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Auch bei Rowohlt keine Stunde Null

  • David Oels: Rowohlts Rotationsroutine. Markterfolge und Modernisierung eines Buchverlags vom Ende der Weimarer Republik bis in die fünfziger Jahre. Essen: Klartext 2013. 440 S. Paperback. EUR (D) 29,95.
    ISBN: 978-3-8375-0281-7.
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Der geschickt gewählte Titel ist der Leitfaden bei der Lektüre der Studie von David Oels über den Rowohlt-Verlag vom Ende der Weimarer Republik bis in die 1950er Jahre. Die bei Erhard Schütz entstandene Berliner Dissertation ist so materialreich, dass hier nicht alle Aspekte gewürdigt werden können.

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Gegliedert ist das über 400 Seiten starke Werk in fünf Kapitel. Nach der Einführung unter dem Stichwort »Rowohlt-Kultur« folgen die Verlags- und Verlegergeschichte von 1931 bis 1946, die Geschichte der Rowohlts-Rotations-Romane und des Taschenbuchs sowie die beiden Kapitel über frühe Bestseller des Verlags, nämlich über Götter, Gräber und Gelehrte von C. W. Ceram (1950) und Der Fragebogen von Ernst von Salomon (1951).

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Liest man das Buch entlang dem Titel, so entpuppt sich die Geschichte des traditionsreichen Verlags als Geschichte der geschickten Wendungen und nicht als »Geschichte von Unterdrückung und Verfolgung sowie literarischer und persönlicher Standhaftigkeit« (S. 8) im Dritten Reich mit einem radikalen Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg, wie es der Verlag zumindest bis 2008 auf der Homepage glauben machen wollte.

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Im Sommer 1910 wurde der »erste Rowohlt-Verlag« mit dem Geldgeber und stillen Teilhaber Kurt Wolff im Hintergrund in das Leipziger Handelsregister eingetragen. Nachdem Ernst Rowohlt sich mit Wolff überworfen hatte, schied er 1912 aus dem Verlag aus, der fortan als Kurt Wolff Verlag firmierte. 1919 nahm Rowohlt mit dem »zweiten Rowohlt-Verlag« in Berlin die Geschäfte auf, doch trotz der Bestseller von Emil Ludwig war der Verlag im Sommer 1931 insolvent und wurde vor allem durch Beteiligungen von Mitgliedern der Ullstein-Verlegerfamilie in einer Rowohlt Verlag GmbH aufgefangen und konnte so die Geschäftstätigkeit fortsetzen. Galt Rowohlt durch Autoren wie Kurt Tucholsky, Walter Benjamin oder Erik Reger in den 1920er Jahren als linker Verlag, so markierte die Herausgabe von Werken der nationalistischen Autoren Arnold Bronnen (seit 1930) und Ernst von Salomon (seit 1931) »die politische Neuausrichtung des Verlags« (S. 44). Befördert wurde diese Neuausrichtung, die bereits vor der Insolvenz von 1931 begonnen hatte, durch die Verbindung mit dem konservativen Ullstein-Haus, wobei die unmittelbare Einflussnahme der Ullsteins auf das Programm »nicht klar zu bestimmen« (S. 48) ist. Durch die ›Arisierung‹ des Ullstein-Verlags 1934 gehörte Rowohlt seit diesem Jahr oder seit 1936 (die Aktenlage ist hier nicht eindeutig) zum Verlagskonglomerat um den NSDAP-Parteiverlag Franz Eher Nachfolger.

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»Indifferent bis opportunistisch«

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Nach 1933 verlegte Rowohlt eine Reihe von Militaria sowie Autoren, die dem neuen Regime nicht gerade feindlich gegenüber standen. Seine Haltung charakterisiert Oels mit »indifferent bis opportunistisch« (S. 80), und so ist die Verlagsgeschichte »zu Anfang des Dritten Reichs kein Beispiel für verzweifelte Camouflage und heimlichen Widerstand gegen das Regime« (S. 85). Ökonomisch ist sie in dieser Zeit keine Erfolgsgeschichte. Das änderte sich erst im Rahmen der anziehenden Buchkonjunktur in den ersten Kriegsjahren. Verlegt wurde zunehmend Unterhaltendes, Ratgeber der verschiedenen Genres, Reisebücher und Tatsachenromane (vgl. S. 91–96 und 149–160).

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Mitte 1938 wurde Ernst Rowohlt, der 1937 wohl aus taktischen Gründen Mitglied der NSDAP geworden war, aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, was einem Berufsverbot gleichkam. Die genauen Gründe bleiben im Dunkeln. Rowohlt verließ Deutschland im November des Jahres. Kurz zuvor war er aus dem Verlag, der inzwischen von der DVA übernommen und nach Stuttgart übersiedelt worden war, ausgeschieden; sein Sohn Heinrich Maria Ledig-Rowohlt übernahm die Geschäftsführung. Der Verlag wurde wie andere im Herbst 1943 geschlossen.

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Schon 1940 kehrte Rowohlt nach Deutschland zurück und trat in die Wehrmacht ein. Dort leitete er eine Dienststelle, die »für die gesamte Propaganda im Nahen Osten zuständig war« (S. 128). Mitte 1942 wurde er aus der Wehrmacht entlassen; auch hier sind die Umstände nicht eindeutig geklärt.

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Um die Kontinuitäten über die zeitgeschichtlichen Marken von 1933 und 1945 hinweg hervorzuheben, überschreibt David Oels bezeichnenderweise die Aktivitäten nach Ende des Kriegs mit »Weitermachen in Stuttgart« (Gründung der Rowohlt GmbH Stuttgart durch Ledig-Rowohlt im November 1945 unter Minderheitsbeteiligung der DVA) und »Weitermachen in Hamburg« (Gründung der Rowohlt GmbH Hamburg durch Ernst Rowohlt im Mai 1946). 1 Programmatisch knüpft der Verlag u. a. mit den Memoiren des ehemaligen Reichsbankpräsidenten und NS-Ministers Hjalmar Schacht (1948) und den Schriften des rechtskonservativen Hans Zehrer (1949) an die zurückliegende Zeit an. Resümierend schreibt Oels: »Ernst Rowohlt stand […] – abgesehen von seinen noch immer exzellenten informellen Kontakten – nicht mit ganz leeren Händen da, wenn er sein Geschäft auch keineswegs so direkt fortsetzen konnte wie sein Sohn« (S. 185). Auch hier gab es also nicht die vielzitierte Stunde Null.

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Immer wieder kontrastiert Oels die Verlagsgeschichte mit der Selbstdarstellung des Verlags, vor allem mit der Publikation zur hundertjährigen Verlagsgründung. 2 Wie im Fall Bertelsmanns 3 lässt sich auch Rowohlts Selbstdarstellung als von den Nationalsozialisten bedrängter und verfolgter Verlag angesichts der historischen Fakten nicht halten. Es ist keine Geschichte von Widerstand im Dritten Reich und radikalem Neuanfang nach Ende des Zweiten Weltkriegs, sondern eine Geschichte von Kontinuitäten.

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Neben dieser großflächigen These von den Kontinuitäten statt Brüchen in der Verlagsgeschichte – Oels nennt die Selbstdarstellung des Verlags eine »Zurichtung der eigenen Vergangenheit« – vereint die umfangreiche Schrift im Grund drei weitere Studien: zur Entstehungsgeschichte des Taschenbuchs in Deutschland, zur Entwicklung des Sachbuchs und zu Ernst von Salomons autobiografischem Roman Der Fragebogen (1951), der den »verlagsgeschichtlichen Rowohlt-Mythos« befestigte und seither »die Selbstdarstellung des Unternehmens« prägt (alle Zitate S. 357). 4

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Ist das kurze Kapitel über den Fragebogen (S. 355–379) doch eher Rowohlt-spezifisch interessant, so gehen die beiden anderen Studien weit über die Verlagsgeschichte hinaus und sind wichtige Beiträge zu Gegenständen der buchwissenschaftlichen und medienwissenschaftlichen Forschung.

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Götter, Gräber und Gelehrte

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Im Kapitel über C. W. Ceram (mit bürgerlichem Namen Kurt W. Marek) schildert Oels eingehend die Entstehungsgeschichte sowie den verlegerischen und literarischen Kontext, in dem der Bestseller steht, der im Rowohlt-Verlag eigentümlicherweise keine Nachfolger hatte (S. 354), jedoch »schulbildend [war] wie kaum ein anderes Buch im Nachkriegsdeutschland« (S. 266). Der riesige Erfolg – bis 1999 betrug die Weltauflage knapp fünf Millionen Exemplare – beruht darauf, dass Ceram »Wissenschaft und Populärkultur vereinte – als Literatur« (S. 354). Von einem »geplanten Erfolg« (S. 267–276) zu sprechen, erscheint allerdings etwas gewagt. Dazu sind die erwähnten Elemente der Planung doch zu unspezifisch. Hier verwendet Oels auch entgegen seiner sonstigen Gepflogenheit zu unkritisch Quellen, zum Beispiel wenn er die ›Marktforschung‹ Cerams zitiert (S. 272). Tatsache bleibt, dass Ceram mit seinem für die damalige Zeit teuren Buch 5 dem Verlag das finanzielle Überleben sicherte.

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RO-RO-RO und das Taschenbuch

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Im Kapitel über Rowohlts-Rotations-Romane beschreibt Oels zunächst den Kontext der verlegerischen Entstehung dieser 25 zwischen 1946 und 1949 erschienenen Romane im »Zeitungsformat« – das exakte Format erfährt man nicht 6 – und schildert detailliert die Vorläufer dieser Publikationsform im Frontbuchhandel des Dritten Reichs. Wie nicht überall in der Taschenbuchforschung zu finden, grenzt er dann explizit diese Form von den ab 1950 erscheinenden Rowohlt-Taschenbücher ab: »In Herstellung und Ausstattung sind die frühen rororo-Taschenbücher, bis auf den Rotationsdruck, der schon seit Jahrzehnten auch für den Buchdruck verwendet wurde und dessen Nutzung 1946 kaum die ›verlegerisch einmalig kühne Tat‹ war, gerade keine Fortsetzung der Zeitungsromane. Neben dem Taschenformat gehörten zu deren Charakteristika vielmehr eine haltbare Klebebindung, das Lumbeckverfahren, und der sogenannte ›Leinenrücken‹, der ebenfalls die Haltbarkeit verbesserte und gleichzeitig an ein gebundenes Buch erinnerte.« (S. 205). Gleichwohl bereiteten die Rotationsromane den Boden für den Erfolg der Taschenbücher, indem sie »dem ›bildungsbürgerlichen‹ […] Leser […] die einverständige Gewissheit, trotz Massenauflage eine Lektüre vor sich zu haben, die Teilhabe an Kultur im emphatischen Sinne ermöglichte« (S. 221). Sie prägten damit »die Rezeptionsbedingungen für massenhaft verbreitete, industriell gefertigte Literatur« (Ebd.). Mit den ersten vier Titeln, die am 17. Juni 1950 erschienen, begann der Siegeszug der Publikationsform Taschenbuch. Und schon bald begannen andere deutsche Verleger mit eigenen Taschenbuchprogrammen nachzuziehen.

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David Oels hat mit seinem Buch über die Rowohlt-Verlagsgeschichte von der Weimarer Republik bis zum Beginn der Bonner Republik ein eindrucksvolles, enorm materialreiches Werk vorgelegt, das auf einem immensen Quellenstudium beruht, obwohl oder vielleicht gerade weil große Teile des Rowohlt-Archivs bei einem Brand im Jahr 1970 verloren ging. Mit vornehmem Understatement schreibt er in der Einleitung, Gegenstand dieser (Teil-)Geschichte eines der prägenden Verlage der Buchbranche nach dem Zweiten Weltkrieg seien »die Markterfolge eines sich als eine Art ›Kulturverlag‹ verstehenden Unternehmens in einem begrenzten Zeitraum, die daran Beteiligten in- und außerhalb des Verlags sowie das kulturelle und mit Abstrichen auch das (literatur-)politische Umfeld« (S. 36). Die fast 1500 Fußnoten sind den Konventionen einer wissenschaftlichen Qualifikationsschrift geschuldet; einer Publikation für die interessierte (Branchen-)Öffentlichkeit hätte die eine oder andere Kürzung nicht geschadet.

 
 

Anmerkungen

Nach dem Ausscheiden der DVA aus dem Stuttgarter Unternehmen existierten beide Verlage bei identischer Gesellschafterstruktur (S. 180) und identischer Geschäftsführung als parallele Unternehmen. 1950 siedelte der Stuttgarter Verlag nach Hamburg.   zurück
Hermann Gieselbusch u. a.: 100 Jahre Rowohlt. Eine illustrierte Chronik. Reinbek: Rowohlt 2008.   zurück
Saul Friedländer u. a. (Hrsg.): Bertelsmann im Dritten Reich. München: C. Bertelsmann 2002.   zurück
Ernst von Salomon (1902–1972) gehörte zum Kreis der rechten Fememörder, die 1922 den deutschen Außenminister Walther Rathenau erschossen. Bis 1953 wurden nach Verlagsangaben 236.000 Exemplare verkauft (S. 361).   zurück
Für den Ladenpreis von 18 DM erhielt man zum Zeitpunkt des Erscheinens des Buchs 40 Kilogramm Brot (S. 259). Dem entspräche ein heutiger Ladenpreis von deutlich über 100 Euro.   zurück
Laut Patrick Rössler (Rowohlts Rotationsdrucke im Zeitungsformat. Eine kommentierte Bibliographie. In: »Macht unsre Bücher billiger!« Die Anfänge des deutschen Taschenbuchs 1946 bis 1963. Bremen: Temmen, S. 128–131) betrug das Format zunächst ca. 28 x 38 cm, ab März 1949 dann 23 x 31 cm. Die gängige pauschale Rede vom »Zeitungsformat« sollte überdacht werden, denn die derzeit üblichen Formate reichen vom Nordischen Format mit ca. 40 x 60 cm (Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung) über das Rheinische Format mit ca. 35 x 51 cm (Stuttgarter Zeitung) und das Berliner Format mit ca. 32 x 47 cm (TAZ) bis zu den Tabloids im halben Nordischen Format mit ca. 24 x 32 cm (Welt kompakt). Das heißt, die Rotationsromane wurden in einem dem Tabloid-Format vergleichbaren Format gedruckt, einem in Deutschland seinerzeit unüblichen Zeitungsformat.   zurück