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Ein neues Standardwerk zur Emblematik

  • Bernhard F. Scholz: Emblem und Emblempoetik. Historische und systematische Studien. (Allgemeine Literaturwissenschaft. Wuppertaler Schriften 3) Berlin: Erich Schmidt 2002. 421 S. Kartoniert. EUR 39,80.
    ISBN: 3-503-06139-8.
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Bei all den vielen, aufgrund äußerer Zwänge schnell geschriebenen Büchern, die heute in Serie entstehen, sind fundierte Gesamtdarstellungen von erfahrenen Spezialisten selten geworden. Umso erfreulicher sind die in einem Band gesammelten Studien des Emblemforschers Bernhard F. Scholz, die Arbeitsergebnisse von drei Jahrzehnten präsentieren. Damit liegt nach Albrecht Schönes Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock von 1964 endlich ein neues und gänzlich anders perspektiviertes Standardwerk zur Emblematik vor.

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Das Buch besteht aus einer Einleitung und zwei Hauptteilen. Zunächst werden die wichtigsten Themen und Fragestellungen der Emblemforschung angesprochen (Einleitung). Der erste Hauptteil ist eine Annäherung von historischer Seite, der zweite widmet sich dem Emblem als synmediale didaktische Gattung und damit auf systematische Art.

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Alciato: »die causa efficiens
der Gattung des Emblems«

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Entscheidend bei allen Erörterungen zur Emblematik und ihrer Geschichte ist stets das erste Emblembuch, dessen Entstehung weitgehend im Dunkeln liegt. Um 1522 verfasste der Mailänder Jurist Andrea Alciato eine Reihe ekphrastischer Epigramme und nannte sie ›Emblemata‹. 1531 druckte sie der Augsburger Drucker Heinrich Steiner und fügte den Texten Holzschnitte bei, die er bei Jörg Breu in Auftrag gegeben hatte. Warum er das tat, ist unklar geblieben; dies war jedoch Ausgangspunkt einer neuen Gattung. Bis heute beschäftigten sich Emblemforscher mit der Entstehung dieses ersten Emblembuchs, fragen nach dem Zeitpunkt der definitiven Gattungsbestimmung und -institutionalisierung sowie dem Verhältnis von Text und Bild. Da mit Emblemen stets eine Vielzahl theoretischer Fragestellungen verknüpft sind, verbietet sich eine rein historische Betrachtung einzelner Emblembücher ohne Beachtung der Theorie. Entsprechend greift Scholz in seinem systematischen Teil die im zweiten Teil dargelegten frühmodernen Positionen wieder auf, um sie »im Zusammenhang moderner theoretischer Ansätze zu rekonstruieren«. (S. 12)

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Bezüglich der Steinerschen Erstausgabe bezieht Scholz bereits in der Einleitung Position. Durch einen Vergleich eines Emblems mit seiner Entsprechung in der Pariser Ausgabe von 1534, an deren Entstehung Alciato erwiesenermaßen beteiligt war, glaubt er zeigen zu können, wie die Beziehung zwischen Wort und Bild gedacht gewesen sein könnte. Das gewählte Beispiel legt nahe, dass die bildlichen Darstellungen Illustrationen zum Epigramm sind und den epideiktischen Gegenstand wiedergeben. Damit dies möglich ist, müssen Produzent und Rezipient Teil einer Interpretationsgemeinschaft sein, die über ein Reservoir allgemein bekannter Symbole verfügt, das in Emblembüchern immer wieder verwendet wird. »Der Niedergang der Emblematik gegen Ende des 18. Jahrhunderts markiert das Ende dieser Gemeinschaft und damit einer wesentlichen pragmatischen Voraussetzung für ein angemessenes Verständnis.« (S. 41) Wenn auch das Arsenal an Zeichen und Symbolen in einer kulturellen Gemeinschaft begrenzt ist, heißt das noch lange nicht, dass es eine Gattungssystematik mit benennbaren Klassifikationen geben muss. Laut Scholz kam es zur »endgültigen terminologischen Fixierung des Ausdrucks ›emblema‹« (S. 35) erst, als eine neue Textsorte (Imprese) größere Präzision und Abgrenzung verlangte. Eine Gattungsbestimmung erfolgte während der Frühen Neuzeit nicht, es gab lediglich »unterschiedliche Strukturierungsmöglichkeiten der Kunstproduktion des 16. und 17. Jahrhunderts aufgrund unterschiedlicher Interessen«. (S. 37) Rund 100 Seiten später stützt Scholz seine Stellungnahme zu Alciato in einem gesonderten Kapitel, in dem er dessen Bezeichnung als »emblematum pater et princeps« als »Metapher für die causa efficiens der Gattung des Emblems« auffasst. (S. 171)

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Drei Emblematiker
des 16. und 17. Jahrhunderts

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In dem historischen und umfassendsten Teil (etwa 200 Seiten) geht es um die frühmoderne Emblempoetik und damit um unterschiedliche »Strukturierungsmöglichkeiten«. Anhand von drei poetologischen Texten (von Paolo Giovio, Henri Estiennes und Claude-François Menestrier) des 16. und 17. Jahrhunderts wird der Status des Emblems in dieser Zeit dokumentiert. Damit betritt Scholz Neuland. Gattungsbestimmungen in der Frühen Neuzeit werden selten über eine Untersuchung der Argumentation frühmoderner Poetiken ermittelt. Mit Recht moniert Scholz die Fixierung der Forschung auf Individuen und die mangelnde Akzeptanz von topisch organisierten Wissenszusammenhängen:

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Ein derartiger intentionalistischer Autorbegriff stand jedoch den theoretischen Versuchen des 16. und auch des 17. Jahrhunderts noch gar nicht zur Verfügung. Er ist ein Produkt des 18. Jahrhunderts, und er besitzt denn auch erst für die literaturwissenschaftliche Forschung zum 18. Jahrhundert (einige) Gültigkeit. Fragt man nach den apriorischen Voraussetzungen der Poetik der Frühmoderne, also nach deren Protopoetik, so sieht man sich ausnahmslos auf die eine oder andere Ausarbeitung der Topik verwiesen und auf die dort anzutreffenden Listen von topoi, loci oder sedes argumentorum. (S. 50; vgl. die Ausführungen zum Autorbegriff der Renaissance, S. 145 ff.)
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Frühmoderne Poetiken, so seine Überzeugung, beruhen auf der Darlegung von Gewusstem, der Legitimation von Neuem sowie der Verwaltung und Bereitstellung dieses Wissens (vgl. S. 58).

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Die drei Poetologien sind geschickt gewählt, da sie sich gleichzeitig aufeinander beziehen und einen entscheidenden Schritt weitergehen. Der rote Faden, der alle drei Texte durchzieht, ist die Übertragung des Begriffspaares Leib – Seele auf die Bild-Text-Dualität im Emblem (vgl. das gesonderte Kapitel II. 7, S. 215–230). Paolo Giovo gilt als »arcimaestro der Imprese« (S. 65) und gibt mit seinen fünf conditioni vniversali in seinem Dialogo dell’Imprese Militari et Amorose (1555) erste Vorgaben zur Gestaltung einer perfekten Imprese. Dabei handelt es sich um keine definitorische, sondern um eine kriteriologische Bestimmung aus einer kommunikativen Situation heraus. Giovo ging offensichtlich davon aus, dass seine Leser wussten, was eine Imprese ist. Die conditioni, die genannt werden, sind denn auch keine Merkmale eines fertigen Kunstwerks, sondern Hilfen bei der inventio, also Produktionsregeln aus dem Fundus der Rhetorik.

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Auf Giovos Dialog beziehen sich die beiden folgenden direkt. Henri Estiennes L’Art de Faire les Devise von 1645 weist eine topische Gliederung auf und versucht eine Gattungsbestimmung durch eine schrittweise Abgrenzung. Dadurch erweisen sich Devise und Emblem als nah verwandt, aber durch eine letzte differentia specifica als zwei species eines genus: »Zusammen bilden sie das Paar, das mit Hilfe einer letzten differentia specifica begrifflich getrennt wird, nämlich aufgrund der Tatsache, daß die Maxime des Emblems allgemeingültig ist, die der Imprese dagegen sich auf dessen Träger bezieht.« (S. 93)

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Besonders bedeutsam an diesem Teil sind – neben der Ergebnisse für die frühmoderne Emblempoetik – die Aussagen über Topik und Gattungsbestimmung in der Frühen Neuzeit (v.a. S. 91 ff.). Scholz führt vor, wie Gattungen in diesem Zeitabschnitt verstanden wurden. Man kann dadurch leicht erkennen, dass eine Gattung aufgrund von Diskursvorgaben in ein vorgegebenes Schema von causae eingeschrieben wird.

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Auffällig ist bei Estienne die Vorrangigkeit des Bildes, das Wort ist kaum Thema. Stützt das die Anhänger der Theorie von der Priorität des Bildes? Scholz’ Erklärung, die »phänomenale Gegebenheit von Wort und Bild [...] muß so lange unter den Tisch fallen, bis der theoretische Diskurs zur Rettung auch dieser Phänomene in der Lage sein wird« (S. 102), befriedigt nicht, kann aber, wie so vieles im Fall von Text-Bild-Beziehungen, nicht präzisiert oder widerlegt werden. Es ist nicht zu klären, warum Gewichtungen erfolgen, wenn sie, und das ist leider meistens der Fall, in Traktaten nicht diskutiert werden. Klar ist aufgrund der Ausführungen des Autors der Studie jedoch, dass die Bestandteile der Metapher von Leib und Seele auf diese Weise zum Problem werden muss. Wenn das Wort untergeordnet wird, kann die Gleichsetzung von Seele und Wort nicht in der Form, wie sie sich bei Giovo findet, aufrechterhalten werden. So verliert das Wort bei Estienne seinen Stellenwert als causa formalis. Er sieht es stattdessen als causa instrumentalis, als Vermittlung einer inneren Rede im Zeichen nach außen.

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Wie Scholz überzeugend darlegt, hat zwischen Estiennes L’Art de Faire les Devises von 1645 und Claude François Menestriers L’Art des Emblêmes von 1684 ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Das Augenmerk richtet sich nun auf das Umreißen einer Gattung, weshalb Menestriers Traktat sich ausgezeichnet für eine Untersuchung eines Textkorpus und seiner Zusammensetzung im Hinblick auf Gattungsbestimmung eignet. Texte werden bei ihm verstanden »als Resultate des Zusammentreffens einer Vielzahl von nicht vorhersehbaren und deshalb auch nicht absichtlich herbeizuführenden kontextuellen Faktoren, die zusammengenommen dasjenige ausmachen, was nun ›les origines‹ dieses bestimmten Textes heißt« (S. 120). Wenn aber der konkrete Text plötzlich bedeutsam wird, geraten andere Beschreibungsmerkmale in den Blick. Gleichzeitig taucht das heute noch virulente Problem auf, dass bei Textsortenbestimmungen stets zwischen einem abstrakten Gattungsbegriff und einem »Spektrum an Variablen« (S. 124) vermittelt werden muss.

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Menestrier ist der erste, der – so Scholz – die Frage nach der Entwicklung von einem »pur effet« zu einer »institution« stellte. Seine Antwort entspringt der Philosophie seiner Zeit. Es ist eine notwendige Entwicklung, die einem regelgeleiteten poietischen Handeln entspringt und von »origine« über »pratique« und »usage« bis zur »methode« und damit dem Erstellen von Regeln reicht (vgl. S. 126 f.). Interessant ist Menestriers Bewertung Alciatos als Wiederentdecker einer vergangenen Tradition und nicht als Stifter einer neuen. Die Gattung Emblem wird in eine lange Reihe gestellt, um sie Dignität gewinnen zu lassen. Eine Chronik ihrer Entwicklung fehlt im Anschluss allerdings. Das Textkorpus wird rein typologisch beschrieben. Neu daran ist jedoch, dass es überhaupt in Hinblick auf feststellbare Fakten untersucht wird. Die aristotelische Dialektik greift nicht mehr, das Emblem wird erkenntnistheoretisch verortet, es hat als moralisches ›Bild‹ eine kognitive Funktion, die sich in mehreren Funktionsweisen realisieren kann (vgl. S. 141). Damit können Embleme funktionalen Kategorien zugeordnet werden.

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Die Ausführungen zu den drei Emblematikern des 16. und 17. Jahrhunderts zeigen, dass der Versuch moderner Emblemtheoretiker, aus Gattungsbeschreibungen Gattungsbestimmungen zu machen, scheitern muss. Der frühmoderne Emblembegriff ermöglicht, so Scholz, die Beschreibung eines vielgestaltigen Korpus, aber er kann nicht zu dessen Bestimmung dienen. Scholz regt aus diesem Grund an: »Die moderne Emblemforschung sollte [...] versuchen, Beschreibungsmodelle zu entwickeln, die in der Lage sind, den durch den frühmodernen Emblembegriff zwar faktisch ermöglichten, aber nicht begrifflich erfaßbaren Variantenreichtum des Emblems darzustellen.« (S. 245)

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Perspektiven
für die zukünftige Arbeit

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In dieselbe Richtung zielt der abschließende systematische Teil des Buches, der ebenfalls auf Lücken in der Forschung hinweist und damit Perspektiven für die zukünftige Arbeit aufzeigt. Scholz beschäftigt sich mit Problembereichen, die nur schwer voneinander zu trennen sind: die Referentialität des Emblems, die Gattungsbestimmung, die didaktische Funktion sowie die Bildstruktur und
-wahrnehmung. Die Darlegungen knapp umreißend, kann man feststellen, dass sich Scholz mit seiner zeichentheoretisch ausgerichteten Untersuchung von Albrecht Schöne abhebt, um zum einen den emblematischen Code und die Zeichenfunktion, zum anderen die Hermeneutik und Sehkompetenz eines potentiellen Betrachters der frühen Neuzeit ermitteln zu können. Dabei wird von der Annahme ausgegangen, es sei möglich, »das der Emblematik zugrundeliegende Symbolsystem zu rekonstruieren« (S. 355).

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Wie man schnell sieht, wendet der Autor hier die Theorie Nelson Goodmans an. Warum ausgerechnet dessen Notationsbegriff für die Emblematik zur Anwendung kommt, bleibt leider unbegründet. Scholz versucht,

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ein Beschreibungsinstrumentarium für emblematische Bilder zu entwickeln, welches es bei der Beschreibung der Inhalts- wie der Ausdrucksebene des emblematischen Textes und Bildes einerseits gestatten würde, die im 16. und 17. Jahrhundert üblichen ontologischen Unterscheidungen von Elementen des Bildkörpers (corpo) aufzunehmen, andererseits aber auch in der Lage sein würde, dem sich der frühmodernen Poetik noch nicht vollkommen deutlich – weil nur in ontologischer Einkleidung – stellenden Problem der Wahrnehmung von emblematischen Bildern Rechnung zu tragen. (S. 370 f.)
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Fazit

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Die in diesem Band zusammengetragenen Studien eröffnen der Emblematikforschung, die sich in den letzten Jahren hauptsächlich mit Einzelfallstudien beschäftigt und sich nur selten an theoretische Grundsatzfragen gewagt hat, neue Wege, die sie dringend einschlagen sollte, um den Anschluss an moderne theoretische Überlegungen nicht endgültig zu verlieren. In den Ausführungen von Bernhard F. Scholz stecken die Begründungen mehrerer langjähriger Forschungsprojekte, auch wenn sie – und dies ist der einzige Vorwurf, der gemacht werden kann – teilweise nur mühsam dem äußerst kompliziert geschriebenen Text entnommen werden können. Für die Emblematikforschung ist dies ein überaus wichtiges Buch.