in der Vervollkommnung der Gattung erfüllen, so Kants stark kritisierte radikale Auffassung, in der die Bestimmung des Individuums in der Bestimmung der Gattung aufgehoben wird. Die Frage nach der Sinngebung und deren kollektiver und zugleich individueller Tragweite bildete in der Folge den Kern der Auseinandersetzung. Während Mendelssohn, unter anderem gegen Lessings Erziehung des Menschengeschlechts argumentierend, am Vervollkommnungsprozess des einzelnen Menschen festhielt, kritisierte Herder, der von einer ausgeglichenen Partizipation des Einzelnen am Gesamten ausging, sowohl Kants Auflösung des Individuums im Ganzen wie auch Mendelssohns zu starke Betonung des Einzelschicksals. Auch Schiller wird erneut in die begriffsgeschichtliche Entwicklung eingeschaltet, und zwar in seiner auf die erste Übereinstimmung mit Kant folgenden Distanzierung, der die Hinwendung zur ästhetischen Erziehung, die sich auf den Einzelmenschen und nicht auf das geschichtsphilosophische Kollektiv bezieht, zugrunde liegt.

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Macor besticht in diesem bekannte und für die Epoche der Aufklärung zentrale Werke erläuternden Teil durch ihre konsequente Auswertung der begriffsgeschichtlich wichtigen Aspekte, die sie stets terminologisch eindeutig voneinander abgrenzt. Dies lässt den Leser mühelos deren Bedeutung für die jeweilige Richtungsentwicklung nachvollziehen.

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Nochmals Spalding und trotzdem Verfall

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Der abschliessende fünfte Teil von Macors Arbeit behandelt die letzten zehn Jahre des 18. Jahrhunderts, in denen der Begriff trotz der Versuche, ihn an die theoretischen Bedürfnisse der Transzendentalphilosophie anzupassen, langsam dem Verfall preisgegeben wurde. Dem konnte auch die letzte von Spalding autorisierte und erheblich überarbeitete Auflage der Bestimmung des Menschen von 1794 nichts entgegensetzen. Auf dem Hintergrund von Kants in der Zwischenzeit erschienenen drei Kritiken versucht Spalding, die aufgeklärte Vormachtstellung der ratio mit der Kantischen Philosophie in Einklang zu bringen – ein zum Scheitern verurteiltes Unternehmen, wie Macors Analyse von Spaldings in den Zusätzen erfolgende Kant-Rezeption genauso aufzeigt wie die zeitgenössische Rezeption in Rezensionen, auf die Macor verweist (S. 309 f.).

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Ein letztes Aufleben des Begriffs ist denn auch nicht seinem ›Hauptinitiator‹ zu verdanken, sondern Johann Gottlieb Fichtes Vorlesungen an der Universität Jena, die sich mit den Pflichten und der Bestimmung des Gelehrten auseinandersetzten, auf deren Grundlage sich die Bestimmung des Menschen zum Beruf des Menschen wandelte. Obschon sich Fichte in der 1800 veröffentlichten Schrift Bestimmung des Menschen, die eng mit dem Atheismusstreit verbunden ist oder gar, wie Macor vermutet, als dessen zwangsläufige Folge betrachtet werden muss, an Spalding als Gewährsmann hält, lassen sich das ins Diesseits verpflanzte überirdische Reich genauso wenig wie das Ergebnis, dass keine vollumfängliche Kenntnis über die Bestimmung des Menschen erreicht werden könne (S. 326), mit Spaldings Intentionen und Konklusion vereinbaren; der Begriff verlor seine Aussagekraft und verkam zum Schlagwort.

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Macor schliesst ihre Studie mit dem Hinweis auf die ›kulturelle‹ Verbreitung des Begriffs, die sie mit dem Vorkommen in unterschiedlichsten Gattungen belegt. Diese, den Angaben der Autorin zufolge, anhand der Durchforstung verschiedener öffentlich zugänglicher Datenbanken gemachten Erhebungen sind zwar illustrativ, lassen aber die vorangehenden Ergebnisse etwas blass ausklingen. Ein starkes Schlusswort, in dem nochmals die tragenden Aspekte, die zum Verfall des Begriffs geführt haben, aufgenommen worden wären, hätte die Arbeit würdiger abgerundet und wäre ihrer Bedeutung besser gerecht geworden.

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Fazit

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Macor legt in ihrer Arbeit eine in jeder Hinsicht überzeugende und lückenlose Darstellung der Geschichte des Begriffs der Bestimmung des Menschen vor, die in ihrer Stringenz, in der Auswahl der Texte und der Quellenanalyse besticht. Im weiten Feld der Forschungsarbeiten, die sich mit theologischem, philosophischem und literaturwissenschaftlichem Fokus mit der für die Aufklärung zentralen Frage nach Sinn und Zweck menschlichen Lebens auseinandersetzen, sichert sie sich ihren Platz mit dem konsequent verfolgten Weg, den Begriff in seiner sich durch unterschiedliche Rezeptionsansätze kennzeichnenden dynamischen Entwicklung zu verfolgen. Die präzis erläuterte Bezugnahme der ausgewählten Werke aufeinander und deren Bedeutung für die verschiedenen Etappen der Begriffsgeschichte machen die Schlaglichter der Aufklärung zu einem leuchtenden Porträt einer gesamten Entwicklung, die nachzuverfolgen nicht nur auf Grund der inhaltlich reichen Analysen, sondern auch dank der eingängigen Sprache nicht nur ein Muss, sondern auch ein Genuss für jeden Aufklärungsforscher ist.

 
 

Anmerkungen

Norbert Hinske: Die tragenden Grundideen der deutschen Aufklärung. Versuch einer Typologie. In: Die Philosophie der deutschen Aufklärung. Texte und Darstellung. Hg. von Raffaele Ciafardone. Stuttgart: Reclam 1990. S. 407–458.   zurück