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Neues zum Profil des Hamburger Stadttheaters in der Ära von Friedrich Ludwig Schröder

  • Bernhard Jahn / Claudia Maurer Zenck (Hg.): Bühne und Bürgertum. Das Hamburger Stadttheater (1770-1850). (Hamburger Beiträge zur Germanistik 56) Frankfurt a.M.: Peter Lang 2016. 593 S. 45 s/w, 16 farb. Abb. Gebunden. EUR (D) 110,95.
    ISBN: 978-3-631-66556-5.
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Die versammelten 23 Beiträge des Sammelbandes Bühne und Bürgertum. Das Hamburger Stadttheater (1770–1850) befassen sich anhand konkreter Fallbeispiele mit Kontexten, Akteuren und Konstellationen des Hamburger Stadttheaters. Ziel des Bandes ist es unter anderem, das eigenständige Profil dieses Stadttheaters unter der »Leitdifferenz Stadttheater – Hoftheater« (S. 19) zur sogenannten Schröder-Zeit aufzuzeigen. Die Artikel gehen dabei aus den Vorträgen einer vom 19.-22. März 2015 abgehaltenen Tagung in Hamburg hervor, die selbst, wie der Sammelband, auf das gleichnamige von Bernhard Jahn und Claudia Maurer Zenck von 2014 bis 2016 geleitete DFG-Forschungsprojekt zurückgeht.

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Der Untersuchungszeitraum 1770–1850 ist dabei so gewählt, dass dieser nach der Periode um Lessings Nationaltheaterprojekt 1765–1768, die schon seit dem 19. Jahrhundert intensiv bearbeitet wurde, und der seit 1990 lebendigen Forschung seitens der Musik- wie Literaturwissenschaft zur Gänsemarktoper von 1678–1738 liegt. Damit behandelt der Sammelband die Zeit des Hamburger Stadttheaters, die sich insbesondere durch die drei Intendanzen Friedrich Ludwig Schröders und durch die einsetzende Verehrung Schröders nach dessen Tod 1816 auszeichnet. Bernhard Jahn weist hier in der Einleitung darauf hin, dass sich diese Phase zwar durch ihre besonders gute quellengeschichtliche Überlieferungslage mehr als nur anbietet, aber dennoch bis dato ein eher mäßiges Interesse in der Forschung fand (S. 11).

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Unterschiede von Hof- und Stadttheater

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Der Sammelband ist aufgeteilt in vier Interessenbereiche. Im ersten Teil Hof- und Stadttheater: Ihre spezifischen Profile und Interaktionsmuster werden, aufbauend auf den Ergebnissen und Thesen der neueren Forschung zu (bürgerlichen) Stadttheater und höfischen Pendants, in vergleichenden Artikeln unterschiedliche Theaterkonstellationen kulturell, kontextuell und institutionell untersucht. Im Zentrum des Interesses steht dabei das jeweils besondere Profil einer Theaterinstitution, und dies immer mit Blick auf die Spezifik des Hamburger Modells. Fünf Artikel nehmen dabei in teils komparativen Untersuchungen verschiedene Stadt- und Hoftheater in den Blick (das Stuttgarter und Weimarer Hoftheater, das Leipziger Theater, die Stadt- und Hoftheater in Berlin und München sowie das Düsseldorfer Stadttheater), während ein Artikel einleitend die Quellen und Aufführungsmaterialien zur Erforschung des Hamburger Stadttheaters darstellt. Die Ergebnisse dieser Sektion laufen auf die These zu, dass »die Hoftheater sich in ihrer Wertevermittlung als ebenso bürgerlich präsentieren wie die Stadttheater«. So unterscheide sich etwa »das Repertoire der im Hamburger Stadttheater gespielten Stücke […] nicht signifikant von dem der meisten zeitgenössischen Hoftheater« (S. 16).

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Spielpläne und Hamburger Theaterpraxis

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Im zweiten Teil Gattungen und die Praxis der Spielplangestaltung wenden sich die Beiträger anhand von Repertoire und Spielplangestaltung intensiver dem spezifischen Profil des Hamburger Stadttheaters zu, das sich eben nicht unbedingt in einer gänzlich unterschiedlichen Gestaltung eines speziell bürgerlichen Repertoires findet. So befassen sich die Beiträge zwar mit auffälligen und besonderen Formaten im Hamburger Stadttheater: darunter die Entwicklung von Potpourri-Programmen, den Auftritten von Virtuosen, die Einbindung und Rezeption französischen Musiktheaters, Melodramen und Aufführungen mit niederdeutschen Sprachanteilen. Derartige Spielangebote finden sich jedoch auch im Repertoire von Hoftheatern. Als spezifisch für das Profil des Hamburger Theaters erweist sich die Umsetzung, Funktionalisierung und Zusammenstellung dieser Angebote, die auch im hohen Maße von der besonderen Kommunikationssituation zwischen Publikum, Stadt und Theater bestimmt ist, mit dem sich unter anderem der dritte Teil eingehender befasst.

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Im dritten Teil Theaterpraxis in Hamburg: Akteure und Aufführungen wird der Fokus auf die »spezifischen Interaktionsmodi zwischen Stadt und ihrem Theater gelenkt« (S. 16). Anhand der Publikationstätigkeit des Autors Johann Friedrich Schink wird hier der Einfluss der Presselandschaft auf die Spielplangestaltung genauer betrachtet. Hinzu kommen Untersuchungen zu den Gastrollen des Schauspielers Iffland, der Einfluss des Hamburger Publikums auf den Spielbetrieb, die Kotzebue-Rezeption sowie die einzigartige Kommunikationssituation und Phänomene »theatraler Gemeinschaftsstiftung« (S. 305) durch den verstärkten Einsatz visueller Theaterästhetik am Beispiel von Tableaus.

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Der vierte Teil Theaterpraxis in Hamburg: Klassikerbildung kümmert sich mit der Rezeption der deutschen Klassik in Hamburg um einen weiteren zentralen Aspekt dessen Stadttheaters –»wobei hier Shakespeare im Sinne des 18. Jahrhunderts zu den deutschen Klassikern gezählt werden darf« (S. 19). Der Blick ruht auf der Untersuchung verschiedener Inszenierungen und Bühnenadaptionen (Minna von Barnhelm, Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit, Kaufmann von Venedig und King Lear), einer komparativen Sicht auf die Hamburger Dramaturgie von Komödien und einem Einblick in die Hamburger Schauspielmusik-Werkstatt. Hier kristallisiert sich heraus, dass das Stadttheater im Gegensatz zu den tradierten barocken Verehrungsformen des Adels im Hoftheater gerade durch die Verschiebung hin zur und Intensivierung der Huldigung von Dichtern und Komponisten hervorsticht und damit einen nicht zu unterschätzenden Anteil zur Klassikerbildung leistet (vgl. S. 19).

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Ergebnisse

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Der Sammelband zeigt generell, dass eine strikte Unterscheidung zwischen Hof- und Stadttheater schon wegen vielfältiger Kommunikations-, Übernahme- und Tradierungsprozesse nicht aufrechterhalten werden kann. Dies soll nicht bedeuten, dass es beispielsweise beim Repertoire und der jeweiligen Bühnentradition nicht durchaus individuelle Gewichtungen und Ausdifferenzierung gab. Generell kommen allerdings nur graduelle Unterschiede der beiden leitenden Paradigmen Stadt- und Hoftheater zum Vorschein (S. 20). Gleichwohl wirken sich diese graduellen Unterschiede teilweise signifikant »auf den Spielplan, die Inszenierungspraxis und damit das Theatererlebnis« aus, wie das Antje Tumat in ihrem Beitrag anhand eines Vergleiches des Stuttgarter Hoftheaters und des Hamburger Stadttheaters als Thesen herausarbeitet; sie weist darauf hin, dass sich die Theaterlandschaft des 18. und frühen 19. Jahrhunderts als überaus bunt und vielfältig erweist (S. 61). In Hamburg ist der Austausch und die Einflussnahme zwischen Stadt, Publikum und Theater deutlich höher und fruchtbarer einzuschätzen als bei Theaterprojekten der Residenzstädte. Insbesondere für die Frage nach dem bürgerlichen Anteil des Hamburger Stadttheaters bedeutet dies, dass ein eher politischer Aspekt favorisiert werden könnte, der sich vor allem aus der »Möglichkeit einer aktiven Partizipation aller Teilnehmenden« am städtischen Theaterprojekt ergibt (S. 20). Der generell höhere, direkte Austausch zwischen Publikum und Stadttheater und damit die verstärkte Einflussnahme brachte es mit sich, dass sich Repertoire, Spielplan und das Selbstverständnis der Bühnen organischer entwickeln konnten als im Falle eines finanziell vom Publikum eher unabhängigen Hoftheaters (vgl. S. 18).

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Der vorliegende Band Bühne und Bürgertum. Das Hamburger Stadttheater (1770–1850) bietet durch seine diversen Fallbeispiele einen vielseitigen und informativen Einblick sowie allein durch die Anzahl der Beiträge ein vielschichtiges Bild des spezifischen Profils des Hamburger Stadttheaters. Er fördert zudem auch Erkenntnisse und neue Einschätzungen zu Tage, die einen differenzierteren und neuen Blick auf die Gestalt von Stadttheatern im Allgemeinen ermöglichen. Da die Beiträge vorwiegend mit der Prämisse einer Leitdifferenz Stadt- und Hoftheater arbeiten, bieten die Artikel leicht Ansätze zur Systematisierung und Übertragung der verwendeten analytischen und methodischen Zugangsweisen. Nicht zuletzt ergeben sich hier Anknüpfungspunkte und Motivationen für die intensivere Untersuchung weiterer Beispiele von Städten mit hoher nicht-höfischer Theateraktivität. Dadurch wird der Band nicht allein für Forscher und Interessierte speziell der Hamburger Theaterkonstellation wertvoll, er erweist sich vielmehr als eine solide Grundlage für eine weiter- und tiefergehende Forschungsarbeit zur Theaterlandschaft des 18. und 19. Jahrhunderts. Die einzelnen Beiträge bringen zudem, durch ihre fundierte Aufarbeitung von Quellenmaterial zur Theater- und Aufführungspraxis dieser Zeit, wichtige Ergebnisse bei, die auch der literaturwissenschaftlichen Forschung zu Exemplaren der transmedialen Gattung Drama hilft, ihre Analysen und Interpretationen von Theatertexten vor einem differenzierteren Hintergrund zeitgenössischer Theaterpraxis erarbeiten zu können.