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Blockbücher erschließen

Schnittstellen zwischen Handschrift und Druck im Fokus

  • Bettina Wagner (Hg.): Xylographa Bavarica. Blockbücher in bayerischen Sammlungen (Xylo-Bav). Beschreibungen von Rahel Bacher unter Mitarbeit von Veronika Hausler, Antonie Magen und Heike Riedel-Bierschwale. (Schriftenreihe der Bayerischen Staatsbibliothek 6) Wiesbaden: Harrassowitz 2016. 330 S. zahlr. Abb. Hardcover. EUR (D) 154,00.
    ISBN: 978-3-447-10524-8.
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Das Blockbuch-Projekt stellt sich vor

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In dem von 2009 bis 2013 von der DFG geförderten Projekt »Tiefenerschließung der Blockbücher der Bayerischen Staatsbibliothek München«, das mit dem Katalog Xylographa Bavarica nun fertiggestellt ist, wurden alle Blockbücher erschlossen, digitalisiert und katalogisiert, die in unterschiedlichen Sammlungen in Bayern aufbewahrt werden. Damit ist ein Forschungsdesiderat beseitigt.

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Wie Bettina Wagner in ihren einleitenden Worten erklärt, gehören Blockbücher auch deshalb zu vernachlässigten Objekten der bibliothekarischen Erschließung, weil auf sie sowohl Aspekte der Handschrift als auch des Drucks zutreffen. Darüber hinaus ist eine Abgrenzung der einzelnen Medientypen, die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zwischen Handschrift und Druck oszillieren, kompliziert. Auf der Grundlage der Forschung von Wilhelm Ludwig Schreiber von 1902 1 und dem »Blockbuch-Kurzzensus« 2 der erfolgreichen Blockbuch-Ausstellung von 1991 im Gutenberg-Museum in Mainz, erfolgte eine Auswertung der in bayerischen Sammlungen befindlichen Blockbücher. Mit insgesamt 91 analysierten Blockbüchern bietet der vorliegende Katalog eine signifikante Erschließung des Mediums, wenn man bedenkt, dass heute noch circa 100 Ausgaben von 33 verschiedenen Werken in etwa 600 Exemplaren nachgewiesen werden können.

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Das Projekt gibt insbesondere den Anstoß, sich in gleicher Intensität mit Blockbüchern außerhalb bayerischer Sammlungen und weiteren druckgraphischen Sonderfällen zu beschäftigen, die nicht berücksichtigt werden konnten: Im Katalog wurden »nur diejenigen Werke aufgenommen, die mehrere Druckseiten umfassen und in Exemplaren erhalten sind, bei denen sowohl der Text als auch die Bilder xylographisch hergestellt wurden. Nicht berücksichtigt sind daher xylographische Einblattdrucke sowie als großformatige Graphikblätter konzipierte Bildzyklen« (S. 20) oder Handschriften mit eingeklebten gedruckten Bildern. Da mit beweglichen Lettern gesetzte Werke, die wie Blockbücher Abbildungen enthalten, die mittels Reibdruckverfahren hergestellt wurden, in der Regel in Inkunabelkatalogen erschlossen werden, hat man auch hier von der Aufnahme in den Katalog abgesehen.

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Vorzüge einer bayernweiten Erschließung

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Bei dem Blockbuchbestand in Bayern ist hervorzuheben, dass es sich um Objekte handelt, die sich konstant in einer Region befunden haben und die nur äußert selten im Antiquariatshandel aufgetaucht sind, so dass man nach Wagner von einem regionalen Kulturgut sprechen kann. Konsequenterweise werden daher auch Exemplare in den Katalog aufgenommen, die zu einem früheren Zeitpunkt in Sammlungen in Bayern aufbewahrt und erst im 19. Jahrhundert verkauft wurden. Die Vorteile der gemeinsamen Erschließung der Blockbücher, die sich für dieses Medium in seiner Überschaubarkeit besonders anbietet, machen die große Reichweite des Projekts deutlich: erstens sichert es die langfristige Zugänglichkeit fragiler Kulturdenkmäler, zweitens wurden einheitliche Qualitätsstandards berücksichtigt sowie drittens die Objekte auf folgende Kontexte hin untersucht: Zustand der Druckstöcke, Papier und Wasserzeichen, Druckfarbe und Kolorit, Klebung und Heftung, handschriftliche Texte und Einträge, Besitzgeschichte, Einbände.

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Ein multimediales und interdisziplinäres Projekt

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Mit Recht kann der Katalog als multimedial bezeichnet werden, mit seinen zahlreichen Verknüpfungen und Linkangaben hin zum Wasserzeicheninformationszentrum (WZIS) 3 , zu Digitalisaten und der Offenheit zu weiteren Erschließungsprojekten dieser Art. Die Website der BLO (Bayerische Landesbibliothek online 4 ) macht die Ergebnisse des Projekts sichtbar und bietet weitere Verlinkungen zu anderen Sammlungen und zu Digitalisaten von Blockbüchern, die nicht in den Katalog aufgenommen wurden. 5

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Digitale Aufnahmen der Wasserzeichen wurden, soweit möglich, mit einer Thermographie-Kamera angefertigt. Einige dieser Aufnahmen sind im Katalog abgedruckt (S. 257-290) bzw. über das WZIS digital zugänglich (z. Z. 153 Wasserzeichen aus 48 Blockbüchern). Neben der Abbildung der Wasserzeichen bietet der Farbabbildungsteil (S. 291-330) mit der Darstellung der gleichen Motive in unterschiedlichem Kolorit einen aufschlussreichen Einblick in die diversen Verfahren der Farbgebung; hinzu kommt ein ausführliches Literaturverzeichnis (S. 37-60) und ein Registerteil (S. 239-254).

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Über die intensive Materialauswertung hinaus schließt sich der Tagungsband Blockbücher des 15. Jahrhunderts. Eine Experimentierphase im frühen Buchdruck 6 an. Um eine größere Öffentlichkeit auf das Projekt und das Blockbuch aufmerksam zu machen, fand außerdem 2012 die Ausstellung Vom ABC bis zur Apokalypse. Leben, Glauben und Sterben in spätmittelalterlichen Blockbüchern 7 an der Bayerischen Staatsbibliothek statt, die noch virtuell zu besichtigen ist. 8

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Standards setzen: Zur wissenschaftlichen Beschreibung von Blockbücher

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Bei der Erschließung von Blockbüchern gilt es insbesondere zu berücksichtigen, dass man es mit einer Übergangsform zwischen Handschrift und Buchdruck zu tun hat. Die Produktions- und Traditionskontexte können durch die bibliothekarische Erschließung häufig nicht hinreichend abgebildet werden, da Blockbücher schlicht durch das Raster der Handschriften- oder Druckbeschreibung fallen. 9 Sie sind gedruckte Unikate – wie Wagner ausdrücklich betont:

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Auch wenn xylographische Bücher in einem Druckverfahren, also seriell hergestellt wurden, ist jedes Exemplar aufgrund des jeweiligen Zustands der Druckstöcke und seiner Materialität einzigartig, und dies noch in erheblich höherem Maße als die Exemplare einer Inkunabelausgabe, deren Produktion in einem sehr viel kürzeren Zeitraum und in viel höherer Stückzahl (Auflage) erfolgte. Während beim Druck mit beweglichen Lettern der Typensatz nach Fertigstellung der gewünschten Zahl von Exemplaren aufgelöst wurde, konnten die Holztafeln, von denen Blockbücher gedruckt wurden, über viele Jahre aufbewahrt und in dieser Zeit auch verändert werden. Je nach Bedarf konnte daher ein neues Exemplar auf anderem Papier hergestellt werden – ein Verfahren, das dem heutigen ›publishing on demand‹ 10 vergleichbar ist. Damit ist jedes Blockbuch ein Unikat, das sich von allen anderen Abzügen der gleichen Holztafeln in seinen Druckvarianten und in seiner Materialität unterscheidet. (S. 13)
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Verfasser von Katalogen sind dazu angehalten, das Schema des Projekts, das von Rahel Bacher in einem Beitrag erläutert wird, bei der Beschreibung von Blockbüchern in ihren Beständen anzuwenden. Da für die Erschließung von Blockbüchern im Gegensatz zu Handschriften kein Regelwerk vorlag, orientierte man sich an der Bestandsbeschreibung der Bodleian Library Oxford durch Nigel F. Palmer: 11

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(1) Aufbau: Es werden zumindest eine Ausgabe, also ein ideales Exemplar, und ein Exemplar beschrieben. (2) Beschreibung der Ausgabe: Genannt wird, wenn möglich, der Verfasser des Werks, die Drucktechnik, die Anzahl der Tafeln/Druckstöcke, der Entstehungsraum, der Drucker, die Datierung, das Format (basierend auf der Faltung des Papierbogens und die Maße des Druckbereichs), die Blattzahl, die Anzahl der Holzschnitte, die Lagensignaturen. (3) Beschreibung der Exemplare: Angeführt werden der heutige Aufbewahrungsort, die besitzende Institution, die Signatur(en), der Druckzustand, die Farbe, die Wasserzeichen, Digitalisate oder Faksimile, Einbände, die Inhalte von Sammelbänden mit eingebundenen Blockbüchern, kodikologische Angaben (Blattzahl, zusammengeklebte Rückseiten, Lagen, Heftung, Restaurierungen, Blatt- und Seitenzählungen, ursprünglicher Aufbau). Falls das Exemplar unvollständig ist, werden die fehlenden Blätter angegeben.

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Die Katalogbeschreibungen (S. 67–237) bieten aktuelle Forschungsergebnisse zu den einzelnen Inhalten und informieren zunächst allgemein über die Verbreitung der im Blockbuch abgebildeten Texte und zu Gemeinsamkeiten oder Unterschieden in der bisherigen Tradition von Bild und Text. Bei den Literaturangaben wurde angestrebt, die moderne Literatur vollständig anzugeben. Darüber hinaus wurde versucht, die schwierige Datierung der Blockbücher genauer einzugrenzen. Die große Stärke des institutionsübergreifenden Projekts ist sicher die reiche Materialkenntnis, die detaillierte Vergleiche zur Entstehung, Kolorierung, Zustand der Holzstöcke etc. über einzelne Bestände hinweg erlaubt, die sonst nicht ohne weiteres möglich sind.

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Fazit

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Trotz aller Bemühungen, den Blockbüchern sämtliche Geheimnisse zu entlocken, müssen doch beispielsweise Druckdaten oder Druckorte weiterhin meist mit Fragezeichen versehen werden. Daher ist mit der Neugier auf das Blockbuch, die das abgeschlossene Projekt und der Katalog weckt, die Aufforderung an die Weiterführung und Ausweitung der Forschung verbunden, und zwar in der gleichen wissenschaftlichen Intensität über die bayerischen Grenzen hinaus sowie zu anderen medialen Grenzgängern. Das vorliegende Standardwerk sensibilisiert den Leser für den Umgang mit Blockbüchern und setzt neue Maßstäbe in der Aufarbeitung dieses speziellen Mediums.

 
 

Anmerkungen

Wilhelm Ludwig Schreiber: Catalogue des livres xylographiques et xylo-chirographiques, indiquant les différences de toutes les éditions existantes. (Manuel de l'amateur de la gravure sur bois et sur métal au XVe siècle 4) Berlin: Cohn 1902.   zurück
Gutenberg-Gesellschaft und Gutenberg-Museum (Hg.): Blockbücher des Mittelalters. Bilderfolgen als Lektüre. Gutenberg-Museum, Mainz, 22. Juni 1991 bis 1. September 1991. Mainz am Rhein: Von Zabern 1991, S. 354–395.   zurück
Im Gegensatz dazu hat man kritisch wahrgenommen, dass die Ergebnisse des als Standardwerk bezeichneten Oxford-Katalogs (vgl. Anm. 11) nicht online sichtbar sind: David McKitterick: Out of the cradle. [Rez. v.] Alan Coates et al: A Catalogue of Books printed in the Fifteenth Century now in the Bodleian Library. In: The Times Literary Supplement, Issue 5357 vom 9.12.2005, S. 5–7, hier S. 7. Die Oxforder Blockbücher wurden allerdings zwischenzeitlich digitalisiert und die Beschreibungen als PDF-Dateien online bereitgestellt, vgl. http://incunables.bodleian.ox.ac.uk/home (18.8.2017).   zurück
Bettina Wagner (Hg.): Blockbücher des 15. Jahrhunderts. Eine Experimentierphase im frühen Buchdruck. Beiträge der Fachtagung in der Bayerischen Staatsbibliothek München am 16. und 17. Februar 2012. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2013.   zurück
Bettina Wagner (Hg.): Vom ABC bis zur Apokalypse. Leben, Glauben und Sterben in spätmittelalterlichen Blockbüchern. Ausstellung 17. Februar bis 6. Mai 2012, Bayerische Staatsbibliothek. Luzern: Quaternio-Verlag 2012. [Rez. v.] Andreas Uhr: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur: ZfDA 142, 2013, S. 86-88.    zurück
Hierzu auch: Rahel Bacher: Besonderheiten der Blockbuchherstellung. Vergleichbarkeit unterschiedlicher Drucktechniken und Produktionsphasen innerhalb einzelner Ausgaben. In: Bettina Wagner (Anm. 6), S. 111-130.   zurück
10 
Das Blockbuch als Medium, das ›on demand‹ gedruckt wurde, hatte auch Duntze in seinem Beitrag zur Blockbuchtagung hervorgehoben: Oliver Duntze: Die Blockbuchausgaben der »Ars minor« des Aelius Donatus. In: Bettina Wagner (Anm. 6), S. 131–160, hier S. 148–150.   zurück
11 
Nigel F. Palmer: Blockbooks. Woodcut and Metalcut Single Sheets. (A Catalogue of Books Printed in the Fifteenth Century Now in the Bodleian Library 1) Oxford: Oxford University Press 2005. Online-Version s.o. Anm. 5.   zurück