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Zusamb seind sy gerafelt ...

Zu einer Quellensammlung zur mittelalterlichen Schrift- und Buchkultur

  • Martin Steinmann: Handschriften im Mittelalter. Eine Quellensammlung. Basel: Schwabe & Co. 2013. 932 S. 1 Abb. Gebunden. EUR (D) 82,00.
    ISBN: 978-3-7965-2890-3.
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Im ›Ehrenbrief‹, aus dem das kurze Zitat stammt, beschreibt der Münchner Patrizier Jakob Püterich von Reichertshausen 1462 den Aufbau seiner volkssprachigen Büchersammlung. 1 Die Worte könnte man ohne weiteres aber auch auf die vorliegende Textsammlung beziehen, die der ehemalige Leiter der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Basel, Martin Steinmann, in jahrelanger, geduldiger Arbeit in den Schriftquellen aufgestöbert und ›zusamb gerafelt‹ hat.

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Aus zeitlich und geographisch oftmals weit auseinander liegenden Schriftquellen hat der Herausgeber eine vielschichtige Auswahl zusammengetragen, die die unterschiedlichsten Aspekte der Schrift- und Buchkultur von der Antike bis zum Ausgang des Mittelalters beleuchten: Schreiben und lesen lernen, Handschriften herstellen (Beschreibstoffe und Schreibwerkzeuge herstellen, geeignete Textvorlagen suchen, schreiben, korrigieren, rubrizieren, malen, binden, Kosten für Abschriften, Buchmalerei und Bindung), erwerben (kaufen, tauschen, verkaufen, stehlen), benutzen (lesen, glossieren, ausleihen, transportieren, beschädigen), sammeln, ordnen, aufbewahren (in Bibliotheken, privaten Sammlungen). Ausgewählte Auszüge der Quellensammlung sind auch im Internet verfügbar. 2

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Quellenauswahl

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In der sehr knappen Einleitung (S. 7–9) werden die Kriterien für die Textauswahl umrissen und der Buchaufbau erläutert. Aufgenommen wurden in die Sammlung Zeugnisse »in und zu lateinischer Schrift« (S. 7); die lateinische Sprache dominiert, es sind aber auch Texte in verschiedenen Volkssprachen vorhanden (Mittelfranzösisch, Spanisch, sowie unterschiedliche deutsche, englische und italienische Schreibsprachen); beiseite gelassen wurden griechische, hebräische, kyrillische, arabische Schriftzeichen sowie Runen. Der zeitliche Rahmen erstreckt sich von der Antike bis in die Anfänge des 16. Jahrhunderts, besonders stark vertreten sind – überlieferungsbedingt – Quellen des 12. bis 15. Jahrhunderts. Räumlich liegt der Schwerpunkt auf dem Abendland. Die Texte stammen in erster Linie aus Deutschland, England, Frankreich und Italien – Randregionen wie Spanien, Niederlande und Osteuropa sind dagegen deutlich schwächer vertreten. Von den besonders zahlreichen Zeugnissen der italienischen Renaissance wurden nur einzelne aufgenommen um den Band nicht zu stark anwachsen zu lassen. Auf manche Texte wurde verzichtet, »weil sie anderswo gesammelt und publiziert sind« (S. 8) – an dieser Stelle wären bibliographische Hinweise auf ergänzende Sammlungen hilfreich gewesen. 3

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Gliederung und formale Gestaltung:

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Enthalten sind Auszüge aus 904 Quellen – aus Traktaten, Chroniken, Annalen, Mirakeln, Rechtsquellen (Statuten, Consuetudines, Ordensregeln, Urkunden, Konzilsbeschlüssen), Briefen, Vocabularien, Bücherkatalogen, Glossen, Schreibereinträgen, -versen, -sprüchen, Alphabetversen, Schenkungs-, Besitz- und Kaufvermerken, Rezepten, Testamenten, Inventaren etc. Neben bekannten, schon häufig zitierten Textstellen (Cicero, Isidor, Johannes Trithemius) finden sich auch viele weitgehend unbekannte, nur an abgelegener Stelle gedruckte Schriften. Dargeboten werden die Auszüge in chronologischer Reihenfolge, wobei nicht exakt datierbare Stücke am Ende des betreffenden Jahrhunderts eingeordnet wurden.

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Die Angaben zu den Textauszügen sind zumeist knapp, sie beschränken sich in der Regel auf Autor oder Schreiber, Werktitel, Datierung und Drucknachweis. Bei Texten ohne Werktitel und/oder Autor weisen paraphrasierende Überschriften in der Regel auf schrift- und buchgeschichtlich relevante Aspekte. Selten findet man kurze Erklärungen zu Inhalt, Urheber/ Verfasser, zur Textkritik oder zum Kontext des ausgewählten Textes (etwa zu Nr. 587, 655, 753). An diesen Stellen zeigt sich sehr deutlich, dass inhaltsbezogene Überschriften, sehr kurz gefasste Regesten oder auch einige wenige Schlagwörter den Gebrauch der Quellensammlung wesentlich erleichtern könnten. Die quellenkritische Einordnung der Texte bleibt stets dem Leser überlassen, was bei sehr kurzen Exzerpten mitunter nicht leicht fällt. In diesen Fällen kann der Leser aber auf die angegebenen Editionen oder Drucke zurückgreifen, um den Kontext besser zu erkennen.

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Alle Texte sind ins Deutsche übersetzt, darunter auch die Texte in den deutschen Schreibsprachen. Über die gut lesbaren Übersetzungen ist ein rascherer Zugang zu den Texten möglich. Die Texte in Originalsprache (Latein, Französisch, Italienisch, englische und deutsche Schreibsprachen) und ihre deutsche Übersetzung werden aus Platzgründen nacheinander angeordnet. Auf andere Bequemlichkeiten – wie etwa Verweise auf thematisch verwandte Texte – wurde mit wenigen Ausnahmen ganz verzichtet.

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Register und Glossar

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Angesichts der mehr als 900 Quellentexte spielen die vier Register (Autoren und Werktitel S. 855–868, Initien S. 869 f., Handschriften S. 881–884, Namen und Sachen S. 881–932) sowie das Glossar lateinischer und volkssprachiger (Fach)begriffe (S. 871–880) eine zentrale Rolle bei der gezielten Suche nach Einzelaspekten. Sie bieten eine Orientierungshilfe, bei der man sich an einigen Stellen allerdings noch Nachbesserungen wünschen würde.

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Ohne grundlegende Vorkenntnisse zum mittelalterlichen Buchwesen und ohne die Assoziationen des Nutzers führt vor allem die Suche im Sachregister bisweilen zu nicht zufriedenstellenden Ergebnissen. Wer sich beispielsweise für das Buchwesen an den Universitäten interessiert, findet unter dem Stichwort Universität zwar erste Beispiele, mehr Erfolg hat man jedoch erst bei der ergänzenden Suche über die Ortsnamen (Bologna, Paris, Prag, Wien, Heidelberg etc.) der mittelalterlichen Universitäten oder über Fachtermini (wie etwa Pecien).

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Ähnlich ergeht es einem mit dem Lemma Bücher: ›sammeln‹ ist als Unterbegriff vorhanden, ›schenken‹ ist (mit Hilfe des Verweises am Ende des Lemmas) unter Schenkung auffindbar. ›Retten‹ hingegen kommt weder als eigenes noch als untergeordnetes Lemma vor, obwohl auch zu diesem Aspekt Beispiele vorhanden sind (etwa Nr. 288, 289).

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Fazit:

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Bibliophile, die gerne in großen Schatztruhen stöbern, kommen bei der Lektüre im Band voll und ganz auf ihre Kosten. Auch Buchwissenschaftler, Germanisten, Anglisten, Romanisten und (Kunst-)Historiker werden mit Hilfe des Registers vielfältige Antworten auf konkrete Fragen finden. Interessante Stellen, die man unbedingt wiederfinden möchte, sollte man sich allerdings am besten sofort notieren oder mit Lesezeichen markieren, denn trotz der Register bleibt das Auffinden einzelner Quellentexte teilweise sehr mühsam. Wer mit dem mittelalterlichen Buchwesen nicht oder nur mäßig vertraut ist, sollte vielleicht besser erst zu einer Einführung in das mittelalterliche Buchwesen aus der jüngeren Vergangenheit greifen 4 bevor er sich einer anregenden und spannenden Quellensammlung widmet.

 
 

Anmerkungen

Auszug aus Strophe 122, abgedruckt bei Steinmann S. 769, Nr. 837. Zu ergänzen ist dort die Signatur der einzigen überlieferten Abschrift, die auch zur Kollationierung herangezogen wurde (Clm 9220).   zurück
So etwa auf Giovanna Murano: Opere diffuse per »exemplar« e pecia. Turnhout: Brepols, 2005 (Textes et études du Moyen Age 29).   zurück
Grundlegend zum mittelalterlichen Buchwesen aus der jüngeren Zeit: Stephanie Hauschild: Skriptorium. Die mittelalterliche Buchwerkstatt. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2013. – Christine Jakobi-Mirwald: Das mittelalterliche Buch: Funktion und Ausstattung. Stuttgart: Reclam, 2004.   zurück