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Prospector oder Analyser - oder nur Defender?

  • Simon Hiller: Buchhandelsstrategien im digitalen Markt. Reaktionen der großen Buchhandelsketten auf technologische Neuerungen. Berlin: Walter de Gruyter 2016. 382 S. Gebunden. EUR (D) 149,95.
    ISBN: 978-3-11-047870-9.
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Die Buchbranche sieht sich, wie eine Vielzahl andere Branchen auch, seit den 1990er Jahren mit Digitalisierungsprozessen konfrontiert. In der jüngeren Vergangenheit hat diese Entwicklung nochmals an Dynamik gewonnen. Besonders der Buchhandel wird durch diese Transformation vor besondere Herausforderungen gestellt. Die am Institut für Buchwissenschaft der Universität Erlangen Nürnberg unter der Betreuung von Ursula Rautenberg und Svenja Hagenhoff entstandene Dissertation mit dem ursprünglichen Titel »Reaktionsmöglichkeiten der Buchhandelsketten in Deutschland und den USA auf disruptive Innovationen« rückt die Reaktionen der großen Buchhandelsketten in Deutschland und den USA auf Geschäftsmodellebene und bei Produktneuerungen in den Mittelpunkt. Beispielhaft für solche Neuerungen stehen die Einführung des E-Commerce im Buchhandel sowie die Vorstellung von Lesegeräten.

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Nach den dissertationstypischen Abschnitten über die Ausgangslage und die Forschungsfragen sowie über die Methode der Case Studies legt Hiller äußerst detailliert und fundiert die theoretischen Grundlagen hinsichtlich der Themenfelder Strategieforschung, Internetökonomie und diskontinuierlicher Wandel dar. Diese Ausführungen nehmen rund ein Drittel des Texts ein.

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Im Hauptteil beschreibt der Autor zunächst die Buchmärkte in den USA und in Deutschland und expliziert dann durch Fallstudien zu US-amerikanischen und deutschen Buchhandelsunternehmen deren Reaktionen auf disruptive Innovationen auf der Geschäftsmodellebene (unterschiedliche Nutzungswerte, unterschiedliche Struktur der Wertschöpfungskette und unterschiedliche Ertragsmodelle) und der Produktebene (Leistungsvergleich zwischen traditionellem Buch und E-Book). Folie dieser Beschreibung ist der Markteintritt und die massive Expansion von Amazon. Theoretisch wird das durch die Branchenstrukturanalyse von Michael Porter unterfüttert.

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Im Anschluss daran erfolgt mithilfe wirtschaftswissenschaftlicher Instrumente eine Einordnung der Verhaltensmuster in strategische Orientierungen. Im Vordergrund steht dabei die Frage, welche spezifischen Verhaltensweisen zum Unternehmenserfolg in einem dynamischen Umfeld beitragen können. Den Akteuren werden dabei Strategietypen zugeordnet. Amazon ist der Prospector, Barnes & Noble und Thalia sind Analyser. Border repräsentiert den Strategietyp Defender/Reactor, während die Deutsche Buchhandelsholding aus Hugendubel und Weltbild ein heterogenes Gesamtbild zeigt. Aufschlussreich sind die resümierenden Gegenüberstellung der Marktaktivitäten der US-amerikanischen Unternehmen und die Gegenüberstellung der Marktaktivitäten der deutschen Unternehmen mit denen von Amazon. Amazon bringt durchweg mehr neue Produkte und Serviceleistungen auf den Markt als die Konkurrenten, während diese – vor allem die deutschen – versuchen, mit mehr Marketingaktivitäten zu kontern. Die umfangreiche Studie schließt mit einer kurzen Darstellung der aktuellen Entwicklungen (Stand 2015).

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Insgesamt besticht diese Studie durch eine Materialfülle, wie sie sich auch in den 1094 Fußnoten sowie den rund 100 informativen Tabellen und Grafiken niederschlägt. Vor allem aber ist sie ein Beleg für die Leistungsfähigkeit moderner Buchwissenschaft, indem sie klassische Ansätze mit hoch differenzierten wirtschaftsökonomischen Fragestellungen kombiniert. Zugleich ist sie ein Glanzpunkt der noch jungen an kommunikations- und buchwissenschaftlichen Perspektiven orientierten Reihe »Schriftmedien/Written Media«, die durch Heinz Bonfadelli, Ursula Rautenberg und Ute Schneider herausgegeben wird. Bisher sind hier »Vermittler des Rechts« von Ulrike Henschel, »Der Typograph Hermann Zapf« von Nikolaus Julius Weichselbaumer und »Lesepraxis von Kindern und Jugendlichen« von Marina Mahling erschienen.

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Den Gesamteindruck des technisch solide verarbeiteten Bands von Simon Hiller trüben allerdings einige herstellerische Schlampigkeiten, vor allem angesichts eines Ladenpreises von rund 100 Euro. So fehlt auf manchen Seiten eine Zeile am Ende der Seite, obwohl dem vom Umbruch her nichts im Weg gestanden hätte. Auch ist der Kolumnentitel »Dank« über der zweiten Seite des Literaturverzeichnisses sicher fehl am Platz, und das Personenregister sollte nicht nach den Vornamen der aufgeführten Personen geordnet sein!