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Die Krise des Subjekts im zeitgenössischen Generationenroman

  • Markus Neuschäfer: Das bedingte Selbst. Familie, Identität und Geschichte im zeitgenössischen Generationenroman. Berlin: epubli 2013. 449 S. EUR (D) 34,90.
    ISBN: 978-3-8442-5837-0.
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Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien gehören längst zum Pflichtrepertoire von Literaturwissenschaftlern, jedoch geht diese Erweiterung des Fachs oft auch mit einer Verengung des Blickfelds einher: Der interpretatorische Zuschnitt eines literarischen Textes auf das Programm der ›Erinnerungsliteratur‹ lenkt von alternativen Wirkungspotenzialen ab, denn allzu häufig wird die Leistung von Romanen, die geschichtliche Bezüge herstellen, auf die Veranschaulichung und didaktische Aufbereitung von Geschichtswissen reduziert. Insbesondere der zeitgenössische Generationenroman sei bisher zu einseitig gedeutet worden, beanstandet Markus Neuschäfer, der in seiner Dissertation nachzuweisen versucht, dass sich in dieser Gattung ein zweites Thema ausfindig machen lässt, das bisher von der Forschung übersehen wurde.

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Wechsel der Forschungsperspektive: Vom historischen Geschehen zur Frage des Subjekts

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In Neuschäfers Arbeit geht es nicht etwa darum, wie in den Generationenromanen Geschichte inszeniert und für Nachgeborene verfügbar gemacht wird oder welche Techniken der Recherche und Rekonstruktion angewendet werden bzw. welche Probleme bei der Überlieferung auftauchen – all dies gehört dem literaturwissenschaftlichen Analysekanon an, von dem sich Neuschäfer bewusst distanziert. Zwar sei es für die Erzählerfiguren stets von Belang und Interesse, etwas über bestimmte historische Ereignisse in Erfahrung zu bringen, dem Leser jedoch gehe es bei der Lektüre keineswegs nur um die anschauliche Vermittlung von Geschichtswissen. Überhaupt gehöre der historische Hintergrund meist zum Common Sense – dieses Wissen werde bei den Lesern lediglich abgerufen und aktualisiert, in der Regel jedoch nicht nennenswert ausdifferenziert (vgl. S. 225). 1

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In Neuschäfers Modell erfüllen die Geschichtsbezüge stattdessen eine vorwiegend textinterne Funktion: Wenn eine bisher geheim gehaltene Episode der Familiengeschichte den nachgeborenen Familienmitgliedern bekannt gemacht wird, so zeigen sich diese »regelmäßig irritiert« (S. 37) und persönlich betroffen. Neuschäfer führt diese Irritation jedoch nicht etwa darauf zurück, dass sich die Enkel über die Abgründigkeit der ›aufgedeckten‹ Geschichte erschüttert zeigen oder mit dem Widerspruch zwischen ›zärtlichem Großvater‹ und ›Nazi-Opa‹ zu kämpfen haben. Stattdessen widmet er seine Aufmerksamkeit dem erschütterten Selbstverständnis des ›irritierten‹ Gegenwartssubjekts, dem es zunächst einmal um sich selbst geht, weil es einen Konflikt zwischen Autonomieansprüchen und familiären Prägungen auszuhalten hat. Demnach inszeniert der zeitgenössische Generationenroman den Spagat zwischen einer individualisierten Lebensform und den Bindungen an die Familie sowie die Lösung dieses Konflikts. Neuschäfer demonstriert dies anhand von zehn exemplarischen Primärtexten, die er nach recht unspezifischen Kriterien auswählt: Es müssen mindestens drei aufeinanderfolgende Familiengenerationen figurieren und die Texte müssen im deutschsprachigen Feuilleton besprochen worden sein. So umfasst sein Korpus nicht nur Texte wie Günter Grass’ Im Krebsgang und Ein unsichtbares Land von Stephan Wackwitz, sondern auch bisher kaum beachtete Romane wie Sabine Schiffners Kindbettfieber (2005) und Moritz Rinkes Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel (2010). Die Gemeinsamkeit aller zur Analyse herangezogenen Generationenromane sieht Neuschäfer in einem gattungsspezifischen »Handlungsmuster«: In den Texten werden die gleichen oder ähnliche Motive beansprucht, die sogar tendenziell in derselben Reihenfolge auftreten. Innerhalb dieser typischen Motivverkettungen unterscheidet Neuschäfer drei Phasen.

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Gattungsspezifisches Handlungsmuster

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In der ersten Phase des Romans befindet sich der Protagonist respektive Erzähler »vor der Familie«. Neuschäfer bezeichnet damit ein bestimmtes intergenerationelles Verhältnis, das sich durch möglichst große Distanz zur Familie auszeichnet. Damit ist nicht gesagt, dass die Vertreter der jüngeren Generation keinen Kontakt zur Familie haben, aber sie verfügen über einen autonomen Lebensraum und können sich selbst versorgen, sodass ihr Anspruch auf Individualität nicht gefährdet ist.

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Erst in der zweiten Phase – der Phase »in der Familie« – drängt sich ein Abhängigkeitsverhältnis auf, denn plötzlich wird dem Protagonisten bewusst, dass er viel mehr von der Familie und deren Geschichte geprägt worden ist, als bisher angenommen. Das ›Ideal der Selbstkreation‹ der Enkelfiguren wird insbesondere durch die transgenerationale Übertragung von Familiengeheimnissen bedroht. Diese unliebsame ›Erbschaft‹ vollzieht sich durch Erziehung und Weitergabe von Verhaltensmustern, wird häufig jedoch auch im genetischen Sinne verstanden. Werden diese Übertragungsmechanismen von den Protagonisten durchschaut, so bekommen sie es mit der »Einflussangst« zu tun: Die Prägung durch die Familie wird als Bedrohung der selbstbestimmten Existenz angesehen – die Familienkrise kann sich somit zu einer Identitätskrise auswachsen. Indem sich die Enkel mit der Familiengeschichte auseinandersetzen, wird ihr Selbstverständnis gleich doppelt erschüttert: Zum einen werden sie mit der Kontingenz ihres gegenwärtigen – bisher als selbstverständlich angenommenen – Wertesystems konfrontiert und entwickeln eine Neigung, ihre eigene Existenz auf rein zufällige Ereignisse zurückzuführen. Zum anderen zeigt ihnen das Beispiel der Großelternbiografie, dass die historischen Umstände entscheidenden Einfluss auf die jeweilige Lebensgestaltung haben – daraus gewinnen sie die Erkenntnis, dass auch sie selbst weit weniger selbstbestimmt sind als bisher angenommen.

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Für die Phase »nach der Familie« unterscheidet Neuschäfer drei Varianten: In einigen Romanen setzen sich die Kontinuitätstendenzen von Familiengeschichte durch, wobei sich die Enkel der negativen Prägung stellen und ihre Emanzipationsbestrebungen weitgehend aufgeben müssen. In der zweiten Variante werden diese transgenerationalen Einflüsse für Probleme der Gegenwart verantwortlich gemacht, sodass eine gezielte, zumeist aber bewusst selektive oder auffallend emotionale Aufarbeitung der Vergangenheit therapeutische Zwecke für den Erzähler erfüllt. In der dritten Variante ist der Einfluss von Kontinuitätsmechanismen überwunden. Zwar wird die Familiengeschichte noch immer als potenzielle Belastung eingeschätzt, jedoch vermögen die Protagonisten durch ihre »geschichtsvergessene[] Haltung« (S. 406) selbstgewählte Identitäten auszubilden.

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Neuschäfer gliedert sein Buch in drei Hauptkapitel, in denen jeweils eine der drei Phasen –›vor‹, ›in‹ und ›nach der Familie‹ – abgehandelt wird. Dementsprechend nimmt er keine isolierten Einzelanalysen vor, sondern zeigt nacheinander die gattungsspezifischen Motivstrukturen auf, deren Funktionalität er im »wechselseitigen Vergleich« (S. 31) der Generationenromane herausarbeitet.

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Generationelle Schemata

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Neuschäfers Modell beruht ausdrücklich auf kognitionswissenschaftlichen Grundannahmen und ist durchweg rezeptionsorientiert. Somit kann er behaupten, dass die intergenerationell ausgetragenen Konflikte nur dann thematisch relevant sind, wenn aufseiten der Leser eine entsprechende Interpretationsbereitschaft vorliegt. Zwar liefert der Text deutlich zu unterscheidende Figuren, aber ihre Generationenzugehörigkeiten und damit einhergehende Generationendiskurse müssen, so Neuschäfer, von den Lesern ergänzt werden. Vonseiten des Textes genügt es bereits, wenn beispielsweise das Alter einer Figur bekannt gegeben und charakteristische Merkmale genannt werden – diese Eckdaten lösen bei den Lesern generationelle Schemata aus, die auf zeitgeschichtliches Allgemeinwissen und die Kenntnis populärer Familien- und Generationendiskurse zurückzuführen sind. Neuschäfer bringt auch Beispiele: Bei der ›Kriegsteilnehmergeneration‹ etwa ist – neben dem Alter bzw. Geburtenjahrgang – die Wertschätzung von Lebensmitteln charakteristisch. Hingegen sind eine »gescheiterte[] Ehe«, eine »abgebrochene Dissertation, die Unfähigkeit zu einfachsten Planungen, der Habitus der Spontaneität« oder auch der »Verweis auf Drogenerfahrungen« als typische Merkmale eines »Alt-68ers« (S. 68 f.) zu identifizieren – demnach kann der Leser, dem diese Informationen in John von Düffels Roman Houwelandt beiläufig mitgeteilt werden, das entsprechende generationelle Schema an den Text herantragen und die bezeichnete Figur darin einpassen. Indes räumt Neuschäfer ein, dass eine Zuordnung der jüngsten Familienmitglieder zu einem generationellen Schema schon wesentlich schwieriger ausfällt, da es kein verbindendes historisches Großereignis gibt. Eine Gemeinsamkeit bestehe immerhin in der Abgrenzung von den Eltern, der Kritik der erduldeten Erziehungsmethoden, der Angst vor zu viel Einfluss vonseiten der Familie etc. – laut Neuschäfer genügt dies, um bei den Lesern ein generationelles Schema zu aktivieren.

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Die Zuweisung von ›generationellen Schemata‹ erfolgt bei Neuschäfer vorwiegend unter Rückgriff auf Klischees – das ist nicht weiter verwunderlich, denn schließlich hebt er auf allseits verfügbare Vorurteile ab und kann daher wissenschaftlich ausdifferenzierte Generationenkonzepte weitgehend unberücksichtigt lassen. Bei Texten, die mit Klischees spielen (wie in den Zitaten oben), sind solche leserseitigen Resonanzen durchaus plausibel. Viele Romane verfolgen jedoch gezielt Individualisierungsstrategien und konzipieren Figuren, die sich pauschalen generationellen Zuschreibungen und eindeutigen Charakterisierungen entziehen – in solchen Fällen erweist sich Neuschäfers Modell als unzureichend. Statt an dieser Stelle narratologisch nachzurüsten, begnügt sich Neuschäfer mit der Anmerkung, »dass die Kategorisierung nach generationellen Schemata nicht nur von der Anschlussfähigkeit der vorhandenen Textmuster abhängig ist, sondern vor allem von der Bereitschaft des Lesers, diese Zuordnung auch dann vorzunehmen, wenn die vorhandenen Textmuster eine solche Thematisierung nicht in allen Aspekten unterstützen« (S. 72 f.). Da sich Neuschäfer selbst derartige Freiheiten erlaubt, verlaufen die generationellen Zuordnungen in seinen Beispielanalysen weitgehend reibungslos. Oftmals betreibt er dabei jedoch einen interpretatorischen Aufwand, den man nicht jedem Leser zumuten kann.

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In Anbetracht der Vielzahl an Schwierigkeiten, die mit Generationalität einhergehen, hätte Neuschäfer alternativ prüfen können, ob das von ihm skizzierte Handlungsmuster nicht auch ohne Rückgriff auf generationale Schemata funktioniert – schließlich ist auch nicht jeder innerfamiliäre Streit zwischen Angehörigen verschiedener Generationen allein auf den Generationenunterschied zurückzuführen. Ähnliche Probleme ergeben sich in sozialgeschichtlicher Perspektive, etwa in Bezug auf Leser mit DDR-Biografie, die grundlegend andere generationenspezifische Erfahrungen gemacht und abweichende Vorstellungen von Familie und Generationenverhältnissen entwickelt haben. Neuschäfer scheint derartige Differenzen einebnen zu wollen. So behauptet er etwa, ausgehend von westdeutschen Rezeptionsbedingungen, dass der Stiefvater in Reinhard Jirgls Die Unvollendeten – es handelt sich um einen faulen SED-Anhänger – problemlos mithilfe des Generationenschemas der 68er-Bewegung gelesen werden könne (vgl. S. 72).

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Thematisierung als Inferenzprozess

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Indem der Leser mit generationellen Schemata operiert, entwickelt er laut Neuschäfer eine Erwartungshaltung, die auf intergenerationelle Konfliktmuster abzielt. Demnach muss das Krisenhafte keineswegs detailliert im Text ausbuchstabiert werden, sondern wird durch Inferenzleistungen der Leser ergänzt. Neuschäfer geht davon aus, dass sich die Leser mit gegenwärtigen populären Krisendiskursen auskennen, etwa mit dem ›Methusalem-Komplott‹ (Frank Schirrmacher) oder dem ›Eva-Prinzip‹ (Eva Hermann) – und unter Hinzuziehung dieser oder ähnlicher öffentlicher Debatten kann der Leser den Konflikt im Roman verstehen.

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Neuschäfer verfolgt hier und im Weiteren einen kognitionswissenschaftlich erweiterten Ansatz der Thematologie: Das Thema eines Textes ist nicht primär textuell kodiert, sondern wird ihm vonseiten der Leser zugeschrieben. Solche Zuschreibungen sind freilich zunächst individuell und historisch veränderlich. Gleichwohl kann man laut Neuschäfer – mehr oder weniger verbindliche – allgemeingültige Aussagen über das Thema eines Textes treffen. Denn wenn die Leser von denselben öffentlichen Diskursen geprägt werden, dann nehmen sie für denselben Text in der Regel auch sehr ähnliche Thematisierungen vor. Mithilfe dieser theoretischen Grundannahme gelangt Neuschäfer zu weitreichenden Aussagen über eine Gattung, die auf dem ersten Blick ausgesprochen heterogen erscheint. Während textorientierte Ansätze gemeinsame Merkmale häufig nur mittels Vereinfachungen bzw. unter Missachtung abweichender Eigenschaften herauszustellen vermögen, kann auf der Ebene der Rezeption eine plausiblere Annäherung vorgenommen werden: Sobald die geteilte kognitive Umwelt der Leser als kollektiv verfügbare Bezugsgröße berücksichtigt wird, können thematische Gemeinsamkeiten der Texte herausgestellt werden, die ferner für eine Gattungsdefinition herangezogen werden können.

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Abschließend versucht Neuschäfer zu erklären, weshalb sich der zeitgenössische Generationenroman einer so großen Beliebtheit erfreut. Der kognitive Ansatz suggeriert zunächst ein recht mechanisches Verfahren: Wenn der Leser die Leerstellen des Textes mit seinem bereits vorhandenen Wissen über Generationenkonflikte und therapeutische Praktiken füllen und auf eigene Erfahrungen mit Familienkrisen zurückgreifen muss, um überhaupt herauszufinden, worum es in dem Roman geht, dann klingt das nicht gerade wie die Erfolgsgeschichte einer Gattung. Neuschäfer verweist jedoch auf einen attraktiven Lerneffekt: Obwohl sich die von den Lesern aktivierten Schemata während der Lektüre in einem Trainingsmodus befinden, können sie an die Grenzen ihrer Wirksamkeit gebracht werden. Die Leser reagieren auf solche Situationen – sofern sie das Buch nicht einfach beiseitelegen – mit der allmählichen Umbildung oder Ausdifferenzierung ihrer Schemata, bis sie der virtuellen Situation kognitiv gewachsen sind. Dieses bei der Lektüre ausgebildete Wissen kann idealiter auch im Alltag nützlich sein, da nun ähnliche reale Situationen schneller und besser bewältigt werden können.

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Zwar handelt es sich hierbei lediglich um schematheoretische Grundannahmen der cognitive poetics, jedoch verdient die Erwartung, die Neuschäfer daraus für den Generationenroman ableitet, durchaus Erwähnung: In der gegenwärtigen historischen Situation ist die Vorstellung vorherrschend, dass der persönliche und gesellschaftliche Erfolg des Subjekts von seiner Autonomie und seiner Fähigkeit zur Selbstkreation abhängt und diese Anforderungen mit dem Gemeinschaftswesen der traditionellen Familie nicht vereinbar sind. Dieser Entweder-oder-Konflikt wird jedoch, wie Neuschäfer in seinen Analysen aufgezeigt haben will, im zeitgenössischen Generationenroman gelöst: »Sämtliche Enkelfiguren zeigen sich spätestens gegen Ende der Romane über die eigene Prägung durch die Familie informiert, ohne jedoch den Anspruch auf autonome Selbstkreation über dieser Erkenntnis aufzugeben.« (S. 414) Die Leser erhalten somit durch literarisch inszenierte Lösungskonzepte eine Anleitung zur Gestaltung ihres eigenen Lebens und zur Ausbildung neuer bzw. Umbildung etablierter Subjektdiskurse.

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Freilich bleiben Neuschäfers Aussagen über die Wirkung der Generationenromane im Bereich des Hypothetischen, denn dass die Leser die hier eingeforderten Krisendiskurse tatsächlich abrufen oder ein aus eigener Erfahrung gewonnenes Krisenbewusstsein aktivieren, ist letztlich doch unwahrscheinlich. Jedenfalls besteht in der Schematheorie Einigkeit darüber, dass die wahrscheinlichste Lesart stets die mit dem geringsten kognitiven Aufwand ist. Demnach dürfte es selten vorkommen, dass sich Leser freiwillig – das heißt (weitgehend) ohne textuelle Anleitung – auf das schwierige Terrain von Generationenkonflikten und Subjektdiskursen begeben. Da ist es naheliegender, dass sie ein Thema inferieren, das bereits auf der Textebene wesentlich deutlicher markiert ist, nämlich die Geschichte und der Umgang mit ihr im Kontext der Familie. Bloß weil sich die von Neuschäfer vorgeschlagene Lesart grundsätzlich auch anbietet, ist damit noch nicht bewiesen, dass die Leser tatsächlich so reagieren – vielmehr scheint es in den meisten Fällen schlichtweg bequemer, auf erinnerungskulturelle Schemata und Geschichtsbilder zurückzugreifen, um dem Text einen Sinn abzugewinnen beziehungsweise ein passendes Thema zu bilden. Mit dem von Neuschäfer gewählten kognitiv-thematologischen Ansatz ließe sich demnach ebenso gut erklären, weshalb beim zeitgenössischen Generationenromanen am Ende eben doch das historische Geschehen am meisten interessiert.

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Fazit

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Neuschäfer behält stets den Leser im Blick und fragt danach, wie sich textuell vermittelte Informationen im Kopf der Leser brechen und welche Schematisierungen hierbei stattfinden – dieser ›top-down‹-Faktor steht durchweg im Vordergrund. Methodisch ist er hierbei vor allem auf seine eigene Introspektion und die Beobachtung außerliterarischer Diskurse angewiesen, weshalb seine Ergebnisse nur unter gewissen Vorbehalten überzeugen können. Gleichwohl scheint sich sein Modell als Heuristik zu bewähren, denn es liefert viele Vergleichsmöglichkeiten für ein augenscheinlich sehr heterogenes Textkorpus.

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Was hingegen für einen fortwährend schlechten Eindruck sorgt, sind eine beinahe unzumutbare Dichte an Rechtschreib- und Tippfehlern sowie zahlreiche formale Unstimmigkeiten – bis hin zum Literaturverzeichnis, wo mehrmals gegen die alphabetische Ordnung verstoßen wird. Ein Lektorat hat offenbar nicht stattgefunden. Da es sich bei dem Verlag epubli um ein Book-on-Demand-Unternehmen handelt, hat diesen bedauerlichen Zustand der Autor selbst zu verantworten.

 
 

Anmerkungen

Diese Behauptung ist allerdings in Zweifel zu ziehen. Zwar beziehen sich Neuschäfers Aussagen ausdrücklich nur auf das von ihm berücksichtigte Korpus, doch auch dort ist keineswegs bloß von geschichtlichem Allgemeinwissen die Rede. Vielmehr sind es häufig gerade die gesellschaftlich tabuisierten Themen, die erst durch die Literatur ins öffentliche Bewusstsein treten und Debatten über die deutsche Erinnerungskultur auslösen. Zudem betreiben Autoren in der Regel einen enormen Rechercheaufwand, um über einen historischen Gegenstand angemessen zu informieren – schon allein deshalb kann nur sehr bedingt von ›Common Sense‹ gesprochen werden.   zurück