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»Immer wieder anders« . . . und »nicht so sehr kategorisiert«:

Geschlechteridentitäten und Normativität im Bezug auf Kindheit und Adoleszenz

  • Erik Schneider / Christel Baltes-Löhr (Hg.): Normierte Kinder. Effekte der Geschlechterheteronormativität auf Kindheit und Adoleszenz. (Gender Studies) Bielefeld: transcript 2014. 402 S. Kartoniert. EUR (D) 29,99.
    ISBN: 978-3-8376-2417-5.
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Was bedeutet der Begriff »Geschlecht« in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts? Welche Komponenten beeinflussen was er für wen in welcher Situation bedeutet? Welchen Unterschied macht es welche Person, mit welchem Interesse, aus welcher disziplinären Perspektive die Kategorie Geschlecht hinterfragt, verwendet, sich aneignet, sie zu formen sucht? Welche sichtbaren und unsichtbaren Normen spielen in all dies Prozesse hinein?

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Der Sammelband Normierte Kinder: Effekte der Geschlechternormativität auf Kindheit und Adoleszenz, herausgegeben von Erik Schneider und Christel Baltes-Löhr, vereint in sich vierundzwanzig Beiträge – gruppiert in sechs thematische Sektionen 1 – die diese Fragen stellen und diskutieren. Entstanden aus Beiträgen des 2012 vom Verein Intersex & Transgender Luxembourg und der Universität Luxemburg gemeinsam durchgeführten Kongresses »Geschlechternormativität und Effekte für Kindheit und Adoleszenz« bietet Normierte Kinder einer beeindruckenden Bandbreite an Perspektiven Raum. Thematische Kernpunkte sind in diesem Rahmen der spezifische Fokus auf Kindheit und Adoleszenz zum einen und die Verhandlung des Themas Geschlecht im Bezug auf Trans- und intergeschlechtliche Identitäten zum anderen.

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Bestandsaufnahme in einem weiten Feld an Disziplinen

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Innerhalb dieses Spielfeldes äußern sich AutorInnen aus verschiedenen Disziplinen: so finden sich akademisch-theoretisierende, neben politisch-aktivistischen, neben künstlerischen, neben auf praktische Anwendung ausgelegten Beiträgen. Trotz, oder gerade wegen dieser diversen Ausrichtungen verkörpert der Tagungsband als Ganzes eine Bestandsaufnahme zu einem bestimmten, zeitlich und kulturell klar verorteten Moment (mehrere Beiträge beziehen sich z.B. auf Luxemburg im Speziellen), in fortlaufenden Diskussionen um intergeschlechtliche und Transgender-Identitäten. Dabei bleibt durchaus eine Spannung bestehen, zwischen Beiträgen, die hervorheben welche Maßnahmen man konkret medizinisch, rechtlich, aktivistisch ergreifen kann und sollte, und solchen, die Machtein- und -auswirkungen gesellschaftlicher Diskurse an sich auszuloten suchen. Je nach persönlichem Standpunkt und disziplinärer »Sozialisation« werden also unterschiedliche LeserInnen sehr wahrscheinlich unterschiedliche Standpunkte und Beiträge als überzeugend beziehungsweise problematisch erachten. Da es im Rahmen einer Rezension unmöglich ist vierundzwanzig Artikel zu besprechen werde ich einigen ausgewählten Beiträgen besondere Aufmerksamkeit schenken. Dabei ist das Ziel, mit dieser Auswahl einerseits unterschiedliche disziplinäre Schwerpunkte hervorzuheben und gleichzeitig aufzuzeigen, wie hegemoniale kulturelle Diskurse des Konstrukts »Geschlecht« verschiedene Fachrichtungen gleichermaßen durchziehen.

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Außer durch seine individuellen, auch für sich genommen sehr lesenswerten, Artikel überzeugt der Band Normierte Kinder vor allem auch dadurch, dass er LeserInnen aus jeglichen Fachrichtungen Einblicke in andere, möglicherweise fremdere disziplinäre Kulturen bietet. Berufen sich Beiträge aus den Sozialwissenschaften und den Gender Studies auf einschlägige Texten von Simone de Beauvoir, Judith Butler, Michel Foucault, oder auch Max Weber und Pierre Bourdieu, greifen politisch und aktivistisch ausgerichtete Betrachtungen auf Dokumente des Deutschen beziehungsweise Schweizer Ethikrats und die Yogyakarta-Prinzipien zurück, während medizinisch orientierte Artikel auf klinische Studien sowie Dokumente der American Psychiatric Association und der World Health Organization verweisen. Auch persönliche Standpunkte der AutorInnen werden wiederholt verortet und ihre Bedeutung wird ausgelotet. Allein diese Diversität an Quellen innerhalb eines Bandes ist ungewöhnlich. Gleichzeitig ist es erstaunlich, dass jenseits der regelmäßigen Erwähnung Judith Butlers, keiner der anderen einschlägigen Texte aus dem Gebiet der Gender und Queer Studies im Bezug auf Kindheit und Adoleszenz von AutorInnen aus dem englischsprachigen Raum – etwa Eve Kosovsky Sedgwick (»How to Bring Your Kids Up Gay«), 2 oder Kathrin Bond Stockton (The Queer Child, or Growing Sideways in the Twentieth Century) 3 – Erwähnung findet.

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Begriffe wie Transidentität oder Intergeschlechtlichkeit werden zwar umsichtig und facettenreich problematisiert und zwar inklusive ihrer Positionierung innerhalb der Queer Studies, der Begriff »Homosexualität« jedoch wird wiederholt von AutorInnen verwendet, ohne dass eine historische oder kulturelle Einordnung in seine medizinisch-pathologische Geschichte stattfände. Auch wenn dieser Terminus im deutsch- oder französischsprachigen Raum wesentlich geläufiger ist als im englischen, wäre eine kurze Verortung in einem Band, der sonst sehr sorgsam mit Kategorien und Etikettierungen umgeht, doch zu erwarten gewesen. Trotz dieser ›Lücken‹ ist der Band in seiner Vielfalt und Interdisziplinarität, aufgrund der vielen Anknüpfungspunkte, die sich zwischen Artikeln ergeben, sowie der konstruktiven Spannungen, die zwischen Ihnen entstehen, gelungen und lesenswert.

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Nicht mit meinem Köper: Deutungshoheiten und Selbstbestimmung

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Gerade die Kombination der Fokussierung auf sowohl transidentitäre als auch intergeschlechtliche Personen im Bezug auf Geschlecht innerhalb des Bandes erzeugt Polaritäten, die verdeutlichen, wie umkämpft die Kategorie Geschlecht ist. So wird in Beiträgen mit Bezug auf Transidentitäten wiederholt das Recht angesprochen, das äußere, biologische Geschlecht dem gelebten und inneren Geschlecht durch hormonelle und chirurgische Eingriffe anzupassen. Beiträge mit Fokus auf intergeschlechtliche Identitäten hingegen sprechen sich gerade gegen solche Eingriffe und normative »Angleichungen« aus. Was beide eint ist das Beharren auf Selbstbestimmung und ein Anschreiben gegen die »Definitionshoheit der Medizin« (Woweries S. 105), die insbesondere Kindern und Jugendlichen abspricht, über ihre eigenen Körper entscheiden zu können, wie Erik Schneider in seinem Beitrag »Trans’Kinder zwischen Definitionsmacht und Selbstbestimmung« anschaulich darlegt. Sowohl Trans- also auch intergeschlechtliche Identitäten werden als pathologische Anomalien betrachtet, da sie sich nicht der vorherrschenden normativen Binarität beugen (vgl. S. 182).

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Jörg Woweries beleuchtet in seinem Beitrag »Intersexualität – Medizinische Maßnahmen auf dem Prüfstand« wie Mediziner als Experten Entscheidungen über »geschlechtsangleichende« Operationen bei Säuglingen und Kindern vornehmen, deren Genitalien bei Geburt nicht den binären Geschlechternormen entsprechen (S. 249), obwohl die Behandelten selbst aufgrund ihres Alters keinerlei Zustimmung zu diesem Eingriff geben können, der darüber hinaus ein risikoreicher, ästhetischer und keineswegs lebenserhaltender (sprich: notwendiger) ist (S. 250–252). Dabei werden ethische Probleme nominell umgangen, indem diese Operationen als »geschlechts-vereindeutigend« und nicht als »geschlechtszuweisend« deklariert werden. Woweries zeigt auf, dass darüber hinaus die Operationen vor allem bei Personen, deren Genitalien an die weibliche Norm angeglichen werden, unter ästhetischen Aspekten durchgeführt werden und dafür zum Beispiel die Empfindsamkeit und Orgasmusfähigkeit der betroffenen Person riskieren. Zum Teil scheint der einzige Grund für derartige Operationen darin zu liegen, »den Geschlechtsverkehr mit einem Mann zu ermöglichen« (S. 257); eine Absicht, die sich – eineinhalb Dekaden vor der anzunehmenden Geschlechtsreife – heteronormativem und patriarchalem Begehren unterwirft.

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Transidentitäre Personen erfahren umgekehrt oftmals die Verweigerung von erwünschten Maßnahmen, was jedoch auf dieselbe Machtposition der ›Experten‹ zurückzuführen ist. Erik Schneider erklärt eindrücklich, dass vermeintlich neutrale Reaktionen medizinischer gatekeeper (oder der Eltern) – die zum Beispiel bei Wunsch nach einer Hormonbehandlung die das Einsetzen der Pubertät stoppen würde, zum Abwarten rät – keinesfalls als neutral betrachtet werden kann. Begründet ist dies in der Tatsache, dass »fehlende Akzeptanz der geschlechtlichen Selbstwahrnehmung bzw. Selbstverortung oder Geschlechtsidentität des Kindes [. . .] schwerwiegende Folgen« nach sich ziehen kann (S. 193) und in Kauf nimmt, das Kind einem enormen Leidensdruck auszusetzen.

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Cis, Hetero – und vor allem binär: historisches Erbe in Disziplinen, die sich als rein faktisch verstehen:

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Zwei der thematisch interessantesten Aufsätze aus dem Sammelband finden sich in der Sektion »Biomedizin« und legen historische Entwicklungen der kulturellen Konstruktion von Geschlecht in Bereichen offen, die sich selbst gerne als faktisch und wissenschaftlich neutral verstehen. Der Beitrag »Das Geschlecht des Wissens – Sexuierte Anatomie« von Sylvie Deplus, untersucht gegenwärtig an französischen Universitäten verwendete Anatomieliteratur und kommt zu dem Ergebnis, dass der menschliche Körper immer noch klar als männlich dargestellt wird. Darüber hinaus erläutert Deplus die wissenschafts-geschichtliche Entwicklung von anatomischen Abbildungen seit dem 17. Jahrhundert, die die Frau (beziehungsweise den weiblichen Körper) als »unvollkommene[n], verkümmerte[n] Mann darstellt« (S. 139) (beziehungsweise als defizitären männlichen Körper). Was zunächst aus den historischen Umständen entstand – Anatomie war ein männerdominiertes Fach; darüber hinaus wurden biologische und gesellschaftliche Funktionen kausal verknüpft (S. 139–140) – bleibt zumindest in latenter Form über die nächsten Jahrhunderte bis in die heutige Zeit erhalten. Gegenwärtige Lehrbücher und die mit ihnen verknüpfte anatomische Lehre arbeiten immer noch auf Basis von »stereotype[n] Geschlechterbilder[n]« und bedienen somit einer weiterhin »vorherrschende[n] Geschlechterhierarchie« (S. 145). Männliche Anatomie wird überwiegend zuerst genannt, und genauer beschrieben. Weibliche Anatomie wird oft erst an zweiter Stelle, im Vergleich zum männlichen Körper und weniger detailliert beschrieben. Deplus thematisiert bewusst, dass ihr selbst, als Anatomin, über Jahre hinweg diese Setzung des männlichen Geschlechts als Norm auch nicht bewusst war, was unterstreicht, wie tief die diskursive Naturalisierung derartiger Diskurse greift.

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Thematisch passend folgt Heinz-Jürgen Voß Beitrag »Zur Geschlechterdetermination: Gene und DNA sagen eben nicht die Entwicklung eines Genitaltraktes voraus . . .«, in dem er die kulturgeschichtliche Entwicklung der DNA-Forschung in Europa von Aristoteles bis ins 21. Jahrhundert skizziert. Dabei veranschaulicht er, dass die biologische Geschlechterforschung, die zuletzt versuchte, ein einzelnes Gen zu isolieren, welches für die Bestimmung des Geschlechts zuständig geglaubt wurde, sehr viel mehr Komponenten als empirische Recherche beinhaltet:

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Zeigten die historischen entwicklungsbiologischen Betrachtungen, dass dort keineswegs eine strikte Trennung weiblicher und männlicher geschlechtlicher Entwicklungen vorgenommen wurde, sondern vielmehr Gemeinsames und Gleiches in der Debatte zentral war, so irritiert die Selbstverständlichkeit, mit der heute teilweise mit Verweis auf (vermeintliche) biologische Erkenntnisse von einer strikten zweigeschlechtlichen Differenz ausgegangen wird. (S. 168)
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Gleichzeitig beleuchtet Voß, dass gerade in Deutschland Forschung, die sich auf Vielschichtigkeit und Multikausalität konzentrierte, an ihrer Profilierung gehindert wurde, da die entsprechenden Forscher (Goldschmidt und Zondek) ihrer jüdischer Herkunft wegen im Dritten Reich diskreditiert wurden. Gleichzeitig »wurden Nazis forschungsleitend auch bezüglich biologischer Geschlechtertheorien« (S. 159). Die Tatsache, dass Adolf Butenandt 1936 zum Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biochemie ernannt wurde und im Sinne der NS-Ideologie unter anderem »in Hormonforschung die Theorie der eindeutigen geschlechtlichen Trennung weiblicher und männlicher Hormone« vertrat (S. 159–160), führt klar vor Augen, wie sehr »empirische« Forschung von soziokulturellen Diskursen beeinflusst wird.

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Im Bezug auf die gegenwärtige Forschung arbeitet Voß deutlich heraus, dass trotz großer Bemühungen von Forscherteams kein Gen gefunden werden konnte, welches die geschlechtliche Entwicklung bei Menschen determiniert. Selbst die gängige Bezeichnung von X und Y als Geschlechtschromosomen ist irreführend, da die meisten Gene, die in Prozesse der Geschlechtsbildung involviert sein können, gerade nicht auf den X- oder Y-, sondern auf anderen Chromosomen vorkommen (vgl. S. 163). Letztendlich handelt es sich bei der Geschlechtsentwicklung um einen vielschichtigen und variablen Prozess: »DNA stellt [. . .] keine Information dar, die es nur zu lesen gilt«; und darüber hinaus ist das Ergebnis »zu keinem Zeitpunkt vorgegeben« (S. 165). Somit präsentiert Voß eine kritische und beeindruckende Perspektive auf die Arbeit der Biomedizin mit einem Artikel der einen geschichtsbewussten Zugang zu naturalisierten Wissenschaftsdiskursen fördert und fordert. Die Einblicke die diese naturwissenschaftlichen Beiträge eröffnen sind vor allem auch für KulturwissenschaflerInnen auf dem Gebiet der Gender und Queer Studies interessant, ermöglichen sie doch interdisziplinäre Perspektiven, die über die Grenzen des vorliegenden Bandes (trans- und intergeschlechtliche Identitäten, mit Fokus auf Kindern und Jugendlichen) hinausreichen.

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Wer ist hier normal? Ein Fazit zu grausam optimistischen Konferenzen:

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Neben den verschiedenen disziplinären Aufsätzen, die sich mit konkreten intergeschlechtlichen oder transidentitären Themen beschäftigen, enthält Normierte Kinder auch zwei die Beiträge rahmende Artikel: den »Versuch einer Begriffsbestimmung« von Christel Baltes-Löhr zu Beginn des Bandes; sowie eine Art Schlusswort von Todd Sekuler unter dem Titel »Optimismus, Glück, und andere Grausamkeiten von einer Konferenz zu Geschlechternormen«, die zusammen eine spannende, selbstreflexive und selbstkritische Metaebene in den Band einziehen.

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Baltes-Löhrs Eingangskapitel belegt die Notwendigkeit anhaltendender Diskussionen: Es wird klar, dass auch im Jahr 2013 die Debatten um Geschlecht im Bezug auf nicht-normative Identitäten immer noch von Diskursen beherrscht werden, die sich als fortschrittlich verstehen, aber (unbewusst) vorherrschende Stereotype reproduzieren. So schreiben vermeintlich wohlgesonnene aufklärerische Artikel über Transpersonen Erzählungen vom »Kind im falschen Körper« fort, was, so Baltes-Löhr, »darauf schließen lässt, dass es das Kind im richtigen Körper gibt und somit all die anderen, die varianten Kinder etwas haben, was nicht richtig ist« (S. 19). Dies führt zum Vorschlag einer Neudefinition von Geschlecht als multidimensional, diskursiv/performativ, veränderbar, polypolar, und intersektional gemeinsam mit der Aufforderung oder auch Hoffnungsäußerung, zu einer Enttabuisierung und Entpathologisierung, sowie zur allgemeinen Anerkennung aller Geschlechter beizutragen (S. 32, 35). Die nachfolgenden Beiträge setzen diese eingangs ausgesprochene Aufforderung auch um, beziehungsweise affirmieren sie; in unterschiedlichen disziplinären Kontexten auf unterschiedliche Weise.

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Umso interessanter ist in diesem Zusammenhang das »Schlusswort« welches die Konferenz als diskursiven Raum kritisch betrachtet. Sekuler spricht explizit die affektive Dimension einer derartigen Veranstaltung an (im Besonderen einen Moment als ein/e Konferenzteilnehmer/in die Konferenz emotional aufgewühlt verlässt – und später zurückkehrt) – und hinterfragt die »optimistische Investition in die Konferenz« (S. 390), der die Teilnehmer durch ihre Anwesenheit (und im vorliegenden Einzelfall besonders durch die Rückkehr des aufgewühlten Teilnehmers) Ausdruck verleihen. Das Gefühl etwas Wichtiges erreicht zu haben, oder erreichen zu können, so Sekuler, beherrschte die Zusammenkunft vorrangig und prägt Tagungen und auch andere Bestandteile des akademischen Diskurses generell (S. 390–391). Diese Formen des Optimismus werden »grausam« genannt, da »es sich um Investitionen in Strukturen handelt, die bekanntermaßen Diskriminierung produzieren« (S. 391). So endet der Sammelband mit einem selbstkritischen und zentralen Hinweis, dass es durchaus Positionen gibt, zum Beispiel die des »unglücklichen Queers« (S. 396), die sich einem solchen Optimismus entgegensetzen und ihn kritisch in seiner Grausamkeit beleuchten.

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Gerade dieses Ende des Bandes ist beeindruckend, vermeidet es doch versonnenes Selbstlob und spricht stattdessen eine Aufforderung zu weiteren Auseinandersetzungen aus, die, während sie sich einem inhärenten grausamem Optimismus sicherlich nicht einfach entziehen können, diesen doch konfrontieren und mitverhandeln sollten.

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Normierte Kinder leistet in seiner Vielfältigkeit einen wichtigen Forschungsbeitrag zu den deutschsprachigen Gender Studies, der vor allem durch seine disziplinäre Bandbreite besticht. So wird jede/r LeserIn auf vertrautere und weniger vertraute Perspektiven stoßen und sieht sich durch die Kombination an Artikeln dazu aufgefordert, einen kritischen Standpunkt zu beziehen oder auch voneinander abweichende Standpunkte kritisch zu vergleichen. Auch wenn die begrenzte Rezeption einschlägiger und bereichernder Texte aus der anglo-amerikanischen Forschung ein Manko darstellt, so ist der Sammelband als Gesamtwerk durchaus lesenswert. Normierte Kinder konstituiert eine bedeutende Momentaufnahme des frühen 21. Jahrhunderts, zu einem Zeitpunkt an dem sich viele Diskurse um Geschlecht und normative Ordnungen gerne als ›aufgeklärt‹ verstehen, und zeigt immer wieder auf, wie tiefgreifend kulturgeschichtliche Entwicklungen unsere zeitgenössischen Diskurse formen.

 
 

Anmerkungen

Kapitel 1: »Thematische Rahmung«; Kapitel 2: »Kategorien«; Kapitel 3: »Biomedizin«; Kapitel 4: »Geschlechternormativität und Transidentität«; Kapitel 5: »Geschlechternormativität und Intergeschlechtliche Körper«; Kapitel 6: »Erziehung/Begleitungspraxis« – gefolgt von einem Abschluss: »Analyse und Ausblick«.   zurück
Kosofsky Sedgwick, Eve: »How to Bring Your Kids Up Gay.« In: Social Text 29 (1991), S. 18–27.   zurück
Bond Stockton, Kathryn: The Queer Child, or Growing Sideways in the Twentieth Century. Durham, NC: Duke UP, 2009.   zurück