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Pracht und Technik der Buchmalerei des 15. Jahrhunderts am Beispiel der Bayerischen Staatsbibliothek

  • Jeffrey Hamburger (Hg.): Bilderwelten. Buchmalerei zwischen Mittelalter und Neuzeit. Katalogband zu den Ausstellung in der Bayerischen Staatsbibliothek vom 13. April 2016 bis 24. Februar 2017. (Buchmalerei des 15. Jahrhunderts in Mitteleuropa 3) Luzern: Quaternio Verlag 2016. 256 S. 280 Abb. Broschiert. EUR (D) 39,80.
    ISBN: 978-3-905924-49-7.
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Unter dem malerischen Titel Bilderwelten begleitet und verstetigt der Katalogband die gleichnamige Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek. Diese stellt erstmals die deutsche Buchmalerei eines Jahrhunderts ins Zentrum einer Ausstellung. Die Münchner Schau selbst ist zentraler Teil des institutionenübergreifenden Themas Meisterwerke der Buchmalerei des 15. Jahrhunderts in Mitteleuropa, das in zehn Satellitenausstellungen in Deutschland, der Schweiz und in Österreich gezeigt wird. Eine Übersicht über die jeweiligen Ausstellungskataloge befindet sich am Ende des Bandes.

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Vorweg noch eine Anmerkung: Auch wenn hier nur die Besprechung eines Katalogbandes erfolgen soll, kann der Katalog nicht gänzlich ohne die Ausstellung besprochen werden. Da in diesem Band alle Exponate der Ausstellung abgedruckt werden und dies auch in der Reihenfolge geschieht, wie sie in der Ausstellung präsentiert werden, erscheint mir insbesondere im Umgang mit der Konzeption und den Exponaten eine allzu strenge Trennung zwischen beiden Präsentationsformen zu gekünstelt.

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Konzeption der Ausstellung und Aufbau des Katalogbandes

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In ihrer Einleitung zeichnet Claudia Fabian die Entwicklungsgeschichte und Realisierung der Ausstellungsidee nach. War zuerst ein »reiner Höhenkamm« (S. 14) aus Spitzenstücken deutscher Buchmalerei aus verschiedenen Sammlungen geplant, wurde stattdessen aufgrund veränderter Rahmenbedingungen die Breite deutscher Buchkunst des 15. Jahrhunderts aus den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek, einer der reichhaltigsten Sammlungen von Handschriften und Drucken weltweit, zum Inhalt. Die Ausstellung besteht aus drei nacheinander stattfindenden Etappen: Den Auftakt macht die Teilausstellung »Luxusbücher«, gefolgt von »Ewiges und Irdisches«. Die Ausastellung »Aufbruch zu neuen Ufern« schließt die Folge ab. Jede Teilausstellung wird in zwei Räumen (»Schatzkammer 1« und »Schatzkammer 2«) präsentiert, der jeweils wieder ein Unterthema vorangestellt ist. Zeitlich erstrecken sich die Exponate zwischen dem astrologischen Codex König Wenzels aus dem Jahr 1400 bis zum Turnierbuch von Hans Burgkmair dem Jüngeren, das um 1540 in Augsburg entstanden ist.

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Die erste Teilausstellung »Luxusbücher« steht dem ursprünglichen Konzept am nächsten, wird doch hier der Bilder-Reichtum des 15. Jahrhunderts anhand von Spitzenstücken dargestellt. Die zweite Teilausstellung »Ewiges und Irdisches« zeigt zum einen verschiedene Ausprägungen von Gebets- und Andachtsbüchern. Zum anderen wird anhand von Wappenbüchern, Rechtsbüchern, Chroniken und Werken über die Fecht- und Kriegskunst »Die Welt der letzten Ritter« illustriert. Die dritte Teilausstellung »Aufbruch zu neuen Ufern« thematisiert die Innovationen dieser Epoche. Im ersten Raum werden neue literarische, medizinische, astronomische und astrologische Werke präsentiert sowie die deutlich veränderte und erweiterte Sicht auf die Welt thematisiert. Das Gebetbuch Maximilians I. ist der Höhepunkt dieses Kapitels. Der zweite Block widmet sich der »Bibel von Karl dem Großen bis Martin Luther«.

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Der Katalog übernimmt die Dreigliedrigkeit der Ausstellung. Auch den beiden Ausstellungsräumen wird im Band Rechnung getragen, indem jeweils die gemeinsam gezeigten Exponate nacheinander präsentiert und beschrieben werden. Selbst die Farbwahl der Ausstellung (die erste in blau, die zweite in rot, die dritte in grün) ist im Katalogband übernommen und trägt zur Übersichtlichkeit bei. In flankierenden Kurzaufsätzen wird grundlegendes Hintergrundwissen zum Verständnis der Exponate in ihrer Zeit und ihrer Zusammenstellung aufbereitet. Hierfür gehen die Autoren über die Exponate der Ausstellung hinaus und zeigen wichtige Inhalte auch an anderen in der Bayerischen Staatsbibliothek aufbewahrten Illustrationen. Die Hintergrundtexte zu den einzelnen Aspekten der Buchmalerei sind zwar einzelnen Teilkapiteln zugeordnet, insbesondere die Essays des ersten Kapitels dienen aber dem Verständnis des gesamten Kataloges. 1 Im zweiten und dritten Teilkapitel sind sie passgenau auf die Themen der zugeordneten Exponate abgestimmt.

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Exponatbeschreibungen

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Alle Exponate werden qualitativ sehr hochwertig abgedruckt. Häufig werden Detailausschnitte neben den eigentlichen Exponaten nochmals vergrößert wiedergegeben, wodurch die Anschaulichkeit weiter erhöht wird. Bei machen Exponaten werden eindrückliche Detailzeichnungen einer anderen Seite zusätzlich abgedruckt oder mehrere Seiten eines Werkes präsentiert. In diesem Punkt ist der Katalog der Ausstellung, die jeweils nur eine Seite des Bandes präsentieren kann, natürlich überlegen. Die Exponate werden sehr übersichtlich nach dem gleichen Muster beschrieben. Die Exponatbeschreibungen sind in zwei Spalten geteilt. Links werden wesentliche Informationen zur Einordnung der Handschrift an sich gegeben. In einem zweiten Absatz folgen die Bildbeschreibungen. Die rechte Spalte enthält jeweils Entstehungsort und -zeit des Werkes, sowie Beschreibstoff, Blattanzahl und Originalgröße des Werkes. Darunter werden die Kategorien Sprache, Buchschmuck, Einband, Provenienz und Literatur abgehandelt. Querverweise werden gut sichtbar in den jeweiligen Farben der Teilausstellung angegeben.

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Kapitel 1: Luxusbücher – die Highlights

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Das erste Kapitel wird mit den beiden Kurzaufsätzen von Robert Suckale und Gude Suckale-Redlefsen »Ist Buchmalerei Kunst?« und »Bayern, Herz Europas« eingeleitet. Beide Hintergrundtexte haben derart grundlegenden Charakter, dass sie als thematische Einleitung für den gesamten Band gelten können. Im ersten Essay wird das mittelalterliche Verständnis der Buchmalerei als höchste Aufgabe der Kunst mit dem auf Autonomie ausgerichteten Kunstbegriff der Moderne kontrastiert. Suckale und Suckale-Redlefsen zeigen auf, dass sich im Spätmittelalter die Funktion der Buchmalerei entscheidend veränderte: Von der reinen Bebilderung von Texten hin zu deren Erklärung und Interpretation. Die Emanzipation der Miniaturmaler vom Handwerker zum Künstler ging damit einher.

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Die beiden Autoren liefern viele grundlegende Informationen zur Welt spätmittelalterlichen Handschriftenillustrationen. Sie erläutern die materiellen Voraussetzungen, geben Einblicke in die Arbeitsabläufe des arbeitsteilig ausgeführten Buchschmucks und thematisieren die zur Illustration verwendeten Techniken. Etliche Beispiele für die verschiedenen Mal- und Zeichentechniken sind im Katalog enthalten und werden entsprechend angeführt, so dass der Leser diese Vielfalt gut nachvollziehen kann.

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Anschaulich schildern die Verfasser, wie sich im Spätmittelalter nicht nur die Darstellungstechniken sondern auch die Inhalte enorm erweiterten. Die Künstler bemühten sich nicht mehr nur bereits bestehende Bilder in ihr Repertoire aufzunehmen, sondern auch neue, eigene Vorlagen zu erschaffen. Auch durch die Rezeption von Vorbildern aus Frankreich, den Niederlanden, Italien und den anderen Teilen Deutschlands wuchs die Fülle der Ausdrucksmöglichkeiten enorm. Mit dem Musterbuch von Stephan Schriber zeigt der Katalog eines der selten erhaltenen Musterbücher, in denen das Repertoire einer Werkstatt aufgeführt wird. Mit zwei Illustrationen des Meisters Martin aus Regensburg präsentiert der Katalog zudem einen besonders bedeutenden Künstler dieser Aufbruchsgeneration.

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Die politische Geschichte auf Reichs- und auf Landesebene und ihren Einfluss auf die Buchmalerei wird im zweiten einleitenden Essay behandelt. Besondere Bedeutung messen Suckale und Suckale-Redlefsen hierbei König Wenzel zu, der um 1400 zu den innovativsten Handschriftenmäzenen Mitteleuropas zählte. Er bereitete den Weg für die Verbreitung der böhmischen Kunst im wittelsbachischen Einflussgebiet, die sein Vater explizit abgelehnt hatte. Zudem beauftragte er gegen kirchliches Verbot die erste Übersetzung des Alten Testaments ins Deutsche und stieß damit einen Prozess an, der in Luthers Bibelübersetzung kulminierte.

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Der Astronomisch-astrologische Codex König Wenzels, teils ganzseitig mit überaus prächtigen Bildern illuminiert, eröffnet den ersten Block der Exponate und darf als erster Höhepunkt des Kataloges gelten. Doch er ist bei weitem nicht das einzig hochkarätige Werk dieser Teilausstellung, gerade die erste Schatzkammer enthält so viele Spitzenstücke, dass hier nicht alle aufgeführt werden. Die nicht weniger eindrückliche Ottheinrich-Bibel führt die Reihe der Bibelübersetzungen fort, anhand der Grillinger-Bibel wird unter anderem der Einfluss der französischen und böhmischen Buchmalerei sowie der zeitgenössischen Tafelmalerei aufgezeigt. Mit der Tegernseer Haggadah wird eine reich illuminierte jüdische Handschrift präsentiert, deren Buchmalereien in einer christlichen Werkstatt angefertigt wurden.

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Unter dem Titel »Die Kirchenreformen im ausgehenden Mittelalter« erklärt Suckale in unterhaltsamem Stil die Rahmenbedingungen geistlicher Macht im Spätmittelalter (Was ist ein Bischof? Wer hatte Zugang zu geistlichen Ämtern? ...) und gibt einen Überblick über die verschiedenen erfolgreichen Teile der Klosterreform und deren Auswirkungen auf die Handschriftenproduktion ausgewählter Klöster.

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Das geistliche Leben des späten Mittelalters war einerseits vom Verfall der Kirchenzucht und Missbräuchen, andererseits von leidenschaftlicher Frömmigkeit geprägt. Die daraus resultierenden Reformbemühungen scheiterten zwar meist nach kurzer Zeit, nachhaltige Wirkung hatte jedoch die Klosterreform, die in Bayern um 1380 begann. Besondere Bedeutung kam hierfür den Benediktinerklöstern Tegernsee und St. Ulrich und Afra in Augsburg zu. Diese hatten sich den strengen Reformen angeschlossen, die zu Beginn des 15. Jahrhunderts im Kloster Melk an der Donau eingeführt worden waren. In den reformierten Liturgien wurden neue Handschriften gebraucht. Zum Teil wurden diese direkt in den Reformklöstern hergestellt. Daher verwundert es nicht, dass beide Klöster häufig als Provenienz der zugeordneten Exponate firmieren. Die Auswirkungen der Klosterreform auf das Kloster Tegernsee und dessen Handschriftenproduktion vertieft der Autor exemplarisch.

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Dem Autor gelingt es häufig, die allgemeinen Hintergrundinformationen an die Ausstellungsstücke rückzukoppeln. Gleich in mehreren Exponaten werden illustrierte Kopien der Texte von Hrabanus Maurus aus dem 9. Jahrhundert präsentiert. Suckale erklärt die Beliebtheit des karolingischen Abtes in vielen Reformklöstern mit der verstärkten Orientierung an der alterwürdigen Ordenstradition. Als Beispiel einer landesherrlichen Unterstützung der Klosterreform führt Suckale eine Abschrift der birgittinischen Ordensregel an, die in der Ausstellung gezeigt wird. Sie war ein Geschenk Herzog Georgs des Reichen von Bayern-Landshut an das unter seiner Mitwirkung neu gegründete Birgittenklosters, das anstelle eines nahezu verlassenen Benediktinerinnenklosters Altomünster ins Leben gerufen wurde.

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Abschließend blickt Suckale auf die Bücher, die für die Predigt verfasst wurden und konstatiert die besondere Beliebtheit von Fabeln und Exempla, die in die Predigt eingebaut werden konnten. Eine theologische Sammelhandschrift, die Suckale als Handbuch eines Pfarrers für Predigtzwecke versteht, steht exemplarisch für dieses Genre.

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Jeffrey F. Hamburger wirft unter dem Titel »Spätmittelalterliche liturgische Bücher« die Frage auf, warum im späten Mittelalter neue Liturgien und damit auch neue Darstellungen und Illustrationsprogramme notwendig wurden. Der Autor führt dies einerseits auf den liturgischen Wandel, der sich im Spätmittelalter verfestigte, zurück, andererseits auch auf das Aufkommen neuer Buchtypen für den Gottesdienstgebrauch. Während im Frühmittelalter für die verschiedenen Abschnitte der Messe jeweils einzelne Bücher üblich waren, wurden diese im Hochmittelalter in einem Codex vereint. Die Erfindung des Buchdrucks wirkte zudem verstärkend auf die Vereinheitlichung des Messritus.

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Auch hier gelingt es dem Autor häufig, die allgemeinen Entwicklungen anhand konkreter Exponate zu erläutern. So wird im Katalog eine Seite des mit 58 x 40 cm über aus großen Graduale des Münchner Angersklosters präsentiert. Das Graduale war Bestandteil der neuen liturgischen Handschriften dieses Klosters, die unter Äbtissin Katharina Adelmann Ende des 15. Jahrhunderts in Auftrag gegeben wurden. Hamburger erklärt die heute ungewöhnlich erscheinende Größe vieler liturgischer Bücher zum einen mit praktischen Erfordernissen (so dass mehrere Zelebranten zeitgleich darauf zugreifen konnten), aber auch als Bestandteil eines weitreichenden Programms luxuriöser Repräsentation, wenn damit Bedeutung und Reichtum eines Klosters zur Schau gestellt wurden. Sehr eindrücklich veranschaulicht Hamburger, welchen Aufwand allein das Pergament für solche großformatige Darstellungen bedeutete »jedes Blatt steht also für ein halbes Rind« (S. 75). Da das Graduale aus 212 Blättern besteht, versteht damit auch der Laie, welchen Wert allein der Beschreibstoff hatte.

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Neben den bereits erwähnten Exponaten zeigt die zugehörige Schatzkammer etwa mit den Grundzinsbuch von Raitenhaslach, dem Bruderschaftsbuch des Stiftes Zell oder dem Nekrolog der Regensburger Franziskaner über die Bibel und ihre Teilschriften hinausgehende illuminierte Texte aus klösterlichem Gebrauch. Mit dem Ulmer Machsor wird erneut über die christliche Religion hinausgewiesen. Auch hier waren christliche Buchmaler an der Ausschmückung des hebräischen Textes beteiligt.

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Kapitel 2: Ewiges und Irdisches – von Frommen und Rittern

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Unter dem Titel »Frömmigkeit im späten Mittelalter: Gebets- und Andachtsbücher« zeigt Jeffrey F. Hamburger in teilweise sehr humorvollem Ton den Hintergrund der Entwicklung des Gebetbuches im spätmittelalterlichen Deutschland auf: Nicht mehr die Quantität der gesprochenen Gebete sondern deren Qualität, die geistige Haltung des Betenden, war entscheidend. Daher musste der Betende den Text verstehen. Der immer größer werdende Anteil volkssprachlicher Gebetbücher war die Folge. Die Gebetbücher waren in Deutschland zwar selten bebildert, wenn sie es aber waren, dann auf sehr vielfältige Weise. Dies erläutert der Autor unter anderem anhand eines Gebetbuches aus Nürnberg, das zweimal im Katalog vertreten ist, und am überaus prachtvoll ausgestatteten Brevier Friedrichs III., das in die Luxusbücher der ersten Teilausstellung eingereiht wurde.

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Zudem erklärt Hamburger Aufkommen und Konzept von Drucken und Andachtsbildern als Ersatz für die teuren und aufwendigen Illuminationen. Mit dem Speculum humanae salvationis, einem typologischen Traktat zur Bibel, stellt er ein Beispiel für die Verwendung von eingedruckten kolorierten Holzschnitten in Handschriften vor, das in der anschließenden Schatzkammer gezeigt wird.

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Die Exponate halten, was der Titel verspricht. Es werden hauptsächlich reichhaltig verzierte Gebet- und Andachtsbücher präsentiert, die aber in ihrer Ausstattung und Materialität eine große Bandbreite aufweisen. Spitzenstücke sind zweifellos die sehr stattliche Mettener Armenbibel, die verschiedenste Zeichen- und Maltechniken in sich vereint sowie die Vita Sancti Simperti mit Miniaturen von Hans Holbein d. Ä.

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Der zweite Teil (»Schatzkammer 2«) der zweiten Teilausstellung stellt wie bereits erwähnt die Welt der Ritter ins Zentrum. Mit Turnierbüchern, die prächtige farbenfrohe Ritter vor dem Wettkampf und im Schlachtengetümmel zeigen, Fechtbüchern, die die genaue Körperhaltung beim Kampf bebildern und Feuerwerksbüchern, die nicht nur pyrotechnische Versuche, sondern auch Kriegsmaschinen und -geräte darstellen, werden wichtige Aspekte adliger Lebenswelt behandelt. Jeffrey F. Hamburger liefert in seinem Kurzaufsatz »Kriegs-Kunst: Bilderflut in Fecht- und Wappenbüchern« die theoretische Einordnung dieser neuen ruhm- und ertragreichen Genre und geht auf den Epochenwandel, den die Verwendung des Schießpulvers für die Kriegsführung bedeutete, ein.

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Mit der Schwäbischen Chronik Thomas Lirers, der Chronik des Landshuter Erbfolgekrieges von Andreas Zainer und der Chronik von allen Kaisern und Königen seit Christi Geburt wird die Geschichtsschreibung thematisiert. Die letztgenannte mag dem heutigen Betrachter etwas skurril erscheinen, steht jedoch typisch für das mittelalterliche Verständnis von Geschichte. Wie Jeffrey F. Hamburger, Robert Suckale und Gude Suckale-Redlefsen in ihrem Essay »Von der Schöpfung der Welt bis zur Gegenwart: Geschichtsbücher des 15. Jahrhunderts« erläutern, spielte die lückenlose Aufzeichnung der Genealogie von Adam bis Christus eine wesentliche Rolle. So war das am stärksten verbreitete Geschichtsbuch des Mittelalters die sog. Genealogia Christi, eine Zusammenfassung des Bibelwissens, die Petrus von Poitiers zusammengestellt hatte. Die Autoren betonen, dass Geschichte auch im 15. Jahrhundert noch als Heilsgeschichte begriffen wurde, die mit der Schöpfung begann und mit der Jüngsten Gericht endete und erklären sehr eingängig, warum zwischen Sage und Geschichte nicht unterschieden wurde. Anhand der Schwäbischen Chronik von Thomas Lirer zeigt das Verfassertrio die für das späte 15. Jahrhundert typische Verknüpfung von Welt-und Regionalgeschichte. Diese Chronik ist sowohl als Handschrift als auch als Druck erhalten und stellt somit auch ein Beispiel für die enge Verbindung dieser beiden Buchformen dar.

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Zwei Exponate, ein Druck der Dekretalen Gregors IX. und eine glossierte Handschrift des Decretum Gratiani, eröffnen den Themenkreis des kirchlichen Rechts. Dieser wird von Jeffrey F. Hamburger unter dem Titel » Rechtsbücher im deutschsprachigen Raum« behandelt.

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Kapitel 3: Aufbruch zu neuen Ufern – die Welt weitet sich

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Der erste Abschnitt (»Schatzkammer 1«) des dritten und abschließenden Kapitels stellt neue Zugänge zur Welt ins Zentrum. So werden verschiedenartige astronomische, astrologische und medizinische Werke gezeigt, ein Arzneipflanzenbuch erfreut mit seiner eindrücklichen Alraunendarstellung. Jeffrey F. Hamburger erklärt in seinem Essay »Wissenschaften und Pseudo-Wissenschaften: Der Mensch und die Sterne« die enge Verknüpfung von Wissen und (Aber-) Glauben und erläutert die große Bedeutung des Kalenders für den mittelalterlichen Menschen. Die beweglichen Kirchenfeste mussten zwingend am richtigen Tag gefeiert werden, auch bei ärztlichen Diagnosen wurde der Kalender berücksichtigt. Hamburger betont die wichtige Rolle, die Astrologen an herrschaftlichen Höfen zukam und thematisiert die Astrologiefixierung König Wenzels, die in seinem astronomisch-astrologischen Codex ersichtlich wird. Dieser Codex wird in diesem Kapitel erneut präsentiert. Anschaulich beschreibt der Verfasser die Verbindung von Medizin und Astronomie, die vor allem für die weit verbreitete Praxis des Aderlasses wichtig war. Denn der Aderlass musste zur richtigen Zeit an den richtigen Körperstellen erfolgen und dafür mussten die Sterne günstig stehen.

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Neben den »wissenschaftlichen« Darstellungen werden unter anderem mit dem Welschen Gast von Thomasin von Zerklaere, dem Schachzabelbuch, dem Ring Heinrich Wittenwilers und dem Jüngeren Titurel literarische Werke präsentiert. In seinem Essay »Was ein junger Mensch hören und lesen soll – Deutsche Literatur im 15. Jahrhundert« geht Jeffrey F. Hamburger auf diese Textgattung ein. Er erläutert anschaulich die enormen Auswirkungen, die der Einzug des Papiers auf die Buchproduktion, aber auch auf die Leserschaft, die Ausstattung der Bücher und sogar auf deren Inhalte hatte. Durch den günstigeren Beschreibstoff erschlossen sich neue Rezipientenkreise, denn jetzt konnten sich nicht mehr nur wohlhabende Adlige ein Buch leisten. Mit der skizzenhaften Federzeichnung entstand zudem eine neue Form der Buchillustration. Die korrekte Wiedergabe etablierter Vorlagen trat in den Hintergrund, Wasserfarben ersetzten die Deckfarben.

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Anhand des Traktats De ludo scaccorum einer Abhandlung über das Schachspiel, die 1337 von Konrad von Ammenhausen als Schachzabelbuch in deutsche Verse gegossen wurde, zeigt Hamburger, wie mittelalterliche Texte auf ihre beabsichtigte Leserschicht hin zugeschnitten wurden. Im Katalog wird eine sehr luxuriös ausgestattete Variante dieser Abhandlung präsentiert. Hamburger kontrastiert sie mit einer schlichteren Papierausgabe, deren Federzeichnungen einen »bodenständigen Humor« (S. 170) wiedergeben. Dazu hätte man sich eine Abbildung gewünscht, zumal sich der entsprechende Codex im Besitz der Bayerischen Staatsbibliothek befindet.

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Zwei Kartendrucke, ein Erdglobus von Martin Waldseemüller und der älteste gedruckte moderne Atlas stehen auch symbolisch für die große Welt, die nun in die bislang meist doch sehr überschaubaren Lebenswelten mittelalterlicher Menschen eindrang. Karl-Georg Pfändtner skizziert in seinem Essay »Die Entdeckung der Welt im Großen und im Kleinen« sehr farbenfroh, wie diese Welt sich weitete: Durch (Pilger-) Reisen, die vermehrt möglich wurden (selbstverständlich nur für die Elite, die nun aber nicht mehr nur aus Adligen bestand), verstärkten Handel oder durch Studenten, die in Bologna, Padua oder Paris studierten, erfuhr man von der Welt. Humanisten vernetzten sich europaweit, Reiseberichte wurden gedruckt und Dürer schnitt das Rhinozeros. Über Bilder und Zeichnungen konnten exotische Tiere, Pflanzen und Güter ebenso wie Menschen aus anderen Kontinenten bewundert werden. Ihren künstlerischen Niederschlag fand dieser Wandel aber nicht nur in den neuen Sujets, sondern auch in der Erweiterung der Stilelemente. Das Musterbuch von Stephan Schriber wird im Katalog erneut als sehr anschauliches Beispiel für die Beherrschung verschiedener Kunststile präsentiert.

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Unumstrittener Höhepunkt dieses Kapitels ist das Gebetbuch Kaiser Maximilians I. Das Werk gehört mit Zeichnungen unter anderem von Albecht Dürer und Lucas Cranach d. Ä. »zu den berühmtesten Werken der europäischen Kunst« (S. 178). Die beiden Teile des Gebetbuches wurden in der Münchner Ausstellung nach Jahrhunderten erstmalig wieder vereint. 2 Hier lassen sich die von Pfändtner beschriebene Sujeterweiterung aufs anschaulichste wiederfinden: Auf den im Katalog abgedruckten Seiten zeichnete unter anderem Hans Burgkmar der Ältere einen Elefantenreiter und einen Palmenkletterer, Albrecht Dürer einen malaiischen Einwohner auf Sumatra nebst Schnecke und exotischer Vögel.

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Konkurrierten im bisherigen Katalog Materialität und Ausgestaltungstechnik der Exponate stets mit ihren Inhalten und namhaften Verfassern, sind sie im abschließenden Teil zentral. Inhaltlich wird mit der Bibel immer der gleiche bekannte Text präsentiert, so dass die Aufmerksamkeit nun ganz auf dessen Präsentation und Illustration gelenkt wird. Durch die große zeitliche Bandbreite der präsentierten Exponate »von Karl dem Großen bis Martin Luther« sprengt dieser Abschnitt den bisherigen Rahmen, der sich ja im Wesentlichen auf das 15. Jahrhundert beschränkte. In ihrer Einleitung erklärt Claudia Fabian, dass mit diesem Abschluss »eine aktuelle Brücke in das Jahr 2017, die 500-Jahr-Feier der Reformation« (S. 15) geschlagen werde. Den Auftakt macht die nur spärlich verzierte Tournische Bibel aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts. Mit der Bibel Heinrichs IV. wird ein Beispiel der sogenannten Riesenbibeln präsentiert. Eine Pariser Normbibel aus dem 13. Jahrhundert steht für die serielle Produktion mit ihrem typischen, jahrhundertelang maßgeblichen Illustrationschema. Mit einer Gutenbergbibel wird ein Exemplar des ersten mit beweglichen Lettern gedruckten Buches präsentiert und damit die sogenannte Medienrevolution angeschnitten. Mit dieser setzt sich Bettina Wagner in ihrem Essay »Zum Medienwandel in der Buchillustration des 15. Jahrhunderts« ausführlich auseinander. Sie beschreibt den Übergang von der handschriftlichen Buchherstellung zum Druck als allmählichen jahrzehntelangen Ablösungsprozess, der keineswegs linear verlief. Insbesondere die Schwierigkeit, bebilderte Texte zu drucken, führte zu langen Experimenten und zahlreichen Mischverfahren. So ist die genannte Gutenbergbibel mit gemalten Miniaturen verziert. Wie die Autorin anschaulich erklärt, bot sich gerade für Werke kleineren Umfangs mit vielen Bildern und relativ wenig Text der Blockdruck an, bei dem Texte und Bilder zusammen in einen Holzblock geschnitten wurden. Hohe Auflagen in kurzer Zeit konnte man damit aber wiederum nicht erreichen. Mit der Kobergerbibel wird ein Beispiel einer gedruckten Bibel mit kolorierten Holzschnitten präsentiert. Als Besonderheit wurden einige Exemplare dieser Bibeln neben den zahlreichen Holzschnitten noch zusätzlich von Hand mit Buchschmuck verziert. In den illustrierten Bibeln des 15. Jahrhunderts, so resümiert Wagner, werde die Gleichzeitigkeit traditioneller und neuer Techniken bei der künstlerischen Ausschmückung von Büchern besonders gut sichtbar.

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Karl-Georg Pfändtner gibt unter dem Titel »Das Buch der Bücher – Text und Bilder der Bibel bis zu Martin Luthers Biblia deutsch« einen Überblick über Genese und Geschichte der Vulgata und ihrer mittelalterlichen Revisionen. Dabei bezieht er die oben genannten Exponate der zugehörigen Schatzkammer mit ein. Pfändtner erläutert die vielfältigen Voraussetzungen, die die starke Zunahme der Bibelproduktion ab dem 14. Jahrhundert und ihre Übersetzung in die Volkssprache begünstigten und skizziert diese Entwicklung bis zu Biblia deutsch von Martin Luther von 1545/46.

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In einem zweiten Schritt wendet sich der Verfasser den Bibelillustrationen zu und zeigt, dass die Tradition von Prachtausgaben der Bibel bereits in der Spätantike einsetzte. Seit dem 14. Jahrhundert wurde auch eine umfangreichere Bibelausstattung verlangt und damit den Lesern neben dem reinen Text eine weitere Zugangsmöglichkeit geschaffen. Mit der um 1430 verfassten Ottheinrich-Bibel und der um 1470 entstandenen Münchner Furtmeyr-Bibel werden zwei besonders reichhaltig illuminierte Teilübersetzungen präsentiert. Mit einer überaus prächtigen, von Lucas Cranach d. J. ausgeschmückten Lutherbibel schließt sich der Kreis der Ausstellungsstücke. Mit diesem Kulminationspunkt der von ihm mit angestoßenen Bibelübersetzungen steht König Wenzel nicht nur am Anfang, sondern auch am Ende dieser Ausstellung.

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Eine Zeittafel, ein Personenregister, das Verzeichnis der erwähnten Handschriften und Drucke sowie das Verzeichnis der Exponate schließen die Veröffentlichung ab.

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Zusammenfassend lässt sich der Katalog als sehr gelungen bezeichnen. Ganz im Geist seiner reich bebilderten Ausstellungsstücke spart er nicht an hochkarätigen Abbildungen. So wird sogar das Exponatverzeichnis mit einer Illustration geschmückt. Indem teilweise mehrere Seiten eines Exponates abgedruckt werden, geht der Katalog noch über die Ausstellung hinaus und etabliert umso mehr seinen Platz als eigenständiges auch von der Ausstellung losgelöstes Werk. Die Essays sind thematisch gut gewählt und geben selbst kunsthistorisch unvorbelasteten Lesern gute Einblicke in die inhaltlichen und künstlerischen Kontexte der Exponate. Auch wenn die Kurzaufsätze mit zusätzlichem Bildmaterial aufwarten, sind viele Erklärungen so anregend, dass sich der Leser immer noch mehr Abbildungen wünscht. So hätten vermutlich viele Leser gerne noch die von Jeffrey F. Hamburger beschriebenen Tiere mit Raketenantrieb (S. 139) gesehen, aber natürlich gibt es selbst in solch einem Band Grenzen. Auch wären manche zusätzlichen Abbildungen mit Querverweisen auf die entsprechenden Seiten noch besser zu finden gewesen. Dies soll jedoch nicht den Gesamteindruck schmälern. Der nicht nur inhaltlich reichhaltige sondern auch überaus ästhetische Katalog ist ein wahres Fest für die Augen.

 
 

Anmerkungen

Den Herausgebern ist es durchaus bewusst, dass die Zuordnung der ersten Hintergrundtexte zum ersten Kapitel etwas künstlich wirkt. Die Entscheidung war wohl im Hinblick auf den Aufbau des Buches nicht zuletzt ästhetischer Natur. Vgl. S. 16.

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Der zweite Teil dieses Gebetbuches befindet sich im Besitz der Stadtbibliothek Besançon und ist das einzige Leihstück der Ausstellung und des Katalogbandes.

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