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Das Taschenbuch: massenhaftes Vorkommen oder Massenmedium?

  • Daniela Völker: Das Buch für die Massen. Taschenbücher und ihre Verlage. (Studien zu Literatur und Film der Gegenwart 9) Marburg: Tectum 2014. 468 S. Paperback. EUR (D) 29,95.
    ISBN: 978-3-8288-3353-1.
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Die 450seitige Broschur über – so der Untertitel – »Taschenbücher und ihre Verlage« ist eine Dissertation. Auf den ersten rund 60 Seiten wird den Usancen solcher wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten Genüge getan und ein Rahmen aufgespannt, der von Luhmann bis Bourdieu, von Adorno über die Literaturökonomie (mit Vollkostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung!) und Massentheorien reicht. Hier wird referiert und herbeizitiert, ohne dass dabei ein Zusammenhang mit dem verdienstvollen Kernstück der Arbeit zu erkennen ist, ohne dass dabei aber auch ein theoretischer Mehrwert zu erkennen wäre. Man kann daher diese Passage getrost überschlagen. Im Anschluss daran präsentiert Daniela Völker auf 300 Seiten eine Geschichte des deutschsprachigen Taschenbuchs als Chronik der Taschenbuchverlage und ihrer Produktion, beginnend mit Rowohlts Taschenbuchstart am 17. Juni 1950. Es werden 66 Verlage exemplarisch untersucht. 1 Das ist in dieser Fülle einzigartig. Ausgenommen bleiben reine Kinder- und Jugendbuchverlage, ohne dies zu begründen. Dass die Taschenbuchverlage der DDR (Ausnahme Aufbau-Verlag) nicht behandelt werden, ist einleuchtend. Hier fehlen so gut wie alle Vorarbeiten, auf die die Autorin hätte zurückgreifen können. 2

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Die Verlagsporträts

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Die Verlage werden chronologisch gelistet. Mehr als die Hälfte (37) werden eingehender mit Verlagsgeschichte, Programm, Reihen, Marketing und der heutigen Rolle im Taschenbuchmarkt vorgestellt. Diese Verlagsporträts sind zwischen drei und rund zwanzig Seiten lang und klar strukturiert. Kleinere Verlage bzw. Reihen werden in wenigen Zeilen behandelt, so z. B. die Sammlung Dalp aus dem Francke-Verlag. Eingestreut sind briefmarkengroße Schwarz-Weiß-Abbildungen, auf denen wegen der Größe und der schlechten Reproqualität oft nicht viel zu sehen ist. Leider fehlen Bildunterschriften durchgehend, wenngleich auch am Ende des Buchs ein Bildverzeichnis angefügt ist.

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Als Materialgrundlage für die einzelnen Porträts dienen der Autorin die vorhandenen Verlagsgeschichten, -chroniken und -bibliografien, die Webseiten der Verlage, Artikel aus der Branchenpresse sowie über weite Strecken ein Ausstellungskatalog 3 und ein »Lexikon deutscher Verlage«. 4 Vor allem im Abschnitt Programm wird, basierend auf der jeweiligen Verlags-Website, oft nur die gegenwärtige Situation referiert. Bei kleineren Verlagen wird häufig die Quelle Trivialitas.piranho/trivialitas.htm zitiert, ein »Forum für Populärkultur«, das – so der Betreiber der Seite – ein »reines Hobbyprojekt« ist. Im vorletzten Kapitel beschreibt die Autorin die Entwicklung des Taschenbuchs »unter Berücksichtigung der Komponenten Menge, Inhalt, Optik, Preis, Vertrieb und Öffentlichkeit« (S. 361); das letzte bietet – ganz dissertationsgemäß –»Fazit und Ausblick« (S. 387). Wenn hier konstatiert wird, das Taschenbuch sei zum Massenmedium geworden (S. 391), so fragt man sich, welcher Medienbegriff hier zu Grunde liegt. Massenhaftes Vorkommen begründet noch kein eigenständiges Medium.

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Das Literaturverzeichnis ist nach Kapiteln gegliedert und recht unübersichtlich. Dass bei der Literatur zum Kapitel »Das Taschenbuch, ein Massenmedium im Literaturbetrieb« neben Adorno, Bourdieu und Luhmann auch Romane von Umberto Eco, Stephen King, Stieg Larsson und Colleen McCullough verzeichnet sind, erhöht die Übersichtlichkeit nicht gerade. Der wichtige Aufsatz von Elisabeth Kampmann fehlt. 5

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Selbstdarstellungen als Materialbasis?

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Das Kernstück der Arbeit besticht durch eine enorme Fülle von Daten, was auch die Zahl von 2.556 Fußnoten belegt. 6 Allerdings muss die häufige methodisch unreflektierte Übernahme der Aussagen von Verlagen in deren Selbstdarstellungen kritisiert werden. Denn natürlich geht es hier in erster Linie um Eigenmarketing und nicht immer um historisch korrekte Angaben. 7

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Der Rezensent maßt sich nicht an, die einzelnen Verlagsporträts zu beurteilen. Wo er aber einzelne Kenntnisse hat, 8 führt eine Überprüfung von Details zu abweichenden Befunden. Der Satz »Als Bestandteil des Holtzbrinck-Verlags ist das Knaur-Taschenbuchprogramm heute in die Marketing-Aktivitäten des Konzerns eingebettet« ist in mehrfacher Hinsicht zumindest schief. So gibt es erstens keinen »Holtzbrinck-Verlag«, sondern die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck GmbH in Stuttgart ist die Muttergesellschaft der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, zu der wiederum der Knaur-Taschenbuchverlag gehört. Die Knaur-Taschenbücher sind also zweitens nur sehr indirekt »Bestandteil des Holtzbrinck-Verlags«. Drittens wurde die genannte Marketingaktion »Hochkaräter« nicht vom »Holtzbrinck-Verlag« veranstaltet, sondern war eine Gemeinschaftsaktion der selbstständig am Markt agierenden Taschenbuchverlage, die zur Holtzbrinck-Gruppe gehören. Und schließlich ist hinzuzufügen, dass diese Aktion völlig untypisch ist, denn als Gemeinschaftsaktion ist sie die absolute Ausnahme innerhalb der vielfältigen Marketingaktivitäten der einzelnen zur Verlagsgruppe gehörenden (Taschenbuch)Verlage. Zu korrigieren ist auch die Angabe, die Ratgeber-Reihe bestehe seit 2008; sie startete 1980. Es fehlt ferner die Information, dass zum Zeitpunkt des angegebenen Forschungsstands (November 2012; S. 452) das 2009 gegründete Imprint PAN bereits wieder eingestellt war. Und schließlich wurde der Pattloch-Verlag 1999 nicht »der Verlagsgruppe abgeschlossen« [recte: angeschlossen], sondern Pattloch war seit 1987 Teil von Weltbild und gelangte so zu der 1999 gebildeten neuen Verlagsgruppe, die zunächst Droemer Weltbild hieß. Inwiefern Rückschlüsse auf die anderen Verlagsporträts erlaubt sind, bleibt offen.

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Fazit

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Pointiert zusammengefasst: Die ambitionierte Arbeit geht nicht über eine beeindruckende Materialsammlung hinaus. Hierin ähnelt sie dem oben genannten »Forum für Populärkultur«. Ein solches Zusammentragen von Material ist zwar sehr verdienstvoll als Grundlage für weitere Forschungen, aber ist es eine wissenschaftliche Leistung?

 
 

Anmerkungen

Unerklärt bleibt, warum die Reihe Hanser nicht aufgenommen wurde. Dort erschienen zwischen 1968 und 1978 rund 260 Titel.   zurück
Selbst Ziermann, der den deutschen Buch- und Taschenbuchmarkt zwischen 1945 und 1995 beschreibt, kommt über die bloße Nennung einiger wichtiger Taschenbuch-Reihen in der DDR nicht hinaus. Vgl. Klaus Ziermann: Der deutsche Buch- und Taschenbuchmarkt 1945–1995. Berlin: Spiess, 2000, S. 77 f.   zurück
Patrick Rössler: Aus der Tasche in die Hand. Rezeption und Konzeption literarischer Massenpresse. Taschenbücher in Deutschland 1946–1963 (Rheinschrift. Buchreihe des Museums für Literatur am Oberrhein Karlsruhe 5). Karlsruhe: Literarische Gesellschaft 1997.   zurück
Reinhard Würffel: Lexikon deutscher Verlage von A–Z. 1071 Verlage von 1545–1945, 2800 Verlagssignete. Berlin: Grotesk 2000.   zurück
Elisabeth Kampmann: Stillschweigend integriert? Das Experimentierfeld Taschenbuchmarkt heute. In: Heinz Ludwig Arnold/Matthias Beilein (Hg.): Literaturbetrieb in Deutschland. 3. Auflage. Neufassung. München 2009, S. 175–190.   zurück
Vielleicht ist auch die eine oder andere überflüssig. Um zum Beispiel den Todestag von Willy Droemer zu nennen, muss man dazu nicht die Verlagshomepage zitieren.   zurück
Wie stark historische Tatsachen und Eigenmarketing auseinanderklaffen können, hat unter anderem David Oels beispielhaft im Fall Rowohlts gezeigt. Vgl. David Oels: Rowohlts Rotationsroutine. Markterfolge und Modernisierung eines Buchverlags vom Ende der Weimarer Republik bis in die fünfziger Jahre. Essen: Klartext 2013.   zurück
Vgl. Günther Fetzer: 50 Jahre Knaur Taschenbuch 1963–2013. Chronik des Verlages, Verzeichnis aller erschienen Titel. München: Knaur 2013.   zurück