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Erfahrungshorizonte eines Nürnbergers um 1500

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Kurz hintereinander jährten sich in den Jahren 2013 und 2014 die 500. Todestage von zwei Nürnbergern, die nicht nur derselben Generation angehörten, sondern deren Lebenswerk gleichermaßen von einem bewussten Aufgreifen und Ausschöpfen der sich aus der Erfindung des Buchdrucks eröffnenden Möglichkeiten zeugt. Der am 3. Oktober 1513 verstorbene, als Drucker, Verleger und Buchhändler tätige Anton Koberger baute für den Verkauf der von ihm in hohen Stückzahlen produzierten lateinischen Handbücher und Kompendien ein ganz Europa umspannendes Vertriebssystem auf und setzte Maßstäbe als auf die Ware Buch spezialisierter Großunternehmer. 1 Bei seinem Tod am 28. November 1514 hinterließ der Stadtarzt Hartmann Schedel eine gut 700 Bände umfassende Privatbibliothek, die in Umfang und Vielzahl der vertretenen Wissensgebiete alle bis dahin bekannten Büchersammlungen in den Schatten stellte und darin die durch den Buchdruck sich schlagartig verbessernde Verfügbarkeit von wissenschaftlicher Literatur spiegelt. Darüber hinaus ist Hartmann Schedel bis heute als Verfasser der 1493 erschienenen, nach ihm benannten Weltchronik bekannt. Dank einer vorbildlichen Verwaltung seiner Büchersammlung und einer akribischen Erschließung des in den Büchern enthaltenen Wissens gelang ihm in kürzester Zeit eine Zusammenführung von über vielen Texten verteilten Informationen zu einem neuen Werk.

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Der hier anzuzeigende Katalog einer in der Bayerischen Staatsbibliothek in München zum 500. Todestag Hartmann Schedels gezeigten Ausstellung will nicht nur die breit gefächerten Interessen des Sammlers mit ausgewählten Zimelien belegen. Ziel ist es vielmehr, den außerordentlichen Quellenwert der Büchersammlung aufzuzeigen, die eine für das Spätmittelalter ungewöhnliche Annäherung an die Person des Nürnberger Stadtarztes erlaubt. Denn Hartmann Schedel nutzte seine Bibliothek auch als Archiv und als Grafiksammlung, er verleibte ihr autobiographische Texte, eine Familienchronik oder Erbstücke verstorbener Familienmitglieder und Freunde ein und er reicherte die Bücher um eigenhändig geschriebene Textzusätze sowie um Artefakte wie Notizzettel, Briefe oder gedruckte und gemalte Bilder an. Indem diese Spuren aufgedeckt und zum Reden gebracht werden, gelingen Einblicke in Privat- und Berufsleben, in Strukturen der Literaturbeschaffung, der Erschließung und der Weitergabe von Wissen. 40 von Bettina Wagner – an der Bayerischen Staatsbibliothek Leiterin des Handschriftenerschließungszentrums und der Inkunabelsammlung – mit Bedacht ausgewählte Objekte reichen aus, um dem Bild von Hartmann Schedel schärfere Konturen zu verleihen.

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Hartmann Schedel: Arzt, Büchersammler und Autor

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Einem Verstoß gegen den Willen Hartmann Schedels ist es zu verdanken, dass seine Büchersammlung bis heute in großen Teilen erhalten ist. 1494 hatte er in seinem Testament festgelegt, dass seine »Bücher alle in der Liberey […] beieinander bleiben und den namen der Schedel und meinen Kinden und iren nachkommen zu nutz behalten werden sollen«. 2 Bereits sein Enkel Melchior (1516–1571) verkaufte die Büchersammlung aus Geldnöten 1552 an den Augsburger Johann Jakob Fugger (1516–1575), der aus ebendenselben Gründen die Bücher 1571 an Herzog Albrecht V. weiterveräußerte. Die frühe Übernahme in die Hofbibliothek, dem Vorläufer der heutigen Staatsbibliothek, ist als Glücksfall zu bezeichnen, denn so entging die Bibliothek Hartmann Schedels der Zerstreuung und teilte nicht das typische Schicksal vieler Privatbibliotheken. Wegen unterschiedlicher Zählweisen lassen sich allerdings die vorliegenden Angaben zum Gesamtbestand kaum in Relation setzen: Die alten Bibliotheksinventare (s. unten) verzeichnen fast 700 Bindeeinheiten oder Bände; eine Recherche im Inkunabelkatalog der Bayerischen Staatsbibliothek nach Provenienzen ergibt 458 gedruckte Titel, doch lässt dieses Resultat keinen Rückschluss auf die Bände zu, da durch Eingriffe in vergangenen Jahrhunderten Sammelbände auseinandergerissen wurden und Bindeeinheiten sich nicht mehr zuverlässig rekonstruieren lassen. Ähnlich ist die Angabe zu den heute vorhandenen rund 370 Handschriften mit Schedelscher Provenienz zu bewerten. Völlig fehlen in dieser Bilanz die Drucke des 16. Jahrhunderts, da für diese eine Erfassung der Provenienzen noch nicht erfolgt ist.

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Geboren wurde Hartmann Schedel 1440 als Sohn eines Kaufmanns. Den sozialen Aufstieg der Familie spiegelt die Tatsache, dass mehrere Kinder aus Hartmanns Generation ein Universitätsstudium absolvierten. Nach dem Vorbild seines älteren Vetters Hermann Schedel († 1485) studierte Hartmann von 1456 bis 1463 in Leipzig und von 1463 bis 1466 in Padua. Es war ebenfalls Hermann, der seinem Verwandten nicht nur die Beschäftigung mit den humanistischen Wissenschaften und die Ausbildung zum Mediziner nahelegte, sondern ihm auch nach der Promotion 1466 die erste Anstellung als Arzt in Nördlingen 1470 ermöglichte und in ihm das Interesse am Büchersammeln weckte. Nach einer weiteren Station in Amberg kehrte Hartmann Schedel 1481 in seine Heimatstadt zurück, wo er bis zu seinem Tod 1514 als Stadtarzt wirkte und 1493 an der Herstellung der nach ihm benannten Weltchronik beteiligt war.

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Konzept der Ausstellung

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Abgesehen von drei Leihgaben sind alle in der Ausstellung gezeigten Objekte den Beständen der Staatsbibliothek entnommen; die bereits 1990 gewürdigte Grafiksammlung wurde als Thema bewusst ausgespart. 3 Ausstellung und Katalog verschränken Biographie, Sammler- und Verfassertätigkeit miteinander, indem die Gliederung in sieben Kapitel der Einteilung der Weltchronik in sieben Weltalter entspricht. Die ersten vier Abschnitte sind dem Lebenslauf Hartmann Schedels gewidmet (Aufstieg und Niedergang einer Nürnberger Familie; Hartmann Schedel als Student in Leipzig und Padua sowie als Arzt in Nördlingen, Amberg und Nürnberg), während sich die letzten drei mit Hartmann Schedel als Büchersammler und als Verfasser der Weltchronik sowie mit dem Schicksal einzelner Bücher und der Bibliothek beschäftigen. Im Begleitband erhält jedes Kapitel eine eigene Einleitung, an die sich dann die ausführlichen Beschreibungen der jeweils zugeordneten Objekte anschließen, deren Anzahl zwischen drei und neun schwanken kann. Die Durchdringung von Leben und Werk deuten der Weltchronik entnommene Holzschnittillustrationen von Personen und Orten an, die an passender Stelle als Vignetten in die Texte eingeschoben wurden.

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Fokus: Vielfalt der Bibliothek

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Eine Rekonstruktion der in den Beständen der Staatsbibliothek aufgegangenen Sammlung Hartmann Schedels erlauben zwei erhaltene und in der Ausstellung gezeigte Inventare, von denen das ältere 623 Werke in 645 Bänden (Kat. 5.7) und das jüngere aus dem Jahr 1552 667 Bände auflistet (Berlin, Ms. germ. fol. 447, Kat. 1.2). Hartmann Schedel hatte sich für eine systematische Aufstellung in 18 Gruppen entschieden, die sich am Universitätsstudium orientiert und von den Fächern der »artes liberales« über die »ars humanitatis« zur Medizin, Jurisprudenz und Theologie aufsteigt; außerhalb dieser Ordnung wurden Gebetbücher, deutschsprachige Literatur und persönliche Dokumente zu eigenen Gruppen zusammengefasst. Als besonders markante Beispiele aus dieser Sammlung zeigt die Ausstellung jeweils die älteste Handschrift und den ältesten Druck: Um 818 entstand wohl im Umkreis von Salzburg eine dann im Kloster St. Emmeram in Regensburg aufbewahrte astronomisch-komputistische Sammelhandschrift (Clm 210, Kat. 5.5), in deren Besitz Hartmann Schedel wohl in den 1480er Jahren als Bibliotheksreisender kam. Unmittelbar nach ihrem Erscheinen 1468 erwarb er eine Ausgabe der Werke des Laktanz, der der älteste italienische Druck im Bestand bleiben sollte (2 Inc.c.a. 14, Kat. 5.1). Die Vielseitigkeit des Sammlers belegen ein um 1460 eigenhändig geschriebenes Liederbuch, ein heute seltenes Zeugnis polyphoner Musik (Cgm 810, Kat. 2.2), oder der 1482 angekaufte, erste illustrierte Druck der Geographia des Ptolemaeus, dessen Karten Hartmann Schedel selbst kolorierte (Rar. 124, Kat. 3.1). Der späte Erwerb der Commedia von Dante Alighieri in italienischer Sprache nach 1497 bezeugt sein beim Studium in Italien gewecktes, humanistisches Interessenssprektrum (2 Inc.c.a. 3468, Kat. 3.2). Hartmann Schedels Kenntnisse in der griechischen Sprache bestätigt die Eingliederung eines 1497 von Aldus Manutius in Venedig gedruckten Elementarlehrbuchs (Rar. 1582, Kat. 3.5). Um sein medizinisches Wissen zu erweitern, erwarb der Arzt zeitlebens aktuelle Fachliteratur wie z.B. ein deutsches Lehrbuch der Chirurgie aus dem Jahr 1497 (2 Inc.c.a. 3451, Kat. 4.6) oder die Schrift Von den Bädern des Nürnberger Wundarztes Hans Folz (Rar. 186, Kat. 4.7).

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Fokus: Netzwerke

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Gerade das Beispiel des Bäderbuchs belegt aber auch, wie untrennbar bei Hartmann Schedel Privates und Berufliches miteinander verzahnt waren und wie geschickt er ein als erfolgreicher Arzt aufgebautes soziales Netzwerk für seine persönlichen Interessen nutzte: Der Druck war ursprünglich an ein 1486 begonnenes Rezeptbuch des Stadtarztes angebunden, in dem der Autor Hans Folz als Patient erscheint (Clm 263, Kat. 5.7). Für das ältere, von 1470 bis um 1480 in Nördlingen und Amberg geführte Rezeptbuch (Clm 290, Kat. 4.3) liegt eine ausführliche Auswertung der Patientenkartei vor, die die Verbindungen zur gesellschaftlichen Elite der Städte und ihres Umlandes sowie zu den Klöstern mit reichen Bibliotheksbeständen aufgedeckt hat. 4 Exemplarisch geht die Ausstellung auf den Bücheraustausch mit Familienmitgliedern und Freunden ein: So finden sich in der Bibliothek eine Bibelhandschrift aus der Familie von Hartmann Schedels Mutter (Clm 341, Kat. 1.4), ein Rechen- und ein venezianisch-nürnbergisches Sprachbuch seines Bruders Johannes (Cgm 9520, Kat. 1.5; Cod. ital. 362, Kat. 3.3) sowie zahlreiche Erbstücke aus der Bibliothek seines Vetters Hermann Schedel (Rar. 853, Kat. 1.6). 5 Aus dem Besitz eines Kollegen erbte Hartmann Schedel 1495 medizinische Fachliteratur (Clm 31, Kat. 3.7). Das aktive Bemühen um die Einverleibung von Texten, die nicht im Druck erhältlich waren, durch eigenhändiges Abschreiben belegen ausgewählte Beispiele. So hat sich der Bericht des befreundeten Hieronymus Münzer über seine Reise nach Spanien 1494/95 nur in einer Handschrift in der Schedelschen Bibliothek erhalten (Clm 431, Kat. 7.3). Zumeist genügten reine Textabschriften dem Anspruch des Sammlers nicht und er überliefert als Zeitzeuge den Entstehungskontext durch kopierte Widmungen und Begleitschreiben; so hielt er nicht nur eine frühe Fassung eines Lobgedichts auf Nürnberg von Konrad Celtis fest, sondern auch dessen Widmungsschreiben an den Rat aus dem Jahr 1495 sowie das Begleitschreiben des Bürgermeisters zur Rücksendung des verschmähten Dedikationsexemplars 1497 (Clm 951, erwähnt in Kat. 7.2). Auch den Wortlaut der Widmung zur lateinischen Ausgabe der Weltchronik, die dem Rat überreicht wurde, kennen wir nur aus dem Handexemplar aus Schedels Bibliothek (Rar. 287, Kat. 1.1).

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Fokus: Ego-Dokumente

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In die Bibliothek sind zahlreiche Dokumente eingegangen, anhand derer sich Ausbildung und beruflicher Werdegang bis hin zu sehr individuellen Anliegen Hartmann Schedels verfolgen lassen. Als Beispiele werden die älteste, vom gerade sechzehnjährigen Studenten angelegte Studienhandschrift (Clm 484, Kat. 2.1), eine Auflistung der von ihm besuchten medizinischen Vorlesungen und der von ihm geschätzten Professoren (Clm 13, Kat. 3.8), eine Sammlung von Ehetraktaten als Beleg für Heiratsabsichten (Clm 363, Kat. 3.6), Horoskope für die Söhne (Clm 667, Kat. 4.5), das Tagebuch einer Wallfahrt nach St. Wolfgang im Salzkammergut (Clm 30165, Kat. 5.4), die Hauskalender (Clm 624, Kat. 7.3), die Sammlung von Inschriften aus Italien und anderen Ländern mit eigenhändigen Skizzen (Clm 716, Kat. 3.4) oder das Handexemplar zur lateinischen Ausgabe der Weltchronik (Rar. 287, Kat. 1.1) gezeigt. Manche Bücher nutzte Hartmann Schedel sogar, um empfangene Briefe und eigenhändige Briefkonzepte abzulegen (L.impr.c.n.mss. 269, Kat. 7.4).

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Nur für die Dauer der Ausstellung gelang es, die vier bekannten Exemplare des Schedelschen Geschlechterbuchs zusammenzuführen. Weil drei Versionen nicht nur mit Wappenmalereien und genealogischen Schemata, sondern auch mit Kostümfiguren versehen sind, konnte den Ausstellungsbesuchern Hartmann Schedel in zeitgenössischen oder wenig später entstandenen bildlichen Darstellungen entgegen treten. In München hat sich als Bruchstück einer verworfenen Familienchronik eine um 1474/75 zum Zeitpunkt der ersten Eheschließung entstandene ganzfigurige Darstellung des Arztes erhalten (Clm 30, Kat. 4.1). Die ursprüngliche Anlage als Doppelbild zusammen mit der ersten Ehefrau belegen Kopien, die um 1552 in Augsburg entstanden (Privatbesitz, Kat. 4.2) bzw. um 1570 von dem Enkel Melchior Schedel angelegt wurden (Coburg, Landesbibliothek, Ms. 11, Kat. 7.5). In einer weiteren um 1552 entstandenen Abschrift (Berlin, SBB-PK, Ms. germ. fol. 447, Kat. 1.2) wurde in der Ausstellung der von Hartmann Schedel verfasste eigene Lebenslauf gezeigt.

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Fokus: Büchersammeln

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Eher nicht gezielt aufbewahrt – wie im Katalog dargestellt –, sondern zufällig erhalten haben sich einige ausgeschiedene und als Makulatur wiederverwendete Belege für die Beschaffung von Büchern und für den frühen Buchhandel. Insiderinformationen von einem Mitarbeiter der Druckerei erlaubten es Hartmann Schedel, eine Bibliographie von 19 bei Konrad Sweynheym und Arnold Pannartz in Rom 1468 bis 1470 verlegten Titeln mit Preisangaben zu erstellen, die von ihm und seinem Vetter als Wunschliste mit der Bitte um Beschaffung an Mittelsmänner weitergegeben wurde (Einbl. VIII,1 t, Kat. 5.2). Das Verzeichnis ist nach dem Muster von Werbeanzeigen gestaltet, die Wanderbuchhändler mit einer handschriftlich ergänzten Angabe des jeweiligen Verkaufslokals – meist Gasthäuser – in den von ihnen besuchten Städten aushängten. Wohl als vom Buchbinder verwendete Druckmakulatur gelangten drei Exemplare einer Buchhändleranzeige in Hartmann Schedels Bibliothek, die Anton Koberger um 1480 zur Fertigstellung der umfangreichen Summa theologica des Antoninus Florentinus auflegte (Einbl. VIII, 4, Kat. 5.3). Mit einem am Schluss angehängten Katalog von bei ihm erhältlichen Büchern empfahl er sich als Spezialist für fachwissenschaftliche Literatur. 6 Gezielt ließ Hartmann Schedel dagegen das Begleitschreiben seines Freundes Ivo Wittich (1456–1507) bei dessen Buchgeschenk einheften. Aus dem Brief geht hervor, dass der Rechtsgelehrte bei Mainzer Buchhändlern nach Drucken für den Nürnberger Arzt geforscht hatte (4 Inc.c.a.1117, Kat. 5.6). Ebenso bewusst als Teil des Gesamtprojekts hat Hartmann Schedel die Werbeanzeige Kobergers für die Weltchronik in seinem Handexemplar aufbewahrt (Rar. 287, Kat. 1.1 mit Abb. S. 135).

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Fokus: Weltchronik

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Im Kapitel zur nach Hartmann Schedel benannten Weltchronik wird bewusst ein Aspekt in den Mittelpunkt gestellt: Die Arbeitsweise des Kompilators und die von ihm benutzten Quellen. Behutsam wird seine Rolle im Gesamtunternehmen abgewogen und vermieden, ihn zum Hauptinitiator zu stilisieren. Stattdessen wird herausgestellt, warum der Büchersammler den umfangreichen Text in einer nur kurzen Zeitspanne anfertigen konnte. Hier kamen ihm die intensive Beschäftigung mit den von ihm gesammelten Werken zugute: Eine systematische Aufstellung der Bibliothek und eine planvolle Durcharbeitung eines jeden Bandes durch handschriftliche Ergänzung einer Blattzählung als Voraussetzung für ein im nächsten Schritt angefertigtes Register. Als wichtigste Quellen werden Werner Rolevincks Fasciculum temporum (Kat. 6.2, Schedels Exemplar ist verloren) und das Supplementum chronicarum des Jacobus Philippus Bergomensis (Kat. 6.3, Schedels Exemplar ist verloren) vorgestellt. Der Erstausgabe der im Anhang gedruckten Europa des Enea Silivio Piccolomini liegt eine Abschrift Hartmann Schedels zugrunde, die Hieronymus Müntzer überarbeitete (Clm 386, Kat. 6.4); aufgrund der selbst erstellten Register nach Regionen, Orten und Personen hatte sie der Kompilator schon zuvor für den Text der Weltchronik auswerten können. Die Augsburger Nachdrucke von 1497 waren Konkurrenzunternehmen, unterstützten aber auch die Verbreitung des in der Weltchronik vorhandenen historischen Wissens (Kat. 7.1).

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Fokus: Forschungsdesiderate

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Betrachtet man die Forschungssituation zu Anton Koberger und Hartmann Schedel, so ergibt sich eine weitere Parallele zwischen den beiden Nürnbergern: Zum Drucker und Verleger legte Oscar von Hase 1869 und in zweiter Auflage 1885 eine umfassende Monographie vor, 7 zu Hermann und Hartmann Schedel als Büchersammlern konnte 1908 Richard Staubers grundlegende Studie posthum herausgegeben werden. 8 Beide Bücher haben an Bedeutung nicht verloren, doch müssen die Ergebnisse aufgrund der Fortschritte in der Handschriftenerschließung sowie in der Inkunabelforschung und –katalogisierung sicher einer Neubewertung unterzogen werden. Auf weitere Desiderate weist Bettina Wagner im abschließenden Kapitel zum Schicksal der Bibliothek Hartmann Schedels selbst hin. Noch längst nicht zu allen der 370 erhaltenen Handschriften liegen moderne Beschreibungen vor, in vielen Fällen muss man sich noch auf ein Kurzverzeichnis von Johann Andreas Schmeller aus dem Jahr 1866 beziehen. 9 Während zu den Inkunabeln ein vorbildlicher Katalog vorliegt, fehlt eine Identifikation der aus Hartmann Schedels Bibliothek stammenden Exemplare unter den Drucken des 16. Jahrhunderts. 80 der 370 Handschriften sowie fast alle Inkunabeln aus Schedels Besitz sind als Volldigitalisate bereits zugänglich und erlauben eine Beschäftigung mit den Lese- und Benutzerspuren Hartmann Schedels. Der Ausstellungskatalog selbst ist der beste Beleg, welche Bereicherung eine virtuelle Rekonstruktion der Bibliothek Hartmann Schedels für Forschung und Wissenschaft zur Kultur- und Geistesgeschichte im Zeitalter von Humanismus und Vorreformation bieten würde – allerdings nur in Verbindung mit einer Tiefenerschließung und der Erfassung exemplarspezifischer Merkmale, die einen gezielten Zugriff auf die Zusätze Hartmann Schedels und Ansätze zu einer Kontextualisierung erlauben.

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Welten des Wissens ist ein allgemeinverständlich geschriebener Katalog, der bewusst für ein breites, mit einer englischen Übersetzung sogar internationales Publikum aufgelegt wurde. Deshalb ist der Band aber kein Leichtgewicht, sondern legt aus profunder Bestandskenntnis gewonnene neue Erkenntnisse und Einsichten zum Büchersammler Hartmann Schedel vor. Qualität und Aktualität garantiert ein Team von Spezialisten, das Bettina Wagner für Katalogbeiträge gewinnen konnte. Zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilungen Handschriften und Alte Drucke an der Bayerischen Staatsbibliothek brachten ihre Fachkenntnisse ein, ausgewiesene Wissenschaftler fassten neue Forschungsergebnisse zusammen. Zu letzteren zählen Franz Fuchs (Würzburg), der sich wiederholt mit Leben und Werk der Vettern Hermann und Hartmann Schedel beschäftigt hat, Claudia Wiener (München), von der gerade eine Arbeit zur Edition von Enea Silvio Piccolominis Europa in der Weltchronik in Druck ist, und Bernd Posselt (München), dessen ebenfalls vor dem Erscheinen stehende Dissertation eine Lücke füllen wird, weil sie sich intensiv mit den vom Verfasser der Weltchronik benutzten Quellen beschäftigt. Die facettenreiche Annäherung an die Person des spätmittelalterlichen Arztes und Büchersammlers garantiert in vielerlei Hinsicht eine gewinnbringende Lektüre.

 
 

Anmerkungen

Christine Sauer (Hrsg.): Anton Koberger. Zum 500. Todestag des Druckers der Schedelschen Weltchronik. (Ausstellungskatalog der Stadtbibliothek 107) Nürnberg: Selbstverlag 2013.   zurück
Zitiert nach Kat. 7.5.   zurück
Béatrice Hernad: Die Graphiksammlung des Humanisten Hartmann Schedel. (Bayerische Staatsbibliothek, Ausstellungskataloge 52) München: Prestel 1990.   zurück
Klaus Fischer: Hartmann Schedel in Nördlingen: das pharmazeutisch-soziale Profil eine spätmittelalterlichen Stadtarztes. Mit Edition von Hartmann Schedels Nördlinger Apotheken-Manual »receptarius«. (Würzburger medizinhistorische Forschungen 58) Würzburg: Königshausen & Neumann 1996.   zurück
In Hermann Schedels Testament von 1485 findet sich neben Büchergeschenken eine Klausel, die seinem Vetter das Vorkaufsrecht auf Bücher aus der Bibliothek einräumt; Hartmann Schedel machte davon großzügig Gebrauch, verkaufte aber 1486 dabei entstandene Dubletten an den Rat der Stadt Nürnberg; dort haben sich über 30 Inkunabeln und Handschriften aus dem Besitz der beiden Schedels in der Stadtbibliothek Nürnberg erhalten.   zurück
Als Literaturangabe zu ergänzen ist Hans Michael Winteroll: Summae innumerae. Die Buchanzeigen der Inkunabelzeit und der Wandel lateinischer Gebrauchstexte im frühen Buchdruck. (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 193) Stuttgart: Heinz 1987, S. 295–337.   zurück
Oscar von Hase: Die Koberger, Buchhändler-Familie zu Nürnberg. Eine Darstellung des deutschen Buchhandels in der Zeit des Übergangs von der scholastischen Wissenschaft zur Reformation. Leipzig: Breitkopf & Härtel 1869; ders.: Die Koberger, Eine Darstellung des buchhändlerischen Geschäftsbetriebes in der Zeit des Überganges vom Mittelalter zur Neuzeit. Mit Briefbuch der Koberger, 2. Auflage. Leipzig: Breitkopf & Härtel 1885.   zurück
Richard Stauber: Die Schedelsche Bibliothek. Ein Beitrag zur Geschichte der Ausbreitung der italienischen Renaissance, des deutschen Humanismus und der medizinischen Literatur. Nach dem Tode des Verfassers hrsg. von Otto Hartig. (Studien und Darstellungen aus dem Gebiete der Geschichte 6) Freiburg i. Br.: Herder 1908.   zurück
Johann Andreas Schmeller: Die deutschen Handschriften der K. Hof- und Staatsbibliothek zu München. Erster Theil. (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Regiae Monacensis V.1: Codicum Germanicorum partem priorem complectens) München: Palm 1866.   zurück