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Buchpolitik, Verlage und Leseinteressen im Nationalsozialismus

  • Ernst Fischer / Reinhard Wittmann / In Zusammenarb. mit Jan-Pieter Barbian (Hg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Drittes Reich. (Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert 3, Tb. 1) Berlin: Walter de Gruyter 2015. 458 S. Gebunden. EUR (D) 159,95.
    ISBN: 978-3-11-175235-8.
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Mit den bisher erschienenen Bänden der »Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert« liegt ein viel beachtetes Handbuch vor, das nun mit dem ersten Teilband zum »Dritten Reich« eine gewichtige Fortsetzung findet. 1 Es handelt sich um weitaus mehr als um »Buchhandel« im landläufigen Sinn, sondern es geht um die politischen Eingriffe in die Buchproduktion und -distribution, um Verlagsgeschichte und literarischen Markt, um Akteure und Institutionen sowie die Spielräume für Buchkultur und das Sagbare überhaupt. Damit gelangt das Werk über einen eng gefassten buchwissenschaftlichen Ansatz hinaus. Historische und literaturgeschichtliche Perspektiven begegnen sich. Eine explizite Auseinandersetzung mit den unterlegten historiographischen Konzepten wie der »Polykratie« darf man freilich nicht erwarten, eher noch Hinweise auf Quellen- und Methodenprobleme. Vornehmlich geht es um sachliche, aber durchaus standortbezogene Darstellung des erreichten Forschungsstandes, also um Empirie – meist auf der Grundlage von bislang unerschlossenen Quellenbeständen. Der Duktus, Widersprüche im politischen Literaturapparat und Ungleichzeitigkeiten der Gesamtentwicklung sichtbar zu machen, ist in allen Beiträgen bemerkbar. Deutlicher als bislang richtet sich die Perspektive von der bisher dominierenden Betrachtung der »Lenkung« des Publikums auf dessen eigene Präferenzen.

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Sozial- und Politikgeschichte literarischer Produktion und der Lage der Schriftsteller

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Der – schon höchst einschlägig hervor getretene – Autor Jan-Pieter Barbian, der zur Hälfte des ganzen Bandes beiträgt, wendet sich als erstes den »Arbeits- und Lebensbedingungen der Schriftsteller« (S. 7) zu. Dies stellt ein Thema dar, das in der bisherigen Forschung mit ihren Leitbegriffen wie Bücherverbrennung, Zensur und Vertreibung sowie der sogenannten Gleichschaltung bislang unterbelichtet war. Zunächst zeigt der Verfasser, wie systematisch und geographisch weit gestreut die ferngesteuerten nazistischen Verbrennungsaktionen in Universitäten und auf Marktplätzen erfolgten. Die wütende Haltung der radikalisierten Rechten gegenüber jüdischen Schriftstellern wurde von zahlreichen Literaten und Verlegern aus dem nationalkonservativen Spektrum geteilt. Einen neuen Akzent setzt der Autor mit der Schilderung, wie sich der Börsenverein des Deutschen Buchhandels der Bewegung anschloss. Deutlicher als das sonst bekannt ist, weist Barbian nach, wie »jüdisch versippte« (S. 23) Schriftsteller und Verleger verdrängt und aus Verbänden und Akademien ausgeschlossen wurden. Eine Zeitlang wurden noch Ausnahmen wie bei Mascha Kaléko zugelassen. Neue Quellen erschließt der Verfasser auch beim Thema politischer Dissidenten, wo ebenfalls Ausnahmen vermerkt werden. Ein weiterer großer Abschnitt behandelt die Frage, wie sich überhaupt Schriftsteller auf Drohungen und neu definierte politische Korrektheit hin verhielten, dies geht über die bislang übliche Perspektive der »Inneren Emigration« hinaus. Die erheblichen Schwierigkeiten des Regimes, die Lücken mit ›positiven‹ Produktionen zu füllen, werden ebenso herausgearbeitet wie die bescheidenen Einkommen der meisten Schriftsteller. Bemerkenswert ist insgesamt die hier und in anderen Artikeln vollzogene Wende von einer politischen Normengeschichte zu einer Sozialgeschichte des literarischen und verlegerischen Schaffens.

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Von den Institutionen und Praktiken nationalsozialistischer Literaturpolitik zu den Marktprozessen

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Barbian wendet sich dann dem eher klassischen Thema der Neuorganisation des Buchhandels und der Etablierung von Kontrollsystemen nach 1933 zu. Hierbei werden zahlreiche Funktionäre aus der zweiten und dritten Reihe sichtbar. Schwerpunkt ist zunächst die »Selbstanpassung des Börsenvereins«, der dann aber schrittweise an den Rand gedrängt wurde. Mit Wilhelm Baur wurde im Mai 1934 ein radikaler Nationalsozialist als Vorsteher ins Amt gehievt. Das exorbitante Wachsen der sich zuständig fühlenden Bürokratien werden ebenso dokumentiert wie deren Gegeneinander. Bei der »Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels« (S. 90) zeigt sich ein erstes Mal, wie im Nationalsozialismus materielle Ressourcen selektiv verteilt wurden und sich Korruption ausbreitete. Wie man schon weiß, wurden die Probleme einer eindeutigen Handhabung von Zensur und Förderung erwünschter Literatur durch die Einrichtung einer »Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutz des nationalsozialistischen Schrifttums« (S. 98) nicht behoben, man ging Kompromisse mit anderen Machtzentren wie der SS und der Deutschen Arbeitsfront ein. Umfassend wird die »Arisierung« (S. 110) des Buchhandels nachvollzogen. Anhand von vielen Einzelbeispielen zeigt der Verfasser, wie Verlage und Sortimente durch ständig neue Einschränkungen und aufgrund Gewalt und Denunziation zum Aufgeben gezwungen wurden und welche Nutznießer es dabei gab. Über bisherige Forschungserkenntnisse hinaus zeigt Barbian das Spektrum der Instrumentarien und Handhabung von Zensur und ihre Unwägbarkeiten auf. Durch die Bewirtschaftung der Papier- und Einbandstoffe bestand seit Kriegsbeginn und vor allem seit 1941 eine »Vorzensur« (S. 147) mit großer Durchschlagskraft, die aber selektiv gehandhabt wurde. Für völlig nutzlose Propagandabroschüren standen nämlich wahre Papierberge zur Verfügung. Durch verheerende Luftangriffe ging viel Material verloren, sodass die Versorgung mit Büchern, die um 1940 einen Höhepunkt erreicht hatte, immer schwieriger wurde.

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Mit diesem Thema ist man beim Buchmarkt insgesamt angelangt, den der Autor in einem weiteren Kapitel behandelt. Durch die mangelnde Kaufkraft, abgesehen von der Vertreibung von tausend Verlegern, Buchhändlern und Antiquaren aus Deutschland und Österreich und die dadurch bedingten Verluste beim Export, stellte sich dieser Markt bis 1935 als hoch problematisch dar. Trotz der Teil-Monopole des nationalsozialistischen Eher-Verlag bzw. Amann-Trusts 2 sowie der Buchverlage und Vertriebsorganisationen der Arbeitsfront und erzwungener Schließungen blieb die Verlagslandschaft sehr kleinteilig.

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Der Verhalten des Publikums zwischen ideologisch motivierter Lenkung und eigenen Präferenzen

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Das tatsächliche Konsumverhalten des Publikums folgte zunächst einmal dem Angebot, wie es einerseits von generellen politischen Vorgaben beeinflusst war, andererseits lokal divers zur Verfügung stand. Wie Barbian in »Leser und Leserlenkung« (S. 197) einleuchtend ausführt, stellte der Geschmack des Publikums einen eigenen teilautonomen Faktor dar. An den Verkaufszahlen der Titel zeichnet sich ab, wo das kaufende Publikum wirklich stand. Die vom Literaturfunktionär Hellmuth Langenbucher massiv erhobene Forderung, »volkhafte Dichtung«, »Raumnot« und »«Heimatkunst» (S. 199) zum Maßstab aller Literatur zu erheben, schlug nicht durch bzw. nur insoweit, als sich das Publikum selbst für „völkische« und politisch korrekte Literatur interessierte. Wie im Bereich des Theaters fehlte es an einer inhaltlich und literarisch überzeugenden politischen Dichtung und wie beim expandierenden Kino war das Bedürfnis nach Heiterkeit, Unterhaltung und Ablenkung vom Kriegsgeschehen riesengroß. Die kanonisierte Literatur fand durchaus Aufmerksamkeit, nicht jedoch im gewünschten Umfang und hoch selektiv. Manch eine Neuerscheinung, die man heute übersieht, konnte manchen Zeitgenossen Anregungen und Aufschlüsse geben, die allerdings nur durch eine gründliche Rezeptionsforschung zu ermessen wären. Es blieb trotz aller politischen Verbote bei einer beträchtlichen Vielfalt des Angebots, auch zahlreiche ausländische Titel standen in Übersetzung zur Verfügung, besonders US-amerikanische. Der Autor interpretiert deren Präsenz als Fluchtbewegung aus der politischen Realität, das ist aber wohl kurz gegriffen, was waren die kulturellen Motive der Leser? Am stärksten verkaufte sich indes die »Freizeitliteratur« und (zeitgeistig eingefärbte) Reiseführer (S. 211 f.) der »Deutschen Arbeitsfront«, deren Buchgemeinschaften neben nationalsozialistischen Schriften auch den Bedarf konservativer Leser und neben Klassikern etliches an Arbeiterdichtung anboten. Zu den ausgesprochenen Bestsellern gehörten technikgeschichtliche Biografien, in denen der deutsche Erfindungsgeist gefeiert wurde – man denke hier auch an erfolgreiche Filme über Robert Koch und Rudolf Diesel. Am erfolgreichsten waren humoristische Werke wie die »Ferien vom Ich«. Karl May und »Schundlesen« (S. 213) waren ebenfalls beliebt. Das Populäre ließ sich also nicht austilgen, vor allem, solange sich etwa Jugendliche in den dem Regime verhassten Leihbibliotheken versorgen konnten.

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Buchtypografie zwischen Ideologie, Tradition und Moderne

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Wird beim Komplex des Publikumsverhaltens und -geschmacks klar, wie traditionelle Genres, gemäßigte Moderne und gesteuerte Produktionen aufeinander trafen, zeigt sich eine ähnliche Grundstruktur auch im folgenden Kapitel von Wilhelm Haefs zur Buchkultur und –typografie. In Haefs Deutung sind so weder 1933 noch 1945 absolute Zäsuren und was im Medium der Plakate galt, nämlich Funktionalisierung nach Vorgaben der Propaganda, galt bei der Buchausstattung nicht durchgängig. Einerseits wirkte sich die Polemik gegen die »Mechanisierung« der Graphik (S. 230) in der Weimarer Moderne aus, andererseits blieb es in gewissem Umfang bei modernen Elementen, z. B. bei der Verwendung von Fotografien und sachlicher Schrifttypen, selbst oder gerade bei Werken mit dem bezeichnenden Titel »Europa arbeitet in Deutschland«, das 1943 bei Eher erschien. Der massive Anpassungsdruck in Richtung von diversen Frakturschriften ist eine Tatsache. Tatsache ist indes auch, dass die eine Zeitschrift »die neue linie« avantgardistische Züge aufwies (und ein modernes Frauenbild pflegte).

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Buchdistribution und das Buchangebot insgesamt: Normalität, Verlagsprofile und politische Interventionen

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Das Thema der Buchdistribution und der Strukturen des Zwischen- bzw. Großbuchhandels erweist sich im Beitrag von Thomas Keiderling als überaus vielseitig. Auf der Grundlage zahlreicher neu erschlossener Quellen (z. B. Briefen und Artikeln aus dem »Börsenblatt«) wird deutlich, wie in rascher Folge konjunkturelle Einflüsse, Interventionen der Apparate, technische Innovationen und dann die Zerstörungen des Krieges schwer wiegende Veränderungen mit sich brachten. Keiderling arbeitet die Bedeutung des zentralen Handelsplatzes Leipzig mit täglich zehntausenden Bestellungen für die gesamte deutsche Presse- und Buchauslieferung heraus; der Standort Berlin war von Leipzig abhängig. Der dort und in Stuttgart situierte Marktführer Koehler & Volckmar war mit den Machtzentren des Reiches eng verknüpft. Ein erbittert geführter betriebsinterner Streit wurde aufgrund der Intervention des Ministeriums von Goebbels gegen die Intrigen der Reichsschrifttumskammer und der SS entschieden. Die Zerstörungen des Buchhändlerviertels Leipzigs durch den Luftangriff vom 4. Dezember 1943 erreichten ein Ausmaß, wie man sich dies kaum vorgestellt hat, dennoch gelang es, teils durch Dezentralisierung, die Aktivitäten wieder einigermaßen aufzubauen. Ferner wird durch eine Auswertung der Barsortimentskataloge von Koehler & Volckmar die Konjunktur der Buchproduktion sichtbar, etwa 45.000 Titel waren über die NS-Zeit relativ kontinuierlich lieferbar. Ebenso spiegeln sich die Buchverbote in den Katalogen.

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Mit Reinhard Wittmann über den Verlagsbuchhandel wird die Thematik nahtlos für das ausführlich geschilderte Gebiet der Belletristik fortgesetzt. Der renommierte Kenner der Materie knüpft an die Veröffentlichungen von Barbian an und stellt an zahlreichen Beispielen dar, was man überhaupt in der Epoche lesen konnte. Insofern baut Wittmann eine Brücke zwischen ökonomischer Strukturgeschichte und der Lesegeschichte. Hierbei geht der Autor den Plots und inhaltlichen Tendenzen zahlreicher literarischer Werke nach. Ferner stellt er die Frage, welches (reichhaltige) Angebot ausländischer Literatur (in Übersetzungen) vorhanden war. Der fanatische Will Vesper sah noch 1937 eine »Überschwemmung« der Bahnhofsbuchhandlungen mit geschickt getarnter jüdischer Literatur aus dem Ausland (S. 315). Hinsichtlich der Publikumspräferenzen konstatiert auch Wittmann zunächst einmal genau die »Geschmackskonstanz« (S. 305), welche die Ideologen herausforderte. Der soziale Roman kam nicht voran, das Thema der Großstadt blieb tabuisiert. Dies wurde von der offiziellen Kritik als Flucht vor den Anforderungen der Politik wahrgenommen. Bauernromane, populärwissenschaftliche Titel mit nationalistischem Unterton, Longseller des Bürgertums, internationale Schmöker, eskapistische Unterhaltungsliteratur und als solche bezeichnete »Kitschproduktion« überwogen. Katholische Sinnangebote wie von Hans Carossa und Gertrud von Le Fort waren aber ebenso gefragt. In weiteren Fallstudien geht es um Bertelsmann, wo die Forschungslage bereits gut ist, oder den völkischen Verlag Langen-Müller, der in den Besitz der Arbeitsfront geriet und ein nationalsozialistisches Profil aufwies, wo aber auch ästhetisierenden Richtungen gepflegt wurden und der von Goebbels verfolgte Ernst Wiechert mit großen Erfolg publizierte. Ebenso wird auf konservativ-bürgerliche Verlage wie Fischer/Suhrkamp eingegangen, wo eine humanistische Anthologie »Deutscher Geist« erscheinen konnte. Peter Suhrkamp wurde indes 1944/5 ins Gefängnis und in das KZ Sachsenhausen verschleppt. Weitere Verlagsgeschichten von der Deutschen Verlagsanstalt über den stark widerständigen Ernst Rowohlt bis Zsolnay belegen die Vielfalt der politischen Eingriffe, Überwachung und Druck, zeigen, wie Erfolgstitel zustande kamen, wie manche Verlagsleiter etwas wagten. 1943 erreichte der belletristische Verlag insgesamt seinen quantitativen Höhepunkt, bedingt durch die hohen Auflagen der verbilligten Wehrmachtsausgaben. Dass es um primär »Unterhaltung« ging, war allen wichtigen Akteuren klar und wurde letztlich politisch akzeptiert. Auch hier fällt die Parallele zum Kino auf.

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Anschließend legt Ute Schneider ein luzide durchgeführtes Gegenstück zum Beitrag von Wittmann vor, nämlich zum Wissenschaftsverlag. Auch hier zeigt sich, wie sich die meisten Verlage an die Vorgaben anpassten und eine »ambivalente Programmpolitik« verfolgten (S. 403). Durch die Exportorientierung und die Besonderheiten des wissenschaftlichen Verlages bestanden Freiräume beim Umgang mit ›jüdischen‹ Autoren. Etliche Verlage mussten aber ganz aufgeben. Schneider geht systematisch vor: Von den politischen Vorgaben und Rahmenbedingungen (darunter die Umwälzungen in den Hochschulen) über die obskure und erfolglose »Deutsche Physik« bis zur Selbstgleichschaltung juristischer Verlage und »Arisierung« bei Springer, de Gruyter und der Akademischen Verlagsgesellschaft (S. 387, 390–393). Bei Vieweg und Hirzel kamen drittklassige Autoren zum Zuge, auch weil die Populärwissenschaft hoch im Kurs stand, etwa auf dem Gebiet der nun offiziell »rassisch« fundierten Volkskunde. Im Programm mischten sich die wissenschaftlichen Titel mit »nordischen Erfolgstiteln« (S. 401). Die Verfasserin legt schließlich die enorme ökonomische Bedeutung des Exports wissenschaftlicher Literatur ins Ausland (v.a. in die USA, Japan, England, Skandinavien) dar. Durch monetäre Probleme in den Exportländern und politisch motivierten Boykott in den USA sowie die dort staatlich organisierten (!) Nachdrucke wurden dem deutschen Wissenschaftsverlag Schäden zugefügt, von denen er sich nach 1945 nie mehr ganz erholen konnte.

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Zuletzt hebt Thomas Keiderling an einem gewichtigen Beispiel, dem Lexikonverlag, die Politisierung des Verlagsgeschäftes insgesamt wie aber auch die wirtschaftliche Dynamiken dieses Segments heraus. Der Beitrag erschließt völlig neue Zusammenhänge, die einen weiteren Einblick in die Gesamtthematik des Bandes geben. Brockhaus und das Bibliographische Institut expandierten ungemein. Aber es war Vorsicht geboten, denn die Schlussbände der 15. Auflage des seit 1928 erscheinenden Großen Brockhaus unterlagen der Zensur. Diese konnte zwar durch zähe Verhandlungen, und weil es sich um einen Verlag des deutschnationalen Lagers handelte, abgemildert werden, dennoch drangen immer mehr NS-Begriffe in die Lexika ein. Es erschien dem Verlag ratsam, 1940 eine begonnene und stark ideologisierte »großdeutsche Ausgabe« (S. 428) abzubrechen, allerdings nicht aus Gründen prinzipiellen Widerstands. Man arbeitete letztlich nicht schlecht mit den Zensurinstanzen zusammen und angesichts der Imagepflege NS-Deutschlands im Ausland nahmen die Kontrolleure im Bereich der großen Lexika manches in Kauf, was sonst nicht durchgegangen wäre. In Meyers Lexikon fand sich zwar ein absolut NS-konformer 53-seitiger Artikel »Rasse«, aber etwa 95 Prozent aller Lexikoneinträge (außerhalb der politischen Leitbegriffe) bedurfte keiner zensorischen Eingriffe. Es fehlt offensichtlich an quantifizierenden Studien, wie es überhaupt im gesamten Band die doch heutzutage gängige Methode der quantitativen Inhaltsanalyse ausgespart wird. Keiderling schließt seinen Beitrag mit einer bezeichnenden Abbildung des völlig zerstörten Bibliographischen Instituts 1945.

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Schluss

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Zum Schluss fragt sich, ob die Abgrenzung des Themenfeldes nicht doch zu konservativ war. Komparative Perspektiven sind in dem Band nicht und internationale so gut wie nicht erkennbar, obwohl sie sich in einigen Gebieten angeboten hätten, etwa bei den Konzentrationstendenzen im Verlagswesen, bei den Marktordnungen oder hinsichtlich der Dynamiken des Leserverhaltens. Ebenso eine komparative Betrachtung der literaturpolitischen Praxis mit dem faschistischen Italien hätte sich angeboten. Die gegenwärtigen Diskurse über den angemessenen Modernitätsbegriff im Nationalsozialismus hätten fundamental eingeführt werden sollen, um das Untersuchungsfeld stärker in der allgemeinen Geschichtswissenschaft zu verankern. Ebenso eine Berücksichtigung des Medialisierungsbegriffs hätte das Gesamthema des Bandes in der Mediengeschichte breiter verankert und das Augenmerk der Autoren auf intermediale Phänomene z. B. des Fotobuches und die Wechselbeziehungen von literarischen und filmischen Stoffen gelenkt.

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Ob, wie in der Einleitung beansprucht, das Gewicht von Populärkultur und die Rolle des Buches als Propagandamittel erkennbar wurden? Die Populärkultur scheint hier nur als Randaspekt der Belletristik auf, die Hinweise beim Thema des Leserverhaltens oder der »Schundliteratur« und selbst die Kurzcharakteristiken des Inhalts populärer Bücher reichen nicht aus. Es hätte sich angeboten, über die Beachtung von Medienverbünden (Radio, Kino, Zeitschriften) gerade die kulturelle Dynamik von Unterhaltung und Zerstreuung, wie sie in den letzten Jahren von der internationalen Mediengeschichte herausgestellt wurde, stärker auszuführen. Was die »Propaganda« betrifft, ist das Ergebnis eindeutiger, denn dass die gesamte aktuelle Belletristik und die wissenschaftliche Wissensproduktion von propagandistischen Absichten durchdrungen waren, ist ja gar nicht zu hinterfragen. Aber das Thema »Propaganda« wird nirgends zusammenhängend erörtert und schon gar nicht werden Wirkungsanalysen durchgeführt. Ein ›Ersatz‹ hierfür wird freilich durch die Beobachtung des tatsächlichen Leseverhaltens gegeben. Das heißt zugleich, dass man durchaus ohne den Propagandabegriff auskommen kann, wenn man den Buchsektor im Nationalsozialismus untersucht. Eher hätte man wohl auf die ungeheure Vermachtung im Sektor und die Dynamik der Opportunitäten abheben können.

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Dem Band gelingt es, sowohl die Grundlinien der Entwicklung des Feldes aufzuzeigen als auch weit und detailliert in die Abläufe der betrieblichen und medienpolitischen Steuerung vorzudringen. In dieser Fokussierung auf soziale und wirtschaftliche Praktiken liegt der größte Erkenntnisfortschritt des Gesamtprojekts. Es handelt sich um eine problemorientierte, weit gestreute, aber doch übersichtliche Darstellung grundlegender Strukturen und des Marktes, der Verlagsprofile und, ein gutes Stück weit, des Publikumsgeschmacks. Es wird sehr genau offen gelegt, wo und inwieweit Ideologisierung von Inhalten und Profilen stattfand und wo nur teils oder gar nicht. Obwohl, wie in der bisherigen Literatur, der Fokus zunächst auf die systemischen Zusammenhänge des Marktes und vor allem die einflussnehmenden NS-Apparate gerichtet ist, wird die dynamische Rolle individueller und kollektiver Akteure stark herausgearbeitet, wie man das bislang nicht lesen konnte. Es ist ferner bemerkenswert, dass die Faktoren unmittelbarer Gewaltanwendung durch die Nationalsozialisten und indirekter Zwänge im Verlagswesen insgesamt aufscheinen, wie man das bislang nur in Einzelwerken hat nachvollziehen können. Insofern führt der Band auch die Forschung zum Nationalsozialismus weiter und verdient die Aufmerksamkeit der Zeithistoriker. Einerseits wird die extreme Politisierung des ganzen Buchmarktes sichtbar, andererseits wird die Komplexität der tatsächlichen Prozesse erkennbar. Mit dem Mythos des vorgeblich alles von ›oben‹ her und perfekt alle Lebensbereiche erfassenden NS-Staates wird aufgeräumt. Die wachsend politkonforme Tendenz großer Teile der Verlagsproduktionen steht indes außer Frage, ebenso werden die zwar selten widerständigen, aber doch retardierenden Faktoren des Geschehens sowie die personelle Ebene des Verlagsgeschäftes immer wieder aufgezeigt. Die Praxis des Geschäftsbetriebes der Verlagshäuser und der Vertriebsorganisationen wird in einer Weise und auf der Grundlage ganz neuer Quellen ausgeleuchtet, wie sie bislang ebenfalls nur partiell bekannt war. Trotz der vielen recherchierten Details und obwohl der Band ein Gemeinschaftswerk mehrerer Autoren darstellt, ergibt sich letztendlich ein relativ geschlossenes Bild des Ganzen.

 
 

Anmerkungen

Ein zweiter geplanter Teilband wird sich noch näher mit dem Sortiment und dem Antiquariat beschäftigen, der dritte Teilband wird die Exilverlage behandeln, so dass also mit der vorliegenden Publikation der Kern des Themenfeldes abgedeckt ist.   zurück
Dass der Amann-Zentralverlag mit Umsätzen um die 100 Millionen das größte Wirtschaftsunternehmen vor den IG Farben gewesen sein soll (S. 188), kann nicht stimmen, denn deren Umsätze lagen etwa bei zwei Milliarden Reichsmark.   zurück