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Statistik und Stammbuchforschung: 1.086 Argumente gegen den Verfall der Stammbuchsitte in der Sächsischen Aufklärung.

  • Katrin Henzel: Mehr als ein Denkmal der Freundschaft. Stammbucheinträge in Leipzig 1760-1804. (Literatur und Kultur. Leipziger Texte - Reihe B: Studien 4) Leipzig: Leipziger Universitäts-Verlag 01.12.2014. 471 S. Hardcover. EUR (D) 39,90.
    ISBN: 978-3-86583-859-9.

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Es ist ein so vorsichtiges wie kluges Buch, das Katrin Henzel 2014 im Leipziger Universitätsverlag als »geringfügig veränderte Fassung« (S. 4) ihrer 2011 an der dortigen Philologischen Fakultät eingereichten Promotionsschrift publizierte. Auf 471 Seiten nähert Sie sich darin detailliert und differenziert einem prima facie nicht gerade zum Kern des literaturwissenschaftlichen Objektbereichs gehörenden multigenerischen Gegenstand an: dem Stammbucheintrag der Sächsischen Aufklärung, genauer den Leipziger Stammbucheinträgen zwischen 1760 und 1804. Henzels bemerkenswerter Affinität zum Detail und zur Differenzierung ist es wohl auch geschuldet, dass dem nicht vorgebildeten Leser bis zur fast hundertsten Seite verborgen bleibt, was solch ein Stammbuch eigentlich genau ist, bzw. welche Normen und (abweichenden) Formen es grundsätzlich konstituieren. Man erfährt zwar mit Verweis auf die bestehende Forschung, dass das Stammbuch zunächst »ein ›Album mit Einträgen von Freunden oder Bekannten‹ bzw. von weiteren ›Personen [des] Tätigkeitsbereichs‹ des Stammbuchhalters« (S. 9) sei, aber eine konkrete Vorstellung davon schaffen weder der »Versuch einer allgemeinen Begriffsbestimmung« (S. 9-14) noch die historischen Abrisse der Stammbuchforschung 1 und zur Entwicklung der Stammbücher selbst. Jene wurde 1711 von Michael Lilienthal begründet, diese wurzelt in der Wittenberger Reformationszeit und dem Gelehrtenkreis um Philipp Melanchthon. Dem Verständnis der sonst in Aufbau, Argumentation und Sprache außergewöhnlich luzide gestalteten Arbeit ist dieser ungewollte Spannungsaufbau etwas abträglich, zumal sich der Leser bei einem kompositionell derart ansehnlichen Forschungsgegenstand mehr aufschlussgebende Abbildungen als die vier im Anhang wünschen wird.

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Keinen darstellungs-, sondern forschungsbezogenen Wunsch formuliert auch die Verfasserin als Resultat ihrer nun zu referierenden Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschungsgeschichte ihres Feldes. Dieser Wunsch speist sich aus der Rekonstruktion des kulturgeschichtlichen Werts der Stammbücher, wie ihn Richard und Robert Keil postulieren. Diese sprechen – mit großer Geste – von der Relevanz dieser Bücher für »Kunst- und Kultur-Historiker«, »Genealogie und Heraldik«, historischer Sprachwissenschaft, Autographenforschung, der Untersuchung von historischer Anschauung und Zeitgeschmack, uvm. 2 Eben diese Inventur derjenigen Forschungsgebiete, die grundsätzlich von einer Beschäftigung mit Stammbüchern profitieren könnten, initiiert dann anschließend Henzels Wunsch – man möchte angesichts der vielen Konjunktive fast von »Sehnsucht« sprechen – nach einer interdisziplinären Zusammenarbeit:

»Für die heutige Wissenschaftslandschaft lässt sich aus dieser Formulierung ableiten, wie fruchtbar eine Symbiose der verschiedenen Fachdisziplinen für die Untersuchung von Stammbucheinträgen und Alben sein könnte. Wichtig wären dabei die von den Einzeldisziplinen zu leistenden Vorarbeiten, auf die eine transdisziplinäre, möglichst viele Fachbereich einbeziehende, Analyse aufbauen könnte« (S. 30 f., Herv. v. M.W.).

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Dass sich aber aus einem multidisziplinär potenten Forschungsobjekt nicht zwangsläufig die Potenz der interdisziplinären Arbeit an diesem Objekt ableiten lässt, 3 sei dahingestellt. So setzt auch die Verfasserin trotz ihrer Bemühungen um interdisziplinäre Anschlussfähigkeit ihr entsprechendes Kapitel argumentativ letztlich vor allem als Begründung dafür ein, warum sich gerade die Philologie fruchtbar mit Stammbüchern auseinandersetzen kann. Der Umweg über die Amalgamierung unterschiedlicher Fachkulturen und Fachwissensbestände ist jedoch unnötig, schließlich kann die Autorin mit ihrer Studie problemlos eine ganze Fülle heterogener Textsorten aufzeigen, die als Quelle von Zitaten in diesen Einträgen Verwendung finden und traditionell in den Aufgabenbereich literaturwissenschaftlicher Arbeit fallen: Spruch / Sprichwörter, Gedichte, Erzählungen und Bühnenwerke usw. (vgl. 402). Doch ist dies kein neuer Befund innerhalb der Stammbuchforschung. Innovativen Charakter erhält Henzels Studie durch ihre methodologische Reflexionsschärfe und die damit verbundene empirisch-quantitative Ausrichtung (sieht man einmal von Lotte Kurras ähnlich gewichteter Arbeit ab). 4

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Diese besteht in einer verhältnismäßig groß angelegten statistischen Auswertung der von ihr untersuchten Stammbucheinträge. Dabei geht sie wie folgt vor: 1. Erfassung der erhebbaren Daten aus den Stammbucheinträgen in einer Datenbank, 2. Aufbereitung der Daten durch Zusammenfassung von Mehrfachkategorien und 3. deskriptive Auswertung durch Häufigkeitsanalyse und Kreuztabellierung sowie Interpretation (S. 153). Insgesamt wertet sie aus der Handschriftensammlung der Leipziger Universitätsbibliothek beachtliche 1.086 Stammbucheinträge mit dem Eintragungsort Leipzig aus, wobei der Hauptteil – mehr als die Hälfte – aus der Zeit zwischen 1770 und 1789 stammt. Der angesichts dieser Zahl gewonnene Eindruck eines außergewöhnlich umfänglichen Korpus muss aber zumindest ein wenig relativiert werden, denn von den 118 archivierten Stammbüchern kann sie aufgrund ihrer regionalen und zeitlichen Beschränkung ›nur‹ 30 Bücher als Quelle nutzen.

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Inwiefern dies die statistisch eruierten Ergebnisse hinsichtlich ihrer Aussagekraft und grundsätzlichen Interpretierbarkeit einschränkt, kann die Verfasserin selbst mangels anderer Forschungsarbeiten zu vergleichbaren Objektbereichen kaum beurteilen. Es lässt sich Henzel zwar nicht vorwerfen, dass es ihrer Untersuchung an derartigen Vergleichsstudien und somit einem Maß fehlt für die Beurteilung ihrer um historische Adäquatheit bemühten kulturhistorischen Einbettungen der Ergebnisse; dieses Desiderat führt jedoch zu der eingangs erwähnten, in der Studie omnipräsenten argumentativen Vorsicht. So heißt es etwa bzgl. des Befundes einer gegen Ende des 18. Jahrhunderts veränderten Zitierpraktiken der Stammbucheinträger: »Man kann hier einen allgemeinen und nicht nur auf Leipzig beschränkt gebliebenen Wandel […] vermuten, der allerdings mithilfe eines überregionalen Vergleichs empirisch weiter erhärtet werden müsste« (S. 404). Zu Gellert, dem meistzitierten Autor ihres Objektbereichs, betont sie in gleicher Weise: »Ob Gellert sich auch in anderen Regionen der Aufklärung ebenso großer Beliebtheit erfreute, kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht beantwortet werden, doch ist zu vermuten, dass Gellert allgemein der  Gegenwartsautor der Stammbuchinskriptionen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts war« (S. 406).

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Dieses holistisch-interdisziplinäre Erkenntnisinteresse der Autorin führt in Kombination mit ihrem – trotz des beachtlichen quantitativen Umfangs – engen Objektbereich dazu, dass man sich gelegentlich des Eindrucks nicht erwehren kann, mit dem Buch würde für Anschlussforschung regelrecht geworben. Dies strahlt bisweilen in Henzels Referat der Forschungsliteratur aus, denn Forschung wird bei ihr auch aufgrund der jeweils geäußerten Einschätzung der Relevanz des Stammbuchs gelobt oder devaluiert. Etwa wenn Henzel die Arbeit von Hendrik Birus zu Goethes Stammbuchversen lobt, weil er »für eine grundsätzlich stärkere Einbindung dieser Stücke in das Œuvre […] eines Autors plädiert« (S. 63). Oder wenn sie Keil und Keils systematischer Beschreibung möglicher Forschungsrichtung folgend auf über 25 Seiten die interdisziplinäre Anschlussfähigkeit der Stammbuchforschung in extenso ausführt: Zwischen all den Subkapiteln zu »Quellenforschung« (S. 40-42), »Mentalitätsgeschichte« (S. 42-44), »Theologie und Philosophie« (S. 44), »Psychologie: Persönlichkeitsbildung im Poesiealbum« (S. 45), »Volkskunde« (S. 45-47), »Kunstgeschichte« (S. 47-50) usw. geht die Beschreibung des genuin philologischen und stammbuchforschungsbezogenen Gewinns einer literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Stammbüchern fast unter (S. 54-57). Und das ist schade! Nicht nur kann literaturwissenschaftliches Gattungswissen zur Beurteilung der unterschiedlichen Textformen innerhalb eines Eintrags fruchtbar eingesetzt werden, auch in umgekehrter Stoßrichtung kann Henzel plausibilisieren, wie und was die Literaturwissenschaft von den Stammbüchern lernen kann. Inwiefern es tatsächlich »möglich [ist], dass auch bisher kaum beachtete Autoren und Werke [durch diese Forschung] stärker in den Fokus rücken« (S. 54), mag weiterhin offen bleiben. Der große Wert der Studie liegt in der Offenlegung statistisch erfasster Rezeptionen literarischer Texte und Autoren durch ›soziostratisch‹ differenzierte Gruppen im alltäglichen gesellschaftlichen Umgang im späten 18. Jahrhundert. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag in dem noch immer bloß insular untersuchen Feld der historischen Rezeptionsforschung, in dem sich die Autorin trotz ihrer Bemühung um interdisziplinären Anschluss nicht deutlich genug aufstellt.

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Henzel unterscheidet Stammbuchinskribenten nach den Merkmalen »Geschlecht« und »Tätigkeitsbereich«, wobei sie hinsichtlich des zweiten Merkmals bloß zwei Kategorien einführt: Entlang der Achse »Bildungsstand« separiert sie die zeitgenössische Kulturelite (Künstler, Vertreter des Buchmarkts, Geisteswissenschaftler, Theologen, Mediziner & Naturwissenschaftler sowie Juristen, S. 210-212) und andere Personen (Beamte, Unternehmer, Militärvertreter, Studenten, Frauen, Kinder, S. 209). So problematisch das erst einmal erscheinen mag, so praktikabel erweist sich dieses Vorgehen bei der Interpretation der statistisch eruierten Ergebnisse. Denn nur aufgrund dieses relativ großen Abstraktionsgrades kann Henzel verlässliche Aussagen generieren ohne die Grenze zur historischen Spekulation zu überschreiten.

Um neben der nun rekonstruierten Methode auch einen Einblick in die ›praktische‹ Auswertung ihrer Daten zu gewähren, soll exemplarisch Henzels (zumindest innerhalb der Stammbuchforschung) innovativster Aussagebereich skizziert werden. Während die bisherige Forschung die sozialhistorische Bedeutung der Stammbucheinträge lediglich auf deren Funktion als Quelle für Aussagen über den öffentlichen Diskurs reserviert, kann Henzel plausibel aufzeigen, dass durch die gesonderte Berücksichtigung weiblicher Einträgerinnen durchaus eine Ausdehnung des Aussagebereichs auf den privaten Raum möglich ist. Sie widmet diesem Aspekt jedoch kein eigenes Kapitel, sondern interpretiert die gender- und standbezogenen Analyseergebnisse nur dort, wo sie innerhalb der gut 100 Seiten starken »thematisch-inhaltlichen Erschließung« (S. 269-351) auch sinnvoll erscheinen. So kann Henzel statistisch gestützt aufzeigen, dass sich der von der bisherigen Forschung konstatierte Zuwachs weiblicher Inskribenten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts tatsächlich nachweisen lässt. Jedoch findet dieser keinesfalls in dem Ausmaß statt, dass die große Verfallsthese der Stammbuchforschung (vgl. auch S. 34 u. 37) für diesen Zeitraum auf den Rückzug des männlichen und die folgende Dominanz des weiblichen Geschlechts zurückzuführen ist (um 1790 sind es 29,3 % nachweisbare Einträgerinnen). 5 Dennoch kann die Autorin auf der Inhaltseben eine starke Korrelation von Geschlecht und spezifischem Inskriptionsverhalten nachweisen:

»Es fällt bei der Trennung der Geschlechter sofort auf, dass die Funktionen der Empfehlung und der Freundschaftsbekundung auf durch die Männer erfolgte Einträge zurückzuführen sind. Eine Empfehlung oder einen Abschiedsgruß äußern Frauen insgesamt nur dreimal […]. Freundschaftsbekundungen hingegen formulierte keine einzige weibliche Einträgerin. Dies ist ein klares Indiz dafür, dass der Freundschaftsbegriff innerhalb der Stammbuchsitte (und damit im öffentlichen Raum) ausschließlich den Beziehungen zwischen Männern vorbehalten blieb« (S. 277).

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Eingebettet werden Funde wie dieser (von denen die Autorin zahllose vorzuweisen hat) in sozial- und kulturhistorisch bekannte Thesen, wie etwa in diesem Fall zur gesellschaftlichen Stellung der Frau nach Eckhardt Meyer-Krentler: Der private Raum, innerhalb dessen sie sich zu bewegen hatten, lässt die Repräsentation von Freundschaft noch nicht zu und infolgedessen kann es auch keinen öffentlichen Diskurs (in Stammbüchern) über weibliche Freundschaft geben. 6 Auch hinsichtlich formaler Aspekte erscheinen Stammbücher stark durch Genrekonventionen reguliert zu sein, wobei insbesondere Frauen zur Tradierung bestehender Muster tendieren. »Dies lässt sich wohl mit der untergeordneten Rolle er Frau in der Öffentlichkeit und den damit verwehrten Bildungschancen begründen« (S. 266). Dieser bildungsorientierte Erklärungsansatz kann gleichsam auch begründen, dass die Gruppe der Kulturelite sehr viel experimenteller mit formalen Regeln umgeht.

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Zuletzt stellt die Autorin angesichts der Beobachtung, dass nur 6,8 % der Widmungen innerhalb der Einträge auf das Thema »Freundschaft« rekurrieren, die Frage, wieso das Stammbuch so häufig als »Denkmal der Freundschaft« bezeichnet wird. Die Antwort auf diese Beobachtung liegt in der multigenerischen Differenzierung des Stammbuchs in spezifische Textteile. Denn offensichtlich ist es nicht die Widmung, sondern der literaturwissenschaftlich weitaus interessantere Textteil des „Spruchs“, der Werthaltungen dieser Art transportiert: Freundschaft (20,4 %), Glück (16,5 %), Tugend (14,7 %), Akzeptanz des Gegebenen (14,5 %), Glauben, Gott Religion (12,9 %) usw. zeichnen die Leipziger Einträger als Paradeexemplare des aufgeklärten Bürgertums der Zeit aus, obgleich die chronologische Unterteilung in Jahrzehnte die Beobachtung ermöglicht, dass in den 1790er Jahren andere Werte in den Vordergrund traten und der Wert der Freundschaft lediglich in 8,5 % aller Einträge eine Rolle spielt. Angesichts der in diesem Zeitraum im revolutionären Frankreich geforderten Brüderlichkeit stellt Henzel folgende Überlegung an, die charakteristisch für ihre sorgfältige und vorsichtige Art der Kontextualisierung ist. Denn auch hier orientiert sie sich am Konsens der (Aufklärungs-)Forschung:

»Vielleicht steht diese Entwicklung im Zusammenhang mit der Französischen Revolution? […S]ollte tatsächlich eine Verbindung zur politischen Entwicklung in Europa bestehen, wäre daraus abzuleiten, dass die Bürger Sachsens und namentlich Leipzigs der Umsetzung der Ideale der Revolution kritisch bis abwehrend gegenüberstanden. Dies könnte wiederum als kontinuierliches Moment der Sächsischen Aufklärung bewertet werden, deren Vertreter einen kritischen Umgang mit dem aktuellen politischen Tagesgeschehen vermieden und vielmehr einen aufgeklärten Absolutismus befürworteten« (S. 202 f.).

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Die Analyse des Spruch-Teils der Stammbucheinträge führt zu einer hochinteressanten Untersuchung intertextueller Verweise, die nicht nur für den literaturwissenschaftlichen Rezeptionsforscher von Interesse ist. Henzels offenbar souveräner Umgang mit den Suchfunktionen neuer Speichermedien von Literatur resultiert in einer knapp zwanzigseitigen Tabelle, in der sie die in den Stammbüchern zitierten Autoren und Werke auflistet. Allein diese ist ein Blick in das Buch wert, verrät sie doch, dass Gellert etwa von Frauen, aber nicht von der Kulturelite zitiert wird und dass das Vanitas-Motiv auch dem aufgeklärten Leipziger Bürger häufig noch ein Sprüchlein wert war. Des Weiteren kann allein diese Tabelle (als Grundlage einer ausführlichen Diskussion im Textteil) die in der Forschung bereits erkannte, schlagende Präsenz antiker Autoren (Cicero, Horaz) illustrieren und nicht zuletzt auch aufzeigen, welche Genres man beim Zitieren bevorzugte.

Der Mehrwert einer statistisch argumentierenden Studie wie der Henzels liegt auf der Hand. Bisherige Forschungsergebnisse, obgleich sie konsensualisiert sind, basieren häufig auf subjektiven Einschätzungen von Auftretenshäufigkeiten (etwa die vielfältigen Verweise auf antike Autoren im späten 18 Jahrhundert). Wie viele andere quantitative Studien kann auch die hier besprochene Arbeit etablierte Forschungspositionen nicht nur herausfordern, sondern bestätigen und zukünftige Argumente auf diesem Gebiet dahingehend bestärken, dass diese sich nun auf gesichertes Wissen, sprich auf empirisch erhobene und damit sicher verifizierbare Daten beziehen können.

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Angesichts solch einer Neuperspektivierung im Umgang mit dem hochinteressanten Quellenmaterial Henzels muss zuletzt konzediert werden, dass man nach der Lektüre zu einer Revision des Urteils über die Relevanz von Stammbüchern neigt: Diese scheinen dem Kern unseres Faches in vielerlei Hinsicht näher zu sein als bislang vermutet.

 
 

Anmerkungen

Henzel orientiert sich stark an der Habilitationsschrift von Werner Wilhelm Schnabel: Das Stammbuch. Konstitution und Geschichte einer textsortenbezogenen Sammelform bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts. Tübingen 2003, geht aber (wie zu zeigen sein wird) in wesentlichen Punkten darüber hinaus.   zurück
Robert Keil / Richard Keil: Die Deutschen Stammbücher des sechzehnten bis neunzehnten Jahrhunderts. Hildesheim 1975, S. 48f.   zurück
Zur Kritik überengagierter Interdisziplinaritätsbemühungen – und diese trifft nicht an erster Stelle Henzels Arbeit – anhand einer chaostheoretisch beeinflussten Literaturwissenschaft vgl. Andrea Albrecht: Analogieschlüsse und metaphorische Extensionen in der interdisziplinären literaturwissenschaftlichen Praxis. In: Andrea Albrecht / Lutz Danneberg / Olav Krämer / Carlos Spoerhase (Hg.): Theorien, Methoden und Praktiken des Interpretierens. Berlin / Boston 2015, S. 271–300.   zurück
Lotte Kurras: Die Handschriften des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg. Teil 2: Die 1751 bis 1790 begonnenen Stammbücher. Wiesbaden 1994.    zurück
Diese These formuliert zumindest für das 19. Jahrhundert Eva Linhart: Vom Stammbuch zum Souvenir. In: Birgit Gablowski (Hg.): Der Souvenir. Die Erinnerung in Dingen von der Reliquie zum Andenken. Köln 2006, S. 202‒224.   zurück
Eckardt Meyer-Krentler: Freundschaft im 18. Jahrhundert. Zur Einführung in die Forschungsdiskussion. In: Wolfram Mauser / Barbara Becker-Cantarino (Hg.): Frauenfreundschaft – Männerfreundschaft. Literarische Diskurse im 18. Jahrhundert. Tübingen 1991, S. 1‒22.    zurück