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Die Heilige Dreifaltigkeit und ihre Kritiker

  • María do Mar Castro Varela / Nikita Dhawan (Hg.): Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung. (Cultural Studies) transcript 2015. 376 S. Softcover. EUR (D) 24,99.
    ISBN: 978-3-8376-1148-9.

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Erfolgreiche Einführung

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Postkoloniale Studien haben sich in der germanistischen Literaturwissenschaft 1 etabliert und sind auch aus dem Theorieinstrumentarium anderer Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften nicht mehr wegzudenken. 2 Einen nicht unwesentlichen Anteil daran hatte die vorliegende, erstmals 2005 erschienene Einführung, die jetzt – ein Jahrzehnt nach der Erstveröffentlichung – in einer erweiterten Neuauflage vorliegt.

Die Autorinnen, eine Sozialwissenschaftlerin und eine Politikwissenschaftlerin, haben mit der Erstauflage eine schlanke und verständliche Darstellung der komplexen und häufig verklausulierten Theorien Edward W. Saids, Gayatri Chakravorty Spivaks und Homi K. Bhabhas vorgelegt und die schon damals vielstimmige Kritik daran gründlich mit einbezogen. Das diente zugleich der Konturierung der Ansätze, das Urteil blieb dem Leser überlassen. Daraus ist eines der nützlichsten und zugleich – auch interdisziplinär – meist gelesenen Bücher auf dem Feld der postkolonialen Studien entstanden, mit einem Wort: ein rundum gelungenes Einführungsbuch.

Mit der zweiten Auflage hat sich der Umfang mehr als verdoppelt, während Konzeption und Kapiteleinteilung gleich geblieben sind. Die Erweiterungen entsprechen der Absicht, Neuerscheinungen von (und zu) Said, Spivak und Bhabha, aber auch die zunehmende Vielfalt der Theorieentwicklung mit einzubeziehen (vgl. S. 7). Gleichwohl liegt der Fokus ganz auf dem Triumvirat. Kann das gut gehen?

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Heilige Dreifaltigkeit

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Zunächst einmal ist es plausibel: Es waren vor allem diese drei Literaturwissenschaftler, die das entwickelten, was seither als postkoloniale Theorie wahrgenommen wird: eine Analyse des kolonialen Diskurses mit den Mitteln von Poststrukturalismus, politisch kritischen Theorien und Geschlechterforschung im Rahmen einer kulturwissenschaftlichen Semiotik, die Texte als Verhandlungen von Kultur und Kultur als Text liest. Darin ist das mitgedacht, was Castro Varela / Dhawan als Kennzeichen postkolonialer Theorie hervorheben: das Element des »Widerstand[es]« (S. 16f.) gegen koloniale und neokoloniale Herrschaft. 3 Es dürfte das Zusammentreffen von neuer Aufmerksamkeit für den Kolonialismus und aktuelle Erscheinungsformen der Globalisierung, dem cultural turn in der Wissenschaftsgeschichte und kultursemiotischer Theorie gewesen sein, das den drei Theoretikern besondere Aufmerksamkeit verschafft und den bemerkenswerten Export eines ursprünglich literaturwissenschaftlichen Paradigmas in viele andere Disziplinen ermöglicht hat. Insofern steht die »Heilige Dreifaltigkeit« (S. 18), wie Robert Young sie einmal genannt hat, zu Recht im Zentrum des Einführungsbuches.

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Kolonialismus und postkoloniale Studien

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Gerahmt wird die Darstellung ihrer Theorien durch zwei übergreifende Kapitel, von denen das einleitende Aufschluss gibt über grundlegende Aspekte und Fragen zu »Kolonialismus, Antikolonialismus und postkoloniale[n] Studien« (S. 15-89). Neu gegenüber der ersten Auflage sind u.a. zwei eigene Abschnitte zu »Religion, Säkularismus und Empire« sowie »Verwobene Vermächtnisse. Kolonialismus und der Holocaust«. Auf das letztgenannte Thema hatten schon Hanna Arendt und Frantz Fanon hingewiesen, dennoch war bereits die Frage nach Gemeinsamkeiten und Beziehungen zwischen Kolonialismus und Nazismus in der deutschen Geschichtswissenschaft jahrzehntelang ein Tabu. Inzwischen können Castro Varela / Dhawan jedoch auf ein breites Spektrum von Studien zu personellen, institutionellen und diskursiven Kontinuitäten und Verstrickungen zwischen Imperialismus, Naziregime und europäischem Faschismus verweisen.

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Sie stellen auch den Kern des Tabus zur Diskussion, die These vom ›Zivilisationsbruch‹ (Dan Diner) bzw. von der Singularität des Holocaust. In der Tat weitet sich die Perspektive, sowohl in moralisch-politischer wie in analytischer Hinsicht, d.h. im Blick auf den intrikaten Zusammenhang von Gewalt und Moderne, wenn man die Shoah in Beziehung setzt zur Geschichte kolonialer europäischer Gewalt und der Anerkennung ihrer Opfer.

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Es hätte allerdings nicht geschadet (und dabei keine ethische Positionierung präjudiziert), wenn die Autorinnen auch auf einige Diskontinuitäten hingewiesen hätten: Die Ausrottungspolitik war, unbeschadet des Genozids an den Herero, kein typisches Kennzeichen kolonialer Herrschaft, die industrialisierte Tötungspraxis ist beispiellos, und natürlich müsste man erklären, warum ausgerechnet das Land mit der kürzesten Kolonialzeit einen genozidalen Sonderweg eingeschlagen hat. Plausibler sind in diesem Zusammenhang postkoloniale Ansätze, die nicht nur nach der Vorläuferrolle der ›klassischen‹ überseeischen Kolonien fragen, sondern auch nach einer ›inneren Kolonialisierung‹ und ihrer Vorgeschichte. So hat der Indologe Sheldon Pollock die Karriere des Ariermythos und die These von der indogermanischen Sprachfamilie als (von der deutschen Orientalistik gestützten) nach innen gerichteten Orientalismus ohne Ambition auf eine koloniale Herrschaft in Asien gedeutet, ein Fall, den Said gar nicht vorgesehen hat. 4

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Said: Humanismus versus Poststrukturalismus?

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Mit Saids Orientalism (1978) begann, was später als (neuere) postkoloniale Theorie wahrgenommen wurde: die ethisch-politisch interessierte systematische Analyse des kolonialen Diskurses (vgl. S. 93 f.). Damit ist zugleich das charakteristische Spannungsverhältnis zwischen Poststrukturalismus und normativem Impetus benannt, das auch die Arbeiten von Bhabha und mehr noch Spivak prägt, aber in der Kritik an Orientalism und Saids produktiver Auseinandersetzung damit besonders deutlich wurde. 5 Castro Varela / Dhawan beschreiben sehr treffend die Form, die dieser Konflikt bei Said angenommen hat:

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Said hat sich im Laufe seiner Karriere immer wieder mit der Last, ein nicht-europäischer Humanist zu sein, beschäftigt und versucht, einem in der Literaturkritik im Anschluss an den französischen Poststrukturalismus immer mehr dominierenden Antihumanismus zu widerstehen. (S. 138)
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In diesem Konflikt hat Said in Michel Foucault allerdings lange Zeit nur den Gegner gesehen. Die vielfach bemerkten theoretischen Inkohärenzen und Widersprüche von Orientalism erklären sich vor allem daraus, dass Said einerseits von den Macht-, Staats- und Subjekttheorien Antonio Gramscis und Foucaults Gebrauch gemacht hat, allerdings so einseitig, dass dem Diskurs vollständige Homogenität und absolute Macht zuerkannt wird. Dagegen führt er dann einen Humanismus ins Feld, der emphatisch auf der Bedeutung eigener (in Saids Fall: Diaspora- und Exil-) Erfahrung beharrt, auf der Verantwortung des Intellektuellen, auf der Bedeutung der Differenz zwischen imaginiertem und realem Anderen und auf der Möglichkeit einer nicht vom hegemonialen Diskurs ›kontaminierten‹ Kritik. Damit hatte Said im Grunde den Kern von Foucaults Machttheorie verfehlt: seine Ablehnung der ›Repressionshypothese‹. Macht als Diskursphänomen zu analysieren bedeutet für Foucault, die produktive Funktion der Macht und ihre prozessuale Natur in den Blick zu nehmen und damit auch ihre Ermöglichung wie zugleich Begrenzung von Kritik und Widerstand. Saids frühe Form der Poststrukturalismus-Rezeption führte unvermeidlich dazu, dass er selbst in verschobener Weise die Totalisierungen und Binarismen wiederholte, deren Existenz er kritisierte, und dass es ihm nicht gelang, den Ort des Widerstandes in dieser Theorie konsistent zu bestimmen. 6

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In späteren Arbeiten hat Said für diese – in Orientalism latent gebliebenen und erst von der Kritik aufgedeckten – Probleme Lösungen gesucht. Dabei wird seine Sicht auf Foucaults Machttheorie differenzierter, ihre Zurückweisung aber bekräftigt (vgl. S. 131). Stattdessen entwickelt er – zuletzt in Humanism and Democratic Criticism (posthum, 2004) – die Vorstellung eines Humanismus als Form der Kritik, die sich in erster Linie gegen die eigene Begrenztheit (insbesondere den Eurozentrismus des Humanismus) richten müsse. Damit greift Said Walter Benjamins Dialektik auf, der zufolge jedes Dokument der Zivilisation nicht nur eines der Kultur, sondern auch der Barbarei ist.

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Kultur und Imperialismus

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Es ist diese Gedankenfigur, die dasjenige Buch geprägt hat, das man – vielleicht nicht nur aus literaturwissenschaftlicher Sicht – wohl als das Hauptwerk Saids bezeichnen darf: Culture and Imperialism (1993). In modellhafter (und inzwischen in den Literaturwissenschaften vielfach adaptierter) Weise wird hier das Verfahren einer ›kontrapunktischen Lektüre‹ der imperialen Kulturen und ihrer Gegenstimmen entwickelt, und zwar vor allem an literarischen Texten. 7 An ihnen lässt sich das Benjamin’sche Diktum besonders gut demonstrieren, weil man zeigen kann, »wie die Präsenz des Empires sich in die kanonischen Texte« (S. 122) eingeschrieben hat, und dass, so die pointierte These, es ohne Empire »den europäischen Roman nie gegeben« (S. 121) hätte. Außerdem aber finden sich hier, nicht nur in außereuropäischen Literaturen, Antworten auf »die immer wieder akute Frage postkolonialer Theorie […], ob eine nicht-gewaltvolle, nicht-reduktionistische Repräsentation der Anderen überhaupt möglich sei« (S. 120). Eine solche kontrapunktische Lektüre hat Said 2001 auch zu Sigmund Freuds Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939) erarbeitet, durfte sie aber in Wien nicht vortragen, weil man ihn anti-israelischer Aktivitäten verdächtigte. Ironie der Geschichte: In dieser Lektüre geht es darum, »über die Herstellung von ausgrenzenden Nationalnarrativen nachzudenken, die die Staatsgründung Israels für Israel und Palästina zu einem Trauma haben werden lassen« (S. 149).

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Castro Varela / Dhawan heben abschließend hervor, dass mit und seit Said – »politischer säkularer Kritiker und engagierter öffentlicher intellektueller Aktivist gleichermaßen« (S. 150) – postkoloniale Theorie »ohne politisches Engagement nicht denkbar« (S. 150) sei. Den Beweis dafür bleiben sie bei Bhabha allerdings doch wohl schuldig. Eher schimmert nicht nur an dieser Stelle der Wunsch vom unmittelbaren Praktischwerden der Theorie durch, aber das hat, zum Glück für Theorie und Praxis, auch bei Said nicht stattgefunden – eher sollte man bei ihm und Spivak von einem Wechsel der Sprachregister sprechen.

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Spivak – marxistisch-feministische Dekonstruktion

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Das Kennzeichen von Spivaks Arbeiten ist die Verbindung von Dekonstruktion, Feminismus und Marxismus – eine letztlich unmögliche Kombination, die aber kritische Interventionen gegen vorschnelle Homogenisierungen und Totalisierungen möglich macht. Darin besteht die Produktivität dieses Ansatzes. Den wichtigsten Bezugspunkt ihrer Kritik bildet das vergeschlechtlichte subalterne Subjekt (sexed subaltern subject), und als solches identifiziert sie – sowohl für die Kolonialzeit wie für den gegenwärtigen Stand der internationalen Arbeitsteilung – unterprivilegierte Frauen des globalen Südens. Daraus entwickelt Spivak nicht nur kritische Re-Lektüren der indischen Selbstbeschreibung als größter Demokratie der Welt, sondern auch Marx’scher Theoreme wie seines eurozentrischen Produktionsnarrativs (Spivaks Pointe besteht in einer Art re-entry der ›asiatischen Produktionsweise‹, vgl. S. 170 f.), seiner Arbeitswerttheorie und der Annahme, Sozialismus sei etwas, das ›nach‹ dem Kapitalismus komme.

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Ausführlicher als in der Erstauflage wird auf die Genese von Spivaks Theorie aus dem Umfeld von Paul de Mans Dekonstruktion und auf ihre literaturwissenschaftlichen Arbeiten eingegangen: Lektüren von alten und neuen Klassikern der englischen Literatur und von Texten der Bengalin Mahasweta Devi, deren Werke sie verschiedentlich übersetzt und kommentiert hat. Besonders aufschlussreich ist ihre Lektüre von J. M. Coetzees Roman Foe (1986). Bei dieser Neubearbeitung des Robinson-Crusoe-Themas liegt ein Fokus auf den Versuchen, Freitag, dem Sklavenhändler die Zunge entfernt haben, ›eine Stimme zu geben‹. Spivak liest den Roman als paradoxe und damit angemessene Auseinandersetzung mit diesem Zentralthema postkolonialer Studien: Coetzees Freitag übe einerseits seine Handlungsmacht aus, indem er sich weigere, repräsentiert zu werden. Der Roman gebe der Figur darüber aber andererseits Raum, »die Verletzlichkeit der Unterdrückten zu thematisieren, ohne dabei den Widerstand zu romantisieren« (S. 159). Damit ist nicht nur der Grund für Spivaks Interesse am Medium Literatur, sondern auch der Kern ihrer Theorie benannt. 8 Allerdings ergeben sich, wie sie sehr wohl weiß, aus dem Wunsch, nicht nur Diskurse dekonstruktiv zu lesen, sondern mit den Mitteln der Dekonstruktion auch Politik zu treiben, unauflösbare Widersprüche, denn wie sich insbesondere in den Debatten um die Affirmation minoritärer Gruppenidentitäten gezeigt hat, setzt politisches Handeln eben jenes Subjekt und seine Artikulation voraus, deren Möglichkeit die Dekonstruktion in Frage stellt.

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Subalterne – eine paradoxe Konstruktion

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Die Kritik an Spivak richtet sich im Grunde, sieht man einmal von dem Vorwurf der Unverständlichkeit und des Eklektizismus ab, auf einen einzigen, allerdings zentralen Punkt: den Begriff der ›Subalternen‹. 9 Castro Varela / Dhawan legen ausführlich die auf Gramsci und die South Asian Subaltern Studies Group zurückweisenden theoriegeschichtlichen Kontexte dar. Das macht vieles verständlich, löst das Problem aber nicht. Der Begriff schillert, wie nicht nur die Diskussion um Can the subaltern speak? (1988) gezeigt hat, bei Spivak beständig zwischen der Bezeichnung für empirisch fassbare Gruppen (›verarmte, meist analphabetische Landbevölkerung‹) und einem epistemischen Raum bzw. einer per se heterogene Position gegenüber einem hegemonialen Diskurs. Der Terminus wird als relationale wie als nicht-relationale Kategorie verwendet, ›Subalterne‹ sind eine Gruppe, deren Stummheit einerseits als Widerstand, andererseits als Ausdruck vollständig verinnerlichter Unterwerfung gedeutet wird: Eine Gruppe, für die man nicht sprechen kann, aber muss, eine Gruppe, die einerseits Handlungsmacht besitzt und ausübt, die man – d.h. mit den Mitteln staatlicher Erziehung (vgl. S. 211 f.) – »in eine Krise […] versetzen« (S. 211) muss, damit ihre Ohnmacht ein Ende findet, usw. usf. – Die ›Subalterne‹ und ›Subalternität‹ sind daher paradoxe Konstruktionen, die sich nicht ohne Brechungen in empirische Analysen oder Politik übersetzen lassen, deren Funktion aber genau darin besteht. Dekonstruktion ist Kritik, Aufweis von Verstrickungen, Komplizenschaft, Aporien, Paradoxien, darin besteht ihr Wert, aber auch, wie die Autorinnen hätten deutlicher machen können, ihre Grenze.

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Man kann solche Kategorienbildung vom Vorwurf der Leere und der Koketterie etc. befreien, indem man zeigt, dass sie gehaltvolle Analysen und Kritik ermöglicht. Wissensgeschichtlich ist das Arbeiten mit einer konstitutiven Paradoxie nicht ohne Vorbild. Sie bezeichnet den fiktiven, nur als bloße Setzung gegebenen Ausgangspunkt für ein Unternehmen, der erst an dessen Ende, nach der erfolgreichen Durchführung gerechtfertigt ist: am Ende der Vor-Geschichte, wenn – in der Logik Spivaks – die Subalternen sprechen und die eigentliche Geschichte beginnt. Dieser modus operandi ist aus der europäischen Tradition von Kant bis Hegel bestens bekannt, die ihrerseits die Offenbarungstheologie beerbt hat und von Marx (und Spivak) noch einmal auf neue Füße gestellt wird.

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Bhabha – die Ambivalenz der Macht

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Im Kapitel über Bhabha wird herausgearbeitet, dass er wie Said den kolonialen Diskurs als Machtapparat im Foucault’schen Sinne dargestellt hat. Im Unterschied zu Said hebt Bhabha aber darauf ab, dass die so produzierte Macht immer ambivalent sei und damit Spielräume für Widerstand eröffne. Daraus entwickelt er alles weitere, d.h. seine Konzepte von Mimikry, Hybridität und Dritten Räumen.

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Gestützt auf psychoanalytische und poststrukturalistische Subjektkonzepte deutet Bhabha Ambivalenz als Ausdruck von Instabilität: Die Autorität der kolonialen Macht sei niemals ausschließlich im Besitz der Kolonisatoren gewesen. Die Vorstellung einer ›totalen Herrschaft‹, wie sie Saids Orientalism nahe lege, müsse deshalb korrigiert werden durch die einer komplexen Reziprozität zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten und deren Handlungsmacht (agency).

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Mimikry

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Letzteres und die Unmöglichkeit, das weiße ›Original‹ zu kopieren, hatte bereits Fanon betont und als Ausweis der Stabilität der Macht gedeutet. Ähnlich hatte V. S. Naipaul in seinem Roman The Mimic Man (1967) koloniale Mimikry als Form der Selbstkolonisierung dargestellt. Bhabha bezieht sich auf beide, wertet Mimikry, verstanden als übertriebene Nachahmung, jedoch zu einer Form des Widerstands um, die den kolonialen Diskurs irritiert.

In der Diskussion über Bhabhas Ansatz sind grundlegende Fragen offen geblieben, insbesondere die, ob Mimikry eine bewusste Widerstandsstrategie oder ein bloßer Effekt des kolonialen Diskurses ist, was bedeuten würde, dass der Kolonisator nicht vom Kolonisierten, sondern von seinem eigenen Diskurs entmachtet wird, und ob sie als verallgemeinerbares Modell für Handlungsmacht fungieren kann (vgl. S. 234 f.).

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Hybridität

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Ähnlich erfolgreich und umstritten war und ist Bhabhas zweites Konzept eine Form des Widerstandes: Hybridität. Auch hier geht es um einen unvermeidbaren Prozess der Verschiebung bei der Übernahme kolonialen Wissens und seiner Repräsentationsformen, und auch hier werden Theoreme karibischer Vordenker (Edward Kamau Brathwaite, Wilson Harris) so umgedeutet, dass das Phänomen nicht mehr als erfolgreiche (und die Kolonisierten verstümmelnde) Strategie kolonialer Herrschaft, sondern als erfolgreiche Widerstandsstrategie bewertet werden kann (vgl. S. 236 f.).

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Im Unterschied zur Erstauflage heben Castro Varela / Dhawan jetzt die Bedeutung der Performanz für Bhabha hervor, ohne die sein Begriff von Macht und Widerstand und seine Umdeutungen unverständlich bleiben (vgl. S. 237-247): Subalterne Handlungsmacht ist eine Form der Verhandlung (negotiation), nicht der Negierung (negation) von Macht, die auf performative Wiederholung angewiesen ist. Dieses Konzept eignet sich unbeschadet der o.a. kritischen Fragen gut für die Analyse von Formen eines Widerstandes von innen heraus, es erfasst besser als andere die Durchdringungskraft der Macht und die unfreiwillige Komplizenschaft zwischen Kolonisator und Kolonisiertem, und es richtet seinen Fokus auf die Verschiebung (statt die bloße Reproduktion unter umgekehrtem Vorzeichen) und damit auf die Entstehung ›dritter Räume‹. Es ist aber auch ein Ansatz, der sich stärker als derjenige Saids und Spivaks auf semiotische Transaktionen beschränkt und viel schwerer mit materiellen Widerstandsformen zu verbinden ist, zumal Bhabha auch in seinen Beispielanalysen an sozioökonomischen Kontexten wenig Interesse zeigt.

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Angesichts der bei Castro Varela / Dhawan skizzierten offenen Fragen und Kontroversen bietet es sich an, gegenüber Bhabhas Machtbegriff eine kleine Verschiebung vorzunehmen und zu sagen: Macht ist die Fähigkeit, Ambivalenzen zu erzeugen. Diese Begriffsbestimmung ist offen für beide Seiten: Widerstand und Affirmation, Intention und Effekt, Fanon / Brathwaite / Harris und Bhabha usw. – und sie mag im Übrigen eine Teilerklärung dafür liefern, warum gerade die Theorien von Spivak und Bhaba so diskursmächtig wurden.

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Bhabhas Übertragung des Hybriditätskonzeptes auf gegenwärtige migrantische oder postkoloniale Kulturen und ihr Gegenstück, die Metropolen, beruht ebenfalls auf der Idee der Performanz. Sie begreift Kultur als Bedeutung erzeugenden Prozess (signifying process), als dauernde Verhandlung und deshalb als dynamisch, instabil, unabgeschlossen und hybrid. Kulturen (und auch die analog strukturierten Nationen) werden somit an ihren Grenzen erkennbar, die, im Unterschied zum Container-Modell von Kultur, im Innern liegen: dort, wo Minderheiten und migrantische Kulturen sich in die Narrative einschreiben. Beobachtbar sei das an der Diskussion über Menschenrechte, ›Minderheiten‹ und Nation. Bhabha zufolge werden Minderheiten im Menschenrechtsdiskurs als in ihrer kulturellen Identität schutzwürdige Teile von Nationen gedacht – eine Perspektive, die »›inter-kulturelle‹ ethische Imperative, sich quer durch Gemeinschaften der Differenz und in kontingenten Koalitionen zu engagieren« (S. 261), vernachlässige.

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Kritik der Hybridität

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Die Idee der grundsätzlichen Hybridität jeder Kultur war originell und ist enorm produktiv, die Gründe für die Kritik liegen aber auf der Hand: Wenn jede Kultur hybrid ist, dann gilt das auch für die Metropolen und es wird mit Vorstellungen von Dritten Räumen, eines Dazwischen und Hybridität ebenso wenig mehr etwas Spezifisches beschrieben wie mit dem Begriff postkoloniale Kultur oder Handlungsmacht. Hybridität bedeutet zudem keineswegs zwangsläufig ein Weniger an Unterdrückung und Ausbeutung, eine Speerspitze der Hybridisierung bilden vielmehr multinationale Konzerne – und gerade Grenzorte (wie z.B. Sonderwirtschaftszonen) sind Räume einer exorbitanten Kapitalakkumulation. Diese und andere, von Castro Varela / Dhawan ebenfalls referierte Kritiken – an Bhabhas Begriffen von Raum, Nation, Diaspora, seiner Vernachlässigung von Geschlechterfragen, seiner unkritischen Haltung gegenüber der Psychoanalyse, seinen Fallstudien, seiner ›Universalisierung‹ eigener Theoreme zum kolonialen Diskurs und seiner Reduzierung des Widerstandes auf den Moment der Aktion – sind berechtigt. Castro Varela / Dhawan versuchen Bhabha am Ende mit Hilfe seines politischen Anliegens, der »Förderung ethischer Werte in politischen Angelegenheiten« (S. 284), zu rehabilitieren. Das ist nicht falsch, aber vielleicht als Entkräftung von Argumenten gegen eine Theorie etwas wohlfeil. Die breite Kritik an Bhabha lässt sich doch wohl weitgehend auf einen einzigen wunden Punkt zurückführen: die mangelnde Berücksichtigung der Kontexte zu Gunsten der Hervorhebung der Performanz. Bhabhas Konzepte haben sich trotz allem als produktiv erwiesen, weil und soweit es möglich war, sie auch in kontextsensible Studien zu überführen.

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Intersektionalität

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Auf die Vorstellung der ›Heiligen Dreifaltigkeit‹ folgt als zweiter Teil der Rahmung ein Kapitel mit der Überschrift ›Postkoloniale Theorie kritisch betrachtet‹. Hier werden viele Einwände wiederholt, die schon in den Einzeldarstellungen formuliert wurden, zudem geschieht dies in Form mehr oder weniger ausführlicher Referate zu einzelnen Büchern und Aufsätzen. 10 Die hier verhandelten Einwände Dritter gegen die postkoloniale Theorie sind außerdem z.T. überzogen oder unfundiert, etwa wenn beim Eurozentrismus-Vorwurf Genese und Geltung kurzgeschlossen werden (vgl. S. 289-294). Hier wäre eine thematisch-sachlich konzentrierte, stark geraffte Darstellung sinnvoller gewesen.

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Begrüßenswert ist dagegen der Versuch, neue Entwicklungen aufzunehmen wie im Abschnitt über »Intersektionalität und soziale Gerechtigkeit« (S. 298-307). Schon Anne McClintock hatte in Imperial Leather (1995), einem Meilenstein feministischer postkolonialer Kritik, hervorgehoben, dass Rasse, Klasse und Geschlecht sehr unterschiedliche und widersprüchliche Konstellationen bilden und Machtpositionen markieren können. Deshalb sind Annalysen unangemessen, die per se eine dieser drei Kategorien als Leitdifferenz annehmen oder eine oder zwei ganz ausblenden, wie dies bei Said und Bhabha mit der Geschlechterfrage, bei letzterem auch mit der Klassenfrage der Fall ist (vgl. S. 303). Das ist nach wie vor eine produktive Perspektive, wie u.a. das von Castro Varela / Dhawan exemplarisch benannte sozialwissenschaftliche Desiderat der Untersuchung kastenbasierter Diskriminierungen innerhalb diasporischer Räume deutlich macht (vgl. S. 304). Ob Intersektionalitätsansätze aber über die Theorie wirklich hinausführen, indem sie Teil einer »kritischen Bewegung« (S. 299) werden, bleibt wieder einmal offen, denn zum einen droht die Kritik »die notwendige Solidarität im Prozess der Dekolonisierung zu untergaben« (S. 303), und zum anderen schützt auch die Verdreifachung der Kategorienzahl nicht vor dem »Problem der Universalisierung und der Re-Essentialisierung« (S. 305).

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Grenzen der Konzeption

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Die Verdienste dieses Buches sind unübersehbar, auch wenn die vielen Paraphrasen späterer Arbeiten Bhabhas und Spivaks im Rahmen einer Einführung in zentrale Theoreme hätten kürzer ausfallen können. Wenn dennoch eine gewisse Skepsis bleibt, so deshalb, weil sich die Gesamtkonzeption nach einem Jahrzehnt nicht geändert hat: noch einmal wird »Postkoloniale Theorie« nolens volens mit den Arbeiten Sais, Spivaks und Bhabhas identifiziert. Das hat seine Kehrseiten. Die drei Theoretiker repräsentieren einen angloamerikanischen mainstream der Theorie, der sein Verständnis von (Post-) Kolonialismus weitgehend am Modell der britischen Herrschaft über Indien und den Nahen Osten entwickelt hat. Die teilweise ganz anderen Erscheinungsformen insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent, in der Karibik und Lateinamerika haben bei der Theoriebildung keine Rolle gespielt und die entsprechenden Theoretiker wurden mehr oder weniger marginalisiert.

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Castro Varela / Dhawan sind sich des Problems durchaus bewusst, und sie haben es zu lösen versucht, indem sie – verstreut über das ganze Buch – Hinweise auf andere TheoretikerInnen eingefügt haben. 11 Eine angemessene Lösung ist das jedoch nicht, nicht nur weil dem Buch leider ein Namens- und ein Begriffsregister fehlen. 12 Bei den älteren Theoretikern wird das Problem bei Fanon am deutlichsten. Bei ihm gibt es eine viel dichteres Spannungsverhältnis zwischen dem, was im poststrukturalistischen Postkolonialismus beständig auseinander zu fallen droht: Erfahrung kolonialer Gewalt und Theoriebildung, symbolischer und materieller Widerstand sowie poststrukturalistische Psychoanalyse, Politik und antikoloniale Gewalt u.a.m. Auf Fanon verweisen Castro Varela / Dhawan denn auch sehr häufig, aber ein wirkliches Bild seiner Theorien entsteht dadurch gerade nicht. Hinzu kommt, dass seine ›Vorläuferschaft‹ gerade bei Bhabha, der sie am häufigsten betont hat, mit massiven Umdeutungen im Rahmen seiner ›symptomatischen Lektüre‹ einhergeht (vgl. S. 272 f.). Deshalb ist das von Castro Varela / Dhawan in der Neuauflage vorgebrachte Gegenargument, die postkoloniale Theorie habe »nicht nur die (älteren) antikolonialen Schriften nicht ignoriert, sondern diese auch über ein Wieder-Lesen davor bewahrt, an die Ränder gedrängt zu werden« (S. 308), selbst im Falle des am häufigsten gelesenen Fanon nicht überzeugend und verweist auch auf eine Grenze der Konzeption des vorliegenden Bandes.

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Ein Einführungsbuch?

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Castro Varela / Dhawan haben die Umfangserweiterung damit begründet, dass sie neuere Entwicklungen der Theorie, die Diskussion darüber und auch Arbeiten anderer mit berücksichtigen wollten. Die entsprechenden Zuwächse sind teils informativ, es gibt aber auch viele Redundanzen, nicht nur bei der Darlegung der Kritik, sondern auch bei der Hervorhebung der Bedeutung bestimmter Globalisierungsphänomene für postkoloniale Theoriebildung (wie z.B. der internationalen Arbeitsteilung). Wenn der Eindruck nicht täuscht, haben außerdem weder Spivak noch Bhabha ihre Theorien im letzten Jahrzehnt substantiell erweitert oder – z.B. angesichts der umfassenden Kritik – modifiziert. Auch die Selbstkritik Spivaks scheint sich vielfach in einer Relativierung früherer Konzepte zu erschöpfen, so dass sogar die Verfasserinnen angesichts der Vieldeutigkeit der ›Subalternität‹ am Ende die Flucht nach vorn antreten: »Der Ambiguität steht allerdings die Klarheit dessen gegenüber, wer für sie nicht Subalterner ist.« (S. 312, Herv. i. O.)

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Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage fällt deshalb etwas zwiespältig aus. Einerseits gibt es gerade im Blick auf den Adressatenkreis eines Einführungsbuches gute Gründe zu sagen: Weniger war mehr. Andererseits: Das Buch ist nach wie vor eine sehr gute Einführung in die postkoloniale Theorie, und wer sich umfassender informieren will, ist mit dieser zweiten Auflage sehr gut bedient.

 
 

Anmerkungen

Einen Überblick über die Rezeption der Postkolonialen Studien in der germanistischen Literaturwissenschaft in Deutschland bieten: Gabriele Dürbeck / Axel Dunker (Hg.): Postkoloniale Germanistik. Bestandsaufnahme, theoretische Perspektiven, Lektüren. Bielefeld: Aisthesis 2014, und dazu die Rezension: Herbert Uerlings: Postkoloniale Studien in der Germanistik – eine Zwischenbilanz. In: Der Neue Weltengarten. Jahrbuch für Literatur und Interkulturalität (2016), S. 247-271.   zurück
Auch in der deutschen Geschichtswissenschaft haben sich postkoloniale Studien erfolgreich etabliert. Entscheidende Anstöße hat hier insbesondere der von Sebastian Conrad, Shalini Randeira und Regina Römhild herausgegebene Band Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften (Frankfurt/New York: Campus 2002, 2., erw. Aufl. 2013) gegeben. Für die Sozial- und Kulturwissenschaften vgl. z.B. Hito Steyerl / Encarnación Gutiérrez Rodríguez: Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik . Münster: Unrast 2003, für die Soziologie Julia Reuter / Paula-Irene Villa (Hg.): Postkoloniale Soziologie. Empirische Befunde, theoretische Anschlüsse, politische Intervention. Bielefeld: Transcript 2008.   zurück
Die Bedeutung des Begriffs ›postkolonial‹ ist nicht ganz eindeutig: Neben dem normativen Begriff, der sich vor allem auf die Theorie bezieht, gibt es in dieser Einführung (wie auch sonst) einen deskriptiven als Bezeichnung für ehemals kolonisierte Räume.   zurück
Vgl. Sheldon Pollock: Ex Oriente Nox. Indologie im nationalsozialistischen Staat. In: Conrad et al. (Anm. 1), S. 162-196. – Noch umfassender hat Patrut gefragt, inwieweit es einen systematischen Zusammenhang zwischen der Diskursivierung von Juden und ›Zigeunern‹ und ›Deutschen‹ gibt, der sich ebenfalls unabhängig von der außereuropäischen Kolonialherrschaft, nämlich aus der langen Geschichte der Kolonisierung des innereuropäischen Ostens ergibt. Vgl. Iulia-Karin Patrut: Phantasma Nation. ›Zigeuner‹ und Juden als Grenzfiguren des ›Deutschen‹ (1770 - 1920). Würzburg: Königshausen & Neumann 2014.   zurück
Castro Varela / Dhawan geben einen sehr ausführlichen, gut strukturierten und instruktiven Überblick über die Kritik an Orientalism (vgl. S. 104-119), die hier zugunsten der Skizze des Grundsatzdilemmas der Theorie nicht im Einzelnen wiederholt werden soll. Zu den zentralen Kritikpunkten gehört u.a. (wie bei Bhabha) die Ausblendung von Geschlechterfragen.   zurück
Bereits 15 Jahre vor Orientalism hat der palästinensisch-amerikanische Politikwissenschaftler Ibrahim Abu-Lughod, Freund und Weggefährte Saids, mit The Arab Rediscovery of Europe: A Study in Cultural Encounters (1963) eine Studie vorgelegt, in der es um die intellektuellen Reaktionen der Einheimischen auf die napoleonische Invasion in Ägypten 1798 geht. Bei ihm, so Castro Varela / Dhawan, lese »sich die Geschichte allerdings stärker als Verflechtung und weniger als ein einseitiger Prozess des Othering« (S. 113). – Über die intensive Rezeption von Said in der arabischen Welt (vgl. S. 118) hätte man gerne Näheres erfahren.   zurück
Der kubanische Anthropologe Fernando Ortiz hat bereits 1940 ein Buch mit dem Titel Contrapunteo cubano del tabaco y del azúcar veröffentlicht, in dem z.T. ähnliche Überlegungen wie bei Said verfolgt werden (vgl. S. 122 f.).   zurück
Spivak sei, so Castro Varela / Dhawan, der »Ansicht, dass Literatur einen rhetorischen Raum für subalterne Gruppen schaffen kann, der es ermöglicht, die unterdrückten Geschichten ihres Widerstandes zu artikulieren« (S. 162). Das Adjektiv ›rhetorisch‹ zeigt dabei den in Spivaks Sicht kategorialen Unterschied zu nicht-literarischen Äußerungsformen an.   zurück
Wie schon in der Erstauflage wird das Konzept des ›strategischen Essentialismus‹, obwohl es interdisziplinär breit diskutiert und adaptiert wurde, nur einmal am Rande erwähnt (vgl. S. 191). Vielleicht nicht ganz zu Unrecht, denn man könnte einwenden: Was lange genug ›strategisch‹ behauptet wird, ist von ›Essentialismus‹ bald kaum noch zu unterscheiden.   zurück
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Das gilt auch für das neu hinzugekommene Kapitel »Universalismus versus Differenz« (S. 326-338), das der breiten und heftigen Diskussion um Vivek Chibbers Postcolonial Theory and the Specter of Capital (2013) gewidmet ist. Dabei geht es im Grunde um die Reichweite marxistischer Analysekonzepte. Während Chibbers sie stark macht und insbesondere den Vertretern der South Asian Subaltern Studies eine Exotisierung und Romantisierung lediglich kultureller Differenzen vorhält, verteidigen sich diese mit dem Argument, Chibbers könne die unbestreitbare Verschiedenheit ökonomischer Entwicklungen und damit die Heterogenität des globalisierten Kapitalismus nicht erklären. Da im Laufe der Debatte so ziemlich alle Vorwürfe erhoben wurden, die man gegen postkoloniale Theorien erheben kann, wäre es im Rahmen eines Einführungsbuchs vielleicht sinnvoller gewesen, den ökonomietheoretischen Kern heraus zu präparieren – und die plakative Gegensatzbildung »Universalismus versus Differenz« zu problematisieren. Castro Varela / Dhawan verwenden ›Universalismus‹ ausschließlich zur Bezeichnung unzulässiger Generalisierungen; ein Universalismus, der das Spiel der Differenzen ermöglicht, kommt so nicht in den Blick.   zurück
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Es sei jedoch nicht verschwiegen, dass das neu eingefügte Kapitel über aktuelle Forschungsansätze in Lateinamerika (»Dekolonial versus postkolonial«, S. 318-326) so einseitig auf Kritik und mitunter auch Disqualifizierung dekolonialer Theorien ausgerichtet ist, dass man geneigt ist, die Forderung, man müsse »einen Weg […] finden, in denen [sic!] kritische Ansätze miteinander verbunden und nicht gegeneinander ausgespielt werden« (S. 325), auch auf die Autorinnen selbst zu beziehen.   zurück
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Im Übrigen hätte ein dem Buch ein gründlicheres Lektorat gut getan: Es enthält sachliche Fehler (wie die Verwechslung der »Nürnberger Prozesse« (S. 148) mit den Nürnberger Gesetzen oder die Behauptung, eine deutsche Übersetzung von Saids Orientalism (1978) gebe es »erst seit 2009« (S. 104) – richtig ist: seit 1981) – , Grammatikfehler und die eine oder andere Stilblüte (z.B. hebt Bhabha im Anschluss an Lacan nicht darauf ab, dass Menschen »von Grund auf linguistische Wesen« (S. 241) seien, sondern dass das Unbewusste strukturiert sei wie eine Sprache).   zurück