IASLonline

Bibliografie als Verlagsgeschichte

  • Ulf Diederichs: Eugen Diederichs und sein Verlag. Bibliographie und Buchgeschichte 1896 bis 1931. Göttingen: Wallstein 2014. 416 S. Gebunden. EUR (D) 49,90.
    ISBN: 978-3-8353-1463-4.
[1] 

Kann man eine Bibliografie rezensieren? Genügt nicht ein Hinweis darauf? Diese umfassende, detaillierte und vollständige Bibliografie der zwischen 1896 und 1931 publizierten Werke beweist, dass eine Bibliografie weit mehr sein kann als eine eher dröge Lektüre, nämlich ein Porträt eines Verlags durch seine Produktion und deren zeitgeschichtlicher Prägung.

[2] 

Eugen Diederichs (1867–1930) war neben Samuel Fischer, Anton Kippenberg, Ernst Rowohlt und Kurt Wolff einer der großen Kulturverleger zu Beginn des 20. Jahrhunderts; sein verlegerisches Wirken ist umfangreich erforscht. 1 Er gründete den Verlag 1896 in Florenz, jedoch trugen bereits die ersten Titel als Druckort den Vermerk »Florenz und Leipzig«. 1904 übersiedelte der Verlag nach Jena, wo er bis 1945 existierte. Den Söhnen Niels und Peter Diederichs wurde zunächst sowohl von der russischen Besatzungsmacht als auch von den Westalliierten eine Lizenz verweigert. Erst 1949 konnte der Verlag in Düsseldorf (mit einer Zweigniederlassung ab 1952 in Köln) neu gegründet werden. Der Verlag war von 1987 bis 2009 ein Imprint des Heinrich Hugendubel Verlags und gehört seither zur Verlagsgruppe Random House. 2

[3] 

Eine Bibliografie von Jahr zu Jahr

[4] 

Die Bibliografie ist nach Produktionsjahren gegliedert. Jedes Jahr wird durch einen kurzen verlagsgeschichtlichen Text eingeleitet; diese ergeben zusammenfassend einen Überblick über die Verlagsgeschichte bis kurz nach dem Tod des Gründers. Diese zeitliche Beschränkung wird damit begründet, dass »der Eugen Diederichs Verlag eins mit seinem Verleger« (S. 9) war. 3

[5] 

Die bibliografischen Einträge basieren auf strikter Autopsie und umfassen neben den üblichen Angaben wie Autor, Titel, Umfang und Format auch die Buchgestalter und die Einbandart, sowie Angaben zu Erst- und Nachauflagen, zu Neuausgaben, Vorzugs- und Liebhaberausgaben und zum Ladenpreis. Angefügt ist unter dem Stichwort »Zur Buchkunst« jeweils ein bibliografischer Hinweis auf entsprechende Forschungsliteratur.

[6] 

Ein gesondertes Kapitel beschreibt die Buchserien, Periodika und Werkausgaben (S. 315–359), deren Einzelbände im jeweiligen Erscheinungsjahr aufgeführt sind. Auch eine Chronologie der abgebildeten Löwen-Verlagssignets, »eine 36-köpfige Löwenmenagerie« (S. 13) fehlt nicht (S. 362–364).

[7] 

Aufgeschlossen werden die bibliografischen Einträge durch Register zu Autoren, Herausgebern und Übersetzern (S. 367–401) sowie zu Buchgestaltern, Illustratoren und Schriftkünstlern (S. 402–415).

[8] 

Der Bedeutung der Buchkunst für Eugen Diederichs trägt der Autor des Werks, Enkel des Gründers und zwischen 1973 und 1987 selbst Diederichs-Verleger, dadurch Rechnung, dass fast 270 Abbildungen von Einbänden, Innentiteln, Ornamenten und Zeichnungen, aber auch von Prospekten, Anzeigen und – natürlich – der Verlags-Löwen die Bibliografie (leider nur in Schwarz-Weiß) illustrieren.

[9] 

Fundgrube und Basismaterial

[10] 

Das schön ausgestattete Werk ist nicht nur eine Fundgrube für alle an bibliophilen Fragestellungen sowie den Beziehungen zwischen Verleger und Buchkünstlern Interessierten, sie liefert vielmehr reiches Basismaterial für buchwirtschaftliche Forschungen. Wenigstens drei Themenfelder bieten sich. Die Angaben zu den Druckereien ermöglichen zum einen die Rekonstruktion des herstellerischen Netzwerks des Verlags. Ferner erweitern die Angabe der Ladenpreise das Korpus zu entsprechenden Studien über das erste Drittel des letzten Jahrhunderts. Und schließlich lassen sich durch die detaillierte Auflistung der Auflagen Erfolgs- oder Misserfolgsgeschichten einzelner Titel oder ganzer Verlagssegmente nachzeichnen. Schon eine Zählung, wie viele Titel überhaupt eine zweite Auflage erreicht haben, wäre aufschlussreich. Die Startauflagen lagen in der Regel zwischen 2.000 und 4.000 Exemplaren. Überraschend auch, dass von den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm in der Sammlung Die Märchen der Weltliteratur (40 Bände zwischen 1912 und 1940) bis zum Tod des Verlagsgründers gerade einmal 23.000 Exemplare in vier Auflagen verkauft waren (S. 150). Von I Ging. Das Buch der Wandlungen, dem heute noch in der ersten Übersetzung von Richard Wilhelm bei Diederichs lieferbaren rund 5.000 Jahre alten chinesischen Klassiker, waren 1930 noch Exemplare der ersten Auflage, die 3.000 Exemplare betrug, lieferbar.

[11] 

Diese Gesamtbibliografie des Verlags in der Ära des Gründers ist ein singuläres Werk, das auf jahrelanger intensiver Recherche beruht.

 
 

Anmerkungen

Die wichtigsten Werke sind Erich Viehöfer: Der Verleger als Organisator. Eugen Diederichs und die bürgerlichen Reformbewegungen der Jahrhundertwende. Frankfurt: Buchhändler-Vereinigung 1988. – Irmgard Heidler: Der Verleger Eugen Diederichs und seine Welt (1896–1930) (Mainzer Studien zur Buchwissenschaft 8). Wiesbaden: Harrassowitz 1998. – Gangolf Hübinger (Hrsg.): Versammlungsort moderner Geister. Der Eugen Diederichs Verlag. Aufbruch ins Jahrhundert der Extreme. München: Diederichs 1996. – Florian Triebel: Kultur und Kalkül. Der Eugen-Diederichs-Verlag 1930–1949 (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 13). München: Beck 2004.   zurück
Auf der Verlagshomepage werden die Jahre 1988 und 2008 genannt (www.randomhouse.de/diederichs/verlag.jsp?men=1559&pub=52000. 10.12.2014)   zurück
Die Verlagsproduktion der Jahre 1930 bis 1945 ist bibliografisch bei Triebel: Kultur und Kalkül (siehe Anm. 2) verzeichnet.   zurück