IASLonline

Über Gärten und Gräber

  • Annette Dorgerloh / Michael Niedermeier / Marcus Becker (Hg.): Grab und Memoria im frühen Landschaftsgarten. Paderborn: Wilhelm Fink 2015. 318 S. Kartoniert. EUR (D) 39,90.
    ISBN: 978-3-7705-5442-3.
[1] 

Viele der frühneuzeitlichen Landschaftsgärten schmücken nicht nur schöne Blumenrabatten und Gehölzanpflanzungen, sanft geschwungene Wegeführungen oder baum- und gesträuchgelenkte Sichtachsen, sondern bieten eine ganz eigentümliche Besonderheit: das Gartengrab. Dieses hatte zumindest insofern eine längere Tradition, als Grabmale und Grabdenkmale bei der Inszenierung von Landschaften überaus wichtige Gestaltungsbestandteile und die überaus künstlerisch angelegten Landschaftsgärten geradezu »Leitmedien« (S. 7) der Statuspräsentation und Statusabsicherung ihrer Besitzer geworden waren. In der 2. Hälfte des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts folgten Mächtige der Welt, Könige, Fürsten oder Feldherren, aber auch Zaren und nordamerikanische Präsidenten der schon länger in aufklärerischen Texten, arkadischen Epen und bukolischen Bildwerken immer wieder melancholisch ins Bild gesetzte Vorstellung, für die jeweilige letzte Ruhestätte nicht mehr wie bisher Kirch- und Friedhofsgrüfte zu wählen, sondern die Landschaft. Sie gestalteten nun vermehrt ihre Grablegen in die Gärten und Parks ihrer Landsitze hinein. Bislang hatte man in Folge einer neuzeitlichen Rezeption und Transformation der Antike meist nur für mythische Gestalten eindrucksvolle Tumuli aufschütten oder Pyramiden errichten lassen. Fortan wollte man aber nicht mehr nur ein Remus-Grab oder eine Vergil-Gruft im eigenen Gartenreich haben, sondern selber unter den alten Eichen, auf einer künstlichen Insel oder in Sichtbeziehungen zu diesem oder jenem Bezugspunkt begraben liegen. Durch die »Strategien des Überdauerns«, wie Annette Dorgerloh diese Kulturtechnik benennt, wurden Memorialleistungen für die eigene Person aus den Grabkirchen in arkadisch gestaltete Landschaften verlegt. Und im Grunde war auch das eine antike Reminiszenz, hatten doch vor der spätantiken Revolution in den Begräbnispraktiken durch das Christentum die paganen Kulturen die Landschaften außerhalb der Städte als Bestattungsplätze belegt. 1

[2] 

Die Beiträge des Bandes, die auf eine Tagung vom Mai 2010 zurückgehen, spiegeln die Vielfältigkeit des Phänomens deutlich wider. Die Tagung war ausgerichtet worden vom Teilprojekt B 4 des Sonderforschungsbereiches 644 Transformationen der Antike, dem Horst Bredekamp, Annette Dorgerloh, Michael Niedermeier und Marcus Becker angehörten und das sich mit Angestammten Antiken, der Erfindung des »englischen« Gartens und seinen Voraussetzungen beschäftigte. Der Beobachtung, dass die Wurzeln des modernen »englischen« Landschaftsgartens in Europa bis in die italienische Renaissance zurückzuverfolgen sind, weil ihnen eine genealogiebezogene politische Besetzung der Landschaft schon in italienischen Gärten wie Bomarzo eigen war, sei untersetzt worden von belegten Aussagen vornehmer englischer Gartenbesitzer, dass sie die Bilder der ausgewilderten Renaissancegärten mit nach Britannien genommen hätten, um aus diesem Bildreservoir hier ihre arkadischen Landschaften zu gestalten. Und sie taten das ebenfalls mit je eigener familienpolitischer Ausrichtung. Ein direkter Anschluss an die aufklärerischen Debatten einer kathartisch wirkenden schönen Landschaft und ein damit verbundenes Ideal der Wiederkehr eines Goldenen Zeitalters erfolgte im 18. und frühen 19. Jahrhundert durch eine Rückbindung der »antiken« Argumentation an ein ganzes Reservoir von eigenen »antiken« Vorgeschichten. Dabei versuchten die Herrscherhäuser über die Inszenierung der Grabanlagen in ihren Gärten die sich in den Aufklärungsdiskursen entwickelnden patriotischen Erzählungen über die »Freiheiten« der heimischen Landschaften plausibel an die jeweilige Strategie des eigenen Familienstammes anzuschließen. Über das Denkmal der arkadischen Grabanlage sollte die »antike« Vorgeschichte des eigenen Herrschaftsgebietes unmittelbar mit der Legende der ursprünglichen natürlichen Verwurzelung des eigenen Geschlechts in der Landschaft sinnlich nachvollziehbar behauptet werden.

[3] 

Folgerichtig zielt der erste Buchbeitrag auch zunächst auf Italien und einen Garten des Cinquecento. Horst Bredekamp zeigt in Bomarzo – Neues vom ältesten Landschaftsgarten, wie Vicino Orsini mit der Gestaltung des Gartens sein Geschichtsbild inszenierte. Indem die Gartenanlage künstliche Ruinenreste einer angeblichen Nekropole der alten Etrusker als signifikante Belege landschaftsprägend in Stellung brachte, wollte Orsini die erhabenere, weil über das antike Rom noch hinausgehende ältere Abstammung der Orsinis unmittelbar aus der Landschaft ableiten. Der Aufsatz bietet zudem mit der kommentierten Übersetzung des die Ideenwelt des Gartens reflektierenden Orsini-Gedichts Capitolo del Broschetto den wesentlichen Beleg für die beabsichtigte semantische Ausgestaltung des ältesten Landschaftsgartens. Demnach zielte Orsini nicht einfach nur auf eine visionäre Inszenierung einer Wiederkehr, sondern der »Überbietung des Goldenen Zeitalters« (S. 33). Danach sah er wie seine epikureischen Vorfahren in Sexualität und Tod die »semantische Kraftzentren« seiner, gegen das Rom seiner Zeit gerichteten Landschaftsgestaltung. Salvatore Pisani schärft in seinem Beitrag Qui cineres? Vergils Grab am Prosillip zwischen literarischer Erinnerung und politischer Mnemo-Topographie die Sensibilität dafür, dass serielle Deutungen solcher Gartendenkmäler fehlgehen können und nur die jeweiligen konkreten Sinnzuschreibungen das Verständnis von, wie in diesem Falle, der Verdinglichung einer poetischen Erinnerung ermöglichen. Denn ein neapolitanisches Vergilgrab war nicht als Vermehrung von Sehenswürdigkeiten für Besucher auf der Grand Tour gedacht, sondern reihte sich ein in eine Abfolge von antispanischen Gesten der Stadtkommune gegen ihre Besatzungsmacht.

[4] 

Richtungsweisend und von genereller Natur ist der Beitrag von Annette Dorgerloh: Von der Todesfurcht zum Trost in der Natur. Grundlagen für die Entwicklung von Gartengräbern im aufgeklärten Zeitalter, denn sie zeigt, welche geistigen Rahmenbedingungen überhaupt dazu geführt haben, den Landschaftsgarten als nun ideale Bestattungsorte zu sehen. Im Grunde waren dazu sowohl ein tiefgreifender Wandel der religiösen Anschauungen als auch der jeweiligen Natur- und Traditionsverständnisse nötig. Dass dabei nicht nur antike Motive rezipiert, sondern auch transformiert wurden, dass die klassisch-heroische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts bildlich vorprägte, was im 18. Jahrhundert dann im Landschaftsgarten eine weitere Dimension erhielt, zeigt einmal mehr, wie vielschichtig die Gründe für eine neue, zugeschriebene »Tröstungsfunktion« (S. 90) der Natur waren.

[5] 

Die Beiträge von Sascha Winter: Arkadische Memoria um 1700. Kollektives Totengedenken des Pegnesischen Blumenordens im Irrhain bei Nürnberg, Michael G. Lee: The Democratization of Death. Presidential Gravesites and Pilgrimage in the Early American Republic (Jeffersons Monticello und Washingtons Mount Vernon), Anna Ananieva: Mausoleum ohne Körper. Zur gartenarchitektonischen und gartenliterarischen Inszenierung des Gedenkens an einen ermordeten Imperator (Pavlowsk bei St. Petersburg) und Clemens Alexander Wimmer: Der Wandel des Beisetzungsrituals am Beispiel des Charlottenburger Mausoleums verweisen anhand ihrer, auf reicher Materialgrundlage gut begründeten Fallbeispiele auf den Facettenreichtum und die Bandbreite des Phänomens in Bezug auf die jeweiligen Fürstengrablegen und die historischen und länderspezifischen Sinnzusammenhänge der Antike-Transformationen. Bei Marcus Becker: Nicht in die Mumiengruft! Kein Grabmal und zwei Kenotaphe für Julie von Voß ist nachlesbar, wie die Beisetzung und Grabmalplanungen für die Mätresse des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. von der Zu- oder Abnahme des Einflusses verschiedener Fraktionen der Hofpolitik abhingen. Dass seinerzeit die Phantasie der Grab- und Landschaftsplaner auch vor noch so abenteuerlichen Antikerückgriffen nicht zurückschreckte, zeigt Michael Niedermeier in seinem sehr umfangreichen Aufsatz: Sport und Tod. Das Drehbergfest bei Wörlitz und die Bedeutung des Totenagons für die Gartengrabentwicklung. Hier wollte am Ende des 18. Jahrhunderts der Fürst von Anhalt-Dessau in Anknüpfung an die den Aufklärern verfügbare Troja-Legende und den Pelops-Grab-Mythos der antiken Romgründung eine eigene semantische Besetzung der Landschaft um seinen Landsitz in Wörlitz dauerhaft an die Seite stellen. Er habe das mit größtem Aufsehen vermocht, indem er dazu mit aufklärerisch-pädagogischem Gestus hier bereits seit alters her vorhandene frühgeschichtlicher Grab- und Burganlagen in die Inszenierung von Sport-und Volksfeste zu implementieren vermochte. Die über die nach Art der olympischen Spiele funktionalisierte Beanspruchung von raumgreifenden ritualisierten Totenwettkämpfen sei als eine topographische Besetzung der Landschaft vollzogen worden, die eine im Volke überlieferte germanisch-slawische Vorgeschichte in den Dienst der eigenen Legitimation und Herrschaft nahm. Von der Grablege des Fürsten von Anhalt-Dessau sei eine direkte Tradierung über die Wunderkreise, Trojaburgen und Friesen-Hügel der Turner um »Turnvater« Jahn bis hin zur nunmehr völkisch intendierten Gestaltung des Olympiastadions in Berlin nachvollziehbar, da das Reichssportfeld ganz gezielt auf einem angeblich semnonischen Gräberfeld angelegt worden sei. In der Langemarckhalle des Olympiastadions wurde im Fußboden, angeblich blutgetränkte Erde vom Schlachtfeld bei Langemarck eingestellt, um anhand der niedergebombten jungen Soldaten den internationalen Sportwettkämpfen eine raunende völkische Heldenverehrung und einen germanisch-mythischen Opferkult zu unterlegen.

[6] 

Mehr losgelöst von Bildern und Texten und hin zum Klang führt der Beitrag von Joachim Kremer: Trauer, Erinnerung und Trost – Musikalische Memoria in der Frühen Neuzeit, der einen Streifzug durch die musikalische Memoria von 1500 bis 1800 anhand von Musikbeispielen bietet. Als besonderes Bonbon zu diesem Beitrag ist dem Band eine CD beigelegt. Dort hört man dann aus Georg Philipp Telemanns Serenata auf den Tod Augusts des Starken: »Dein Sachsen ruft dich winselnd wieder / jedoch nur mit vergebnem Ach!« Ein vergebnes Ach mag dem Leser vielleicht auch manche Abbildungen entlocken, denn die »Verbriefmarkung« der Bilder ist dem Verständnis immer dann hinderlich, wenn man – etwa wie bei einigen Gartenplänen oder Grabmonumenten – schwer oder gar nicht erkennen kann, was man eigentlich erkennen soll.

[7] 

Alles in allem liegt hier ein überaus fundierter und innovativer Band vor, dessen Beiträge eines ganz deutlich zeigen: die Gartenkunst und die Gräber darin waren keine Laune oder Spielerei, mögen ihre Kompositionen mitunter noch so spielerisch dahergekommen sein. Sie sind politisch motiviert. Legitime Herrschaft rückwirkend behaupten und prospektiv sichern, das waren die zentralen Erwartungen, die sich einst mit den heute so schön anzuschauenden Gartenreiche und den darin errichteten Begräbnissen verbanden.

 
 

Anmerkungen

Vgl. dazu besonders Annette Dorgerloh: Strategien des Überdauerns. Das Grab- und Erinnerungsmal im frühen deutschen Landschaftsgarten, Düsseldorf 2012; Michael Niedermeier: Gedächtniskonstruktionen – Pyramiden und deutsche Adelsgenealogien in Literatur und Gartengestaltung, in: Pückler-Pyramiden-Panorama. Neue Beiträge zur Pücklerforschung, Cottbus 1999, S. 54–74; Ders.: Semantik: Ikonographische Gartenprogramme, in: Stefan Schweizer / Sascha Winter (Hg.): Gartenkunst in Deutschland.  Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Geschichte – Themen – Perspektiven, Regensburg 2012, S. 327–352; Ders.: Revolutio Germanica. Die Sehnsucht nach der »alten Freiheit« der Germanen 1750–1820. Frankfurt a.M. 2002; Sascha Winter: ›Jeder Gartengestalter benötigte unbedingt einen Toten‹. Sepulkralkunst und Memorialkultur in europäischen Gärten und Parks des 18. Jahrhunderts. Dissertationsschrift Universität Mainz 2015.   zurück