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Wagnerforschung in Ost und West

Zum Leipziger Wagner-Tagungsband von 2013

  • Helmut Loos (Hg.): Richard Wagner. Persönlichkeit, Werk und Wirkung. (Leipziger Beiträge zur Wagner-Forschung Sonderband) Leipzig: Sax 2013. 480 S. Gebunden. EUR (D) 80,00.
    ISBN: 978-3-86729-113-2.
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Es war ein beliebter Vorwurf, der im Wagnerjahr 2013 oft zu hören war: dass es zwar außergewöhnlich viele Neuerscheinungen auf dem Wagnerbüchermarkt gäbe, aber doch »wenig Neues« zutage getreten wäre. Der Vorwurf – der vermutlich meist von den notorischen Wagnerbüchernichtlesern unter den »informierten« Kritikern geäußert wurde – hätte falscher nicht sein können. Unter den nicht weniger als 100 Neuerscheinungen ragte ein Band schon durch seinen schieren Umfang und durch sein Gewicht – und durch die Tatsache heraus, dass er bereits vor dem Symposion herauskam, dem er seine Existenz verdankt. Im Mai hatten sich knapp 60 Referenten getroffen, um in der Wagnerstadt Leipzig über Wagner zu sprechen; schon drei Tage vor der Tagung konnte man die Beiträge in gebundener Druckform komplett lesen.

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»Richard Wagner. Persönlichkeit, Werk und Wirkung« – der Titel ist offen genug, um alle möglichen Aspekte in den Blick zu nehmen. Der Herausgeber Helmut Loos (Direktor des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Leipzig) und die Redakteurin Katrin Stöck (die um ihren Job vermutlich nicht zu beneiden war) haben etwas durchaus Erstaunliches vorgelegt: eine bunte Sammlung absolut logisch, ja dramaturgisch geordneter Beiträge, einen Schnitt durch die aktuelle westliche und östliche Wagnerforschung. Bevorzugt die moderne westliche Wagnerforschung eher die avantgardistische Analyse des harmonischen und dramaturgischen Wagner-Materials und seiner Theorien, so haben sich die östlichen Kollegen fast ausschließlich auf gelegentlich trocken anmutende, doch dokumentarisch wertvolle Referate lokaler Aufführungsgeschichten und Wirkungsdetails beschränkt – aber was heißt hier »beschränkt«? Wer einmal den Hochmut gegenüber jenen alteuropäischen Ländern abgelegt hat, in denen es Wagner bis heute eher schwer hat, wird die Aufsätze über die seltenen Wagneraufführungen der ›exotischen‹ Länder Osteuropas dankbar studieren.

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Aufbau des Sammelbandes

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Es sind sechs Großteile, die die Aufsätze ordnen und unterm Strich so etwas wie ein Lesebuch der neueren Wagnerforschung bilden: Das Frühwerk – Das Hauptwerk – Kompositorische Aspekte – Der Musikschriftsteller – Rezeptionsgeschichte I (West- und Mitteleuropa) – Rezeptionsgeschichte II (Mittel- und Osteuropa). Wer behaupten mag, dass es in einer Besprechung dieses beeindruckenden Monumentalbandes unmöglich sei, alle Beiträge zu charakterisieren, sollte die Wichtigkeit fast jedes einzelnen Aufsatzes und die Entdeckung von neuen, dem Nicht-Serben, Nicht-Russen oder Nicht-Rumänen gewöhnlich unzugänglichen Quellen oder historisch seltsamer und trotzdem relevanter Betrachtungsweisen nicht unterschätzen. En detail also geht es um folgende Themen:

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Wagners Frühwerk

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Thomas Seedorf untersucht die Beziehungen Wagners zur Zeitschrift »Europa«, in der er schon früh publizierte; erstaunlich ist die Tatsache, dass das Organ bis nach Rio de Janeiro und New York exportiert wurde. – Alfred Stenger widmet sich einem frühen und einem reifen Klavierwerk, der Fantasie fis-Moll und der As-Dur-Sonate, um festzustellen, dass die sehr genau gearbeiteten Stücke nicht nur motivisch, sondern auch strukturell auf Wagners Großwerke verweisen. Die Coda der Fantasie zähle überhaupt »zu den intensivsten Klangstrecken Wagnerscher Klaviermusik« (S. 26). Stenger rettet die Fantasie, indem er sie nicht als erweiterte Beethoven-Reminiszenz, sondern als modernes Stück eigenen Rechts interpretiert, das den Vergleich mit Liszts Dante-Sonate und Chopins f-Moll-Fantasie op. 49 nicht scheuen muss. »Es wäre Gegenstand einer aufschlussreichen Studie, die melodischen und harmonischen Bezüge der erwähnten Kompositionen aufzuzeigen.« (S. 26). Auch in der Wesendonck-Sonate entdeckt Stenger innovative, präimpressionistische Elemente. – Stefan Keym nahm sich die »Enzio«-Ouvertüre vor und entdeckte – durch ausgezeichnete Analysen der Harmonik – in der Vermittlung der Moll- und Dur-Sphäre die kompositorische Originalität. Die (zu Unrecht kaum bekannte) »Polonia«-Ouvertüre lässt die spätere Leitmotivtechnik bereits ahnen. – Arne Stollberg entdeckt in den nach wie vor nicht sonderlich bekannten »Feen« Wagners Kunstreligion im Zeichen der Quintenspirale – und eine sehr präzise Tonartendramaturgie, die zur alten Oper wie zum neuen Musikdrama hinweist: »Die Sprengung konventioneller Formschemata, das Vermeiden eines klaren tonalen Zentrums zugunsten vagierender harmonischer Progressionen, und alles im Zeichen der ›Liebe des Mannes zum Weibe‹, dem Kristallisationspunkt von Wagners späterer Kunst- und Gesellschaftstheorie – Arindals Gesang vor der versteinerten Ada wäre durchaus im Sinne einer ›Urzelle‹ dessen zu verstehen, worauf der Komponist sein Œuvre gründen sollte.« (S. 48) Womit hoffentlich endgültig der letzten Endes unbegründete wie missverständliche Vorwurf des »Dilettantismus« gegenüber dem Komponisten der »Feen« ausgeräumt ist. – Katharina Hottmann untersucht in einer genauen Analyse der musikdramatischen Dramaturgie die Rolle, die die »Sinnlichkeit« in Verbund mit der Gewalt und Komik im »Liebesverbot« einnimmt, um zum Schluss zu kommen, dass schon der junge Wagner ein »ungeheures Gespür für prägnante musikalische Gestik« hatte, »auch wenn sich hier, gemessen an ihrer späteren semantischen Konkretion wie formalen Vernetzung seine Motive eher versatzstückartig eingesetzt finden und mehr einen vagen Gefühlszusammenhang ausdrücken« (S. 57).

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Das Hauptwerk

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Hermann Danuser widmet sich den »metadramatischen« Netzstrukturen im Drama des »Ring«, um einzelne Teile (etwa die Nornenszene) in Bezug auf das ›Große Ganze‹ zu setzen und den dramaturgisch genauen Bau des Ring zu erläutern: »So werden Titel und Namen im Ring des Nibelungen über die Teile der Tetralogie Pfeiler, die prospektiv vom Vorabend zum dritten Abend bzw. retrospektiv vom dritten Abend zurück zum Vorabend reichen, sodass in diesem Reflexionsdrama par excellence kein Ereignis isoliert stehen bleibt, sondern immer in ein gewebeähnliches Netz von Verweisen – musikalischen, dichterischen, szenischen, semiotischen – sich einbezogen findet.« (S. 63) – Mischa Meier beschreibt die schwierige Genese der Nornenszene und ihre sehr spezielle Stellung im Rahmen der Tetralogie. Wertvoll ist Meiers Deutung dieser Dramaturgie: »Die dramaturgisch schwerfällige Episode gewinnt ihre Bedeutung zum einen daraus, dass sie – wie Dahlhaus erkannt hat – eine der Inseln bietet, auf denen dem Publikum Gelegenheit geboten wird, sich zu sortieren und sich die komplexe musikalisch-semantische Struktur des Rings zu vergegenwärtigen. Dadurch wird insbesondere die nachfolgende, im Wesentlichen auf der Ebene der Menschen angesiedelte Bühnenhandlung im Gesamtkontext des Ring-Mythos verortet. Aus historischer Perspektive jedoch zeigt sich an der Nornenszene vor allem, wie sich im Verlauf des Entstehungsprozesses der Tetralogie der Umgang mit dem ›Schicksal‹ verändert hat.« (S. 75) – Karol Berger bietet eine souveräne Analyse des I. »Walküre«-Aufzugs, der zum einen Tiefenschnitte, zum anderen die Gesamtanlage des Akts unter formalen Aspekten (auch den Aspekten einer älteren Operntradition – Stichwort: Cabaletta) in den Blick nimmt. Der Schluss lautet: »Der erste Aufzug der Walküre ist ein Wunder der doppelten Selbstfindung, im bildlichen und im eigentlichen Sinn« – was für Siegmund und Sieglinde wie für Wagner selbst gelte. (S. 83) – Die Medientheoretikerin und -praktikerin Johanna Dombois entdeckt in Wagners Schlafszenen jede Menge »fremdelnde Charaktere mit chimärenhaften, un- oder überzeitlichen Aufträgen: Träumern und Visionären, Somnambulen und Halluzinanten« (S. 86), die keine Rand-, sondern Zentralfiguren der Wagnerschen Dramaturgie und der Bayreuther Theaterneuerfindung sind. »Es zeigt sich, dass mit dem Schlaf der Wagnerschen Figuren die Spaltkraft der Musik in das Drama eindringt und mit ihr unterschiedliche Formen von Sub- und Metatexten«. (S. 88) – Sebastian Urmoneit erläutert Wagners Kombinationskunst vor dem Hintergrund der romantischen Kunsttheorie, indem er in einer genauen harmonischen Analyse des »Sühnetrankmotivs« Es-Moll (die Tonart der Todessehnsucht) als Kerntonart entdeckt und bei Wagner »die Kenntnis der enharmonischen Umdeutung der Septime in die übermäßige Sexte, die des 9–8-Vorhalts im Bass und das Wissen, dass die Verbindung eines B7 mit einem Ces7 allein in es-Moll vorkommt«, feststellt (S. 96). – Laurence Dreyfus vergleicht, gelegentlich zu tüftelnd, doch unterm Strich sinnreich, Gurnemanz‘ Erzählung mit der »Amfortas-Chronik« und parallelisiert die Kundry-Erzählung des II. Akts mit Gurnemanz‘ Version der Geschichte. Wagners komplexes Leitmotivsystem wird ebenso untersucht wie die Offenheit seiner Allegorien, die den »Parsifal« dialektisch – und religiös höchst mehrdeutig – mit dem »Tristan« verbinden: eine Mehrdeutigkeit, die auch in der harmonischen Gestalt des Werks begründet ist. – William Kinderman interpretiert, ausgehend von quasireligiösen Bildern Adolf Hitlers, die verwirrenden Aspekte des »Parsifal«-Schlusses samt des »Vernichtungsklangs«, unter dem Kundry tot und »erlöst« zu Boden sinkt. Gegen die Nazifizierung des »Parsifal« argumentiert Kinderman: »Parsifals Verzicht auf Gewalt, als er den Speer zum Gralsgebiet zurückbringt, und seine Verwendung des Speers als heilendes Mittel sind nicht vereinbar mit der chauvinistischen Weltanschauung, die sich die Erben des Komponisten in Bayreuth gierig zu Eigen machten.« (S. 15)

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Kompositorische Aspekte

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Peter Andraschke vergleicht – was an sich nicht originell ist – die einzelnen Fassungen der Wesendoncklieder »Träume« und »Im Treibhaus« mit dem »Tristan«, um in puncto Harmonie und Instrumentation Erhellendes für den Umwandlungsprozess der einzelnen Lieder herauszufinden: »Ein musikdramatischer Gestus, in einzelnen Passagen unüberhörbar, ist in die Liedstruktur eingebunden.« (S. 129) – Ulrich Tadday beschreibt Wagners differenzierte, symphonisch und dramatisch grundierte Kompositionstechnik in Bezug auf die Sprachvertonung, um – wohl nicht zum letzten Mal – die unhaltbaren Formtheorien Alfred Lorenz‘ zu widerlegen. – Martin Knust bringt einen Appendix seiner wertvollen Dissertation zu Wagners Sprachvertonung, indem er den Kompositionsprozess bei Wagner präzis charakterisiert, »wobei er dem Sprechtonfall gesprochener Sprache folgte« (S. 142) – was im Hinblick auf symphonische und vor allem leitmotivische Eigenheiten der späten Vertonungen modifiziert wird. – Werner Breig bietet einen spannenden Blick in Wagners Werkstatt, wobei er »das wohl früheste Beispiel für die kontrapunktische Verbindung zweier selbständiger thematischer Gestalten« (in der 2. Szene des II. »Walküre«-Akts, vor »Vom Niblung jüngst vernahm ich die Mär«) (S. 145) und die berühmte, komplexe wie gewagte Themenkombination in der ersten Szene des III. »Tristan«-Akts vorstellt und den vorverweisenden Kontrapunkt im Schusterlied diskutiert. – Hartmut Krones zeigt anhand der »Faust«-Kompositionen, dass Wagner die traditionelle Figurenlehre beherrschte. Eine Quelle (eine Mitschrift aus Theodor Weinligs Unterricht) macht mit diesbezüglichen Details des Wagnerschen Musikunterrichts bekannt. Die Analyse der »Feen« belegt, dass Wagner den Unterschied zwischen Tritonus und Quinta deficiens kannte, auch, dass er noch im »Parsifal« auf die frühe Ausbildung zurückgreifen konnte (nur ein Stichwort: Passus duriusculus). – Christian Thorau rehabilitiert (nun endgültig) gegen Dahlhaus den lange umstrittenen Wotan-Monolog des II. »Walküre«-Akts durch eine genaue harmonische und formale Analyse, die die »Ende-Kadenz« als logischen Zielpunkt definiert – ein Schulbeispiel für die Analyse des überlegt gebauten Dramas durch diffizilste Erörterungen: »Der ›Ende-Akkord‹ bildet den Schwerpunkt der Reprise II des ›Ausbruchs‹, einer der dissonanzreichsten, harmonisch avanciertesten Passagen der Walküre. Auf diese Weise inszeniert, ist jedoch nicht die chromatische Harmonik des ›Ausbruchs‹ die Innovation, sondern der entfunktionalisierte E-Dur-Akkord; die umgewertete Konsonanz erscheint als rhetorische Steigerung der Dissonanz. In dieser Hörperspektive erschließt sich die Umbruchqualität dieses Moments.« (S. 171) – Marion Recknagel fasst Wagners Überlegungen zum Rhythmus zusammen und setzt sie – auch auf die Kenntnis lokaler, durchaus menschelnder Leipziger Strömungen zurückgreifend – mit zeitgenössischen Thesen in Verbindung. – Gilbert Stöck analysiert Puccinis frühe Oper »Le Villi« in Hinsicht auf die wagnerisch inspirierten »Kennfiguren«, um den immer behaupteten Einfluss Wagners an einem konkreten Paradigma zu diskutieren: den Leitmotiven, die bei Puccini weniger orthodox verwendet wurden, als es die Wagnerianer verlangt haben.

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Wagner als Musikschriftsteller

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Stefan Lorenz Sorgner setzt sich (in seinem sprachlich nicht immer eleganten Beitrag) mit Wagners ethischen Kernfragen auseinander, historisiert sie in deutlicher Kritik (indem er bei ihm beispielsweise eine problematische, ja reaktionäre Theorie der Volksgemeinschaft entdeckt) und dechiffriert ihn schließlich als Vertreter eines diskutierbaren Pluralismus. – Ulrich Konrad thematisiert Wagners und Liszts gemeinsames Nachdenken über die nachbeethovensche Symphonie, die bei Liszt zur Symphonischen Dichtung, bei Wagner zum Musikdrama führte. Problematisch bleibt, wie immer, Wagners Selbstdeutung in seiner »Beethoven«-Schrift. – Eckart Kröplin entdeckt – folgend seiner neuen Studie zu Wagner und dem Kommunismus – in der Idee des Gesamtkunstwerks und der erhofften Rezeption dieses Kunstwerks kommunistischen Einfluss, der sich »als entscheidend und originär für Wagners künstlerische Selbstverwirklichung herausstellte und sie zeitweilig sogar dominierte« (S. 220). – Helmut Loos stellt dagegen bei Wagner eine problematische Mischung aus Geniekult und Sozialdarwinismus, aus »Heldentum« und Amoralität fest. Das Regietheater hat demnach gute Gründe: in der Abwehr des Wagnerpersonenkults. – Hans Otto Seitschek erläutert Nietzsches Wagner-Kritik: Wagner sei ein Décadent gewesen, der die Ideale an das Christentum verraten habe. – Eugen Wenzel widmet sich dem wagnerschen Erlösungs-Begriff und stellt fest, dass für den Anti-Schopenhauerianer Wagner die Erlösung des Menschen einzig in und durch die Kunst möglich war. – Ronald Perlwitz analysiert – mit Rückblick auf die Romantiker – Wagners Indien-Motive, um dessen Mythensynthese und -reflexion im Bild des Grals leuchten zu lassen: »Der christlich-orientalische Mythos – also der Mythos schlechthin für Wagner – leuchtet wieder, nicht etwa weil er nur auf die Bühne gebracht wurde, sondern weil im Gesamtkunstwerk, durch die verschiedenartigsten Reflexionen über Mythen, die immanente Substanz der mythischen Figur freigelegt werden konnte.« (S. 246).

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Rezeptionsgeschichte I (West- und Mitteleuropa)

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Helmut Kirchmeyer bietet – gewohnt altmeisterlich – eine sprachlich elegante, quellenmäßig außerordentlich informierte Deutung der Reaktionen auf die Dresdner Opern Richard Wagners: »Aber es ließ sich nicht an Wagner vorbeikommen, was auch immer man an ihm aufzeigte. Die Opernbesucher begriffen die Einmaligkeit der atmosphärischen Stimmung zwischen Handlungsführung und kompositorischer Darstellung und waren von den neuen Welten, die sich da auftaten, hingerissen. […] Man verweigerte ihm als einzigem bedeutendem Musiker seiner Zeit jedweden Orden, Ehrenzeichen oder Titel – aber nach Bayreuth kamen Kaiser, Könige und regierende Herren, die Theaterlandschaft blühte auf, Wagner schob sich ins Zentrum der deutschen und französischen Kultur, ein Magier, der die Fäden zog.« (S. 255). – Martin Dürrer bezeichnet den Nachlass Emil Heckels, des Gründers des Mannheimer Wagnerverbandes und Mitstreiters der Festspiele, als erstrangige Quelle, aus der er ein paar schöne Beispiele zitiert, die die Krise des Festspielunternehmens vor dem Hintergrund des Börsenkrachs verständlicher machen. Heckels Einsatz war heldenhaft, blieb aber vergeblich. – Udo Bermbach umreißt das Wagnerbild Houston Stewart Chamberlains, das (ein wenig in Parallele zu Wagners eigenem Weg) einen interessanten Verlauf nahm: von der Idee der Kunstautonomie zur reaktionären Ideologie der Regeneration. – Richard Klein weist nachdrücklich auf Paul Bekker und sein wichtiges Buch »Wagner. Das Leben im Werke« hin, der dem Wagnerschen Antisemitismus vor Adorno auf die Spur kam. Wie im Falle Mahlers barg die zeitliche Nähe Bekkers zu Wagner einen interpretatorischen Vorteil: »Bekker rechnet mit einem Publikum, das weiß, was gemeint ist (also noch keine hieb- und stichfesten Beweise fordert, um überzeugt zu sein).« (S. 273) Für Bekker – und wohl nicht nur für ihn – gab es Gründe, anzunehmen, dass Wagners Antisemitismus nicht nebensächlich, sondern »die schwarze Rückseite des Ganzen« war (ebd.). Klein plädiert dafür, die zeitgenössischen Deutungen der Werke (auch die Deutung Alfred Einsteins) ernst zu nehmen. Das krampfhafte Bemühen um eine ›Reinigung‹ der Musikdramen von den antisemitischen Ideen der Wagnerschen Publikationen und der selbstverständlichen zeitgenössischen Deutungsmuster ist in der Tat wenig problemorientiert. – Stephan Mösch erläutert das erste Paradigma der Wagner-Rezeption – die Entschleunigung – an der theatralischen und musikalischen Praxis unter Cosima Wagner, das Paradigma der Beschleunigung am Regietheater, bemerkt aber eine seltsame Unabhängigkeit dieses modernen Musiktheaters von den Neuen Medien (trotz Integration von Videos) – aber »durch die Neuen Medien kann der ohnehin hybriden Gattung eine neue Form der Prozessualität zuwachsen« (S. 286) – Klaus Schultz fasst in Kürze die bekannten Umstände des »Protests der Richard-Wagner-Stadt München« gegen Thomas Manns Wagner-Vortrag im Jahre 1933 zusammen. – Hans Rudolf Vaget beleuchtet die zwielichtige Rolle, die Hans Knappertsbusch als Initiator des »Protests«, als willfähriger »Siegelbewahrer« des Erbes Richard Wagners unter den Nazis und, in einem »Triumph des Beschweigens« (Norbert Frei), als Nachkriegsdirigent einnahm, der seine Rolle, die er zwischen 1933 und 1945 in Deutschland einnahm, erfolgreich verheimlichte. Insbesondere das dritte Fazit ist interessant: »Nichts war den triumphalen Erfolgen des Dirigenten in Neu-Bayreuth und in München und seinem Ansehen in Deutschland förderlicher als die Selbststilisierung zu einem Opfer des Nationalsozialismus und die Fiktion, politisch verfemt gewesen zu sein.« (S. 295) – Philippe Olivier beschreibt anhand einiger herausragender Vertreter der französischen Gesellschaft die deutsch-französischen Wagner- und Bayreuth-Beziehungen zwischen 1937 und 1966; insbesondere der konservative Paul Boulet (dessen Wagner-Sammlung 2013 in Straßburg und Bayreuth ausgestellt wurde) und der linke Pierre Devraigne geraten ins Blickfeld. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Figur Richard Wagners in diesen politisch aufgeladenen Zeiten »gebildete Franzosen« verband, »die keine politischen Affinitäten hatten und die sein künstlerisches und ideologisches Vermächtnis abweichend interpretierten.« (S. 304) – Werner Wolf umreisst (auch mit persönlichen Erinnerungen an unpublizierte Gespräche mit Hans Mayer) konzis das Wagner-Bild der DDR, insbesondere die Rolle, die der »Ring« auf den Bühnen des Landes spielte. Die schnelle Integration der Werke Wagners ist ebenso seltsam wie der Umstand, dass ausgerechnet »Rienzi« – also eine Oper über einen Volkstribun – in der DDR wenig gespielt wurde. Möglicherweise war, meint der Rezensent, den Ideologen die Rolle des wankelmütigen und politisch ungerichteten Volks zu problematisch – und weniger »Wagners spätere kritische Haltung« (S. 306) zu diesem auch politisch schillernden Werk. – John Deathridge übt eine luzide Kritik an Alain Badious Wagnerthesen, die wiederum, in Folge Nietzsches, Philippe Lacoue-Labarthes Wagnereien kritisieren – eine philosophische Debatte auf hohem wie gelegentlich unnötig verquältem Niveau. Was dem »gewöhnlichen« Opernfreund bleibt, ist die Erkenntnis, dass die »bei vielen Intellektuellen noch immer als esoterisch geltende Stufe von Musik und ›Musikolatrie‹ von zentraler Bedeutung für ein Verständnis dafür ist, wie wir leben« (S. 320). – Anno Mungen nimmt eine quellenmäßig gut abgesicherte Stimmanalyse Wilhelmine Schröder-Devrients vor, insbesondere anhand der Arie des Adriano aus dem »Rienzi« – die von Wagner hochverehrte Sängerin kreierte einen eigentümlich zwischen Singen und Spielen changierenden Typus, der starken Einfluss auf Wagners spätere Erfindung seiner metallischen Frauenstimmen hatte. – Susanne Vill behauptet die Übermacht der Mittel der aggressiven Popmusik (nur einem Singtypus im Spiel der 1400 Stile der »Weltmusik«) gegenüber dem klassisch regulierten Operngesang – aber schon Wagner setzte auf die Überwältigung des Publikums durch die Selbstentäußerung des Sängers. – Clemens Risi charakterisiert drei dezidierte Regietheater-Inszenierungen der Bayreuther Festspiele (Katharina Wagners »Meistersinger«, Hans Neuenfels‘»Lohengrin« und Sebastian Baumgartens »Tannhäuser«) und kommt gelegentlich zu unsinnigen Schlüssen: Wagners Inszenierung der »Meistersinger« habe »polarisiert, indem sie durch die Ambivalenz, mit der die szenischen Vorgänge präsentiert wurden, die Sinne der Zuschauer überfordert hat« (S. 341). Das Gegenteil ist richtig: Die Zuschauer wurden durch die uninformierten Fehlinterpretationen der Regie intellektuell unterfordert. Dass Theater kein Museum ist, ist trivial – dass die drei Inszenierungen mehr oder weniger vor den Gegenständen und bei den größten Teilen der Adressaten gescheitert sind, indem sie sie auf den Reißbrettern unter- oder überkomplexer »Konzepte« festnagelten, wird von Risi nicht verraten. – Volker Mertens beschreibt drei denkbar verschiedene – und nicht gescheiterte – »Parsifal«-Inszenierungen (von Wieland Wagner, Stefan Herheim und dem »Postapokalyptiker« Calixto Bieito, dessen Stuttgarter Inszenierung zurecht breiten Eindruck machte), um an ihrer extremen Verschiedenheit »die Abstraktion, das postkonzeptionelle und das negativierende Regietheater« (S. 345) zu skizzieren. Sehr schön ist die Deutung von Wieland Wagners Final-Interpretation: »Was Wieland sagen wollte, sollte allein die Musik verkünden. Sie kommentiert mit Hilfe der Leitmotive analytisch die Handlung, kennt aber keine Verkündigung, keinen lauten Triumph am Schluss weder über die wieder gewonnene Einheit von Speer und Gral noch über die Erwählung des neuen Königs, nur Kontemplation über das Rätselwort ›Erlösung dem Erlöser‹«(S. 347). – Jarmila Gabrielová widmet sich der »Parsifal«-Inszenierung Jiří Heřmans, die am 19.03.2011 im Prager Nationaltheater ihre Premiere erlebte. Offensichtlich näherte sich der Regisseur dem Werk gemäßigt modern, um die östlich-spirituellen Elemente des Stoffs zu betonen: bis hin zu einer erfundenen Figur, einem Zen-Mönch mit dem bezeichnenden Namen »Zero«.

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Rezeptionsgeschichte II (Mittel- und Osteuropa)

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Mikhail Saponov präsentiert nicht weniger als acht Briefe aus dem Archiv des St. Petersburger Instituts für Russische Literatur, die Wagners glückloser »Parsifal«-Entwerfer Paul von Joukovsky (dessen Skizzen erst von den Gebrüdern Brückner bühnentechnisch realisiert wurden) 1881 bis 1883 an Alexander Fjodorowitsch Onegin schrieb: Einblicke in eine Figur im letzten Umkreis Wagners, die für den »Meister« idealistisch tätig war. Außerdem bietet Saporov ein zuletzt 1931 publiziertes Scherzgedicht Richard Wagners (das letzte, das er schrieb), das nicht in den »Gesammelten Gedichten« enthalten ist. – Vladimir Gurevich beschreibt die Stufen der Aneignung und der Moden in den Wagner-Aufführungen des Mariinskij-Theaters: von 1868 (erster »Lohengrin«) bis zum letzten, »ossetischen« »Ring« unter Gergiev und zum »Holländer«, der mit einem englischen Team 2007 erarbeitet wurde. – Kristel Pappel umreißt die estländische, deutschnationale Aneignung Wagners im Sinne der deutschbaltischen Identität. »Lohengrin« erwies sich daher als besonders erfolgreich, da er mit nationalen Mythen parallelisiert werden konnte. Bemerkenswert war der »Lohengrin« vom 15. November 1913: »Keine Opernaufführung hat jemals so gravierend in das kulturelle und politische Leben der Estnischen Gouvernements-Hauptstadt eingegriffen« (S. 380). Nach dem Ersten Weltkrieg erwies sich Hanno Kompus als Vorläufer Wieland Wagners, indem er mehr Bilderfinder als traditioneller Regisseur war. Wagner blieb aber das »Riesengespenst« (ein Zitat von 1860), das in Estland niemals heimisch wurde. – Lolita Fürmane macht mit der etwas reicheren Wagnertradition in Riga – von der deutschen Zeit über die Gründung der Nation (die Lettische Nationaloper wurde 1919 mit »Tannhäuser« eröffnet!) zur sowjetischen Besetzung – und mit einigen besonders starken Sängern (wie Žermēna Heine-Vāgnere, die 1963 die »Walküre«-Brünnhilde sang) bekannt, auch mit den Strichen, die der Dirigent Edgar Tons damals noch am II. »Walküre«-Akt vornahm. Auch das »Ring«-Fragment von 1963 zeigte unter dem Regisseur Kārlis Liepa interessanterweise den gemilderten Einfluss Neu-Bayreuths. – Alīda Zigmunde bietet eine kurze, aber gute Biographie des berühmten, aus Riga stammenden Wagner-Biographen und Tierfreundes Carl Friedrich Glasenapp, der einen Wagner-Verein in Riga gründete, bevor 1892 ein Konkurrenzverein die Pforten öffnete (wie sich die Zeiten gleichen...). – Beata Baublinskienė gibt einen guten Überblick über die litauische Wagner-Rezeption von 1836 (Gastspiel des Königsberger Theaters im Stadttheater Memel, wo Wagner lediglich Proben und »zweitrangige Vorstellungen« dirigierte, S. 397) bis 2013. In Litauen wurden die frühen kanonischen Opern (»Holländer«, »Tannnäuser«, »Lohengrin«) und »Die Walküre« (nicht übermäßig publikumsakzeptiert erstmals 2007) produziert. »Tristan« erschien lediglich als Ballett im Jahre 2012 auf der Bühne – und in mehreren modernen Kompositionen (etwa Osvaldas Balakauskas‘»Tristan« und in Mindaugas Urbaitis‘»Der Fall Wagner«). Avantgardistischer ist Ričardas Kabelis‘»Tan-Tris-Tan-Tris/Tris-Tan-Tris-Tan« für zwei Klaviere: eine Montage als Akt der Dekonstruktion. Wagner-Einflüsse finden sich auch in Jurgis Karnavičius‘»Gražina« von 1933, der ersten für professionelle Bühnen komponierten litauischen Oper. – Ryszard Daniel Golianek bringt auch dem deutschen Leser nichts Neues über Wagners Beziehungen zu Polen, die sich vom Positiven (der auch in Polen kaum bekannten »Polonia«-Ouvertüre) zum Ablehnenden einschlägig gehässiger Äußerungen entwickelten. Falsch ist die Meinung, dass Wagners kompositorisches Werk »ab den Vierzigerjahren des 19. Jahrhunderts im Grunde keine direkten Bezüge zu Polen mehr beinhaltet« (S. 415) – zu erinnern ist an die Polonaise, mit der die Gibichungen, sicher nicht zufällig, die Bühne betreten. – Renata Suchowiejko skizziert die polnischen Wagner-Aufführungen: von den ersten Aufführungen ausgewählter »Fragmente« in Konzerten (ab 1857, auch mit Militärkapellen) bis 1913, als Artur Rubinstein ein Sängerpaar in Krakau begleitete. 1877 kam der erste »Lohengrin« in Lemberg heraus, erst 1879 in Warschau. Charakteristisch ist folgende Einschätzung von 1879: »Die Musik der Zukunft ist eine Musik für Kenner – das (breite) Publikum langweilte sich, obwohl es von den verständlicheren und schöneren Fragmenten entzückt war und deutlich fühlte, dass die Musik von einem Meister komponiert wurde.« (S. 419) Ein Überblick über das polnische Schrifttum zu Wagner schließt sich an – bis zu Zdzisław Jachimeckis nach wie vor gelesener, »romantischer« Monographie von 1911. – Luba Kyyanovska und Stefania Petruk geben einen Überblick über die Wagner-Rezeption im ukrainischen Lemberg, wo Wagner zunächst mit eigenen Erwartungen und Überzeugungen identifiziert wurde. Wagner schien den Intellektuellen und den Künstlern »ein idealer Mensch in seiner erträumten idealen Welt« (S. 428). Lemberg war ein kulturelles Zentrum, in dem Wagners Werke stark gepflegt wurden; in das Jahr 1977 fällt aber die einzige sowjetische Premiere einer Wagner-Oper (des »Tannhäuser«). – Igor Pylatiuk macht mit zwei Gesangsschülern des Lemberger Sängers und Pädagogen Walery Wysockis bekannt: Salomea Kruschelnitska (1872–1955) und Modest Mentsynskyj (1875–1935) – die beide außerhalb ihrer Heimat tätig waren. »Bereits die beiden geschilderten Wagner-Sänger aus Lemberg zeugen von einer überzeugenden Leistung galizischer Interpreten in die Geschichte des Wagnerschen Musiktheaters« (S. 440). – Jana Lengová umreißt die Wagner-Rezeption in der Slowakei. »Ein beträchtlicher Teil der Wagner-Rezeption stützte sich in der Slowakei bis zum Jahr 1918 auf Arrangements und Bearbeitungen für verschiedene Besetzungen, vorwiegend für Klavier oder für Gesang und Klavier.« (S. 444). Wie in Litauen wurden im Preßburger Stadttheater zwischen 1871 (natürlich »Lohengrin«, wenn auch nur zwei Vorstellungen) und 1903 nur die kanonischen Opern und »Die Walküre« erstaufgeführt. In Städten wie Kaschau (Košice) wurden Wagners Werke durch die unverzichtbaren – und guten – Militärkapellen popularisiert. Zu den wenigen Slowaken in Wagners weiterem Umkreis gehörte Johan Batka. Ján Levoslav Bella vertonte Ende des 19. Jahrhunderts Wagners Opernlibretto »Wieland der Schmied« – eine Wiederaufführung, auch hierzulande, wäre interessant. – Marta Ottlová verfolgt die Spuren Wagners in der tschechischen Musik und in der tschechischen Musikwissenschaft. Interessant ist die Zweiteilung der tschechischen Musik innerhalb der Theorie des polarisierenden Geschichtsmodells, die den Diskurs über Wagner bis ins 20. Jahrhundert bestimmte: hier die »undramatische, konservative und qualitativ ›niedrige‹ Arien-Oper«, dort das »fortschrittliche Musikdrama mitsamt seiner dezidierten Wertung« (S. 452). Repräsentanten dieses problematischen, weil die musikdramatischen Verhältnisse vereinfachenden Diskurses waren der Wagnerzeitgenosse Wolfgang Ambros und der Musikwissenschaftler Ottomar Hostinský. Dieser Diskurs aber »prägte das Bild von der neuzeitlichen tschechischen Musikkultur, in dem die Nationaloper eine zentrale Gattung einnimmt« (S. 453). – Valentina Sandu-Dediu beschreibt die Europäisierungstendenzen des rumänischen Musiklebens des 19. Jahrhunderts durch den rumänischen Wagnerianismus und seine Heroen, den Komponisten und Dirigenten Eduard Wachmann und den Sänger Dimitrie Popovici-Bayreuth (!). Wachmanns Tätigkeit war politisch durchaus nicht ungefährlich, bevor der Sänger dank seiner internationalen Reputation 1920 zum Leiter der Nationaloper von Cluj/Klausenburg ernannt wurde, wo 1921 der »Tannhäuser« auch unter nationalen Aspekten polemisch diskutiert wurde. Wagner wurde in Rumänien nie auf breiter Ebene enthusiastisch gefeiert, obwohl sich in den 1930er Jahren der Musikwissenschaftler Emanoil Ciomac, der Komponist Mihail Jora und die Pianistin und Schriftstellerin Cella Delavrancea für ihn einsetzten. Auch hier gilt: Bis auf »Die Walküre« scheint der »Ring« in Rumänien (als authentische Bühnenaufführung) kaum bekannt zu sein. Interessant auch die Übersicht über die übersetzte Wagnerliteratur: Noch heute wird Michail Druskins sowjetische Monographie über Wagner rezipiert – eine Tatsache, die die Autorin zum Widerspruch reizt: »Dieses Buch fällt dem einen oder anderen Studenten heute noch in die Hand, obwohl es eigentlich aus öffentlichen Büchereien verbannt werden müsste.« (S. 461) – Melita Milin informiert über die Wagner-Rezeption in Serbien seit 1873 (Konzert im Nationaltheater, natürlich mit einer Nummer aus »Lohengrin«) und nennt einige Komponisten, die Wagner zumindest dramaturgisch verbunden waren: Svetomir Nastasijević, Stevan Stojanović Mokranjac (1856–1914) und Milenko Paunović (1899–1914), der zwei bemerkenswerte Opern schrieb. »Divina Tragoedia« reflektiert »Parsifal«, die Balkantragödie »Čencić-Aga« wird mit dem »Tristan« verglichen. Wagner hätte sich gewiss darüber gefreut, wenn er erfahren hätte, dass 1883 die »Tannhäuser«-Ouvertüre und eine Kavatine aus »Don Carlos« als Schauspielmusik für eine französische Boulevardkomödie gespielt wurden. 1923 erschien mit dem »Holländer« erstmals ein Wagnerwerk auf der Bühne. Der »Ring« kam lediglich 1938 und 1940 als Frankfurter Gastspiel auf die Szene. Nach dem zweiten Weltkrieg war Wagner die Ausnahme, die notorische »Walküre« erlebte erst 1989 einen Gastspielauftritt des Kroatischen Nationaltheaters. »Es ist nicht abzusehen, ob und wann Wagners Musik die Anerkennung einer größeren Öffentlichkeit in Serbien gewinnen wird« (S. 469). – Primož Kuret bringt zuletzt eine Presseschau über die wichtigsten Wagnerkonzerte und -opern in Ljubljana/Laibach von 1858 bis 1908. Vom »Ring« kam – natürlich – 1907 die »Walküre« zur Aufführung, konzertante Ausschnitte waren schon seit 1893 bekannt. »Abschließend ist zu erwähnen, dass einer der ersten Wagnersänger seiner Zeit der Slowene Emil Scaria war« (S. 475), der den ersten Gurnemanz sang.

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Erschienen ist der gewichtige Band – als Sonderband – innerhalb einer wertvollen Reihe, die, in diesem Fall mit finanzieller Unterstützung auch des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, vom Richard-Wagner-Verband Leipzig herausgegeben wird: der »Leipziger Beiträge zur Wagner-Forschung«. So, genau so, muss eine Kooperation zwischen einem avancierten Wagner-Verband, der hier als Kooperationspartner des Internationalen Richard-Wagner-Kongresses tätig war, und wissenschaftlichen wie finanziellen Partnern aussehen, die noch jenseits des Jubeljahres auf publizistische Nachhaltigkeit und Vertiefung setzen.