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Wissenschaft Entwerfen

  • Sabine Ammon / Eva-Maria Froschauer (Hg.): Wissenschaft Entwerfen. Vom forschenden Entwerfen zur Entwurfsforschung der Architektur. (eikones) München: Wilhelm Fink 2013. 488 S. Gebunden. EUR (D) 59,00.
    ISBN: 978-3-7705-5521-5.
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Phänomen Entwerfen

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Der von Sabine Ammon und Eva Maria Froschauer herausgegebene Sammelband »Wissenschaft Entwerfen. Vom forschenden Entwerfen zur Entwurfsforschung der Architektur« untersucht das Phänomen »Entwerfen« sowie Theorien zum Entwerfen, hinsichtlich einer möglichen wissenschaftlichen Relevanz und Tragweite. Die Untersuchung von Entwurfsprozessen wird speziell auf den Bereich der Architektur bezogen, wobei sich aber das, was die versammelten Beiträge an erkenntnistheoretischen Aspekten von Entwurfsprozessen herausarbeiten, auch umlegen lässt auf eine Vorwegnahme von Artefakten und Handlungen, beim erstellen z.B. von Comics, Drehbüchern, literarischen Texten oder musikalischen Kompositionen. Die vielfältigen Zugänge zum Phänomen Entwerfen eröffnen ein Spannungsfeld intuitiv-experimenteller und logisch-zweckgerichteter Prozesse. Mehrheitliches Interesse gilt eher den intuitiv-experimentellen Formwerdungsprozessen innerhalb von Bauplanung und Architekturtheorie, weil dort Entwerfen als Phänomen der Arbeitsteilung eine enorme praktische und theoretische Ausweitung erfahren hat, also jenem schwer theoretisch zu fassenden konzeptionellen Prozess innerhalb der Planungsphasen Problemformulierung, Zielbildung, Alternativentwicklung, Prognose und Bewertung, welcher eine Kerntätigkeit kreativ orientierter Berufsfelder ausmacht. Kreatives und technisches Entwerfen wird als Vorgang einer textuell fundierten Wissensgewinnung diskutiert, vorgestellt und wissenschaftsgeschichtlich, -philosophisch und -soziologisch kontextualisiert. Dadurch entsteht ein weites Forschungsprogramm mit dem Ziel der Etablierung einer sog. »reflexiven Entwurfsforschung«.

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Forschung »in«, »durch« und »für« den Entwurf

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Die Autorinnen und Autoren aus den Bereichen Architekturtheorie, Bautechnik, Kulturwissenschaft, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, Philosophie, Soziologie und Technikgeschichte behandeln Entwerfen bzw. Forschung »in«, »durch« und »für« den Entwurf auf einer metatheoretischen, theoretischen oder methodischen Ebene, d.h. wissenschaftshistorisch, wie auch -theoretisch durch Untersuchungen wissenschaftlicher Aspekte von Entwurfstheorien oder Lehrinhalten, logisch-argumentativ durch Beschreibungen von Entwurfstheorien mit Fokus auf Reflexionen zum Entwerfen oder qualitativ durch Fallstudien eher ethnomethodologisch mit Blick auf Entwurfshandlungen, -verfahren- oder -werkzeuge. Konkret gliedern die Herausgeberinnen die Beiträge in vier Gruppen:

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(i) Hinsichtlich der Möglichkeiten Entwurfsprozesse als Forschungsgegenstand zu begreifen behandeln die Beiträge Sammeln als Indiz von Forschung im Bereich des Entwerfens, relativieren beobachtend sozioräumliche, -kognitive und -technische Formen des Wissensgewinnes methodisch nicht immer abgesicherter Entwurfsprozesse im Vergleich zu Methoden aus der Anthropologie, diskutieren die Frage nach Architektur als Medium und Entwerfen als Technik einer Wissensorganisation und lokalisieren in der rhetorischen Erfindungskunst Kernbestandteile entwerferischer Heuristik.

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(ii) In Bezug auf die erkenntnistheoretische Dimension von Entwurfsprozessen behandeln die Beiträge den Laborcharakter von Entwurfsprozessen, rekonstruieren mediale Übersetzungen architektonischer Entwurfs- und Entwicklungsschritte in der Arbeit mit Modellen, zeigen das Spannungsverhältnis ingenieursmäßiger Optimierung und ästhetischer Prozesse auf und kontextualisieren Forschung durch den Entwurf an der spekulativen Grundfigur aus der Dialektik.

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(iii) Hinsichtlich der Frage nach Entwerfen als Mittel von Forschung rekonstruieren die Beiträge Transformationen zwischen Materialien, Zeichen und Sprache innerhalb architektonischer Experimente, verorten fokussierte Aufmerksamkeit, Ganzheit, Intuition oder sub-species Wahrnehmung aus der Theorie zum impliziten Wissen im architektonischen Entwurf, identifizieren sog. »epistemische Strategien« wie z.B. Komplexitätsreduktion, Variation oder Fehlersuche im Entwerfen und kontextualisieren es als Kulturtechnik.

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(iv) In Bezug auf die Vermittlung akademischer Lehren veranschaulichen die Beiträge anhand von Curricula aus dem 18. und 19. Jhd. wie sehr Wissen im Entwurf sozialisiert ist, zeigen, dass maschinenmäßiges Konstruieren und Ästhetik schwer aufgespaltet werden können, suchen nach Regeln der Zusammensetzung mit dem Ziel einer Art formalen Grundlegung von Architektur durch Aspekte wie z.B. Zusammengesetztheit oder Gegensätzlichkeit und zeigen in der Analyse von Lehrinhalten, wie stark entwerferische Innovation auf Sprache angewiesen ist, und welche Rolle Versuch und Irrtum sowie Quasi-Experimente dabei spielen.

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Historische oder ideengeschichtliche Schwerpunkte

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Die Beiträge mit historischen oder ideengeschichtlichen Schwerpunkten veranschaulichen die Vielfalt und den Wandel von Entwurfsbegriffen, z.B. aus der Musik, Kombinatorik oder Technik. Komparatistische Betrachtungen von Entwurfsbegriffen bei u.a. Gottfried Wilhelm Leibniz und Christian Wolff identifizieren Entwerfen als heuristisches Werkzeug mit analysierenden, synthetisierenden und evaluierenden Eigenschaften. Diese elementaren wissenschaftlichen Prozesse werden speziell in Hinblick auf kreatives und technisches Entwerfen untersucht. Erkenntnistheoretische Beiträge verdeutlichen Potenziale und Unsicherheitsfaktoren von Entwurfsprozessen, durch z.B. abduktive Schlussfolgerungen, impliziten Wissenstransfer, Metaphern oder Pseudoexperimente.

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Beiträge, die an Laborstudien aus der Wissenschaftsforschung orientiert sind, adaptieren Experimentbegriffe aus den empirischen Wissenschaften, und prüfen dadurch die Annahme, Architekten verwendeten ihre Modelle in einer ähnlichen Weise wie z.B. Bodenkundler ihre Materialaufbereitungen, und festigten dadurch gleichzeitig Entwerfen als eigenständige experimentelle Praxis. Beiträge, die eher getragen sind von einem aktiven Entwurfsbegriff, gekoppelt an kreativer oder technischer Schöpfung, veranschaulichen Möglichkeiten wie auch Probleme einer Beschreibung der Entstehung des Neuen durch die Öffnung der Physiognomie des Begriffes »Entwerfen« hin zu Projektieren (proicio), Erfinden (inventio) oder Anordnen (dispositio).

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Die Abgrenzung vom praxisgeleiteten Entwerfen zum Planen erscheint als Forschungspunkt, wenn Planungswissenschaft einer Forschung zum Entwerfen als theoretisch übergeordnet aufgefasst wird. Historische Positionen wie z.B. Richard Buckminster Fullers und John McHales »Design Science«, 1963 oder Herbert A. Simons »Sciences of the Artificial«, 1969 könnten hierzu eine klarere Positionierung zu Natur- und Humanwissenschaften unterstützen. In der Frage nach dem Zusammenhang von Entwerfen und Forschen kann eine starke Hinwendung zu Dualismen wie z.B. Augenscheinlichkeit-Wahrheit, Implizit-Propositional, Bild-Text oder Darstellen-Sagen dazu führen, Entwerfen als spezifische Wissenspraxis aus dem Blick zu verlieren, was einige Beiträge gewinnbringend herausstellen.

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Wissenschaftsforschung innerhalb von Architekturtheorie und »Design Studies«

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Die Publikation zeigt, welche Form Wissenschaftsforschung innerhalb von Architekturtheorie und den sog. »Design Studies« haben kann, und wie Fragestellungen aus dem interdisziplinären Forschungsprogramm der Science and Technology Studies dort aufgenommen werden können. Die Funktion solcher Grundlagenforschung kann in der Freilegung und Benennung von Archiven, Aussagen, Referentialen und Medialitäten begründet sein. Archive können verstanden werden als unsichtbare Regeln zur Formation und Transformation von Aussagen.

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Im Bereich des Entwerfens sind z.B. Forschungsparadigmen, neue Formwerdungsprozesse, Konzepte über kreative Imagination, Abbildungs- und Zeichnungssysteme als Archive denkbar. Die Beiträge untersuchen hier mittels Martin Heideggers Konzept des »Betriebscharakters« die Wandlung von Wissenschaften, die Entwerfen in sich aufnehmen, sowie mittels Reinhold Martins Konzept des sog. »organizational complex« organisatorische, soziale und technische Einflüsse. Die Beiträge behandeln hier Theorien von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, William Richard Lethaby, Franz Reuleaux, Alois Riedler, Fritz Kesselring oder Johannes Müller, um schwer zu fassende Vorstellungen zum Erfinden, Planen und Konstruieren wie eine Gesamtheit – ein Monument – erscheinen zu lassen. Aussagen bilden Kernbestandteile von Archiven und stellen eine Vorform von Wissen dar. Im Bereich des Entwerfens sind neben der Sprache insbesondere Graphismen, Räume, Spuren oder Zeichen die eine bestimmte Ordnung erkennen lassen als Aussagen denkbar. Die Beiträge zeigen hier u.a. an Analysen und Beschreibungen konkreter Entwürfe oder an einem Bau von Eero Saarinen inwiefern architektonische Ordnungen auch Wissensordnungen darstellen können. Referentiale sind Bindeglieder zwischen Aussagen und Äußerungen, und stellen Bedingung und Möglichkeit der Erzeugung von Sinn dar. Im Bereich des Entwerfens kann in der Frage nach dem Feld an Techniken hinter Kerntätigkeiten von Entwerfern, wie z.B. Modellieren, Notieren, Projizieren, Skalieren oder Skizzieren eine Analyse von Referentialen helfen, das Augenmerk auf materielle Einflussfaktoren zu lenken. In materiellen Aspekten solcher Techniken und der Möglichkeit diese selbst als Aussagen zu verstehen, können Ansätze einer Kulturtechnikforschung entwerferischen Handelns liegen. Die Beiträge zeigen hier z.B. am Konzept der »epistemischen Dissonanz« von David Stark, sowie der Analyse der Tätigkeiten des Ausstellens und Sammelns, wie Entwerfen eine Verbindung schafft zwischen Ordnungen von Zeichen und symbolischen Feldern oder Korrelationsräumen. Medialitäten bilden die materielle Existenz von Aussagen. Im Bereich des Entwerfens bieten Medialitäten ein weites Feld theoretischer Angriffspunkte, z.B. in der Frage danach, ob CAD- oder Papiermodelle innerhalb eines architektonischen Disputs als wertvoller erachtet werden als z.B. Handzeichnungen. Die Beiträge zeigen hier z.B. an Modellen, Experimenten oder konkreten Lehrprogrammen wie Übersetzungen beim Entwerfen erfolgen, und wie sich Akteure dadurch Statute verschaffen können.

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Spannend werden die Beiträge dann, wenn ihr Gegenstand neutral verhandelt wird: Wenn normative Feststellungen darüber, welche wissenschaftlichen Aspekte im Entwurf noch zu finden sind, zurückgehen, zugunsten dialogischer Befragungen fremder Wissenschaftsgebiete. Reflexive Entwurfsforschung könnte hier bedeuten, Aussagen, Satzsysteme oder Theorien in neue Kontexte zu stellen, wodurch die Anschlussfähigkeit der eigenen Disziplin gegenüber anderen ausgelotet werden kann, und rückwirkend neue Erkenntnisse gewonnen werden können.

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Dieser interdisziplinäre Anspruch zeigt Grenzen von Philosophie oder Kulturwissenschaft im Verständnis technischer Zusammenhänge auf, d.h. eine Crux zwischen praxisnaher Theoriebildung/Anwendbarkeit und Grundlagenforschung/Lehrbarkeit. Eine Polarisierung zur Frage nach dem Zusammenhang von Entwerfen und Forschen ist auch erkennbar im Spannungsfeld sinnlich-anschaulicher und begrifflich-vermittelter Prozesse im Entwurf. Gebaute Architektur, technische Objekte oder Entwurfshandlungen als Verkörperung von Wissen oder kristallisierten gesellschaftlichen Sinn zu interpretieren räumt der (nicht zuletzt textuell basierten) Ästhetik viel Raum ein. Sie bietet eine Theorie sinnlich vermittelter Wissensformen an, die den Übergang intuitiv-experimenteller und logisch-zweckgerichteter Prozesse begrifflich zu erfassen hilft. Sabine Ammon hebt hierzu hervor, dass Theorien zum Entwerfen aufgrund der Nähe von künstlerischer und konstruktiver Gestaltung zum Gegenstand von Ästhetik werden können. Sie stellt aber gleichzeitig fest, dass die erkenntnistheoretische Dimension von Entwurfsprozessen innerhalb von Schriften zur Ästhetik häufig nur am Rande thematisiert wird. 1 Im Zentrum formal- und rezeptionsästhetischer Studien stünden die produktive Einbildungskraft, die Struktur von Kunstwerken, deren Wirkung oder Zeichenprozesse ohne erkenntnistheoretische Bedingungen ihrer Entstehung tiefergehend zu untersuchen. Kunsttheorien, wie z.B. jene von Konrad Fiedler bieten hierzu Ausgangspunkte für eine Analyse von Entwurfsprozessen, die speziell auf deren Produktionsästhetik eingeht. 2

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Entwerfen als Form der Baukunst

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Der Beitrag von Christiane Salge zeigt wissenschaftsgeschichtlich, wie stark Entwerfen als Form der Baukunst eine habitualisierte Ästhetik auf Basis buchstäblich beredter Zeichnungen war. Ich greife ihren Beitrag heraus, weil sich in ihm die Frage nach dem Zusammenhang von Ästhetik und/oder Wissenschaft zuspitzt, und sie anhand einer Analyse von Lehrprogrammen zur Entwurfslehre der Berliner Bauakademie um 1800 darlegt, dass Entwerfen neben der Umsetzung naturwissenschaftlichen Wissens auch stark auf Ästhetik beruhte, die Koppelung zwischen den beiden sich aber veränderte. Entwerfen als ästhetische Schulung des Geschmacks erlernbar zu machen, basierte stark auf der Naturwissenschaft (Mathematik, Geometrie, Physik, Optik) und der Geisteswissenschaft (Kunstgeschichte). Die Anfertigung von Risszeichnungen, die Erzeugung von Anmutungsqualitäten, eine spezifische Arbeitsmoral, die Herausbildung von Geschmacksurteilen, Körpertechniken wie z.B. Handzeichnen und Rechnen oder trainieren bestimmter Wahrnehmungsmuster waren Teil dieser ästhetischen Schulung zum »richtigen« Entwerfen. Entgegen einer strengen Gegenüberstellung von Wissenschaft und Ästhetik zeigt die Autorin, dass die Entwurfsausbildung immer stärker geprägt wurde von einer Verschlingung beider Bereiche. 3 Eine Tendenz die auch andere nicht historische Beiträge anhand der Rolle von Kreativität in Zusammenhang mit technischer Rationalität, in der Betonung nicht-diskursiver Erfahrungen oder der Vermengung von Kunst und Ingenieurswesen thematisieren.

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Fazit

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Entwerfen zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung zu machen, erzeugt einerseits einen Bereich, der – unter einer gewissen Ästhetisierung von Wissen – ein naturwissenschaftlich orientiertes Wissensideal außerhalb spezifisch entwerferischer Kompetenz konstruiert, und andererseits einen Bereich welcher diesem Forschungsfeld eher ambivalent begegnet. Im Legitimierungsdruck könnte das Potenzial liegen, den Forschungsbereich zum Entwurf als ein lebendiges Feld aus sich etablierenden, korroborierenden Theorien einer Zeitschriftenwissenschaft zu begreifen. Eine Herausforderung besteht darin, der Veränderung von Bau-, Entwurfs- oder Gestaltungslehren durch immer neue Umgebungsbedingungen wie z.B. Energieeffizienz, Globalisierung oder Ökologie gerecht zu werden. In der Vorsicht könnte das Potenzial liegen, die Spannung zwischen Theorie und Praxis zum Ausgangspunkt einer stetigen Justierung von Forschungsprogrammen einer reflexiven Entwurfsforschung zu machen.

 
 

Anmerkungen

Vgl. Ammon, Sabine: Wie Architektur entsteht. Entwerfen als epistemische Praxis, in: Ammon, Sabine/Froschauer, Eva Maria (Hrsg.): Wissenschaft Entwerfen. Vom forschenden Entwerfen zur Entwurfsforschung der Architektur, Basel, 2013, S. 337–361, S. 338.   zurück
Vgl. Ammon, Sabine: Wie Architektur entsteht. Entwerfen als epistemische Praxis, in: Ammon, Sabine/Froschauer, Eva Maria (Hrsg.): Wissenschaft Entwerfen. Vom forschenden Entwerfen zur Entwurfsforschung der Architektur, Basel, 2013, S. 337–361, S. 358, f. 4.   zurück
Vgl. Salge, Christiane: Ästhetik versus Wissenschaft. Die Entwurfsausbildung an der Bauakademie in Berlin (um 1800), in: Ammon, Sabine/Froschauer, Eva Maria (Hrsg.): Wissenschaft Entwerfen. Vom forschenden Entwerfen zur Entwurfsforschung der Architektur, Basel, 2013, S. 385–414, S. 409.   zurück