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Arthur Schnitzler - Autor, Musiker, Komponist

  • Achim Aurnhammer / Dieter Martin / Günter Schnitzler (Hg.): Arthur Schnitzler und die Musik. (Klassische Moderne 20) Würzburg: Ergon 2014. 273 S. EUR (D) 38,00.
    ISBN: 978-3-95650-021-3.
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Schnitzler gehörte zu den frühesten Bewunderern Gustav Mahlers, eines Komponisten, der zu seiner Zeit nicht nur wegen seines jüdischen Hintergrundes umstritten war. Sonst weiß die Forschung allerdings nur wenig über die musikalischen Ansichten eines Autors, der selbst kleinere Walzer für den häuslichen Kreis komponierte und auch bis ins hohe Alter sehr anspruchsvolle Klavierstücke vortrug. Immer wieder spielt in bestimmten Szenen seiner Prosa ein bestimmtes musikalisches Werk mit hohem Symbolwert im Hintergrund. Am bekanntesten sind die Noteneinschübe von Schumanns Carnaval in der Monolognovelle Fräulein Else, die Elses innere Auflösung und Abstieg in den Wahn verdeutlichen.

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Musik ist ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis von Schnitzlers Werk, weshalb dieser Band, der eine Forschungslücke schließt, sehr willkommen ist. Neben dem Themenpunkt von Schnitzlers eigenem Musizieren und Komponieren werden auch seine Stellung zur Musik seiner Zeit behandelt, etwa die seines Wiener Zeitgenossen Schönberg, ferner die Musik in Schnitzlers Werk, und schließlich Vertonungen von Werken Schnitzlers.

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Im ersten Beitrag beleuchtet Monika Kröpfl Schnitzler als Pianisten sowie die Rolle, welche Musik in seiner Familie gespielt hat. Nicht nur das vierhändige Klavierspiel mit seiner Mutter und später mit seinem Sohn wird erwähnt, sondern ebenso Schnitzlers regelmäßige Begleitung seiner Frau Olga, einer Sängerin, am Klavier. Da ihre spätere Scheidung in erster Linie darauf zurückzuführen war, dass Olga sich als Künstlerin stets im Schatten ihres Mannes empfand, ist der musikalische Aspekt in diesem Zusammenhang von erheblicher Bedeutung.

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Reinhard Urbach beleuchtet Schnitzlers Einstellung zur Oper, einer Gattung, zu der er sich meist zurückhaltend verhielt. Gerade in Anbetracht dessen ist jedoch Schnitzlers hohe Einschätzung der Wagner-Opern Die Meistersinger, die er für eine der überragendsten Werke der Musikgeschichte hielt, und Tristan und Isolde interessant. Die Nähe von Eros und Thanatos in der letzteren Oper findet sich auch in seinem Werk vielfach wieder.

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Inwieweit Schnitzler auch für die populäre Operettenkultur seiner Zeit offen war, wird von Marion Linhardt untersucht. Sie schildert zwei gescheiterte Anläufe, die zum einen die Marionettenstücke beinhielten, zum anderen einen Anatol-Zyklus. Auch wenn sie letztlich nicht umgesetzt werden konnten, zeigen sie doch, dass Schnitzler auch für burleske Traditionen der ›leichten Muse‹ aufgeschlossen war.

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Bei der Operette bleibend wirft Oswald Panagl einen Blick auf das Arbeitsverhältnis zwischen Schnitzler und dem Léhar-Altersgenossen und Komponisten Oscar Straus, welcher nicht nur die Musik zu einer Liebelei-Operette – mit glücklichem Ausgang – schrieb, sondern ebenfalls die Filmmusik zur MGM-Produktion Daybreak und zu Ophüls’ Reigen-Verfilmung La Ronde.

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Eine detaillierte Untersuchung von Schnitzlers Verhältnis zu Gustav Mahler und dessen Werk-Rezeption im Tagebuch bietet Achim Aurnhammer. Bemerkenswert ist vor allem, dass Schnitzler sich nicht nur aus musikalischen Gründen, sondern gerade auch wegen antisemitischen Angriffen auf den »verehrten Meister« mit Mahler solidarisch fühlte. Im doppelten Außenseitertum als Künstler und als Jude konnte er sich mit dem Komponisten identifizieren.

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In Gerd K. Schneiders Beitrag wird anhand von vier Erzählungen, darunter die Traumnovelle und Leutnant Gustl, die Musik in Schnitzlers Werk analysiert, wo sie als »Sinnträger und Sinnverstärker« fungiert. Nicht zuletzt ist Tristan und Isolde auch das Vorbild für die große Oper, die der dilettierende Komponist Georg von Wergenthin in Der Weg ins Freie schaffen will, aber nie fertigstellt.

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Peter Philipp Riedl konzentriert sich speziell auf das »Lied ohne Worte« in Schnitzlers obigem Roman, dabei das Verhältnis von Dilettantismus und Künstlertum bei Wergenthin betonend sowie seine Unfähigkeit, weder im Leben noch in der Kunst etwas zu vollenden.

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Einen interessanten Vergleich im Hinblick auf die Noteneinschübe im Text zieht Claudia Albert. Sie stellt die Beispiele in Fräulein Else ähnlichen Fällen im Werk Ingeborg Bachmanns und Hans Henny Jahnns gegenüber.

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Die Perspektive auf Schnitzlers dramatisches Werk verlegt Fred Lönker, indem er die musikalischen Bühnenanweisungen Schnitzlers untersucht. Sowohl in der Liebelei als auch im Zwischenspiel entsteht durch das Musizieren am Klavier eine Nähe zwischen den Charakteren, die alle sprachlichen Grenzen übersteigt.

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Elisabeth Schmierer weist auf Parallelen in den Werken Wagners und Bizets zur Musik hin, die Ernst von Dohnányi für die Pantomime Schleier der Pierette komponiert. Die Handlung des Stückes ist dem Drama Der Schleier der Beatrice entnommen, ergänzt diese aber mit Elementen aus der Commedia dell’arte.

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Hartmut Krones liefert eine musikästhetische Analyse einer eigenen Komposition Schnitzlers sowie von Vertonungen seiner Werke, wobei er die Semantik der Tonarten bis zu Beethoven, Brahms und Wagner zurückführt. Krones untersucht die wenig bekannte, 1910 entstandene Oper des russischen Komponisten Vladimir Rébikov nach Die Frau mit dem Dolche, ebenso wie die Operette Der tapfere Cassian von Oscar Straus und die Oper Liebelei von Franz Neumann.

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Ebenfalls kaum bekannt ist die 1958 uraufgeführte Oper von Richard Mohaupt nach Der grüne Kakadu, welche Dieter Martin vorstellt. Mohaupt griff für sein Bühnenwerk sowohl auf ältere Musiktraditionen wie auf avantgardistische Elemente zurück, so dass die Oper von parodistischen Zügen nicht ganz freiblieb. Bezeichnenderweise beanstandete man in der westdeutschen Kritik die sozialkritische Note des Werks, während es nach Maßstäben der ostdeutschen Journalisten nicht als Lehrstück nach sozialistischen Maßstäben gelten konnte.

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Einer anderen musikalischen Gattung wendet sich Wolfgang Jansen zu, der vier populäre amerikanische Musicals nach Schnitzler-Stücken im Zeitraum von 1961 bis 1994 untersucht. In der Umsetzung für die amerikanische Bühne werden erhebliche Freiheiten genommen, zum Teil werden die Schlussszenen auch ganz umgeschrieben. Je nach Moral der Zeit wird eine glückliche Ehe oder eine sonstige Abkehr von ausschweifender sexueller Freiheit gutgehießen. Während eines in Wien um 1900 spielt, ist das neueste ins Amerika der Gegenwart transponiert, um bestimmten Tagesfragen gerecht zu werden, wobei eine ganz neue, düstere Fin-de-siècle-Stimmung geschaffen wird.

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Günter Schnitzler präsentiert schließlich die Vertonung von Fräulein Else durch den zeitgenössischen Komponisten Beat Furrer, der Schnitzlers Novelle als drittes von acht Kapiteln umgesetzt hat. Während in dieser musikalischen Fassung die erotische und sozialkritische Dimension wegfällt, wird vor allen Dingen die charakterliche Auflösung Elses musikalisch intensiviert.

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Besonders die Beiträge zu den beiden Themenschwerpunkten der Musik in Schnitzlers Werk wie der zahlreichen, auch wenig bekannten Vertonungen seiner Arbeiten in Prosa und Drama bieten wertvolle Aufschlüsse, etwa die Bedeutung von Tristan und Isolde für Der Weg ins Freie. Ferner wird Schnitzlers Wagner- und Mahler-Rezeption in ein neues Licht gerückt, insbesondere durch seine starke Identifikation mit Mahlers deutsch-jüdischem Hintergrund. Hiermit ist also ein wichtiger Band zu einem Schlüsselaspekt von Schnitzlers Werk erschienen, an dem für den Wissenschaftler, der sich damit beschäftigt, kein Weg vorbeiführt. Außerdem ist diese Aufsatzsammlung für jeden Forscher zur Klassischen Moderne, der mehr über die Verschränkung von Literatur und Musik wissen will, von höchstem Interesse.