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Verlagsgeschichte aus dem Blickwinkel der Emigration

  • Hermann Ullstein: Das Haus Ullstein. Berlin: Ullstein HC Ullstein 2013. 304 S. Gebunden. EUR (D) 22,99.
    ISBN: 978-3-550-08046-3.
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Hermann Ullsteins The Rise and Fall of the House of Ullstein (1943) liegt jetzt in deutscher Übersetzung vor

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Dass der Ullstein-Verlag nicht nur ein wichtiger Mitspieler, sondern einer der zentralen Modernisierer in der Entwicklung der Printmedien in Kaiserreich und Weimarer Republik gewesen ist, steht ganz sicher außer Zweifel. Keine Presse- und keine Buchhandelsgeschichte kommt ohne den Verweis auf die Innovationen aus, die von ihm ausgegangen sind: auf die radikale Verkürzung der Abonnementszeiten etwa und auf den Straßenverkauf bei Zeitungen und Zeitschriften wie der Morgenpost oder der Berliner Illustrirten Zeitung, auf die Einführung mondän-moderner Magazine wie dem Uhu oder der Dame, auf den Erfolg billiger Buchreihen wie der Gelben Ullstein-Bücher, auf professionelle Strategien zur Mehrfachverwertung von Literatur oder auf die hoch effiziente Infrastruktur für Produktion, Vertrieb und Werbung. Darüber hinaus ist die Verlagsgeschichte aber auch noch monographisch mehrfach und in verschiedenen Formen dokumentiert und aufbereitet: vor allem in den drei festschriftartig angelegten Jubiläumsbänden zum fünfzig-, zum hundert- und zum hundertfünfundzwanzigjährigen Bestehen, 1 zuletzt aber auch in aspektereicher buch-, medien-, literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive in der Ullstein-Chronik für die Jahre 1903–2011. 2 Mit der deutschen Übersetzung von Hermann Ullsteins Buch The Rise and Fall of the House of Ullstein, das 1943 im New Yorker Verlag Simon & Schuster erschienen ist, wird die Sicht auf den Verlag nun um eine weitere Nuance bereichert: um die des emigrierten Verlegers, der vor allem die Presse auf die Wahrung von Demokratie und Liberalismus verpflichten will, für Deutschland aber das Scheitern dieses Projekts konstatieren muss.

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Entstehung und zeitgenössische Rezeption

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Dem Band ist ein instruktives Nachwort von Martin Münzel beigefügt, das man am besten vor der Lektüre des Ullsteinschen Textes zur Kenntnis nehmen sollte: Denn hier wird die Sprechinstanz und damit ihr Blick auf »Aufstieg und Fall« des Verlags historisch situiert – zunächst mit Informationen zu den vielfältigen Funktionen, die Hermann Ullstein als Verantwortlicher des Zeitschriftensektors und als wichtiger Marketingstratege innehatte, dann über die Ausweisung aus dem Verlag (1933) und die Emigration nach Amerika (1939, mit den Novemberpogromen als letztem Anstoß), schließlich über die vielfältigen Bemühungen, dort Fuß zu fassen. So wird deutlich, dass das Ullstein-Buch für seinen Autor nicht nur in ökonomischer Hinsicht ein wichtiger Teil verschiedener Überlebensversuche war, sondern dass es zugleich eine Art Rechenschaftslegung ist und – für ein angloamerikanisches Publikum geschrieben – Aufklärung zu geben versucht über die (Ohn-)Macht der vierten Gewalt und eine Warnung vor ihrer Missachtung und ihrem Missbrauch. Diese Sichtweise wird – etwa mit dem Titel »We blundered Hitler into Power« – auch schon in Vorabdrucken des Textes deutlich, die hier detailliert nachgewiesen sind (S. 290 f.). In allem konnte sich Ullstein – einschlägige Unterlagen mussten in Europa zurückgelassen werden – allein auf seine Erinnerungen verlassen. Bei den Zeitgenossen in England und den USA stößt der Gestus von Anklage und Rechtfertigung auf ein bemerkenswertes, aber ambivalentes Echo (S. 295 f.): Es spiegelt die unterschiedlichen Ansichten über opportunistische Tendenzen in der Weimarer Republik und über die Rolle der Massenmedien dabei.

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Verquickung von politischer und Verlagsgeschichte

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Der Band ist in neun Kapitel untergliedert, von denen die ersten und die letzten beiden das Aufkommen des Nationalsozialismus, Hitlers Machtergreifung und die Zerschlagung des Ullstein-Unternehmens thematisieren, die mittleren fünf die Geschichte des Verlags von seiner Gründung durch Leopold Ullstein bis hin zu den »Sternen« zum Ende der zwanziger Jahre (Kapitel 7: »Durch die Stürme zu den Sternen«) nachzeichnen. Damit ist die Erfolgsgeschichte des Unternehmens bereits in der Erzählstruktur vom Wissen um den Untergang geprägt. Diese Perspektive prägt den Text aber auch insgesamt, weil Ullstein immer wieder Vorausdeutungen und Vermutungen über möglich gewesene Alternativen einbaut. Die Verlagsgeschichte, die hier im Großen und Ganzen in den bekannten wichtigen Stationen geboten wird, bildet dabei folgerichtig nur einen Teilaspekt: Ihr unverzichtbares Komplement ist der Blick auf die politische Geschichte. In diesem Rahmen stellt Ullstein dann auch die zentrale Funktion der (Tages-)Presse heraus, die im Mittelpunkt seiner Ausführungen steht: Meinungsbildung und Aufklärung der Leserschaft, Beratung der militärischen und politischen Machtinstanzen und Beförderung des Gemeinwohls. Soziales und politisches Engagement gehören für Ullstein bereits zur Gründungsgeschichte des Verlags – der Vater kauft 1877 die Berliner Zeitung, um endlich ein »Sprachrohr« zu haben, »mit dessen Hilfe er seine politischen Ansichten verbreiten konnte« (S. 62). Immer wieder wird im Verlaufe der Erzählung darauf verwiesen, dass diese Tradition fortzusetzen versucht wird, so etwa mit Arthur Bernsteins Leitartikel gegen den Ersten Weltkrieg für die Berliner Morgenpost, der der Zensur zum Opfer fiel und auszugsweise in den Text eingefügt ist. Gleiches gilt auch für Hermann Ullsteins Bemühungen, mit dem Kauf der Neuen Leipziger Zeitung und anderen Aktionen »die Presse als Waffe gegen Hitler in Stellung zu bringen« (S. 219).

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Fazit

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All die Informationen, die Kommentare und die Wertungen, die hier ausgebreitet werden, sind – auch die dem Text vorangestellte »Vorbemerkung« des Herausgeberkreises (S. 9 f.) stellt das noch einmal klar – im obigen Sinne engagiert und somit subjektiv. Zugleich aber gibt das Buch, gewissermaßen nebenbei, auch eine Fülle an Anschauungsmaterial dafür, wie Informationen über politische Ereignisse, über Handlungsmotive, über geführte Debatten und über Hintergründe in die Zeitungen kommen: über den Austausch zwischen Politikern, Militärs, Redakteuren und Verlagsleitern – beim täglichen Vorsprechen in den Ministerien, beim Ausritt im Berliner Tiergarten, auf gemeinsamen Reisen in diplomatischer Mission, bei gesonderten Gesprächsterminen, am Telefon, im Theaterfoyer oder im Salon. Diese Informationsflüsse, so zeigt der Text, funktionieren am besten in der Weimarer Republik, sie werden empfindlich gestört von Zensurmaßnahmen während des Ersten Weltkriegs, und sie werden schließlich unterbrochen und durch »Gleichschaltung« ersetzt im Dritten Reich. So hat man es hier also mit einem im wahren Sinne des Wortes streitbaren Text zu tun, dessen Wert durchaus nicht nur der einer bloßen »Quelle« ist. Und damit ist er ein gut gewählter Eröffnungsband für das Herausgeberprogramm des Vereins Deutsches Pressemuseum im Ullsteinhaus e.V. (DPMU), der Übersetzung und Publikation in Zusammenarbeit mit Vereinsmitgliedern ermöglicht hat. 3

 
 

Anmerkungen

Max Osborn (Red.): 50 Jahre Ullstein. 1877–1927. Berlin: Ullstein Verlag 1927; Joachim W. Freyburg / Hans Wallenberg (Hg.): Hundert Jahre Ullstein 1877–1977. Berlin: Ullstein Verlag 1977; Edda Fels / Erik Lindner / Rainer Laabs (Hg.): Presse- und Verlagsgeschichte im Zeichen der Eule. 125 Jahre Ullstein. Berlin, Wien, New York: Springer Verlag 2002 (vgl. dazu die Rezension von Roland Berbig auf IASLonline vom 30.9.2003).   zurück
Anne Enderlein / Ulf Geyersbach (Hg.): Ullstein-Chronik 1903–2011. Berlin: Ullstein Buchverlag 2011.   zurück
Nähere Informationen zum Verein und dessen Aktivitäten vgl. http://www.dpmu.de/Pressemuseum/Willkommen.html   zurück