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Die Sorge um das Buch in schönster Verpackung

  • Martin Schmitz-Kuhl (Hg.): Books & Bookster. Die Zukunft des Buches und der Buchbranche. Frankfurt/M.: Bramann Verlag 2015. 256 S. Softcover. EUR (D) 28,00.
    ISBN: 978-3-934054-61-5.
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Die Sorge um das Buch scheint groß. Je mehr über die Digitalisierung gesprochen wird – wie viele Workshops zum Thema Digitalisierung und Buchbranche hat es im letzten Jahr gegeben? –, desto heftiger wird die Verteidigung des gedruckten Buchs 1 . Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels proklamiert das »Prinzip Buch« und warnt gar in einer merkwürdigen Kampagne: »Vorsicht, Buch«.

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Um mit dem Äußeren der vorliegenden Publikation zu beginnen: Der von der Darmstädter Typografie-Dozentin Sandra Doeller wunderschön gestaltete Band ist von der Stiftung Buchkunst als eines der ›Schönsten deutschen Bücher 2015‹ prämiert worden, und die Jury begründete das unter anderem damit: »Buch pur. Statt Schutzumschlag in ›Schutzpapier‹ eingeschlagen. (…) Daunendruckpapier, Fadenheftung, Innenumschlag aus durchgefärbtem Karton an Rücken geklebt, in Außenumschlag aus stärkerem durchgefärbtem Karton seitlich eingehängt mit hohlem Rücken. (…) Klassische Titelei auf Mittelachse, von Hand nummeriert, (…). Buchgestalterisches Prinzip: Purifikation.« Dem ist nichts hinzuzufügen. Das Buch ist in drei Versionen erschienen: als die prämierte Druckausgabe, als E-Book und als »Social Book« unter www.sobooks.de in zwei Bänden. Es wird vom Bramann-Verlag, Frankfurt, vertrieben.

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Zwischen Besitzstandswahrern und Visionär

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Worum geht es inhaltlich? Unter dem modisch flotten Titel »Books & Booksters« sind elf Interviews des Frankfurter Journalisten Martin Schmitz-Kuhl mit Branchenkennern und Experten versammelt; in einem zwölften Beitrag hat der Herausgeber sich selbst befragt. Die Liste der Befragten ist beeindruckend, die Expertise breit gestreut.

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Natürlich ist in diesem Band viel von der Konkurrenz zwischen Gedrucktem und Digitalem die Rede, aber auch von den sich ergänzenden Funktionen der beiden. Natürlich wird Optimismus verbreitet, was das digitale, aber auch was das Print-Buch angeht. Natürlich glauben alle an die Zukunft des Buches und der Buchbranche – so der Untertitel. Und natürlich finden sich die handelsüblichen Gemeinplätze nach dem Motto »Es wird Verlierer und Gewinner geben.«

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Wenig überraschend ist, dass die Besitzstandswahrer, wie sie hier respektlos und zweifellos im Rahmen einer solchen vom Umfang her beschränkten Rezension zwangsweise zu undifferenziert genannt seien, ihre Domäne verteidigen und der Zukunft ihres Geschäftsmodells voll Optimismus entgegensehen. Das gilt auf der Verlagsseite für Till Weitendorf, den Mit-Gesellschafter und -Geschäftsführer des Oetinger Verlags, und Beate Kuckertz, die engagierte Verlegerin des Münchner E-Book-Verlags dotbooks. Das setzt sich auf der Distributionsseite mit Nina Hugendubel, der geschäftsführenden Gesellschafterin von Hugendubel, und Jens Klingelhöfer, dem geschäftsführender Gesellschafter des Digitalvertriebs Bookwire, fort und endet bei den institutionellen Vertretern Alexander Skipis, dem Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, und Juergen Boos, dem Direktor der Frankfurter Buchmesse. Wenig überraschend auch, dass Matthias Matting, der »Papst« des Selfpublishung mit seiner »Self-Publisher-Bibel«, diesen Sektor als zunehmend wichtiger für das Publizieren von Inhalten sieht.

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Wie viel Innovation und Innovationskraft gibt es in der Branche? Okke Schlüter, Professor an der Hochschule der Medien in Stuttgart, referiert im Gespräch die Ergebnisse einer Studie aus dem Jahr 2013, die auf der schmalen Basis von Interviews zum Innovationsmanagement mit gerade einmal 21 Verantwortlichen aus Verlagen und Buchhandlungen beruht. Auch hier wenig überraschend, dass die befragten Unternehmen sich selbst für innovativ und offen einschätzen, ihre Geschäftsprozesse und -modelle angesichts der Marktveränderungen anzupassen.

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Ein neues Geschäftsmodell präsentiert Harald Henzler, der Geschäftsführer von smart digits, mit dem von ihm mitbegründeten Flipintu, das er zwischen Amazon und Google, also zwischen Buchlieferant und Suchmaschine, angesiedelt sehen will. Flipintu will Orientierung schaffen, indem es unter der Leitidee ›Curation‹ dem Besucher der Plattform »passende Inhalte« vorschlägt »für die Themen, für die er sich interessiert« (S. 43).

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Auch Sascha Lobo, Blogger, Autor und Journalist, bezieht sich auf Amazon und prognostiziert, dass »der Buchhandel der große Verlierer des Wandels« sein werde, weil dessen Buchempfehlungen »für die Menschen immer weniger bedeutend« (S. 119) seien. Die Funktion der von ihm gegründeten Plattform Sobooks sieht er darin, »den Markt nach Amazon zu entwickeln« (S. 126) – kein ganz kleiner Anspruch: »Nach meiner Auffassung hat Amazon ›social‹ nicht richtig verstanden und deswegen greifen wir Amazon nicht im Bereich E-Books an, sondern im Bereich Sobooks, also Social Books.« (S. 126) Worin der wirkliche Unterschied zu Plattformen wie Goodreads oder Lovelybooks besteht, bleibt unklar, auch nach Konsultation der Website des noch jungen Unternehmens.

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Mit Volker Oppman, dem Mitbegründer von LOG.OS, kommt schließlich ein Visionär zu Wort: »Wir wollen mit LOG.OS das Buchwissen der Menschheit auf neutralem Boden sichern, das heißt, eine große digitale Bibliothek bauen, die der Gesellschaft und nicht einem einzelnen Unternehmen gehört.«. Diesem großen Entwurf folgt die graue Pragmatik auf dem Fuß: »Wenn überhaupt, sollte man sich LOG.OS nicht wie ein umlackiertes Amazon, sondern wie ein umlackiertes Facebook vorstellen.« (S. 213) Das »Versprechen auf die Zukunft« (S. 219) ist »bislang nur als Idee real« (S. 220) und befindet sich noch in der Beta-Version.

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Zwischen Amazon-Bashing und Seelenmassage

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Was bleibt als Resümee nach der Lektüre? Doch recht wenig Substanz – in schönster Verpackung. Erfreulich, dass in differenzierten Stellungnahmen, etwa von Beate Kuckertz und Matthias Matting, nicht in das branchenüblich gewordene, unsägliche Amazon-Bashing (»Krieg gegen Amazon«, S. 74) eingestimmt wird. Vor allem der Börsenverein des deutschen Buchhandels tut sich dabei hervor. Sind in dieser Dachorganisation der Branche nicht auch die Verlage vertreten? Sollte man diese nicht einmal fragen, welche Bedeutung Amazon für sie hat?

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Auch wird der Schutzraum von Buchpreisbindung, vermindertem Mehrwertsteuersatz und Portoprivileg, in dem die Buchhandelsunternehmen in ihrer Gesamtheit agieren, nicht als Rahmenbedingung thematisiert. Vor allem aber fehlt ein Beitrag aus der Perspektive der Old-School-Verlage: Wie sehen die großen Verlage der Gruppen Random-House, Holtzbrinck und Bonnier die Zukunft des Buches und der Buchbranche? Man hätte es gern – digital oder im Print oder sozial – gelesen.

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So bleiben schlussendlich Seelenmassage und Zuspruch: »Das Buch wird es immer geben – selbst wenn sich die Form verändert. Davor sollten wir auch nicht so viel Angst haben. Überhaupt sollten wir uns vor Veränderung nicht so viel fürchten. Ein bisschen mehr Mut würde allen in der Branche gut tun. Mut und Offenheit, partnerschaftliches Handeln, den Willen, Vorteile für beide Seiten zu schaffen, Denken in Kooperationen und Netzwerken – all das braucht die Branche.« (Nina Hugendubel, S. 204)

 
 

Anmerkungen

Um nur wenige zu nennen: Michael Schikowski: Warum Bücher? Buchkultur in Zeiten der Digitalkultur. Frankfurt 2013; Detlef Bluhm (Hg.): Bücherdämmerung. Über die Zukunft der Buchkultur. Darmstadt 2014. Michael Hagner: Zur Sache des Buches. Göttingen 2015.   zurück