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Autor und Verleger als Geschäftsfreunde

  • Christine Haug / Thomas Bremer: Verlegerische Geschäftskorrespondenz im 18. Jahrhundert. Das Kommunikationsfeld zwischen Autor, Herausgeber und Verleger in der deutschsprachigen Aufklärung. (Buchwissenschaftliche Beiträge 96) Wiesbaden: Harrassowitz 18.04.2018. 312 S. 12 Abb. Hardcover. EUR (D) 72,00.
    ISBN: 978-3-447-11011-2.
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Das diesem Buch vorangegangene deutsch-französische Kolloquium von 2015 in Wittenberg beruhte auf einem gemeinsamen Forschungsinteresse unterschiedlicher Fachvertreter: Untersucht werden sollte der dialogische Schriftverkehr von Autor, Herausgeber und Verleger im 18. Jahrhundert. Herkunft, Fachrichtung und berufliche Stellung der Mitwirkenden waren vielfältig. Sie kamen aus Bordeaux, Berlin, Prag und Halle, aus Zürich, Toulouse und München, unter ihnen waren bekannte Experten für den Zeitraum, wie spezialisierte jüngere Forscher, die meisten von Hause aus Germanisten, andere Vertreter der Buchwissenschaft und der Kommunikationswissenschaft. Die Einführung von Christine Haug (Zentrum für Buchwissenschaft, München) hob das Thema gleich auf eine Stufe der Abstraktion, die jedes Vorurteil gegen Konferenzen dieser Art verstummen lässt. Abstraktion bedeutete dabei nicht die bloße Anwendung von Fachsprache (»epistolare Dialogizität«), sondern die Nutzung verschiedener theoretischer Instrumente, wie Netzwerks-, Kommunikations- und Systemtheorie, bei der Untersuchung von Material, das oft nur als Quelle der Buchgeschichte genutzt wird.

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Zum Material: Einige Beiträger konnten sich auf umfangreiche Nachlass-Erschließungen stützen, so für die Göschen-Korrespondenz auf das Repertorium von Stephan Füssel (Hannes Fischer), für Wielands Briefwechsel auf die Edition im Akademie Verlag (Tristan Coignard, Sören Schmidtke), für die Korrespondenz von A.W. Schlegel auf die Digitale Edition (Claudia Bamberg). Für Lavater durfte sich Ursula Caflisch-Schnetzler, selbst Werk-Herausgeberin, auf die Sammlung der Zentralbibliothek Zürich verlassen, für Gellerts Briefwechsel durchsuchte Thomas Bremer die fünfbändige, historisch-kritische Ausgabe bei de Gruyter, konnte allerdings nur wenige Briefe an den Verleger Reich ermitteln: Beide wohnten in Leipzig und mussten kaum schriftlich verkehren. Manchmal lagen die Verlegerbriefe nicht vor, so im Fall des Hallenser Verlages Gebauer oder der Göschen-Briefe an A. G. Meißner. Ihr Inhalt musste dann aus anderen Korrespondenzen, den Antworten des Autors oder aus angebrachten Empfängernotizen erschlossen werden (Daniel Fulda, Michael Wögerbauer). Wo Abschriften ausgehender Verlagsbriefe unterblieben, hing alles von den Nachlässen der Empfänger ab. Archivverluste, wie bei Brockhaus, erschwerten die Arbeit.

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»Mein werthester Herr Reich!«

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Zum Inhalt der versammelten fünfzehn Beiträge können hier nur Beispiele in übergeordneten Zusammenhängen angeführt werden. So naheliegend es zum Beispiel scheint, die erhaltene Geschäftskorrespondenz als Quelle für die Rekonstruktion des Arbeitslebens von Autoren und der Arbeitsabläufe im Verlagsbetrieb zu nutzen, so wenig ist das bisher geschehen. Darauf verweist der Beitrag »Die Feder in der Hand, die Papiere vor mir« von Christine Haug. Er untersucht die Praxis der verlegerischen Geschäftskorrespondenz zusammen mit der Entwicklung von Formularen und gibt damit einen neuen Einblick in die Verlagskontore und Schreibstuben – ein Verfahren, das mitten hinein in die Rationalisierung, Beschleunigung und Terminierung des Berufsalltags und die Ausdehnung der Geschäftsbeziehungen führt. Briefstil, Schreibgeräte, Papiernutzung, Ablagesysteme, Portokosten und schließlich vorgedruckte Formulare, das alles waren Bedingungen der papier-gebundenen handschriftlichen Kommunikation. Eine weitergehende Untersuchung dieser Arbeitsabläufe im Verlag wird von der Autorin angekündigt. In mehreren Beiträgen sieht man dann den weitgehenden Einfluss der Postwege und Postfrequenzen, aber auch der Messetermine auf die Reichweite, Art und Häufigkeit der Korrespondenz.

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Der Arbeitsalltag beruhte zunächst auf Routine, aber es gab auch Konflikte, die in der Autoren-Korrespondenz mehr oder weniger offen ausgetragen werden. Zum Beispiel ist Wieland für seinen Zürcher Verleger Gessner zunehmend ein Zensurrisiko, spätestens beim Musarion endet die Verbindung, und Wieland wechselt zu Reich (Tristan Coignard). Solche Verlagswechsel bieten interessante Vergleichsmöglichkeiten zwischen altem und neuem Korrespondenz-Klima, so auch in Bezug auf die Publikationsgeschichte von Wielands Oberon (Sören Schmidtke). Bei Boies Zeitschrift Deutsches Museum, als Arbeitsfeld für Herausgeber, Beiträger und den Verlag gleich wichtig, entzündet sich immer wieder schriftlicher Streit um die Entscheidungsmacht des Verlegers Weygand. Wer ist Herr des Unternehmens? Also auch: Wer trägt die (beträchtlichen) Portokosten des Briefwechsels? Und wer haftet für den Inhalt von Beiträgen, wenn es Probleme gibt? Als Weygand das Unternehmen nach einer solchen Auseinandersetzung beendet, geht Boie mit dem Journal zu Göschen als »künftigem Freund« – um dort in ähnliche Schwierigkeiten zu geraten (Hannes Fischer). Ebenfalls aus der zunehmend gereizten Korrespondenz erklären sich die schwierigen Verhältnisse zwischen Herausgebern und Verlegern im Fall eines anderen Periodikums, nämlich des Athenaeums der Brüder Schlegel, das bei Vieweg, dann bei dessen Berliner Nachfolger Frölich erschien (Claudia Bamberg).

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Für manche Autoren ist ihr Aufenthalt an der Peripherie des Literaturbetriebes ein existentielles Schreibmotiv, zumal wenn ihr Verlag im Zentrum Leipzig zu Hause ist. »Nur schade, daß ich hier so ganz im Dunkeln lebe«, schreibt August Gottlieb Meißner aus Dresden an Göschen, und in Prag, »in dieser Steppe der Wißenschaften«, ist es nicht besser (Michael Wögerbauer). Musäus in Weimar, »in einem Winkel irgend einer Provinz«, scheint seinem Rezensenten Abbt der kritischen Diskussion mit Freunden bedürftig (Nadja Reinhard). Eine weiterreichende Untersuchung europäischer Kommunikation am Beispiel des ungarischen Buchmarkts zur Habsburger Zeit stellt Petronela Križanova an (in englischer Sprache). Kontakte nicht nur nach Wien, sondern direkt zum Zentralplatz Leipzig erfolgten in Permanenz auf dem Post- und Reiseweg, trotz der Behinderung durch Grenzen und Zensursysteme, unter unkonventionellen Transfer-Methoden für Bücherlieferungen und Geld. Diese Studie aus Bratislava ist ein Anfang: »Perhaps it can provide a basis for further research into the European communication environment and networking«.

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Oft verlässt der Briefwechsel den geschäftlichen Ton ganz und wird zur reinen Privatkorrespondenz mit all den Formeln zeitgenössischer Freundschaftsbekundungen, so im Verhältnis zwischen Dieterich und Lichtenberg oder dem zwischen Reich und Johann Georg Sulzer, das in einem handgeschriebenen achtstrophigen Gedicht des Verlegers auf die Hochzeit seines Autors gipfelt. Wie ein Testament enthält einer der letzten Briefe von Sulzer an Reich genaue Anweisungen, wie mit dem zweiten Teil seiner Theorie der schönen Künste zu verfahren sei, »falls mich der Tod hinderte ihn zu vollenden« (Jana Kittelmann). Generell ist die Frage, ob es sich um einen Privat- oder Geschäftsbrief handelt, in diesem Milieu schwer zu entscheiden, Nachfragen nach dem Befinden der Familie sind häufig, entbehren aber nicht ganz der strategischen Absicht: »Eine einvernehmliche und freundliche Atmosphäre […] war eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche kaufmännische Verhandlungen« (Christine Haug). Auch versuchen die Verleger gerne dem Sinne von Gellerts »gutem Geschmack in Briefen«, dem literarischen Niveau ihrer Briefpartner in Stil und Urteil nahe zu kommen, was die Geschäftspost literarisiert. Wieland lobt denn auch seinen Verleger Gessner als »BelEsprit im besten Sinne«, Lavater erkennt bei Philipp Erasmus Reich das »Nachdenken eines Philosophen«. Außerhalb solcher Literarisierung liegt die Kommunikation im Bereich der politischen Buch- und Zeitschriftenproduktion, so, am Ende der Periode, bei den Deutschen Blättern von F. A. Brockhaus, deren Verleger zugleich auch Herausgeber und Beiträger war (Claudia Taszus). Der umfangreiche Meinungsaustausch zwischen ihm und dem gebildeten Naturwissenschaftler Lorenz Oken als Beiträger und späterem Initiator der Zeitschrift Isis ist ganz sachgebunden.

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»Drey Thaler für den Bogen, ordinair, nicht (Gro0)oktav«

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»Können Sie Sich vorstellen daß mir für die Comische Erzählungen nicht mehr als 10 L[ouisd’or] bezahlt worden?« (Wieland an seinen Freund Zimmermann). Von Geld ist, ausgesprochen wie unausgesprochen und der Freundschaft ungeachtet, ungeniert und in genauen Beträgen die Rede. Das gilt für die um Kosten und Erlöse besorgten Verleger ebenso, wie für die am Einkommen interessierten Autoren, gleich, ob es sich um erfolgreiche Schriftsteller oder schlecht bezahlte Professoren handelt. Manche Autoren stellen gleich zu Beginn der Korrespondenz ihre Honorarforderungen, wie das Gottlob Benedikt Schirach, von früheren Erfahrungen mit Gebauer belehrt, unter Bezug auf das Papierformat und damit die Textmenge tut (Daniel Fulda). Der Verfasser beschreibt anhand des Briefwechsels von Schirach, dem Autor der Biographie der Deutschen, auch die Funktion von Vorschüssen als Druck- und Bindemittel zwischen Autor und Verleger, was an den klassischen, schließlich in Streitschriften öffentlich gemachten Vorschuss-Streit »Moritz contra Campe« von 1789 erinnert. Christian Fürchtegott Gellert hingegen (unter anderem der Verfasser von Schauspielen, in denen Geld eine wichtige Rolle spielt), zeigt sich als ein eher passiver Geschäftspartner, der seine Verleger reich machte. Für seinen Verkehr mit Philipp Erasmus Reich mussten mangels ausreichender Briefzeugnisse die Beziehungen aus anderen Briefschaften erschlossen werden, ein mehrfach kurioser Fall (Thomas Bremer).

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Bei aller Höflichkeit der Umgangsformen wird eine geschäftlich begründete Ungleichheit der Korrespondenz-Partner gern als naturgegeben, der Autor als prinzipiell bedürftig angesehen und dem Verleger werden umfassendere geschäftliche Kompetenz und Erfahrung zugeschrieben, sein Interesse am »Vermögenserwerb« bedarf daher im Briefwechsel keiner Diskretion oder Entschuldigung. Dabei ist das Verleger-Risiko ja verteilt, das des Autors bezieht sich aber jeweils nur auf ein Werk, und die Eigentumsverhältnisse sind strittig. Augenscheinlich beförderte diese Asymmetrie das Interesse von Autoren am buchhändlerischen Geschäft. Zudem betraf das Markt-Problem der Zeit, der honorarfreie Nachdruck, beide Seiten gleichermaßen und über die Grenzen hinaus. Meißner aus Prag an Göschen: »Die Nachdrucke verderben hier all ächten teutschen Buchhandel«. Oft gibt es daher Fälle, in denen ein Autor seine Werkherrschaft behauptet und Mitsprache im buchhändlerischen Geschäft beansprucht oder, wie der erfolgreiche Lavater, Vertragsbedingungen gleich selbst entwirft, dabei Einzelheiten der Illustration, Kalkulation und Herstellung formuliert und seine voraussichtlichen Selbstkosten für Druckplatten in Zahlen ausrechnet – der Autor als Unternehmer (Ursula Caflisch-Schnetzler). Und der Briefwechsel zwischen dem Berliner Verleger und Aufklärer Nicolai und dem Pariser Taubstummenlehrer Abbé de L’Epée entwickelt sich förmlich zu einem internationalen Schulstreit unter gleich gestellten Gelehrten, ebenso kontrovers wie höflich (Françoise Knopper). Nicolai erscheint übrigens als Adressat wie als Komplize in der weitschweifigen Korrespondenz von Johann Karl August Musäus, die dieser im Zusammenhang mit der Geschichten-Kompilation Straußfedern führt (Nadja Reinhard).

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Die Betrachtung der Herrschaftsverhältnisse in der Verleger-Autoren-Korrespondenz lässt sich natürlich über den hier beschriebenen Zeitraum hinaus verlängern. Man stößt dann auf erstaunliche Kontinuitäten, von Adolph Müllner (1774–1829), der als Erfolgsautor und zugleich geschäftskundiger Jurist zum gefürchteten Korrespondenz- und Vertragspartner der großen Verleger seiner Zeit wurde, bis zum egalitären Freundschaftskult in der Autorenkorrespondenz des Suhrkamp-Verlages im 20. Jahrhundert und bis zur völligen Umkehrung der Verhältnisse, wenn der Großschriftsteller Georges Simenon seinen Verlegern in Briefen und Verträgen die Geschäftsbedingungen diktiert. Unerreicht in der Mischung von Beratung, Freundschaft und Respekt erweist sich schließlich die Autorenkorrespondenz der Verlegerin Helen Wolff.

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Fazit: Ein Beispiel produktiv erneuerter Buchwissenschaft

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Briefzitate sind in diesem Buch naturgemäß zahlreich. Zwei Beiträge enthalten dankenswerterweise im Anhang vollständige Dokumente in Auswahl (Ursula Caflisch-Schnetzler und Hannes Fischer). Die gelegentliche Illustrierung folgt keinem erkennbaren Prinzip. Ein Personen- und Ortsregister beschließt den Band. Der Verlag hätte gut daran getan, danach die Autoren vorzustellen, und die Identifizierung nicht den Lesern zu überlassen.

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Nach der grundlegenden Unterscheidung von Ernst Fischer 1 treffen sich die einzelnen Beiträge in dem gemeinsamen Bemühen, die bedeutende Briefproduktion im 18. Jahrhundert nicht allein als Materialmasse für die Publikationsgeschichte von Autoren oder die Firmengeschichte von Verlagen zu betrachten, sondern diese Kommunikationsform selbst zum Gegenstand der Untersuchung zu machen. Sie verwenden dabei unterschiedliche Methoden, etwa ausdrücklich die Systemtheorie wie Michael Wögerbauer, die Netzwerkstheorie wie Petronela Križanova und Hannes Fischer oder die Kommunikationstheorie in den Beiträgen zu Zeitschriftenprojekten. Die soziale Rolle von Autor und Verleger wird deswegen nicht unwichtig, siehe dazu die methodischen Überlegungen von Daniel Fulda (S. 67–70).

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Der Band ist in der Reihe »Buchwissenschaftlicher Beiträge« erschienen. Die Buchwissenschaft, einst als branchenbezogene Betriebswirtschaftslehre entstanden, dann durch Kayser, Göpfert und Wittmann als »materielle Literaturwissenschaft« neu konzipiert, hat sich danach, nicht immer ohne Verluste, von der Literaturwissenschaft emanzipiert und gelegentlich Exkurse in die moderne Gerätekommunikation unternommen. Der vorliegende Sammelband wird in seiner methodische Konzeption zu einem Beispiel produktiv erneuerter Buchwissenschaft: International, interdisziplinär, methodenoffen, quellengestützt und branchenunabhängig.

 
 

Anmerkungen

Ernst Fischer: »…diese merkwürdige Verbindung als Freund und Geschäftsmann«. Zur Mikrosoziologie und Mikroökonomie der Autor-Verleger –Beziehung im Spiegel der Briefwechsel. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 15 (2006). Wiesbaden: Harrassowitz 2006, S. 245–280.    zurück