IASLonline

Superman als Antriebsmaschine für neue Medien: ein neuer, faszinierender Blick auf das Phänomen des Superhelden

  • Stefan Meier: Superman transmedial. Eine Pop-Ikone im Spannungsfeld von Medienwandel und Seriosität. (Edition Medienwissenschaft) Bielefeld: transcript 2015. 202 S. Kartoniert. EUR (D) 29,99.
    ISBN: 978-3-8376-2968-2.
[1] 

Stefan Meiers 2013 an der TU in Chemnitz akzeptierte, erfreulich kurze Doktorarbeit ist ein Paradebeispiel für eine spannende Ausgangsidee, die brillant (mit nur geringen Ansatzmöglichkeiten für punktuelle Kritik) 1 bis ins Ende durchgeführt wird. Die Grundidee ist dabei so einfach wie überzeugend:

[2] 

Im Prinzip ist es die Frage nach dem Huhn und dem Ei: Wer war zuerst da? Und entsprechend kann man auch nach der Medienpräsenz des Superhelden fragen: Gab es zuerst den Medienwechsel, dem sich der Superheld in neuen Ausformungen anschloss (entsprechend den vier Kapiteln, die dies behandeln, erstens in Comic, Radio und Film in den 1930er und 1940er Jahren, zweitens in den 1950er Jahren als Fernsehserie, drittens in den 1970er und 1980er Jahren als Blockbusterkino bzw. Superheldencomic sowie schließlich viertens im »Zeitalter der media convergence«)? Oder hängte sich Superman nicht an die Entwicklung an, sondern war immer an der Spitze der Bewegung oder vorneweg, als Probeterrain sozusagen und early adopter – oder sogar Mit-Provokateur?

[3] 

Eine spannende Grundthese

[4] 

Interessant ist dieser Ansatz deshalb, weil etwa bisher Superhelden meist als mythische Figuren von archetypischem Ausmaß verstanden wurden. 2 Meiers anders pointierte These ist nun ebenso einfach wie überzeugend: Ihm gehe es nicht um »Prozesse des kulturellen Wandels […], die in den Narrationen und Transformationen der Figur selbst evident werden«, sondern vielmehr um »jene, in der Forschung bisher weniger beachteten medialen und medienökonomischen Aspekte, welche den originären Superhelden zur Folie des Medienwandels« werden ließen (S. 13).

[5] 

Besonders interessant sind für ihn Zäsuren im Medienwandel: Jeder Wandel bedeute nämlich auch den Erhalt des Bekannten, und sei es in abgewandelter Form. Und diese Bewahrung fällt im Zusammenhang mit Superhelden (bzw. mit Superman) besonders leicht, denn an ihr werde deutlich, »dass serielle Figuren, geschuldet ihrer relativen Flachheit und narrativen Einbettung in die Kontexte der wiederholenden Variation, die Unterschiede zwischen den Medienwechselprozessen beteiligten Zeichensystem auf (para-)textueller Ebene sichtbar machen und auszuhandeln vermögen« (S. 20). Und noch weiter: Aufgrund ihrer Verfasstheit sind solche Figuren sogar in der Lage, »signifikante Symptome des Medienwandels in ihren Repräsentationen aufscheinen zu lassen« (ebda.).

[6] 

Meier will in seiner Untersuchung also keine Geschichte der Figur Superman, sondern eine Geschichte des Medienwechsels - in/mit/durch - Superman nachzeichnen.

[7] 

Durchführung im Einzelnen

[8] 

Einige Schlaglichter sollen diese Geschichte auch in einer Rezension nachvollziehbar machen:

[9] 

In den 1930er Jahren emanzipierten sich die Comics von den Zeitungen (bzw. strips): Die ersten Hefte wurden zu Verkaufsrennern – und Supermann wurde schnell umgebaut und den Bedürfnissen angepasst. Dabei müsse als treibender Kraft hinter diesen Prozessen der Synergisierung »in erster Linie […] auf die ökonomischen Ambitionen verschiedener, an der Produktion beteiligter Akteure verwiesen werden.« (S. 42).

[10] 

In den späten 1930er Jahre wurde das Radio zum beliebtesten Medium (man erinnere sich an Orson Welles‘ Pseudo-Reportage »The War of the Worlds«): Und Superman war natürlich mit dabei. Das sogenannte Golden Age des Comics war nämlich nicht nur eine Hefte-, sondern auch eine höchst erfolgreiche Radio-Zeit (Meier untersucht entsprechend die Kittlersche These, ob sich der Siegeszug des Radios als ein »Systemplatzwechsel infolge der den Aufstieg des Radios zum Leitmedium darstellenden medialen Zäsur anhand des Untersuchungsgegenstandes« verifizieren lasse, so S. 51): Rundfunk hatte sich als Wirtschaftszweig etabliert, die Werbeeinnahmen waren enorm.

[11] 

Die offene narrative Form der Erzählungen um Comic-Helden bot Anschlussmöglichkeiten unterschiedlichster Form: Als Pendant zu den noch vorhersehbareren daytime serials (die besonders für Hausfrauen hergestellt wurden), boten die Abend- und Vorabendserien wie »The Adventures of Superman« ein Programm für die ganze Familie. Wichtig war dabei, dass ein späterer Wiedereinstieg in die Serie mühelos gelingen musste, wenn mehrere Folgen verpasst worden waren. Superman erfüllte diese Bedingungen perfekt. Und Comic und Radio-Superman begannen einander immer mehr zu ähneln.

[12] 

Der Siegeszug der Cartoon-Films ging nicht ohne Superman ab: 17 Cartoons mit 8 bis 10 Minuten Länge wurden produziert (die aber nicht sonderlich erfolgreich waren). Dabei wurden die aus dem Radio bekannten Stimmen auch im Cartoon verwendet. Es kam letztlich zu einem »transmedialen Ineinandergreifen von Vermarktungsstrategien«, die deshalb gelingen konnten, weil Supermans »serielle Verfasstheit« (S. 77) dies überhaupt erst zuließ.

[13] 

1952 begann das Zeitalter der amerikanischen Fernseh-Networks. Fernsehen musste im Prinzip wie Radio funktionieren (ABC, CBS und NBC wurden quasi für die weiße Mittelklasse gegründet). Sponsoren bekamen Einfluss auf die Inhalte (vgl. den Begriff »soap opera«, nämlich wegen der eingeblendeten Spots zu Körperhygienemitteln). Wiederholungen brachten erneute Verkäufe desselben Materials. Die alte Radio-Sendung »The Adventures of Superman« wurde naheliegenderweise exakt unter diesem Titel im Fernsehen wiederaufgenommen, nun jedoch jeweils als 25-minutige, in sich abgeschlossene Episode. Dabei wurden die Figuren der Zielgruppe angepasst: Louis Lane war nicht mehr selbstbewusste Star-Reporterin, sondern treusorgende Mutter (S. 101).

[14] 

Mitte der 1960er Jahre bekam das Fernsehen Absatzprobleme: Auch die Comics begannen, sich anderes auszurichten: Nach einer besorgniserregenden Beschäftigungskrise auch im Bereich des Comic waren Wandlungsprozesse auch im seriellen Erzählen zu beobachten. 1978 erschien »Superman the Movie«, auf dem Höhepunkt der Blockbuster-Welle – mit einer Neuerfindung und Teilaktualisierung der Figur: Der Film war sehr viel komplexer und verbrachte Zeit mit der Beleuchtung der Ursprungsmythen – wie auch die Comics damals. Der Film versuchte nämlich, möglichst viel dieses Materials zu integrieren (beispielsweise spielten die alten Superman- und Lane-Darsteller aus dem Fernsehen nun die Eltern des neuen Superman, vgl. S. 124).

[15] 

Später platzte das Comic-Universum aus allen Nähten: Zwischenzeitlich gab es 50 Parallelwelten bei DC – auch der eingefleischte Fan konnte nicht mehr überblicken. Mit den Comics »Crisis on Infinite Earth« wurde durch Rückverweise auf die Comic-Geschichte gleichzeitig mit einer grundlegenden Zäsur die Figur quasi rebootet: In diesem Sinne »personifizierte der post-Crisis-Superman eine Synthese aus Konservation und Anpassung« (S. 135) – auch im Film bzw. schauspielerisch umgesetzt von Christopher Reeve (diese Wiederaufnahmen wie etwa im Kino-Film »The Man of Steel« unterstützen Meiers These von der »Existenz eines Seriengedächtnisses«, so z.B. S. 137, ohne dass der Anspielungsreichtum des Films ins Leere laufen würde).

[16] 

Um die Jahrtausendwende griff die Vorstellung »vom Rezipienten als aktiven Konsumenten bzw. als einem gestaltenden Produzenten neuer Texte« (S. 144) um sich: fan fiction wurde zu einer »participatory culture« (S. 147). Diese Kultur nun, so Meiers These, förderte »die Annäherung der medial distinkten Repräsentationen«. Und für solches (so die zweite These) waren natürlich seriell verfasste Narrative am besten geeignet (die Serie um Supermans Jugend, »Smallville«, könne man am ehesten als teen melodrama bezeichnen; sie wurde deshalb ins Leben gerufen, weil der Sendeplatz der höchst erfolgreichen Serie »Buffy the Vampire Slayer« freigeworden war).

[17] 

Einzelne Episoden wurden im Internet konsequent fortgeschrieben. Eine eigene gift economy um kostenfrei beziehbares Zusatzmaterial entstand: ein Paradebeispiel für den Synergieeffekt, franchising und die Extension der Geschichte bei gleichzeitiger Konvergenz der Medien (Romane zur Serie sowie eigene Comic-Einzelhefte folgten): Besonders bei »Smallville werden die Auswirkungen von media convergence und participatory culture als Symptome des [medialen] Umbruchs augenfällig« (S. 177).

[18] 

Die originalen Comic-Hefte wurden ihrerseits nun wieder auf eigenen Seiten von den großen Firmen im Netz begleitet: Dabei ging und geht es jedoch weiterhin nicht primär darum, »die serielle Erzählung in ihrer Gesamtheit zu erweitern«, (S. 163) sondern darum, Werbung und Geldverdienen als Entertainment zu verkleiden. Anders funktioniert die sogenannte »fanart«, die eigene Produktionen erstellt (und dabei Kenner der Serie als Adressaten und so »ein intaktes Seriengedächtnis bei ihren Rezipienten« (S. 167) voraussetzt (Meier führt in diesem Zusammenhang den Begriff der »Wucherung« ein, S. 168). Typisch für serielle Figuren, wechseln diese »von einem Medium ins andere, breiten sich darin aus, stellen transmediale Verbindungen her, verhelfen der neuen medialen Umgebung kulturell zu ökonomisch gesteigerter Wirksamkeit und forcieren gleichzeitig den Prozess der Synergetisierung« und eröffnen so »neue Möglichkeiten der Variation und Revision des Narrativs« (S. 179 f.). Superman gelinge es also in der Tat »vermittels seiner hohen Anschlussfähigkeit sowie einer daraus resultierenden, nahezu unbegrenzten rebootability seines Narrativs, in einschneidenden Situationen des Medienwandels parallel auf verschiedenen Systemplätzen wirksam zu werden« (S. 180).

[19] 

Besonders interessant sei hier das Internet »als allumfassendes Netzmedium«, denn es markiere den Raum, »in dem sich ein großer Teil dieser ursprünglich medial distinkten Texte in rhizomatischer Relationalität [also wie ein Wurzelgeflecht unter der Oberfläche] neu verorten« (S. 182).

[20] 

Offene Fragen

[21] 

Ist damit alles geklärt? Nein, natürlich nicht. Meier selbst nennt als mögliche Untersuchungsmöglichkeiten transnationale Unterschiede in der Verwendung der Figur oder Superman als sog. floating signifier z.B. in der Werbung, wo er in mehr als obskuren Zusammenhängen auftaucht (und nähert sich am Ende damit doch leider ein wenig einem quasi-mythischen Verständnis von Superman als Ikone an, was er eigentlich vermeiden wollte).

[22] 

Und es bleiben offene Fragen im Vergleich zu anderen Superhelden – z.B. zu Batman: Wir sind also überzeugt davon, dass Superman durch seine Flachheit so einladend für Medienwechsel wirkt. Warum ist es dann aber Batman (eine aus verschiedensten Quellen wie Flugmaschinen-Zeichnungen von Leonardo da Vinci, Doppelexistenzen wie Dr. Jekyll und Hyde, dem Grafen von Monte Christo oder Zorro, Dracula, Sherlock Holmes und Watson sowie realen Figuren wie dem agilen Stummfilmstar Douglas Fairbanks jun. gespeiste Figur), der mit Frank Millers Meisterwerk »The Return of the Dark Knight« die Reihe der Superhelden-graphicnovels einläutete? Warum nicht Superman? Ist dessen im Vergleich flacher Charakter (Miller spricht vom »boyscout« Superman) vielleicht doch nicht für alle Medienwechsel bzw. formalen Revolutionen geeignet?

[23] 

Und was ist mit Ausleihen aus anderen Narrativen bei Superman? Eindeutig ist zu beobachten, dass Superman komplexer gemacht zu werden versucht wird (zu nennen wären der Ausbau der Ursprungsgeschichte, sidekicks oder persönliche Erzfeinde wie Zod, so etwa 2013 im Kino in »Man of Steel«): Wie ist dann aber die Kombination beider Figuren (wie 2016 in »Batman v Superman« im Kino zu bewundern) zu bewerten? Wer profitiert da medientechnisch gesehen von wem (Batman wird im Titel zuerst genannt)?

 
 

Anmerkungen

Meiers These, dass »Comics das Produkt einer gemeinschaftlichen Anstrengung« mehrerer Beteiligter seien und deshalb »die Frage nach dem singulären Autor solcher Texte von vornherein als problematisch« (S. 128) erschienen sei, ist mit Vorsicht zu genießen: Denn für wen soll das problematisch gewesen sein? Natürlich wurden die frühen Comics von Kollektiven hergestellt – doch war das in frühen Zeiten zumindest in den Augen der Beteiligten kaum ein Problem und wurde erst durch Aufkommen der Fanmagazine bzw. fanzines virulent, wo es darum ging, Personalstile zu erkennen und die Beteiligung bestimmter Künstler an bestimmten Produktionen zu erkennen. Auch erscheint sein Verständnis des Begriffes der graphic novel eher eng (dies sei nur der Versuch einer »kulturellen Aufwertung«, so S. 138, nicht aber ein strukturell neuer Ansatz). Doch sind das – wie gesagt – marginale Punkte.   zurück
Meier nennt John Lawrence und Robert Jewett mit ihrer Untersuchung: The Myth of the American Superhero, Grand Rapids 2006 – und nicht Will Brokers großartige Studie: Batman unmasked. Analysing a cultural icon, New York 2001 – und muss das auch gar nicht: Solche Untersuchungen sind nämlich ähnlich aufgebaut wie die faszinierende Längsschnittuntersuchung der Kunstfigur James Bond von Tony Bennett und Janet Woollacott: Bond and Beyond. The Political Career of a Popular Hero. London u.a. 1987 – die jedoch wie gesagt alle von einer quasi mythologischen Figur ausgehen, die sich immer wieder den neuen Lebensbedingungen des Publikums anpasst bzw. umerzählt in neuem Gewand wieder vielen etwas zu sagen hat. Meiers technikorientierter Ansatz steht in Kontrast zu diesen – und ist deshalb so faszinierend und weiterführend.   zurück