IASLonline

Mehr als verletzende Worte

  • Mario Müller: Verletzende Worte. Beleidigung und Verleumdung in Rechtstexten aus dem Mittelalter und aus dem 16. Jahrhundert. (Hildesheimer Universitätsschriften 33) Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms 2017. 416 S. 11 farb. Abb. Hardcover. EUR (D) 78,00.
    ISBN: 978-3-487-15627-9.
[1] 

Die Vermessung des Forschungsfelds

[2] 

Schmähungen, Beleidigungen, Verleumdungen, verbale Anfeindungen – verletzende Worte. Allein die Gegenwartsrelevanz der hier vorzustellenden Habilitationsschrift erscheint angesichts einer vielerorts beklagten Verrohung der Alltagssprache, um sich greifender verbaler ›Unflätereien‹ in sozialen Netzwerken und überhaupt in der Öffentlichkeit unmittelbar evident. Die Fragen, wie vormoderne europäische Gesellschaften derartige Phänomene verhandelt und welche Normen sich im Umgang mit »Zungensünden« herausgebildet haben, sind zwar schon vielfach adressiert worden. Derzeit erleben sie aber geradezu eine Konjunktur in der Forschung. 1 Bislang mangelte es jedoch an einer umfassenden, vorrangig rechtshistorisch ausgerichteten Übersicht, welche die Themen ›Beleidigung‹ und ›Verleumdung‹ im Mittelalter über einen Zeitraum von knapp 1100 Jahren behandelt und es ermöglicht, einzelne invektive Phänomene in einen größeren juridischen Zusammenhang einzubetten. Genau ein solcher rechtshistorischer und mit Gewinn zu lesender Überblick liegt nun mit der in Chemnitz verfassten und in Hildesheim gedruckten Habilitationsschrift von Mario Müller vor. Auf der Grundlage von knapp 200 normativen Texten aus dem ungefähren Zeitraum 500-1500 untersucht M. Müller, wie Beleidigungen und Verleumdungen sowohl in kirchlichen als auch in weltlichen Rechten verhandelt wurden. Immer wieder blickt er dabei auch auf das 16. Jahrhundert.

[3] 

Es ist, das soll hier nicht unerwähnt bleiben, nicht immer ganz ersichtlich, welcher Status einzelnen der besprochenen Texte in Bezug auf Geltung, Reichweite und Rezeption zukommt. Das liegt meines Erachtens vor allem an der Vielfalt der besprochenen Texte – die große Stärke, hier zugleich aber auch Schwäche der Studie – und der Tatsache, dass nicht alle Texte gleichermaßen systematisch die von M. Müller jeweils untersuchten Tatbestände behandeln. Von den spätantik-frühmittelalterlichen Leges über das Corpus Juris Civilis, den Sachsenspiegel, verschiedene Editionen des kanonischen Rechts, Kapitularien, Dekretalen, Konzils- und Synodalbeschlüsse, ferner Weistümer, Landfrieden, Rechtsbücher, Pönitentiarien, einzelne Stadtrechte, Rechtskommentare, Gerichtsakten und theologische Traktate, hin zu Strafprozess-, Gerichts- und Policeyordnungen des 16. Jahrhunderts und weiteren mehr wird eine Vielzahl doch sehr unterschiedlicher normativer Texte als »Recht« verhandelt. Mitunter relativiert M. Müller selbst den Status einzelner »Rechte« – am auffälligsten vielleicht am Beispiel des »Dresdner Rechts«, das eigentlich nur in Form von Urteilen ohne konkreten Bezug auf deren normative Grundlagen greifbar ist, hinsichtlich der untersuchten Delikte zudem auch nur in einer extrem kontingenten Überlieferung. 2 »Recht« meint in diesem Fall, wie in manch anderen Beispielen der Studie auch, eigentlich Urteilspraxis. Dieses Problems ist sich Müller durchaus bewusst und reflektiert dies auch in seiner abschließenden Forderung, insbesondere den Kontext der jeweiligen »Stadtrechte« künftig präziser auszuarbeiten und zu konturieren. Hilfe erhält der Leser von Müllers akribisch ausgearbeiteter Studie in einem alphabetisch gegliederten Register, in dem alle verwendeten Quellentexte aufgelistet sind. Damit kann die Studie auch als Nachschlagewerk verwendet werden, wenn man sich über die Behandlung der untersuchten Delikte in einzelnen Rechtstexten informieren möchte. Gleichwohl erschließt sich einem Leser, dem weder die rechtshistorischen Traditionen noch die Quellen bereits vor der Lektüre allesamt vor Augen stehen, die zeitliche und die räumliche Verteilung des gesamten Corpus nicht unmittelbar. In den systematischen Untersuchungen einzelner Tatbestände und Sanktionen wird dem Leser daher mitunter eine eigenständige Einordnung und einiges Hintergrundwissen abverlangt.

[4] 

Mario Müller konzentriert sich in der Analyse auf den Deliktbereich der Beleidigungen und Verleumdungen, die sich jeweils gegen einzelne Personen richteten und die sich erst nach und nach als je eigenständige Tatbestände ausdifferenzierten. Ausgangspunkt ist die grundsätzlich wenig überraschende Beobachtung, dass es vielen der untersuchten Texte an präzisen Legaldefinitionen mangelt. An diesen ist Müller jedoch besonders interessiert, um präzise jene Rechtsgüter herausarbeiten zu können, die durch die normativen Texte in Bezug auf Beleidigungen und Verleumdungen geschützt wurden, und um überhaupt die Tatbestände selbst genauer fassen zu können. Das Interesse an Definitionen führt im Ergebnis der Arbeit zu einer Art Glossar (S. 321-337), in dem zentrale Begriffe und Schlagworte lexikografisch aufgeführt und definiert werden. Im Kern bilden die dort aufgeführten Definitionen und begrifflichen Präzisierungen so etwas wie den Querschnitt der Beobachtungen und Analysen der einzelnen »Rechte«. Das daraus resultierende grundsätzliche Problem deutet sich damit bereits an und ich will dies hier nur an einem zentralen Beispiel verdeutlichen: Da die normativen Texte durchaus unterschiedliche Begriffe von ›Ehre‹ kannten, ist eine übergreifende Legaldefinition von Ehre als zu schützendem Rechtsgut am Ende ebenso hilfreich für eine erste Annäherung wie hinderlich für das Verständnis von Kontext und Begriffsinhalt in normativen Texten, die nicht der von M. Müller gebotenen Definition entsprechen. Als wichtige Ergänzung zu vorhandenen enzyklopädischen Nachschlagewerken sollten Müllers begriffliche Schärfungen aber in jedem Fall herangezogen werden. Natürlich ist es immer auch wohlfeil, wenn Rezensenten Ergebnisse einfordern, die sie selbst gern gelesen hätten, die aber nicht zwingend der Ziel- und Aufgabenstellung des zu besprechenden Werkes entsprechen. Doch wäre es hier aus meiner Sicht durchaus lohnend gewesen, die im Ergebnisteil aufgeführten Begriffe jeweils typologisch nach den unterschiedlichen Textgattungen zu präzisieren – die Unterschiede und Nuancen in den einzelnen »Rechten« wären so im Ergebnis meines Erachtens deutlicher sichtbar gewesen.

[5] 

Der Fokus auf Beleidigungen und Verleumdungen, denen M. Müller in vier systematischen Kapiteln auf den Ebenen der Tatbestände (Kap. B und C), der Gegenstände von Beschuldigungen (Kap. D) und der Sanktionen (Kap. E) nachspürt, ist nachvollziehbar begründet. Benachbarte Vergehen wie beispielsweise Realinjurien, die Majestätsbeleidigung, der Meineid oder Grabschändungen werden ebenso ausgespart wie Invektiven gegen soziale Gruppen, wie sie in jüngster Zeit vor allem für Polemiken untersucht worden sind. Das zugehörige Forschungsfeld hat Sita Steckel für das Mittelalter systematisch vermessen. 3 Der Gruppenbezug von verbalen Herabsetzungen ist auch in der neueren germanistischen Forschung herausgestellt worden und trotz der enormen Arbeit, die M. Müller selbst geleistet hat, ist es doch hin und wieder bedauerlich, dass prominente Studien wie etwa Anja Lobenstein-Reichmanns 2013 publizierte Studie zu sprachlicher Ausgrenzung im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit überhaupt nicht rezipiert worden sind. 4 Das mag vor allem an einem rechtshistorischen Fokus liegen, der selbst weniger an der Rechtspraxis als an Fragen der Normativität interessiert ist, und der der Sprach- und Sprechpraxis noch weniger Aufmerksamkeit widmet. Es wird daher in der Tat Aufgabe künftiger Forschungen sein, die bereits in beachtlicher Zahl und Qualität vorliegenden Studien zu diesen Bereichen zusammenzuführen und hierbei auch die Ambiguitäten, Ambivalenzen und Konkurrenzen normativer Vorstellungen genauer in den Blick zu nehmen, und das heißt dann eben auch die als legitim geltenden Formen sprachlicher Ausgrenzung oder polemischer Herabsetzung oder auch polemische Sprachspiele unter Gelehrten und deren genaue Abgrenzung zu oberflächlich gleichen Tatbeständen der Beleidigung und Verleumdung. Gewährt man solchen Überlegungen mehr Raum für die Analyse, dann wäre auch die Frage, welche Rechtsgüter eigentlich durch Worte verletzt werden konnten, noch einmal unter geänderten Vorzeichen neu und breiter zu diskutieren.

[6] 

Verletzende Worte – Rechtsgüter, Tatbestände, Gegenstände und Sanktionen

[7] 

Blickt man nun aber auf jene Rechtsgüter, die nach Mario Müller als schützenswert in den normativen Texten verhandelt wurden, tauchen neben der Ehre auch der Leumund einer Person sowie die »Christenheit« (als persönliches Bekenntnis zu Kirche und christlichem Glauben) auf. Aus den klassischen Studien von Ernst Schubert und Martin Bauer wissen wir, dass der Leumund zentraler Dreh- und Angelpunkt von öffentlicher Meinung im Spätmittelalter war. 5 Mit der Studie von Müller sehen wir nun aber besser, welchen hohen Stellenwert der Leumund bereits früher in der juridischen Diskussion über Beleidigungen und Verleumdungen hatte, die jeweils auch einer gewissen Öffentlichkeit bedurften, um rechtlich relevant zu werden. Die »Christenheit« als zu schützendes Rechtsgut findet ihr Gegenüber praktisch im Vorwurf eines wie auch immer ausgeprägten gottlosen Verhaltens bis hin zur Ketzerei.

[8] 

Nicht ohne Grund kam diesem Rechtsgut seit dem 13. Jahrhundert im Gefolge der Auseinandersetzung mit häretischen Gruppen sowie einer deutlich an Fahrt gewinnenden Diskussion über Blasphemie und der »gründliche[n] begriffliche[n] Durchdringung des Sündenspektrums von Beleidigung und Verleumdung« (S. 319) ein zunehmend größerer Stellenwert im Recht zu. Als zentrale Referenzen führt Müller etwa Thomas von Aquin, Bernhard von Clairvaux und Albertus Magnus an. In dieser Entwicklung erkennt M. Müller zudem eine zeitliche Zäsur, die mit einer ersten Phase einer intensiveren Rezeption des römischen Rechts zusammenfiel. Eine zweite Phase sieht er mitverantwortlich für die weitere begriffliche Ausdifferenzierung im 15. und 16. Jahrhundert, in deren Folge der Injurienbegriff klar auf den Tatbestand der Beleidigung eingegrenzt wurde.

[9] 

Die einzelnen Tatbestände untersucht Müller in einem interessanten Zugriff, der durchaus überzeugend dem Problem begegnet, dass die mittelalterlichen Rechte nicht immer systematisch zwischen Beleidigung und Verleumdung unterschieden, zugleich aber doch einzelne Tatbestände in unterschiedlichem Maße behandelten und bewerteten. Ausgehend von gegenwärtigen Definitionen beider Deliktbereiche im Sinne eines kontrollierten Anachronismus analysiert M. Müller zunächst einfache Beleidigungen und üble Nachrede (Kap. B) als Sprechakte, die den Geltungswert einer Person herabsetzen, systematisch nach einzelnen Kriterien wie zeitgenössischen Tatbestandsbeschreibungen, Formen, zeitgenössischen Vorstellungen vom Vorsatz, ständischen und autoritätsabhängigen Beziehungen bis hin zur Beleidigung von Amtsträgern, post mortem verbreiteten Beleidigungen sowie Haftung und Beleidigungsfähigkeit. In letzterem Fall legt er ein besonderes Augenmerk auf die normativ eingeschränkte Fähigkeit von Frauen, »tatsächlich« beleidigen zu können. Im Ergebnis zeigt sich etwa, dass Beschimpfungen und Schmähungen vor allem dann als normativ problematisch erschienen, wenn sie eine gewisse Öffentlichkeit erreichten, sei es in Form von an (teil-)öffentlichen Orten ausgesprochenen Schimpfwörtern oder Scheltworten, die einen sittlichen Makel des Gescholtenen behaupteten, sei es durch Einflüsterungen gegenüber relevanten Dritten oder durch die Verbreitung von Pasquillen. Bereits bei Thomas von Aquin war das Moment der Öffentlichkeit entscheidend, denn öffentliche Invektiven störten das soziale Miteinander und säten Unfrieden. Überraschenderweise scheint aber etwa die Concordia kein zu schützendes Rechtsgut im Injurienrecht gewesen zu sein, zumindest nicht in den von M. Müller untersuchten Beispielen.

[10] 

Im nachfolgenden Kapitel C zu Verleumdungen und falschen Anschuldigen vor Gericht geht M. Müller dann detaillierter auf die unterschiedlichen Prozessformen ein, betont den fortbleibend hohen Stellenwert des Reinigungseids und des Infamationsverfahrens sowie das Nebeneinander und die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Verfahrenstypen im späten Mittelalter. Befeuert wurde die rechtliche Diskussion, so M. Müller, durch die seit dem 12. Jahrhundert verstärkte theologische Debatte über Zungensünden. »Die Annahme von der lasterhaften Zunge zog nach sich, über den Schaden für die Mitmenschen nachzusinnen.« (S. 144) In diesem Zusammenhang wären, so M. Müller, sowohl der prozessrechtliche Schutz unschuldig Angegriffener als auch die neuen Formen der Beweisführung im Inquisitionsprozess eine mehr als nur mittelbare Folge der angestrengten Debatten über Zungen, die wie Schwerter verletzen können. Überhaupt, so betont Müller an vielen Stellen der Arbeit, wäre der prozessrechtliche Schutz der Beklagten vor falschen Anschuldigungen ebenso eine wichtige Triebfeder der Entwicklung gewesen wie der Versuch, die Anzahl der Klagen im Sinne einer Entlastung der Gerichte zu beschränken. Da wir aber über die Normgebungsverfahren häufig gar nicht im Detail informiert sind, wird über die letztgenannte Deutung der Norm-Intentionen sicherlich weiter zu diskutieren sein.

[11] 

Kapitel D widmet sich den Gegenständen der Beschuldigungen und ihren geschlechtsspezifischen Ausprägungen, die vor allem in profanen Rechtstexten behandelt wurden. Im Ergebnis zeigt sich insgesamt eine deutliche Geringschätzung des Weiblichen und damit ein erhebliches Diskriminierungspotenzial im Recht. Insbesondere das »weibische Geschwätz« wurde lange Zeit eher als beiläufiges Delikt nur geringfügig oder überhaupt nicht sanktioniert; erst im 15. und 16. Jahrhundert hätten zunehmend Rechtstexte für den ländlichen Raum (hier ist an die Praxis der Rügegerichte zu denken) die Ehegatten für das »Geschwätz« ihrer Frauen bestraft. Wie auch immer erklärt dieses Kapitel sehr gut, wie die Kriminalisierung bestimmter Verhaltensweisen dazu führte, dass normativ auch die womöglich falsche Beschuldigung derartigen Verhaltens (etwa behauptete Vergewaltigung oder Hexereivorwurf) verhandelt und damit Teil des sich ausdifferenzierenden Injurienrechts werden musste.

[12] 

Dieses Argument wird anschließend in Kapitel E vertieft, das gleichsam als ein Kapitel darüber gelesen werden kann, wie zeitgenössisch über die Konsequenzen falscher Beschimpfungen und Verleumdungen nachgedacht wurde. Da viele der im Injurienrecht behandelten falschen Anschuldigungen erhebliche soziale und rechtliche Konsequenzen für die Beklagten nach sich ziehen konnten, galten für die Gegenpartei ebenso erhebliche Strafandrohungen. Allerdings konnte das übergreifend gültige Talionsprinzip vor allem dann schwerwiegende Konsequenzen für den Beschuldigenden nach sich ziehen, wenn einzelne Rechte nicht nach Vorsatz oder Fahrlässigkeit einer Beleidigung bzw. eher noch einer Verleumdung unterschieden. Grundsätzlich ist ein System von Sanktionsmechanismen erkennbar, das mithilfe von Strafen auf eine Entehrung der Täter zielte und mithilfe von (Geld-)Bußen auf eine Ersatzleistung für die Opfer – für letzteres bietet M. Müller auch eine tabellarische Übersicht von Geldbußen und diskutiert systematisch die unterschiedliche Taxierung in einzelnen Rechten.

[13] 

Ein Ausblick

[14] 

Neben den bereits eingangs angesprochenen Befunden belegt die Studie eindrucksvoll, wie wichtig etwa zeitgenössische Vorstellungen von Sexualmoral im Injurienrecht waren. Künftige Untersuchungen zu Phänomenen der Herabsetzung und Beschimpfung im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit können zudem an Müllers Befund anknüpfen, dass erst die jüngeren Rechte die Rolle der Beleidigungsabsicht standardisiert behandelt und zur Voraussetzung für eine Injurienklage erhoben haben. Auf der Grundlage des von Mario Müller geleisteten Überblicks dürfte es künftig auch leichter fallen, den beschriebenen Kanon an Schimpfwörtern und schweren Beschuldigungen in konkreten, gerichtsnotorischen Fällen differenzierter den einzelnen Bestandteilen der Rechtsgüter Ehre, Leumund und Christenheit zuzuordnen. Diese drei Rechtsgüter könnten damit eine idealtypische Triade künftiger Forschungen bilden. Hinsichtlich der Geschlechterehre deutet sich das in den vorbildlich ausführlichen Abschnitten über die Rolle von Frauen im Injurienrecht bereits an. Ob und in welchem Verhältnis nun aber bestimmte Beleidigungen von Männern auf Aspekte von Männlichkeit als Teil von Ehre, auf eine Form von Standesehre, auf Gruppenzugehörigkeiten oder doch eher auf individuelle Eigenschaften abzielten, ist eine Frage, die mithilfe normativer Texte nicht mehr hinreichend beantwortet werden kann. Hier sind künftige Forschungen gefragt, um die von M. Müller untersuchten Normen stärker in ein Verhältnis zur sozialen Praxis und zu Sprechpraktiken zu setzen. Damit ist dann auch die Frage angesprochen, als wie verletzend bestimmte Worte in konkreten Situationen und von wem eigentlich aufgefasst und in welcher Form und mit welchen Argumenten diese Konstellationen nachgehend vor Gericht verhandelt wurden.

 
 

Anmerkungen

Beispielsweise Ralf G. Bogner: Die Bezähmung der Zunge. Literatur und Disziplinierung der Alltagskommunikation in der frühen Neuzeit (Frühe Neuzeit; Bd. 31), Tübingen: Niemeyer 1997; Bettina Lindorfer: Bestraftes Sprechen. Zur historischen Pragmatik des Mittelalters, Paderborn, München: Fink 2009; Gerd Schwerhoff: Zungen wie Schwerter. Blasphemie in alteuropäischen Gesellschaften 1200-1650 (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven; Bd. 12), Konstanz: UVK 2005.Zur Konjunktur des Themen- und Forschungsfelds vgl. exemplarisch die Projekte des Dresdner Sonderforschungsbereichs 1285 »Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung«; URL: https://tu-dresden.de/gsw/sfb1285 (7.5.2019).   zurück
Thomas Kübler / Jörg Oberste (Hg.): Das vierte und fünfte Stadtbuch Dresdens 1477-1505, bearbeitet von Jens Klingner und Robert Mund, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2008.   zurück
Sita Steckel: Verging on the polemical. Towards an
interdisciplinary approach
to medieval religious polemic
. In: Medieval Worlds 7 (2018), S. 2-60. doi: 10.1553/medievalworlds_no7_2018s2.   zurück
Anja Lobenstein-Reichmann: Sprachliche Ausgrenzung im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (Studie Linguistica Germanica, Bd. 117). Berlin / Boston: de Gruyter 2013.   zurück
Martin Bauer: Die »Gemain Sag« im späteren Mittelalter. Studien zu einem Faktor mittelalterlicher Öffentlichkeit und seinem historischen Auskunftswert, Univ. Diss. Erlangen-Nürnberg 1981; Ernst Schubert: »bauerngeschrey«. Zum Problem der öffentlichen Meinung im spätmittelalterlichen Franken. In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 34/35 (1975), S. 883-907.   zurück