IASLonline

Weltliteratur tautologisch

  • Heike C. Spickermann (Hg.): Weltliteratur interkulturell. Referenzen von Cusanus bis Bob Dylan. Für Dieter Lamping zum 60. Geburtstag. (Intercultural Studies. Schriftenreihe des Zentrums für Interkulturelle Studien (ZIS) 3) Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2015. 172 S. Hardcover. EUR (D) 40,00.
    ISBN: 978-3-8253-6466-3.
[1] 

Akademische Festschriften sind Gratwanderungen: Man möchte den geschätzten Kollegen ehren, hat aber noch so dieses und jenes in der Schublade, das endlich einmal fertig gestellt und veröffentlicht werden sollte. Und so kommt es zu wissenschaftlichen Sammelbänden, bei denen man sich bei vielen Beiträgen fragt, ob ihn der Verfasser oder die Verfasserin vor oder nach der Anfrage zur Teilnahme am Sammelband geschrieben hat. Das ist auch bei der von Heike C. Spickermann zu Ehren des Mainzer Komparatisten Dieter Lamping herausgegeben Festschrift der Fall. Wer, wenn nicht Lamping, hätte – als einer der rührigsten und produktivsten deutschsprachigen Forscher auf dem Gebiet der Allgemeinen und Vergleichen Literaturwissenschaft – eine Festschrift zum Thema »Weltliteratur« verdient?

[2] 

Weltliteratur ohne Konturen: Zur Konzeption des Sammelbandes

[3] 

Bereits der Titel bleibt unscharf: was kann und soll man sich unter dem Pleonasmus »Weltliteratur interkulturell« vorstellen? Der aus dem späten 18. Jahrhundert stammende und dann von Goethe prominent gemachte Begriff spielt in der heutigen Komparatistik immer noch bzw. gerade wieder eine ganz zentrale Rolle. Davon zeugen nicht zuletzt die Publikationen von Dieter Lamping. Doch im Gegensatz zu einem älteren, heute problematisch gewordenen Weltliteraturbegriff, der sich als Synonym für den Kanon großer europäischer Meisterwerke versteht, liegt der modernen Komparatistik – seit René Etiemble 1 und verstärkt dann im Umfeld der Cultural studies 2 – ein tendenziell universelles und dialogisches, also »interkulturelles« Verständnis von Weltliteratur zugrunde. Womöglich wäre dies der Schlüssel zum Verständnis des Titels. Dass dieser »tautologisch« klingt, ist der Herausgeberin durchaus bewusst, denn sie spricht das Problem bereits auf der ersten Seite ihres Bandes an. Es gelingt ihr im Folgenden jedoch nicht, diesen Eindruck zu entkräften. Im Gegenteil: wenige Seiten später stellt sie beide Auffassungen des Begriffs gleichberechtigt nebeneinander und nivelliert den im Titel gesetzten Akzent: »So spiegelt sich hier Weltliteratur zum einen im Sinne eines klassischen europäischen Bildungsideals, zum anderen in einem Repertoire allgemeiner, möglicherweise universal gültiger (dialogischer) Komponenten im Transnationalen« (S. 11).

[4] 

Der erste Beitrag von Maria Moog-Grünewald greift im Wesentlichen einige zentrale Gedanken der Frühromantik auf, die der Tübinger Philosoph Manfred Frank Ende der 70er Jahre erstmals philosophisch und philologisch untersucht hatte, und kommt über einen vagen Bezug zwischen Friedrich Schlegels poetologischem Konzept der »progressiven Universalpoesie« und einer als »unendlich« gedachten Weltliteratur nicht hinaus. Der Beitrag von Rüdiger Görner passt zum Thema, trägt aber durch seine mehr oder weniger expliziten Idiosynkrasien gegen die »gemeinplatzartige Rede vom Interkulturellen« (S. 38) und einen altbackenen, geistesgeschichtlichen Weltliteraturbegriff, bei dem die »poetische Intratextur […] dem Welthaltigen des Seins wie eine innere Gravur eingeschrieben bleibt« (ebd.), wenig zu einer klaren Profilierung des Bandes bei.

[5] 

Die größtenteils kunsthistorischen Bemerkungen über die Rezeption des Werks von Gabriele d’Annunzio von Bernhard Dieterle haben kaum einen erkennbaren Bezug zum Thema des Bandes. Dasselbe gilt für die hoch spezialisierten Beiträge von Andreas F. Kelletat und Gabrielle Catalano, bei dem sich obendrein die Frage stellt, inwiefern die Analyse gefälschter »Volkstexte« (S. 103, es geht bei Catalano um Mérimées gefakte Gedicht-Sammlung La Guzla) überhaupt geeignet sein kann, den Begriff »Weltliteratur« zu beleuchten.

[6] 

Hochinteressant, wenn auch nicht zwingend passend zum Thema des Bandes, sind hingegen die Beiträge von Marisa Siguan (über die Rezeption Heinrich Heines in Spanien) und Rüdiger Zymner über Alfred Wolfenstein, dessen internationale Vernetzung zumindest als literatursoziologisches Kriterium für eine »interkulturelle Weltliteratur« gewertet werden kann. In dem überaus lesenswerten Beitrag von Monika Schmitz-Emans über »Formen und Funktionen von Sprachenmischung in der neueren Artusliteratur« (S. 87) findet sich dann ein weiterer bedenkenswerter Ansatz zum Verständnis einer interkultureller Ästhetik, bei der gerade die Vielsprachigkeit des Originals eine entscheidende Rolle spielt. Man hätte sich mehr solcher Beiträge gewünscht, in denen – eng am Text argumentierend – theoretische Fluchtlinien für eine moderne Bestimmung des Begriffs »Weltliteratur« aufgezeichnet werden.

[7] 

Herausragend, informativ, klar und – hinsichtlich des Forschungsstands – geradezu programmatisch ist diesbezüglich der Aufsatz von Manfred Schmeling. Seine literatur- und ideengeschichtlichen Überlegungen zur Kontroverse zwischen Thomas Mann und Romain Rolland, die im ersten und zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts die Begriffe »Weltkrieg – Weltbürger – Weltliteratur« mit zum Teil diametral gegensätzlichen politischen Inhalten füllten, gehört mit zum Pointiertesten, was zur (echten oder vermeintlichen) Dichotomie ›Nationalliteratur‹ versus ›Weltliteratur‹ in den letzten Jahren publiziert wurde.

[8] 

Ein Kuriosum des Bandes bilden die beiden letzten Aufsätze, die sich beide mit Bob Dylan befassen. Heinrich Detering, der aufgrund mehrerer Monographien über den Großmeister der Rock-Ballade gelegentlich schon als »Dylaner« gehandelt wird, arbeitet Motive der antiken Mythologie heraus, Manfred Siebald versucht, die »zahllosen intertextuellen Bezüge zu Altem und Neuem Testament« (S. 141) nachzuweisen. Ein Unterfangen, das – wie so oft bei Ausgangstexten, die wie die Bibel zum kulturellen Gemeingut gehören – reichlich spekulativ bleibt. Auch bei diesen letzten Beiträgen bleibt der »interkulturelle« Bezug vage.

[9] 

Fazit

[10] 

Es ist ein Verdienst des Bandes, die Frage nach interkulturellen Bezügen von Literatur am konkreten (Einzel-)Beispiel zu stellen und zu untersuchen. Zu wenig gesehen wurde dabei allerdings, dass die Frage nach der ›Weltliteratur‹ in einer zunehmend globalisierten Gesellschaft, in der immer seltener ästhetische und immer häufiger ökonomische Kriterien über interkulturelle Prozesse entscheiden, einer verstärkten theoretischen Anstrengung bedarf, der man nur durch einen genauen Fokus, sprich: mit einer klaren und pointierten Themenstellung begegnen kann.

 
 

Anmerkungen

Vgl. seine Essaysammlung Essais de littérature (vraiment) générale, Paris. Gallimard, 1974, darin vor allem: Faut-il reviser la notion de Weltliteratur? (1966).   zurück
Vgl. z.B. Sturm-Trigonakis, Elke: Global playing in der Literatur. Ein Versuch über die Neue Weltlliteratur. Würzburg, Königshausen & Neumann, 2007; sowie die Anthologie: D’haen, Theo / Domínguez, César / Rosendahl Thomsen, Mads (Hg.): World literature: a reader. London, Routledge, 2013 (darin vor allem die Beiträge von Pascale Casanova und David Damrosch).   zurück