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Modi des Komischen

  • Carsten Jakobi / Christine Waldschmidt (Hg.): Witz und Wirklichkeit. Komik als Form ästhetischer Weltaneignung. (Mainzer Historische Kulturwissenschaften 23) Bielefeld: transcript 2015. 486 S. Kartoniert. EUR (D) 49,99.
    ISBN: 978-3-8376-2814-2.
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Das Komische, scheint es, hat Konjunktur. Comedy prägt die Fernsehunterhaltung, Youtube bietet Komisches in allen Variationen, in den sozialen Medien werden Clips skurriler Ereignisse, inszenierter Slapstick, zum Lachen bringende Tierbilder geteilt. Die Konfrontation mit dem Komischen aushalten zu können ohne Lachen zu müssen, ist die Spielidee in einer aktuellen Fernsehshow. Es scheint da nicht zufällig zu sein, wenn sich auch der Blick der Wissenschaft erneut auf das Phänomen der Komik richtet und in derzeit signifikant kürzeren Abständen Beiträge dazu erscheinen. Neben den Publikationen zu den seit dem Jahr 2000 veranstalteten Kasseler Komik-Kolloquien in der Reihe »Kulturen des Komischen« deuten auch die Dissertationen wie die von Stefan Balzter »Wo ist der Witz? Techniken zur Komikerzeugung in Literatur und Musik« 1 und das 2017 veröffentlichte interdisziplinäre Handbuch der Komik 2 an, dass ein Zugang zum Phänomen Komik und zugehörigen Kategorien wie Witz oder Humor nur in einem kulturwissenschaftlichen und fächerübergreifenden Ansatz gefunden werden kann.

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Da scheint die Konzentration der Beiträge einer Mainzer Tagung zu »Komik und Realismus« im Jahr 2013, die das Grundgerüst des hier zu besprechenden Sammelbandes abgeben, fast schon etwas anachronistisch zu sein. Sie reichen von Notker dem Deutschen über Josef Anton Stranitzky, Friedrich Schiller, Georg Büchner, Thomas Mann bis zu Elfriede Jelinek. Außerhalb der deutschsprachigen Literatur kommen lediglich russische und französische Beispiele, neben den eher kanonischen Autoren dann noch einige Entdeckungen wie Helge Schneider oder Alfred Gong vor. In ihrer Einleitung begründen Carsten Jakobi und Christine Waldschmidt den gewählten Ansatz: »Methodischer Ausgangspunkt ist ein Blick auf Texte und andere mediale Formen, für den der Text bzw. die jeweilige Form nicht nur Text oder bloßer Ausdruck einer kulturellen Praxis bleibt, sondern diese kulturelle Praxis produziert und darin ein Urteil über sich selbst und die Welt formuliert: Die komische Haltung ist eine Weltaneignung, die sich darin als der Welt gegenüber adäquat inszeniert« (S. 10).

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Verfahren und Inhalte

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Damit distanzieren sich die Herausgeber von einer Komikforschung, die von vornherein vom Komischen als einer anthropologischen Konstante ausgeht und es mit dem Lachen verknüpft (etwa bei Bergson, Ritter und Plessner). Sie sehen aber auch Komikdefinitionen kritisch, die im Anschluss an Bachtin eine »weltanschauliche Zuschreibung« vornehmen und damit zu einer »einseitigen Festlegung auf ein notwendig kritisches Potenzial des Komischen« kommen (S. 10). Ein weiteres Theorem, das kritisch reflektiert wird, ist die enge und ausschließliche Verknüpfung des Komischen mit dem Normverstoß. Einleitend werden mehrere Modi aufgezeigt, mit deren Hilfe Komik in verschiedenen literarischen Zusammenhängen realisiert wird. Durchaus in den Bahnen traditioneller Poetiken und Ästhetiken postulieren die Herausgeber die Nähe der Kritik zur Satire, des Humors zum Erzählen und des Grotesken zur Komödie. Neben den textsortenspezifischen Einflüssen werden aber auch die historischen Bedingtheiten als relevant angesehen. Komik ist immer auf Realität bezogen. Das Komische wird im Zusammenhang der abgedruckten Beiträge aufgefasst als »spezifischer Modus der Wirklichkeitsaneignung und -deutung« (S. 10). Daraus ergeben sich vier Aspekte, in die die Beiträge eingeordnet sind.

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Komik und Weltbild

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Im ersten Abschnitt »Von der Komik zum Weltbild: Kulturelle Diagnosen und weltanschauliche Perspektiven« spannt sich der Bogen von den Hanswurstiaden des beginnenden 18. Jahrhunderts bis hin zu repräsentativen Stücken Elfriede Jelineks, um schließlich zur Frage des Komischen bei Schiller zurückzukehren. Andreas Solbach stellt am Beispiel von Stranitzkys »Die Enthaubttung des Weltberühmten Wohlredners Ciceronis […]« vor, wie der Wiener Theatermacher im Spiel mit den barocken Haupt- und Staatsaktionen aus Verstößen gegen die Gattungsnormen des traditionellen Theaters Komik generiert. Dabei interessiert vor allem die Figur des Hanswurst und seine Stellung zur Wirklichkeit. Mit dem Schinderhannes rückt Beatrix Müller-Kampel eine dem Hanswurst diametral entgegengesetzte literarische Gestalt in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung. Im Überblick über die Rezeption dieses Stoffes vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert geht sie der Frage nach, wie sich der Umgang damit verändert hat. Vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird er im Rahmen der Adaption des Stoffes für das Marionettentheater von den komischen Figuren an den Rand gedrängt. Ulrich Breuer analysiert Michael Rutschkys Essay »Reise durch das Ungeschick«, wobei Anstoß dafür die Tatsache ist, dass Rutschky das als ›komisch‹ verstandene Ungeschick als Epochensignatur der 80er Jahre auffasst. Die Analyse selbst konzentriert sich allerdings auf die rhetorischen Verfahren des Essays selbst, um ihn »unter gattungspoetologischen Aspekten als Kippfigur« (S. 83) zu lesen.

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Gleich mehrere russische Autoren, die unter den Bedingungen des Stalinismus schrieben, stellt Rainer Goldt vor und fragt dabei nach den Stilformen des Komischen unter den Bedingungen der Despotie. An einigen Beispielen wird der Zusammenhang zwischen dem Stil der Texte und den Rezeptionsbedingungen aufgezeigt. Beklemmend ist dabei, dass durch die sich verändernden Rezeptionsbedingungen aus vergleichsweise harmlosen Texten solche mit satirischem Potential werden, was die Autoren in Gefahr bringt. Dazu bilden die Provokationen Elfriede Jelineks, mit denen sich Dagmar von Hoff befasst, einen intensiven Kontrast. Sie wird hier als Satirikerin aufgefasst, die in ihren Stücken »textuelle Strategien – seien sie nun satirisch, komisch oder grotesk gehalten –«(S. 111) verwendet. Während von Hoff Jelinek über das Satirische in ihrem Werk eine Grundkonstante zuschreibt, unternimmt Wolfgang Düsing im Hinblick auf Friedrich Schiller den gegenteiligen Versuch. Im Überblick über dessen Werk zeigt er auf, wie die anfängliche Selbstverständlichkeit von Komik etwa in der Verwendung komischer Figuren im Stil Shakespeares oder der Typenkomödie allmählich aufgegeben wird. Das klassische Ideal und Komik schließen sich demnach aus; die Idealisierung allerdings ist für die Rezeption Schillers das Einfallstor für die Parodie, die in seinen Texten ihre beliebtesten Gegenstände gefunden hat.

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Das komische Urteil

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Der zweite Abschnitt »Weltbezug als Geltungsanspruch des komischen Urteils« wird mit einem grundlegenden Beitrag von Carsten Jakobi eröffnet, in dem ausgehend von der unfreiwilligen Komik in Alltagssituationen über die Inszenierung von ›Pannen‹ und das Sammeln sprachlicher Fehlleistungen als Stilblüten die Frage nach der »ästhetischen Reinszenierung« solcher zum Lachen reizender Momente aufgeworfen wird. Hingewiesen wird dabei auf das Auseinandertreten von Komik, die innerhalb der literarischen Fiktion funktionieren soll und solcher, die als intendierte und inszenierte Komik vom Rezipienten wahrgenommen wird und dort ihre Wirkung entfaltet. Während bei Jakobi das Komische im Fokus steht, konzentrieren sich die Überlegungen von Serena Grazzini auf den Witz, hier im speziellen Fall in Büchners »Dantons Tod«. Die Witze, die die Dantonisten in Büchners Drama machen, dienen ihrer Charakterisierung und müssen daher nicht notwendigerweise beim Rezipienten des Dramas ein Lachen auslösen. Dagegen zielt der »komische Widerspruch« bei Jean Paul, mit dem sich Christina Waldschmidt befasst, wieder unmittelbar auf die Leser der Texte. Ausgehend von einer Dichotomie von Satire einerseits und Humor andererseits im Hinblick auf Jean Pauls Komik zeigt sie, dass das »Kippen in die Affirmation der defizitären Sphäre« der Wirklichkeit das bestimmende Moment sei. Nach der Analyse der »Vorschule der Ästhetik« und der »Flegeljahre« muss sie freilich einräumen, dass man von der »komischen Konkretion der Realität […] nicht immer weiß, inwiefern es nun für die Handlung oder auch die Spitze der Satire noch funktional sein soll« (S. 237).

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Caroline Mannweiler fragt an den von ihr behandelten Beispielen Voltaire und Flaubert nach der »Kontinuität der Aufklärung«, die sich im Verhältnis von Komik und Realismus festmachen ließe. Konkret richtet die Analyse ihr Augenmerk auf die Kombination von Witz und Aufrichtigkeit, die Flaubert bei Voltaire beobachtet und für vorbildlich hält. Im »Candide« und in »Madame Bovary« werden die entsprechenden Verfahren der Komisierung dann aufgezeigt; die Anlehnung Flauberts an Voltaire führt schließlich zu einer Neubewertung von dessen im Roman gezeigter Ironie.

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Komik und Gattung

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Der dritte Teil thematisiert den Zusammenhang zwischen Gattungsnormen bzw. -zwängen und Welthaltigkeit und setzt so die Frage nach dem Verhältnis zur Wirklichkeit weiter fort. Günter Oesterle untersucht dazu Mörikes »Idylle vom Bodensee« und führt dazu als weiteren Gattungsbegriff den des Schwanks heran: die Einschätzung des Textes schon durch die zeitgenössischen Leser als »schlicht« oder »harmlos« wird so hinterfragt und der These nachgegangen, dass die Gattung der Idylle durch Komisierung eine Steigerung erfahren habe, die den Text singulär mache. Der von Philipp Giller untersuchte »Erwählte« von Thomas Mann ist von der Literaturwissenschaft schon immer als ›Mittelalter-Parodie‹ verstanden worden. Hier allerdings geht die Analyse nun detaillierter auf verwendete Verfahren ein, um aufzuzeigen, dass Thomas Mann umsetzt, was im mittelalterlichen Text schon angelegt ist, nämlich im Neuerzählen einer Legende ein Kippmoment zu realisieren, das im Übergang vom Rezipierten zur Produktion des Neuen besteht. Und auch für Wolfgang Herrndorfs »In Plüschgewittern« versucht Stefan Born zu zeigen, dass das Aufgreifen von Mustern wie der Heldenreise oder der Initiationsreise zweideutig sei: sie gehören einerseits zur Gattung des Adoleszenzromans, werden aber in ihrer Aktualisierung zugleich parodiert. Yvonne Wolf zeigt an Heimito von Doderers »Strudelhofstiege«, dass der Roman an vielen Stellen gekennzeichnet ist durch das Spiel im Spiel, dass der Autor eine »Vorliebe für das den bühnenhaften Moment pointierende Verharren im Tableau« habe (S. 339). Das Komische allerdings beschränkt sich hier auf den komödienhaften, weil glücklichen Ausgang. »Das komische Kurzgedicht« stellt Maren Jäger an einer Reihe von Beispielen dar, die die ganz unterschiedlichen Wurzeln dieser Art von Dichtung belegen. Sie reichen vom pointierten Epigramm über Nonsense-Verse bis hin zum Dialektgedicht der Konkreten Poesie. Hier klingt auch an, dass neben den rhetorischen und poetologischen Kategorien der ›argutia‹ oder der ›brevitas‹ die Einflüsse der englischen Philosophie des 18. und 19. Jahrhunderts nicht zu unterschätzen sind. Ausgehend von der als Gattung verstandenen Satire bei Martianus Capella schlägt schließlich Uta Störmer-Caysa zwei Lesarten seines Textes vor, die unterschiedliche Satire-Konzeptionen entwerfen, wovon aber nur die menippeische von Notker in seiner Rezeption des Textes gesehen worden sei.

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Dann doch: »kritische Perspektivierung der Wirklichkeit«

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Auch wenn das Vorwort die Verengung des Komik-Diskurses unter Bezugnahme auf Michail Bachtin beklagt hat, kehrt die Abfolge der Beiträge unter der Überschrift des letzten Abschnitts »Komische Verfremdung und kritische Perspektivierung der Wirklichkeit« doch wieder zu diesem Konzept zurück. Natalia Shchyhlevska stellt mit dem Drama »Zetdam« von Alfred Gong aus dem Jahr 1958 ein Stück vor, das unmittelbar auf die atomare Bedrohung in der Aufrüstung jener Zeit reagierte. Hier wird Komik vom Bühnenbild über die Figuren und die Informationsvergabe innerhalb des Stückes erzeugt und durch Bibelparodie gesteigert. Allerdings erscheint der Appell an den Zuschauer nicht in der Komik realisierbar, denn am Ende des Stücks wird Ernsthaftigkeit im Angesicht der bevorstehenden Katastrophe eingefordert. Helge Schneiders »postrealistischer Anti-Kriminalroman« hat von dieser moralisierenden Tendenz nichts mehr. Bei aller Blödelei, die Judith Wagner in ihrer Untersuchung als Dekonstruktion des klassischen Kriminalromans aufzeigt, stellt sich dann doch die Frage, ob aus ihr »vielleicht sogar kritisches Potential zu gewinnen ist« (S. 445). Das wird aber weniger in der Dekonstruktion der Gattung Kriminalroman und der in ihr vermittelten Stereotypen gesehen, sondern liegt für Wagner in einer Verweigerungshaltung gegenüber einer popkulturellen Unterhaltungsindustrie und ihren Comedy-Formaten. Ariane Martin kehrt dann noch einmal zu Georg Büchner zurück und fragt ausgehend von der Ständeklausel nach der sozialen Realität in dessen Dramen. Im Mittelpunkt steht dabei Büchners Orientierung an Aristoteles‘ Poetik und den dort entwickelten Vorstellungen von Tragödie (und naturgemäß eingeschränkt Komödie). Die Neuerung besteht nun darin, dass bei Büchner die Vertreter des hohen Standes die komischen Figuren abgeben. Den Abschluss des Bandes bildet der Beitrag von Czesław Karolak, der sich mit Spuren »kafkaesker Komik in Siegfried Lenz‘ Kurzroman ›Landesbühne‹« befasst. Gezeigt werden »utopische Denkstrukturen« im Roman, die komische Qualität besitzen, gleichzeitig aber »die kritische Wahrnehmung der real bestehenden Verhältnisse« ermöglichen. Was grundsätzlich Aufgabe von Utopien wäre, wird allerdings durch die komische Überzeichnung im Roman gesteigert, so dass es zu Inkongruenzen kommt.

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Was Alliterationen auslösen

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Dass in einem so umfangreichen, facettenreichen und in vielerlei Hinsicht anregendem Sammelband nicht alle Beiträger in die gleiche Richtung argumentieren, auch die Beiträge nicht alle das gleiche Niveau halten, ist textsortenspezifisch und muss nicht weiter beklagt werden. Mein naturgemäß jeweils knappes Referat der Beiträge kann da Vorzüge und Mängel nicht benennen. Aber es ist auch der Versuch aufzuzeigen, wo die unterschiedlichen Perspektiven auf einen Gegenstand an ihre Grenzen kommen. Der Titel des Bandes ist alliterierend »Witz und Wirklichkeit«. Im Untertitel wird als das zugehörige ästhetische Verfahren der Weltaneignung die Komik benannt. Ich habe in meinen Kurzreferaten aufzuzeigen versucht, welche Begriffe aus dem Zusammenhang eines Komik-Diskurses denn jeweils in den Beiträgen verwendet werden. Es zeigt sich, dass es auch welche gibt, in denen entweder das Konzept der Komik oder aber die Frage des Witzes überhaupt nicht berührt sind. Dafür erscheinen Parodie, Satire, Ironie oder Humor, freilich an kaum einer Stelle so, dass diese für sich genommen ja jeweils nicht unproblematischen Begriffe noch einmal über die Einleitung des Bandes hinaus reflektiert würden. Lediglich in den beiden Beiträgen der Herausgeber wird in den Fußnoten umfangreicher auf einen aktuellen fachwissenschaftlichen Diskussionsstand abgehoben. Die meisten Beiträge müssen den kürzeren Anlauf wählen und setzen diesen Diskussionsstand in Abbreviatur voraus. Einige wenige allerdings springen überhaupt zu kurz, indem sie von Definitionen aus Handbüchern ausgehen. Das aber wird dem diskussionswürdigen und in jüngerer Zeit ja durchaus wieder intensiver bedachten Zusammenhang zwischen Komik, Witz, Humor und Lachen nicht mehr gerecht.

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Die Herausgeber sind dafür nicht verantwortlich zu machen. Sie haben die Beiträge in eine kluge Anordnung gebracht, die in manchen Fällen auch zu gegenseitiger Erhellung der Phänomene beiträgt. Und es gibt eine ganze Reihe von Beiträgen, die die Analyse von Komik erzeugenden Verfahren (und auch von Witz) im literarischen Zusammenhang beispielhaft demonstrieren und für die weitere Forschung Anregungen liefern. Es ist halt das spezifische Kippphänomen bei Sammelbänden: ein ›komischer‹ Beitrag macht nicht das Ganze zum Witz.

 
 

Anmerkungen

Berlin: Erich Schmidt, 2013 (Allgemeine Literaturwissenschaft – Wuppertaler Schriften 18)   zurück
Uwe Wirth (Hg.): Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart. Metzler 2017.   zurück