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Der Autor ist unverzichtbar - Forschungsperspektiven auf Autorschaft 2000-2014

  • Matthias Schaffrick / Marcus Willand (Hg.): Theorien und Praktiken der Autorschaft. Berlin: Walter de Gruyter 2015. 664 S. Hardcover. EUR (D) 109,95.
    ISBN: 9783110378702.

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Angestoßen durch die richtungsweisenden Sammelbände von Jannidis et al. (1999) und Detering (2002), 1 die zum revival des Autors und vor allem zur Ausdifferenzierung des Forschungsgegenstandes in der literaturwissenschaftlichen Theoriebildung beigetragen haben, hat sich der Diskussionsbedarf in den vergangenen Jahren immer weiter erhöht. Dem neuen ›Bekenntnis zum Autor‹ folgte eine durch zahlreiche Tagungen und Monographien getragene breite Debatte darüber, wie Autorschaft neu perspektiviert werden kann. Der nun von Matthias Schaffrick und Marcus Willand herausgegebene Sammelband hat sich vorgenommen, diese bemerkenswerte Vielfalt weiterentwickelter und neuer, zwischen 2000 und 2014 entstandener Ansätze systematisch aufzubereiten und zu diskutieren.

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Der Band ist in 4 Sektionen gegliedert: I Forschungsüberblick, II Theorien der Autorschaft, III Praktiken der literarischen Autorschaft, IV Praktiken der wissenschaftlichen Autorschaft. Beigegeben ist eine sehr nützliche, thematisch geordnete Auswahlbibliographie. Die grobe Unterscheidung zwischen Theorien und Praktiken erscheint geradezu unausweichlich, doch tun es die Herausgeber eingedenk des »Standardproblems des Theorie-Praxis-Verhältnisses« (S. 121) – es sind der Theorien viele und es gibt wohl ebenso viele Autorschaftspraktiken wie es Autoren gibt, denen jedoch eine überschaubare Anzahl abstrahierender Modelle gegenüber stehen muss.

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Eine konzeptuelle Neuerung gegenüber den Vorgängertiteln stellt vor allem der erste Teil des Bandes, der äußerst kenntnisreiche, historisch-systematische Forschungsüberblick (I) dar, der auf 120 Seiten der Bandbreite der Autorschaftsforschung Rechnung trägt, dabei aber auch in die Tiefe zu gehen vermag. Dieser Abschnitt ist übersichtlich und inhaltlich gut nachvollziehbar in 4 Hauptabteilungen gegliedert (Hermeneutische und Poststrukturalistische Autorschaftstheorien, Autorschaft in Fiktionstheorie und Narratologie, Theorien der Inszenierung von Autorschaft), in welchen der aktuelle Forschungsstand zu diversen Einzelaspekten aufbereitet und zugleich forschungsgenetisch eingeordnet wird. Wer Informationen zur keineswegs mehr so rigorosen Unterscheidung von Erzähler und Autor in neueren Fiktionstheorien (Kapitel »Fiktionstheorie«), zum anspruchsvollen Komplex des »hermeneutischen Intentionalismus« oder dem aktuellen Trend zur »Autofiktion« sucht, oder zum Thema Autorschaft in erweiterten gesellschaftlichen Funktionsbereichen (»Internet«, »Mediengesellschaft«, »Politik«), wird hier in eigenständigen Unterkapiteln bedient, in denen der jeweilige Argumentationskern auf den Punkt gebracht wird. Das Problemfeld Autorschaft im Internet ist beispielsweise untrennbar gekoppelt an das Urheberrecht, das sich, so konzedieren die Herausgeber trocken, zu keinem Zeitpunkt »vom ›Tod des Autors‹ hat beirren lassen« (S. 96). Mit Intention, einem der virulentesten Probleme des Arbeitsfeldes, beschäftigt sich unter anderem das Kapitel »Hermeneutische Autorschaftstheorien«, in dem sich die Herausgeber für die von Carlos Spoerhase vorgeschlagene tragfähige Unterscheidung zweier Varianten – des faktischen und des hypothetischem Intentionalismus – einsetzen, die spätestens jetzt zu einer der einflussreichsten neuen Modellierungen in der Autorschaftsforschung avancieren dürfte. 2

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Etwas ungnädig fällt der Einstieg aus: Verallgemeinernde Aussagen wie ›The author clearly is back on the agenda of literary studies‹ lehnen die Herausgeber als zu undifferenziert ab (S. 9), aber die Positionsbestimmung ist dann doch von common sense geprägt: Dass die Rückkehr nun Geschichte ist und faktisch vorausgesetzt wird (»der Autor lebt«, S. 5), macht den Blick frei auf den Autor als sozial-gesellschaftliche Instanz, die schreibend handelt und damit auch Verantwortung übernimmt (3). Jenseits, oder besser diesseits literaturwissenschaftlicher Theoriebildung stellt Autorschaft in der Lebenswelt, der neuen Medienkultur und für das Rechtssystem einen nach vielen Seiten durchlässigen Problembereich dar. Das Eingangsbeispiel, der Autor Peter Kurzeck, passt zu diesem Programm, da dessen Poetik der Überschreitung klassischer Kategorien (Autor / Erzähler, Text / Paratext, Hörbuch / Printmedium) die Herausforderung evident macht, der sich Autorschaftstheorien heute zu stellen haben – sie besteht darin, der Vielfalt multimedial agierender Autorschaftsspezialfälle in ihren alten und neuen Formen und Funktionen im jeweiligen historischen Kontext gerecht zu werden, auch mittels neuer Methoden.

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Auf empirische Methoden setzt beispielsweise die »Kurze Theoriegeschichte«. Bei der Frage, wie das Auseinanderdriften der Ansichten zum Stellenwert der Autorschaft in Frankreich und Deutschland zu erklären sei, schließen sich die Herausgeber an Thiekötter an (S. 13), 3 der die Unterschiede unter anderem auf die engere Bindung an die nationale Theorietradition zurückführt, die sich gegenüber Konzepten aus dem englischsprachigen Raum als unzugänglich zeigte (was feiner Weise nicht als Stagnation o.ä. gewertet wird). Die Herausgeber stützen nun Thiekötters Hypothesen: Mit Hilfe des google Ngram-Viewers konnten sie statistisch ermitteln, dass das Problem der intentionaly fallicy (Wimsatt / Beardsley 1946) in Frankreich erst deutlich später und weniger häufig von der Forschung diskutiert wurde. 4 Bei aller gegebenen Vorsicht, die die Herausgeber bei der Interpretation ihrer Daten walten lassen, macht das Beispiel tatsächlich die Chancen deutlich, die empirische/digitale Werkzeuge für die Erschließung eines Phänomens wie Autorschaft bereithalten könnten. Die Herausgeber bleiben dennoch auf dem Teppich, wenn sie konstatieren, dass auch sie nicht erklären können, wie die spätere »Durchschlagskraft der ›französischen‹ Autorkritik« in Deutschland zu erklären sei (S. 17). Überhaupt liegt eine Stärke des Forschungsüberblicks in der klar formulierten, ausgewogenen Bilanz. Zum Abschluss des schwierigen Komplexes Hermeneutik und Antihermeneutik bieten Schaffrick / Willand den Lesern Orientierung: »Erstens, es ist ebenso zu einfach […], von ›poststrukturalistischen Ansätzen‹ zu sprechen, wenn man autorkritische Ansätze meint und zweitens, dass ›Hermeneutik‹ eben nur einen Teil, aber bei weitem nicht alle autoraffinen Ansätze beschreibt.« (S. 18)

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Der Forschungsüberblick setzt neue Maßstäbe bei der Systematisierung und Rubrizierung einzelner Forschungsperspektiven auf Autorschaft – umso bedauerlicher ist das kleinere Manko, dass am Namensregister gespart wurde, welches nicht nur Studierenden die gezielte Recherche (etwa nach den im Band vielfach erwähnten Arbeiten Roland Barthes) erleichtert hätte. Unglücklich ist dies auch deshalb, weil die Zusammenfassungen zu den einzelnen Beiträgen des Bandes nicht en block nachlesbar sind, sondern in den Forschungsüberblick eingegliedert wurden: Man muss sich entweder schon gut auskennen oder lange suchen, wenn man beispielsweise die Inhaltsangabe der Herausgeber zu Moritz Baßlers Beitrag im Teilkapitel »Systematische Rekonstruktion der Forschung« finden will, zugeordnet zu »Poststrukturalistischen Autorschaftstheorien«, und hier wiederum im Unterkapitel »Subjektivierungen (Giorgio Agamben)« auf Seite 43.

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Theorien literarischer Autorschaft

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Fotis Jannidis stellt in seinem erhellenden Beitrag »Der Autor ganz nah. Autorstil und Stilometrie« einen für viele Literaturwissenschaftler wohl eher unbekannten, leistungsfähigen Zugang zum Problem der Bestimmung von Autorschaft vor – die stilometrische (quantitative, korpusgestützte) Methode der Ermittlung von Autorschaft, und konkret das neuere Messinstrument namens Delta entwickelt von John F. Burrows. Das Verfahren stellt er der linguistischen und literaturwissenschaftlich-hermeneutischen (qualitativen) Stilanalyse gegenüber und diskutiert, stets ausgewogen urteilend, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten, die Möglichkeiten, aber eben auch die Grenzen dieser Verfahren.

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Das gewählte Einstiegsbeispiel zeigt, was solche Verfahren zu leisten vermögen: Eine stilometrische Analyse konnte zweifelsfrei nachweisen, dass sich hinter Robert Calbraith, dem Verfasser des Romans The Cuckoo’s Calling (2013), die Autorin J.K Rowling verbirgt. Jannidis Einschätzung, dies Beispiel stehe im Missverhältnis zur anhaltenden »Ablehnung und Misstrauen« der Literaturwissenschaft gegenüber dem Autorbegriff (S. 170), hätte es kaum bedurft. Jannidis greift nun eine These aus Foucaults Autorschaftstheorie auf – jene, wonach Autorstil eine Projektion von Einheitlichkeit durch den Leser sei. Zwei Unterscheidungen schließt er hier an: eine »starke« und eine »schwache« Variante von Autorstil, wobei nur Letztere, bei der nicht alle Texte eines Autors (sondern etwa nur die derselben Gattung) bestimmte gemeinsame Stilmerkmale aufweisen müssen, sich als empirisch ermittelbar erweisen wird. Das methodische Problem pragma-linguistischer Stildefinitionen sieht Jannidis darin, dass diese das Moment der »Ganzheitlichkeit« / übergreifender Gestalthaftigkeit von Stil in den Vordergrund rücken, oder eine emergente, projizierte Stilbedeutung, die sich nicht auf die Einzelmerkmale reduzieren lässt und »autorintentional rekonstruiert« (S. 176) beziehungsweise projiziert wird. Für die Beschreibung einer Meta-Kategorie wie Autorstil hält er diese Ansätze deshalb für ungeeignet, will sie allerdings für die Stilanalyse von Einzeltexten gelten lassen. Dem Problem des Verhältnisses von Einzelmerkmal und Ganzheit muss sich jedoch auch die Stilometrie stellen, expliziert Jannidis, denn auch deren Erfolg hängt von einer Beschränkung auf den »schwachen« Autorstil ab. Das typische Verfahren ist die Erfassung von Worthäufigkeit. Die Arbeitsschritte der stilometrischen Analyse werden knapp vorgestellt, angefangen bei der Erstellung eines geeigneten Textkorpus der schwachen Variante und der Aufstellung der Kandidaten, die als Autoren in Frage kommen. Wer aber glaubt, es lasse sich ein ›stilistischer Fingerabdruck‹ (S. 183) des Autors ausrechnen, wird eines Besseren belehrt – ermittelt werden eben keine »Inhalte« sondern Invarianzen von Merkmalen innerhalb einer vordefinierten Gruppe.

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Jannidis Beitrag besticht bis zu diesem Punkt durch seine gut nachvollziehbare Zusammenfassung der Ziele der Stilometrie im Bezug auf das Problem der Autorschaft. Wenn er dann auch auf rechnerischen Details von Delta eingeht und dabei Zahlen und Formeln bringt, lässt die Verständlichkeit allerdings rapide nach – das macht den Aufsatz für DH-Experten attraktiv, ich hätte mir jedoch, da es sich um einen Band über Autorschaft und nicht um ein DH-Fachbuch handelt, noch ein paar Fußnoten mehr gewünscht. Umso dankbarer ist man als Leser dann für die Einordnungen und Hinweise auf offene Forschungsfragen – so kann auch Jannidis nicht erklären, wie Burrows Delta eigentlich zu seinen korrekten Ergebnissen gelangt: Der Bezug zwischen den gemessenen Merkmalen und dem Konstrukt Autorstil sei »unbekannt« (S. 188) Das Programm identifiziert vom Autor »unbewusst« gesetzte Merkmalshäufigkeiten (z.B. bestimmte Buchstabenkombinationen), wobei unklar bliebe, auf welcher Kausalität dies basiere. Als Germanistin, die einen ambivalenten Prozess der Entsagung von der Kategorie des Unbewussten in der Literaturwissenschaft hinter sich hat, ist dies ein überraschender Moment – da scheinen sich Anschlüsse in viele Richtungen aufzutun.

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Die Stilometrie gelangt offenbar an dieselbe Grenze wie die Linguistik, da »man im besten Fall einen Steckbrief erhält, aber kein ganzheitliches Bild« von Autorstil (S. 189). Ist die Bestimmung einer emergenten Gestalt das Ziel, muss diese vom Rezipienten geleistet werden. Stilometrisch aber werden Merkmale gemessen, denen an und für sich nichts Einheitliches inhärent ist, deshalb könne das stilometrische Verfahren, gleichwohl es Autorschaft zuzuweisen vermag, »zum Verständnis des Autorstils kaum etwas beitragen« (S. 191) – damit wird die Grenze des Verfahrens eindeutig markiert.

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Ralf Klausnitzer gelingt es in seinem Beitrag »Autorschaft und Gattungswissen. Wie literarisch-soziale Regelkreise funktionieren«, die bis dato eher vernachlässigte Rolle von Gattungswissen und -regeln für die Konstituierung von Autorschaft aufzuzeigen, genauer die »Konditionen gattungsbezogener Wissensbestände« nicht nur, wie bisher Usus, für die Rezeption, sondern auch für Produktion literarischer Texte zu thematisieren (S. 197).

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Das Hauptgeschäft des Autors, stellt Klausnitzer nüchtern fest, ist das Schreiben als ein »regelgeleitetes« (S. 198), und zwar im Kern auch von den Regeln der gewählten Gattung bestimmtes, Verfahren. Dies widerspricht durchaus der Selbstwahrnehmung vieler Schriftsteller. Verortet wird dieses Verfahren in der kognitiven hardware des Autors – realisiert wird regelgeleitetes Schreiben unter anderem durch Aktivierung kognitiver Schemata, die Konstruktion von Leerstellen, die Selektion von Informationen, die man dann als Autorstil-Elemente identifizieren kann und die von Klausnitzer als kognitive Prozesse apostrophiert werden.

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Der Ansatz zeigt, wie kognitive Explikationen gewinnbringend mit anderen methodischen Zugängen kombiniert werden können. Ganz nebenbei widerlegt er damit übrigens Moritz Baßlers einseitige Volte gegen kognitive Explikationen in der Literaturwissenschaft im selben Band – wie uninformiert das ist, zeigt sich schon darin, dass Baßler hier das Kardinalsvorurteil gegenüber biopoetischen Ansätzen unreflektiert kolportiert: es geht eben gerade nicht um »biologische Dispositionen oder […] kulturell eingeübte Praxis« (S. 166, meine Hervorhebung), 5 also um Opposition, sondern um das Ineinander von Natur und Kultur, die »bio-kulturelle Zweistämmigkeit des menschlichen Verhaltens«. 6 Immerhin kommt Baßler zweimal auf Eibl zurück – ist es das Unbewusste? Als Vertreterin der Kognitiven Literaturwissenschaft sind mir evolutionstheoretische / anthropologische / kognitive Perspektiven auf Autorschaft nun sozusagen von Natur aus willkommen; sie sind in diesem Band an mehreren Stellen plausibel eingebunden, wenn auch nicht mit einem eigenen Beitrag vertreten (leider nur am Rande erwähnt wird beispielsweise Michael Tomasellos faktischer Intentionalismus, S. 22-23).

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Freilich bilden die kognitiven Prämissen des Schreibens bei Klausnitzer nur den Auftakt; der Blick geht dann schnell auf die Position des Autors im Literatursystem in Interferenz mit anderen Akteuren (Leser, Buchmarkt, Verlage, Kritiker) und eben auf Gattungsregeln. Der Autor ist sehr viel weniger Schöpfer als zunächst einmal »kompetenter Kenner beziehungsweise absichtsvolle[r] Anwender von [Gattungs-]Regeln« (S. 197). Gattungen als »Handlungsregulative« (S. 201) bedingen die Produktion, so Klaunitzer, da Texte sich ja immer schon in eine konkrete Gattungsgestalt gegossen sind. Eine Bewegung des Autors jenseits von Gattungswissen und Gattungsregeln (auch beim Regelbruch) scheint kaum möglich. Die zentrale Frage aber, wie sich die »Bestände eines generischen Regelwissens [formieren]« (S. 197), ist etwas irreführend beziehungsweise wird eher indirekt beantwortet, denn tatsächlich beschreibt Klausnitzer weniger die Genese der Regeln als das System, in dem Gattungswissen wirkt und ›fließt‹: Die Metapher vom technischen Regelkreis übertragend konstruiert er das Modell eines literarisch-sozialen Regelkreises mit den Strukturkomponenten Text / Werk, Autor, Rezeption. Das Ergebnis ist ein übersichtliches Schema (S. 225), das Verbindungen und Wirkungsrichtungen / Rückkopplungen verzeichnet. Zur – bei soviel Abstraktion auch unbedingt nötigen – Veranschaulichung dient das unterhaltsame Beispiel eines Literaturstreits zwischen einem prominenten Schriftsteller und einen renommierten Literaturwissenschaftler, bei dem es um den Bruch mit einer konkreten Gattungsregel geht (allerdings scheint der Streit um Gattungskompetenz ein Stellvertreterkrieg zu sein, der von Enttäuschung und verletzter Eitelkeit motivierst ist – das Wesen Autor ist eben nicht nur kultur- sondern auch emotionsgeleitet). Es ließe sich einwenden, dass das vorgeschlagene Modell derart stark verallgemeinert, so dass nicht nur dieses Beispiel sondern auch jede andere Variante darin aufgeht – praktikabel ist es erst in Anwendung auf historisch konkrete Qualitäten der Systemkomponenten.

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»Der Wandel von Konventionen ist grundsätzlich jederzeit möglich«

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Dem dritten und vierten Teil des Bandes, die sich den literarischen und wissenschaftlichen Praktiken der Autorschaft widmen, merkt am deutlichsten an, dass der Band aus einer Tagung hervorgegangen ist. Dabei zeichnet sich Teil III, die literarischen Praktiken, durch seine thematische Bandbreite aus: Mit »Autorschaft als Selbstherausgeberschaft« am Beispiel von E.T.A Hoffmann von Uwe Wirth und »Auto(r)referentialität am Beispiel einer Collage von Kurt Schwitters« von Marcel Schmid werden zwei zentrale autortheoretische Problemfelder an konkreten Beispielen vertieft. Ausgewogen ist das Verhältnis von literarhistorischen Autorschaftspraktiken im 18. Jahrhundert und in der Gegenwart; vertreten sind Populär- und Hochliteratur (Innokentij Kreknin zu Rainald Goetz, Brigitta Krumney zu Charlotte Roche und Klaus Modick). Zu Walter Moers, einem der populärsten deutschen Gegenwartsautoren, gibt es nach wie vor viel zu wenig Forschung - Gerrit Lembkes geradezu musterhafter Aufsatz zu auktorialer Inszenierung in den Zamonien-Romanen füllt eine Forschungslücke und lässt keine Wünsche offen. Auch Eva Maria Bertschy widmet sich in ihrem Beitrag über die Autorengruppe Bern ist überall der boomenden, von der Literaturwissenschaft bislang kaum beachteten Autorenlesung. Einer ihrer Schwerpunkte ist hierbei der Aspekt der Körperlichkeit des Autors beziehungsweise der starke Reiz, den das »gleichzeitige Auftreten des leiblichen Autors mit seinen Texten« (S. 519) zu haben scheint – ein Thema, das sich im Spannungsfeld zwischen virtualisierter Kultur und Embodiment-Prämissen des Sprachverstehens bewegt und noch interdisziplinär ausbaufähig ist.

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Dem vernachlässigten, auch über die Plagiatsvorfälle im Hochschulbereich hinaus aktuellen Thema der wissenschaftlichen Autorschaft ist die letzte Abteilung des Bandes gewidmet, die bedauerlicherweise nur aus zwei, an dieser undankbaren Position etwas verloren wirkenden Beiträgen besteht - was freilich nichts über deren Qualität aussagt. In seinem Beitrag »Wissenschaftliche Autorschaft zwischen Zeitschrift und Handbuch« präsentiert Felix Steiner Überlegungen zu poetologischen Kategorien und Verfahren von Autorschaftsdarstellung in wissenschaftlichen Texten, die er zurück bindet an Ludwik Flecks Unterscheidung zwischen »persönlich« darstellender »Zeitschriftwissenschaft« und »unpersönlicher« formulierender »Handbuchwissenschaft« (1935), dabei aber auch neuere Arbeiten zu wissenschaftlicher Autorschaft diskutiert. Ausgangspunkt seiner Argumentation ist ein Widerspruch, der darin besteht, dass die Autorinstanz innerhalb des wissenschaftlichen Kommunikats in den Hintergrund rückt (z.B. nicht ›Ich‹ sagen darf), während die validierfähigen Aussagen und Erkenntnisse doch gleichzeitig unbedingt mit einem Autor identifiziert werden müssen (die Publikation erscheint unter dem Namen des Autors). Unter einem Autor sei folglich eine »personal zu denkende Instanz zu verstehen, die die mit dem Text beigebrachten Informationen verantwortet« (S. 569). Autorschaft ist in wissenschaftlichen Texten nicht nur über das ›Was‹, die Konstativität einer Aussage, sondern über das performative ›Wie‹, in Form von Selektion, Gestaltbildung, aber auch schriftstellerische Qualitäten sehr wohl wahrnehmbar und sollte es auch sein, so Steiners zentrales Plädoyer. Die Autorposition konstituiert sich über »domänentypische Handlungen wie ›ein Forschungsproblem lösen‹ und ›methodisch schrittweise vorgehen« (S. 567) – Handlungen, die auch dem Autor Steiner überzeugend gelingen, beispielweise in einer erhellenden Diskussion des lediglich auf Konventionen – nicht aber etwa erhöhter Objektivität – beruhenden »Ich-Tabus« in der wissenschaftlichen Schreibkultur (S. 571). Steiner setzt seine Aussage auch prompt in die eigene wissenschaftliche Diskurspraxis um, indem er die »Ich-Frequenz« deutlich erhöht, was das Lesevergnügen unmittelbar steigert. Dass Steiner Angewandte Linguistik lehrt, merkt man dem Text an. Lakonische Aussagen jedenfalls bleiben im Gedächtnis: »Der Wandel von Konventionen ist grundsätzlich jederzeit möglich« (S. 572).

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Christina Riesenweber setzt sich in ihrem Aufsatz »Reputation, Wahrheit und Blind Peer Review« kritisch mit dem gegenwärtig meist praktizierten Evaluationsverfahren im Wissenschaftsbetrieb auseinander. Mit Verweis auf eine Reihe empirischer Meta-Studien stellt Riesenweber fest, dass die Effektivität dieses Verfahrens nie nachgewiesen wurde und allenfalls als widersprüchlich bewertet werden kann, so dass dessen Verbreitung auf Glauben basiert. Sie führt dies unter anderem darauf zurückführt, dass die Ziele und intendierten Effekte des Verfahrens keineswegs eindeutig definiert seien – »fairness und Verbesserung der Qualität lassen sich nur schwer nachweisen« (S. 602). Ähnlich wie Steiner zeigt auch Riesenweber den Widerspruch auf, der zwischen dem Ideal der Bereitstellung entsubjektivierten Universalwissens besteht und der Verknüpfung neuer Forschungsergebnisse mit dem verantwortenden Autor (beispielsweise als wichtigste Suchfunktion in Publikationsdatenbanken). Betrachtet man den Blind Peer Review als Funktion im Wissenschaftssystem nach Luhmann, expliziert Riesenweber, kann der Widerspruch mit einer Konkurrenz zwischen »Wahrheit« (als Hauptcode der Wissenschaft) und »Reputation« (Nebencode) verstanden werden. Die Reputation beruht nun freilich, so Luhmann, zu keinem geringen Teil auf Reputation selbst, sie wirkt als »Vor-Selektor dessen, was zur Kenntnis genommen werden muss« (S. 604) – so muss ich als Rezensentin eines 600seitigen Sammelbandes eine Auswahl treffen, die sich zumindest teilweise an der Reputation der BeiträgerInnen orientiert sowie an von subjektiven Interesse geleiteten Kriterien. Wird der Einfluss der Reputation durch Anonymisierung im Blind Peer Review ausgeschaltet, wird der Code der Wahrheit zumindest gestärkt. Riesenweber formuliert das Ziel des Verfahrens so: »Blind Peer Review schafft eine Praxis, in der Wissen nicht an die Erkenntnis eines spezifischen Subjekts gebunden präsentiert wird und realisiert so die ›Fiktion der Gleichheit der Forscher‹« (S. 608), was dann letztlich doch für diese Praxis spricht. Bereits vorher hatte Riesenweber auf Studien verwiesen, die zeigen konnten, dass das Verfahren gerade Frauen und junge, noch nicht renommierte Wissenschaftler schützt – diesen allerdings gewichtigen Effekt führt sie leider nicht näher aus. Die disziplinübergreifend relevanten, sprachlich gut zugänglichen Beträge von Steiner und Riesenweber sind insbesondere für junge Wissenschaftler interessant, die noch mit Autorschaft experimentieren.

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Die Rückkehr ist Geschichte – Fazit

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Der Sammelband wird der Tatsache gerecht, dass der Autor eine gesellschaftliche Instanz ist, und konkret für den Literaturwissenschaftler »relevante und unverzichtbare Funktionen im Umgang mit Texten – keineswegs bloß literarischen Texten über[nimmt]« (S. 3). Insbesondere durch die Konzeption des Forschungsüberblicks gelingt es den Herausgebern ihr erklärtes Ziel, den »Autor als Autor und nicht per se als Vorstellung eines (wissenschaftlichen) Lesers« (S. 121) zu konturieren und ein »Koordinatensystem [zu spannen], das zwischen subjekt-, text-, kontext- und kommunikationstheoretischen Ansätzen […] changiert« (ebd.). Während die Herausgeber hier ihren Anspruch umsetzen, gerade auch die Wechselwirkungen und Bestätigungen zwischen älteren und neueren Forschungsergebnissen aufzuzeigen (ebd.), können die meisten Einzelbeiträge dies nur bedingt leisten. Zu den neuen, nach Einschätzung der Herausgeber bis vor wenigen Jahren noch »undenkbaren« (S. 7) Arbeitsgebieten gehört die Autorschaft in neuen Medien; nun war das Thema »Autor und Medien« bereits in Jannidis et al. 1999 mit einem umfassenden Teilkapitel vertreten und man hätte sich hierzu, wie auch zu kollektiven Praktiken sowie zu empirischen, digitalen Verfahren etc., durchaus noch mehr Beiträge vorstellen können. Konzeption und Gliederung des Bandes machen evident, dass es in den vergangen 15 Jahren nicht ›den einen‹ (gar paradigmatischen) Umbruch in der Autorschaftsforschung gegeben hat – dafür aber Kontinuität in einem Kernbereich literaturwissenschaftlicher Theoriebildung. Schaffrick / Willands Bestandsaufnahme bietet state of the art zum Thema Autorschaft (nicht nur) in der Literaturwissenschaft; der systematische Forschungsüberblick bewegt sich durchgehend auf hohem theoretisch-methodischem Niveau und bereitet kompetent, kompakt und verständlich die Vielfalt tradierter, weiterentwickelter und neuer Forschungsansätze auf – und weist bereits neue Wege in die zweifellos spannende Zukunft des Feldes.

 
 

Anmerkungen

Fotis Jannidis / Gerhard Lauer / Matías Martínez / Simone Winko (Hg.): Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Tübingen: Niemeyer 1999. Detering, Heinrich (Hg.): Autorschaft. Positionen und Revisionen. Stuttgart / Weimar: Metzler Verlag 2002.    zurück
Carlos Spoerhase: Autorschaft und Interpretation. Methodische Grundlagen einer philologischen Hermeneutik. Berlin / Boston: Walter de Gruyter 2007.    zurück
Friedel Thiekötter: »Explication de Texte«. In: Heinz Ludwig Arnold /Volker Sinemus (Hg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft. München: dtv 1983, S. 371-374.    zurück
William K. Wimsatt / Monroe C. Beardsley: »Der intentionale Fehlschluß« [1946]. In: Fotis Jannidis / Lauer / Matías Martinez / Simone Winko (Hrsg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart: Reclam 2000, S. 84-101.    zurück
Karl Eibl: Der Autor als biologische Disposition. In: Fotis Jannidis et al. (Anm. 1), S. 47-60.    zurück
Karl Eibl: Strukturierte Nichtwelten. Zur Biologie der Poesie. In: IASL 18.1. (1993), S. 1-36, hier S. 4.    zurück