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Eine spätmittelalterliche fränkische Malerwerkstatt im Visier.

Neue Forschungen zu Michael Wolgemut und seiner Werkstatt.

  • Benno Baumbauer / Dagmar Hirschfelder / Manuel Teget-Welz (Hg.): Michael Wolgemut - Mehr als Dürers Lehrer ;. Eine Ausstellung der Museen der Stadt Nürnberg. (Schriftenreihe der Museen der Stadt Nürnberg 19) Regensburg: Verlag Schnell & Steiner 2019. 352 S.
    ISBN: 978-3-7954-3470-0.
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Forschungslage

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Die spätmittelalterliche deutsche Tafelmalerei des 15. Jahrhunderts brachte einen Reichtum an prächtigen Wandelaltären und Epitaphien hervor. Vor dem Hintergrund einer sich entfaltenden Laienfrömmigkeit und angeregt durch italienische und niederländische Vorbilder entstanden farbintensive und detailreiche Szenen, die den Betrachter zum Miterleben des Heilsgeschehens einluden. Robert Suckale bewertete diese kunstgeschichtliche Epoche als einen »hundertjährigen Aufstiegsprozess« und verglich sie mit einem »Nährboden«, auf welchem die Kunst der deutschen Renaissance ausgehend von den großen süddeutschen Reichsstädten Straßburg, Ulm, Augsburg und Nürnberg zu einer vollständigen Erneuerung der deutschen Malerei führte. 1

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Der Nürnberger Malerunternehmer Michael Wolgemut (1434-1519) zählt sicher nicht zu den Revolutionären der Tafelmalerei; vielmehr folgte er treu dem Vorbild Hans Pleydenwurffs (gest. 1472). Suckale lobte Wolgemut schlicht als »tüchtigen Organisator einer Werkstatt, die sich auf die Aufgabe konzentrierte, die große Nachfage an Bildaltären zu befriedigen (…)«. 2 Doch während die wenigsten in den Quellen erwähnten Namen fränkischer Tafelmaler des 15.  Jahrhunderts mit überlieferten spätmittelalterlichen Werken verknüpft werden können, ist die Werkstatt Michael Wolgemuts dank der überlieferten schriftlichen Quellen, Werkstattmaterialien sowie Tafelmalereien und Altäre, die sich vielfach noch in Nürnbergs Pfarrkirchen im ursprünglichen Kontext ihrer Aufstellung befinden, verhältnismäßig gut fassbar.

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Eine Publikation, die sich wissenschaftlich und umfassend mit Michael Wolgemut und seinem Werk auseinandersetzt, fehlte bislang. Die Grundlage der Wolgemut-Forschung bildet bis heute die 1955 eingereichte und immer noch unpublizierte Dissertation von Gerhard Betz 3 . 1993 widmete Peter Strieder der fränkischen Malerwerkstatt in »Tafelmalerei in Nürnberg 1350-1550« 4 ein ausführliches Kapitel mit Werkbeschreibungen, Analysen und Zuschreibungen, die sich allerdings auf die Tafelmalerei beschränken. Auf eine neue Basis wurde die Forschung der spätmittelalterlichen fränkischen Tafelmalerei durch das von Robert Suckale geleitete und in Zusammenarbeit mit dem Restaurator Eike Oellermann durchgeführte Forschungsprojekt der TU Berlin »Fränkische Tafelmalerei vor Dürer« (1995-2000) gestellt. Im Fokus des Projekts stand die kunsttechnologische und -geschichtliche Untersuchung von ca. 820 spätmittelalterlichen Tafelgemälden aus der Region Bamberg und Nürnberg. 5

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In der Zwischenzeit sind wichtige Wolgemut-Altäre und Tafelgemälde umfassend erforscht worden, so z. B. das Hochaltarretabel der Stadtkirche St. Marien in Zwickau 6 oder der Altar der Pfarrkirche St. Johannis in Crailsheim. Letzterer stand im Zentrum einer in Crailsheim veranstalteten Tagung im März 2016 mit namhaften Experten der spätmittelalterlichen fränkischen Malerei. 7 Einen weiteren Meilenstein auch für die Wolgemut-Forschung setzte schließlich das Forschungsprojekt des Germanischen Nationalmuseums »Die Deutsche Tafelmalerei des Spätmittelalters«. Das erste Teilprojekt (2013-2016) widmete sich unter der Leitung von Dagmar Hirschfelder und Daniel Hess der kunsthistorischen und -technologischen Erforschung der fränkischen Malerei – darunter fünfzehn Tafeln der Wolgemut-Werkstatt aus elf Werkzusammenhängen. 8

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Der 500. Todestag Michael Wolgemuts im November 2019 gab schließlich den Anlass, den Nürnberger Malerunternehmer und seine Werkstatt mit einer Einzelausstellung zu würdigen. Diese in Zusammenarbeit der Nürnberger Kulturinstitutionen mit der FAU Erlangen-Nürnberg erarbeitete Ausstellung fand über neun Stationen verteilt statt und bezog das Albrecht-Dürer-Haus, das Tucherschloss, das Germanischen Nationalmuseum sowie die Stadtkirchen Nürnbergs und Schwabachs in den Parcours ein. Anlässlich der Ausstellung erschien der Sammelband mit Katalog »Michael Wolgemut. Mehr als Dürers Lehrer«.

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Essays

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Nach Geleitwort, Vorwort, Einführung und einem Lageplan der Ausstellungsstationen befassen sich zwölf Autoren in dreizehn Essays mit allen wichtigen Aspekten der Wolgemut-Werkstatt. Nach einem einführenden Blick auf Wolgemuts Lebenslauf und dem sozialgeschichtlichen Kontext seiner Werkstatt zeichnen die anschließenden Beiträge ein Panorama aktueller Forschungsstände zu den Bereichen Tafelmalerei, Bildschnitzerei, Zeichnungen und Entwürfe für Druckgraphik aus der Wolgemut-Werkstatt.

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Leben und Umfeld

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Vorrangig an Gerhard Betz angelehnt und entlang an Schlüsselwerken der Wolgemut-Produktion skizziert Manuel Teget-Welz (FAU) Michael Wolgemuts Lebensspuren (S. 17-25). Hinweise zu den überlieferten Quellen erhält der Leser vereinzelt in den Fußnoten – ein kompakter Überblick über die Quellenlage zu Beginn des Texts wäre hilfreich und informativ gewesen. Entgegen älteren Spekulationen stellt Teget-Welz klar, dass sich Wolgemuts Mitarbeit in Hans Pleydenwurffs Werkstatt weder durch Quellen noch stilkritische Indizien nachweisen lässt. Als zentrales Ereignis im Hinblick auf Wolgemuts Werk gilt die Heirat mit Pleydenwurffs Witwe Barbara und die damit verbundene Übernahme des Malerunternehmens Hans Pleydenwurffs samt einem beachtlichen Fundus an Werkstattzeichnungen.

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Den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Wolgemut-Werkstatt gehen Andreas Tacke und Ursula Timann (Universität Trier) in ihrem Beitrag Expansion ohne Regeln. Die Wolgemut-Werkstatt im Lichte der fränkischen Maler(zunft)ordnungen (S. 27-35) nach. Die Autoren erinnern daran, dass Künstler in der mittelalterlichen Ständegesellschaft als Handwerker dem dritten Stand angehörten und »weit von dem entfernt [waren], was die Kunstgeschichte später aus ihnen machte«. In der freien Reichsstadt Nürnberg waren Zünfte nach ihrem Aufstand im Jahr 1348 verboten. Die Tafelmaler mussten sich den zunftähnlichen Handwerksordnungen unterwerfen. Eine eigene Malerordnung wurde den Nürnberger Künstlern trotz mehrfacher Beantragung verwehrt.

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Tafelmalerei

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Das malerische Werk Hans Pleydenwurffs bildete das Fundament für das Wirken Wolgemuts und seiner Mitarbeiter. In ihrem Aufsatz Hans Pleydenwurff und seine Bedeutung für das Schaffen Wolgemuts (S. 37-45) demonstriert Dagmar Hirschfelder (Germanisches Nationalmuseum), auf welche Weise Pleydenwurffsche Werke wie das »Gedächtnisbild des Georg Graf von Löwenstein« (um 1456) (Kat. 5) oder das ehemals aus der Nürnberger Dominikanerkirche St.  Marien stammende »Dreikönigsretabel« aus St. Lorenz (1460/65) (Kat. 8) Form und Farbe, Komposition und Tiefenerschließung, Landschaftsdarstellung, Figuren- und Kostümauffassung sowie Physiognomien der Wolgemutschen Tafelgemälde beeinflussten. Erst in den 1480er Jahren beobachtete Dagmar Hirschfelder die Etablierung einer werkstattspezifischen Formensprache, die sich stärker vom Stil Pleydenwurffs ablöste, während Kompositionsschemata und Figurentypen der Pleydenwurffschen Malerei beibehalten wurde.

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Einen Überblick über die Zuschreibungslage und Ikonographie der Wolgemut-Altäre vermittelt Matthias Weniger (Bayerisches Nationalmuseum) in seinem Essay Die Firma Wolgemut und ihre Retabel (S. 47-57). Gegenüber den Werkverzeichnissen Alfred Stanges 9 (1978) und Peter Strieders (1993) stellt Weniger eine nahezu Verdoppelung der überlieferten Altarwerke der Wolgemut-Werkstatt fest. Keine einzige Gemäldetafel aus Wolgemuts Werkstatt ist voll bezeichnet. Ein Predellenflügel vom Harsdörffer-Retabel (um 1485/98) (Kat. 48) weist das Monogramm M. W. auf; ein Altarflügel im Würzburger Martin von Wagner-Museum (1485/90) (Kat. 44) trägt die Signatur Wilhelm P. Schriftlich gesichert sind nur das Hochaltarretabel der Zwickauer Marienkirche (Kat. 25) und das Hochaltarretabel der Schwabacher Pfarrkirche (Kat. 52). Insgesamt bewertet Weniger die Retabel-Produktion Wolgemuts als »letzte Blüte einer auf äußere Opulenz ausgerichteten, aber letztlich sehr handwerklichen Kunst (…)«. 10 Der Vorstellung einer stromartig linear verlaufenden und in einer Blüte gipfelnden Entwicklung der deutschen Tafelmalerei des 15. Jahrhunderts, widersprach bereits Suckale. Er verglich die Malerei dieser Epoche vielmehr mit einem »Flussdelta, von dem man nicht weiß, in welche Richtung das Wasser fließt«. 11

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Die Tafelmalerei der Wolgemut-Werkstatt ist von stilistischer Diversität geprägt. In ihrem Beitrag Wolgemut und seine Mitarbeiter. Werkstattstruktur und Arbeitsteilung (S. 59-69) unternimmt Dagmar Hirschfelder den Versuch, mittels stilkritischer Analyse beteiligte Malerpersönlichkeiten in den Tafelgemälden zu unterscheiden und Rückschlüsse auf die Werkstattverhältnisse des Wolgemut-Ateliers zu ziehen. Nachdem Stefan Roller bereits Forschungsergebnisse zur Tafelmalerei des Zwickauer Altars vorgelegt hatte und Wolgemut persönlich die Marienszenen zuschreiben konnte 12 , legt Hirschfelder den Fokus ihrer Analyse auf die Werke der späten 1470er Jahre bis um 1500. Dabei gelingt es ihr, drei Hauptmaler zu fassen. Wolgemut selbst wirkte am Zwickauer (1479) (Kat. 25), am Peringsdörffer (um 1486) (Kat. 34) sowie am Straubinger Retabel (1489) (Kat. 39) mit und führte auch das Epitaph für Anna Groß (um 1509) (Kat. 54) aus. Als weitere Hauptmaler lassen sich der Maler des Feuchtwanger Retabels und der Maler des Memminger Retabels fassen. Letzteren zählt Hirschfelder zu den wichtigsten und einflussreichsten Mitarbeitern der Werkstatt, der in der Forschung bisher noch kein Profil gewonnen hat. Hirschfelder resümiert, dass Wolgemut bei Weitem nicht den größten Teil der Malerei seiner Werke ausführte und allenfalls an prominenten und liturgisch bedeutsamen Partien beteiligt war.

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Trotz seiner Anonymität und einer eher bescheidenen Begabung ist es einem Mitarbeiter Wolgemuts gelungen, zumindest im Rahmen dieser Publikation zum ‚Star‘ zu avancieren und in einem eigenen Essay gewürdigt zu werden. Stefan Roller (Frankfurt, Liebieghaus Skulpturensammlung) 13 beschreibt in seinem Aufsatz Der Maler der Feuchtwanger Predella. Ein Mitarbeiter Wolgemuts (S. 71-77) die markante Formensprache dieses Malers, dessen Stil erstmals in den Tafeln der Predella des Feuchtwanger Retabels (Kat. 27) beobachtet werden kann. Typisch sind die durch Verschattungen kugelartig herausgearbeiteten Augäpfel unter den Lidern seiner Figuren, die stets durch einen schwarzen Lidstrich akzentuiert sind. Weitere charakteristische Details sind eine tropfenförmige U-artige Formel als Nasenwurzel bei älteren Männern, eine kissenartig vorgewölbte Unterlippe sowie insgesamt karikaturenhaft überzeichnete Physiognomien.

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Einen Einblick in die restauratorisch-materielle Analyse der Wolgemut-Gemälde des GNM vermitteln drei Autorinnen aus dem Forschungsteam des DFG-Projekts um Dagmar Hirschfelder in dem Beitrag Gemälde aus der Werkstatt Michael Wolgemuts im Germanischen Nationalmuseum. Bildträger, Blattmetallauflagen und Verzierungstechniken (S. 79-89). Basierend auf der kunsttechnologischen Untersuchung von 15 Gemäldetafeln der Wolgemut-Werkstatt vermitteln Katja von Baum, Lisa Eckstein und Beate Fücker aufschlussreiche Erkenntnisse über die Beschaffenheit der Wolgemutschen Bildträger, der Grundierungen sowie über Blattmetallauflagen und Verzierungstechniken.

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Hinreichend bekannt ist die Präsenz Nürnberger Kunsthandwerker und Kaufleute im spätmittelalterlichen Bresłau. Zahlreiche Nürnberger Tafelmalereien und Bildschnitzereien schmückten die Innenräume der Elisabethkirche und des Doms und beeinflussten das schlesische Kunsthandwerk. Die »verschlungenen Wege« des Transfers Pleydenwurff-Wolgemutschen Formenguts nach Schlesien zeichnet Agnieszka Patała in Wolgemut und Schlesien. Wege der Verbreitung der Kunst Michael Wolgemuts (S. 91-99) nach. Bedeutungsvoll für die Vermittlung des Nürnberger Stils war ein wandernder Kreis von Schülern der Pleydenwurff-Werkstatt, die seit 1472 in Sachsen, Thüringen und Schlesien tätig waren und sich bislang hinter den Werken des »Meisters der Jahreszahlen« verbargen 14 . Von dieser Gruppe ist ein Werkstattkreis hinter dem »Meister des Gießmannsdorfer Altars« abzugrenzen, deren Werke Patała »als die wichtigsten und direktesten Repräsentanten Wolgemutscher Kunst in der Region« ansieht 15 . Die sorgfältig ausgeführten Werke zeigen Spuren einer Zusammenarbeit mit dem Werkstattkreis des »Meisters der Jahreszahlen«, weisen darüber hinaus aber eine Rezeption jüngerer Nürnberger Bildlösungen auf – vor allem der Wolgemut-Werkstatt. Diese Gruppe wanderte 1487 in den Nordwesten der Region und ließ sich wahrscheinlich im Augustiner-Chorherrenstift in Sagan nieder. 16

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Bildschnitzerei

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Die Wolgemut-Werkstatt lieferte zwar komplette Flügelretabel mit Bildschnitzerei, ein stilistisch einheitliches Erscheinungsbild von Malerei und Skulpturen, das auf einen Gesamtentwurf durch den Werkstattleiter hinweist, ist laut Benno Baumbachers (GNM) Ausführungen in seinem Essay Die Vereinigung der Holzbildnerei und Malerkunst in ihrem höchsten Glanze? (S. 101-111) jedoch in keinem Retabel gegeben. Die Figuren von Bildschnitzern wurden in der Regel außerhalb der Malerwerkstatt gefertigt. Baumbauer räumt allerdings ein, dass auch die Lieferung solitärer Bildwerke durch die Werkstatt Wolgemuts belegt ist, wie z. B. im Falle der Figur Karls des Großen für die ehemalige Augustiner-Chorherrenstiftskirche Feuchtwangen. Ob die durch Wolgemut gelieferten Figuren in seiner Werkstatt gefertigt wurden oder dort lediglich ihre farbige Fassung erhielten, bleibt unklar. Größere Aufmerksamkeit erregte die Werkgruppe des Peringsdörffer Retabels (Kat. 34, Abb. 2), in welcher Baumbauer und Manuel Teget-Welz eine Arbeit des aus Nürnberg stammenden und Oberitalien tätigen Zeitgenossen des Veit Stoß namens Sistus (Sixtus) Frei sehen. 17

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Zeichnungen und Druckgraphik

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Neben den spätmittelalterlichen Werkstattzeichnungen aus dem Pleydenwurff-Wolgemut-Umfeld der Universitätsbibliothek Erlangen sind auch Zeichnungen erhalten, die Michael Wolgemut persönlich zugeschrieben werden. Ausgehend von Wolgemuts unbestritten eigenhändigem Entwurf des Titelblatts für die »Schedelsche Weltchronik« aus dem British Museum (1490) (Kat. 66) lenkt Manuel Teget-Welz in seinem Beitrag Ein Blick in die Werkstatt. Die Zeichnungen Michael Wolgemuts (S. 113-121) die Aufmerksamkeit auf die zeichnerische Handschrift Michael Wolgemuts. Dem Strichbild der Londoner Zeichnung mit sensiblen, kurz gesetzten Federstrichen und langgezogenen Umrisslinien entspricht der kleinteilig gestrichelte Duktus eines Entwurfs zum Zwickauer Hochretabel mit der »Geburt Christi« aus der Petersburger Eremitage (S. 116, Abb. 2). 18 Im Vergleich mit dem Londoner Titelblatt gelang es außerdem Guido Messling, die Halbfigur einer Frau aus dem Berliner Kupferstichkabinett (Kat. 67) als Zeichnung Wolgemuts zu identifizieren; Teget-Welz hält diese für eine möglicherweise frühe Figurenstudie zur »Schedelschen Weltchronik«. Von Wolgemuts Hand stammen sicherlich auch die figürlichen Elemente des zehnseitigen Bildlayouts zur Weltchronik aus der Nürnberger Stadtbibliothek (Kat. 97).

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Für die »Schedelsche Weltchronik« (1492) schufen Michael Wolgemut und sein Stiefsohn Wilhelm Pleydenwurff Entwürfe und Druckstöcke für die Illustrationen. Randall Herz (FAU Erlangen) umreißt in Wolgemut und die Schedel’sche Weltchronik (S. 123-131) die konzeptionellen und wirtschaftlichen Hintergründe rund um die berühmte Bilderchronik. Neben einer Analyse der Personendarstellungen wendet sich Herz vor allem den Stadtveduten zu, die in »authentische« Ansichten und reine Fantasiegebilde unterschieden werden können. 19 Ein Vergleich der Stadtvedute Nürnbergs mit Wolfgang Katzheimers Apostelabschied aus dem Historischen Museum Bamberg beweist einmal mehr die Arbeit mit Vorlagen.

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Mit der religiösen Druckgraphik der Wolgemut-Werkstatt befassen sich Friedrich J. Becher und Birgit Ulrike Münch in ihrem Beitrag »pildwerck figuren« neuen Typs. Religiöse Druckgrafik im Werk Michael Wolgemuts (S. 133-141). Während Becher und Münch »die über alle vorherigen vergleichbaren Werke hinausgehende« Text-Bild-Kongruenz der Schedelschen Weltchronik hervorheben, erwies sich das Konzept des Schatzbehalters von Stephan Fridolin (1491) als richtungsweisend für die religiöse Graphik – vor allem der Viten Christi: Die Bilder des großformatigen Erbauungsbuchs ordnen sich nicht mehr dem Text unter, sondern führen den Rezipienten unmittelbar in eine imaginisierende Bildbetrachtung – ein Konzept, welches den Passionszyklen Albrecht Dürers vorausging. Korrigiert werden muss ein flüchtiger Fehler: Natürlich war es nicht Hans Pleydenwurff, der mit Michael Wolgemut an den Illustrationen des Schatzbehalters gearbeitet hatte, sondern Wolgemuts Stiefsohn Wilhelm Pleydenwurff (S. 138) 20 .

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Albrecht Dürers und Wolgemut

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Der Ausbildungszeit des berühmtesten Wolgemut-Lehrlings spürt Manuel Teget-Welz in Albrecht Dürer. Die Lehrjahre bei Michael Wolgemut (S. 143-151) nach. Neben Dürers eigenen Äußerungen über seine Lehrzeit in der nach 1524 verfassten Familienchronik 21 erlauben Werkstatt-zeichnungen (Kat. 66-89) weitere Rückschlüsse über die Lehrinhalte eines damaligen Malerlehrlings. Teget-Welz lenkt die Aufmerksamkeit auf die drei eigenhändigen frühen Zeichnungen Dürers Gesellschaft zu Pferd (1489) (W. 16, ehemals Bremen, Kunsthalle), Fechtende Reiter (W. 17, London, British Museum) und Drei Kriegsleute (W. 18. Berlin, SMD, Kupferstichmuseum) (S. 144, Abb. 1). Sie offenbaren bereits den für Dürer typischen geschmeidigen Duktus der Zeichnung, die Suche nach einer plastischen und räumlichen Darstellung der Figuren sowie eine disziplinierte Anwendung der Technik der differenzierten Schraffierung. Überzeugend ist die Zuschreibung der durch Matthias Weniger in die Diskussion eingebrachten Henkersfigur des Crailsheimer Altars (Kat. 42) an den jungen Albrecht Dürer. Die Figur mit »tänzelnder Beinstellung« zeigt eine bemerkenswert nuancenreiche Farbigkeit und Plastizität des Inkarnats und steht Dürers 1493 entstandenem »Schmerzensmann« aus der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe verblüffend nahe.

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Katalogteil

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Die sieben Kategorien des Katalogteils folgen weitgehend der Themenstruktur der Essays. Dabei umfasst der Katalogteil nicht nur die Objekte der Ausstellung, sondern bietet einen nahezu kompletten Überblick über das Werk Wolgemuts einschließlich jener Altäre und Einzeltafeln, die sich andernorts bzw. in entfernteren Sammlungen befinden, wichtige Referenzwerke sowie Zeichnungen von Wolgemuts Hand oder seinen Mitarbeitern. Die Gruppe der Zeichnungen berücksichtigt sinnvollerweise die im Albrecht-Dürer-Haus ausgestellte Auswahl. Die angestrebte Verschmelzung von Ausstellungs- und Werkkatalog – die hier grundsätzlich hervorragend gelungen ist – hätte allerdings durch eine Zusammenführung zumindest der eigenhändigen Blätter des Werkstattleiters noch optimiert werden können. Sowohl Michael Wolgemuts Entwurfszeichnung zum Zwickauer Altar aus der Petersburger Eremitage (S. 116, Abb. 2) als auch die Skizze mit den drei tanzenden Gerippen aus dem Braunschweiger Herzog Anton Ulrich-Museum (S. 144, Abb. 1), die Manuel Teget-Welz Wolgemut geben möchte, hätten in den Katalogteil gehört.

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Anhang

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Eine von Manuel Teget-Welz aufgestellte Zeittafel zu Leben und Werk Michael Wolgemuts eröffnet den Anhang. Das Literaturverzeichnis gibt dem Leser eine aktualisierte Bibliographie zum Werk Wolgemuts einschließlich der wichtigsten Publikationen zur spätmittelalterlichen deutschen und insbesondere fränkischen Tafelmalerei zur Hand. Das Personenregister vermittelt schon beim Überfliegen das Nürnberger Who is Who im Kontext der Wolgemut-Werkstatt. Übersichtlich gestaltet ist das Orts- und Werkregister, das unter jeweils farblich abgesetzten Ortseinträgen Institutionen versammelt, unter denen sowohl die in den Essays erwähnten als auch die Werke des Katalogteils auffindbar sind. Auf ein Signaturenverzeichnis wurde vermutlich aus Platzgründen verzichtet.

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Abschließende Bemerkungen

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Unbeleuchtet blieb der Aspekt der Tätigkeit der Wolgemut-Werkstatt auf dem Gebiet der Buchmalerei. Mit den wiederholt an Michael Wolgemut und Wilhelm Pleydenwurff zugeschriebenen Entwurfszeichnungen für Kaiser Maximilians Bücher 22 liegen dafür zumindest Indizien vor. Bekräftigt wurden diese zuletzt in Katharina Georgis Publikation »Illuminierte Gebetbücher aus dem Umkreis der Nürnberger Pleydenwurff-Wolgemut-Werkstatt« (2013) ». 23 Eine systematische Erforschung des gemalten Buchschmucks der Inkunabelbestände der Nürnberger Stadtbibliothek sowie des Germanischen Nationalmuseums im Rahmen von Katalogisierungsprojekten würde womöglich wertvolle Erkenntnisse zur Buchmalerei aus Wolgemuts Werkstatt zutage befördern. Im laufenden DFG-Projekt der Staatsbibliothek Bamberg »Katalogisierung der illuminierten Handschriften und Inkunabeln des 15. und 16.  Jahrhunderts« zeichnen sich entsprechende Beobachtungen dazu bereits ab.

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Insgesamt liegt mit dem vorliegenden Katalog eine gelungene und in wissenschaftlicher Hinsicht hochwertige Publikation vor, die über ihre Funktion als Ausstellungskatalog hinaus durchaus als das „zweifellos […] fehlende Standardwerk zu Michael Wolgemut […]“ 24 – wie Ingrid Bierer es in ihrem Geleitwort ausdrückt – bezeichnet werden kann.

 
 

Anmerkungen

Vgl. Robert Suckale: Die Erneuerung der Malkunst vor Dürer, 2 Bde. Petersberg 2009, (Schriftenreihe Historischer Verein Bamberg [für die Pflege der Geschichte des ehemaligen Fürstbistums]), S. 8, 10.   zurück
Suckale 2009, Bd. 1, S. 8.   zurück
Gerhard Betz: Der Nürnberger Maler Michael Wohlgemut (1434-1519) und seine Werkstatt. Ein Beitrag zur Geschichte der spätgotischen Malerei in Franken. Vgl. dazu Matthias Weniger 2009, S. 47. – Daneben erschien auch das 42-seitige Kurzporträt von Amelie Himmel: Michael Wolgemut. Nürnberg 2000 (Frankens große Namen, Bd. 3).   zurück
Peter Strieder: Tafelmalerei in Nürnberg 1350-1550. Königstein/T. 1993, S. 65-85.   zurück
Die Forschungsergebnisse fanden Eingang in die Publikation Suckale 2009 (vgl. Anm. 1).   zurück
Steffi Bodechtel / Winfried Werner: Der Zwickauer Wolgemut-Altar. Beiträge zu Geschichte, Ikonographie, Autorschaft und Restaurierung. Hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege Sachsen (Arbeitsheft 11). Görlitz/Zittau 2008.   zurück

Rebecca Müller: Der Hochaltar der Johanneskirche in Crailsheim: ein Flügelretabel aus der Werkstatt des Michael Wolgemut in Nürnberg. Beiträge zur fränkischen Kunstgeschichte 4 (2000), S. 76-110. – Helga Steiger: Der Altar der Crailsheimer Johanneskirche: Ein Kunstwerk aus der Werkstatt Michael Wolgemuts. Ostfildern 2020.

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Die Ergebnisse des Teilprojekts mit Neuzuschreibungen und Präzisierungen erschienen kürzlich in Gestalt des zweibändigen Katalogwerks Die Gemälde des Spätmittelalters im Germanischen Nationalmuseum. Hrsg. von Daniel Hess, Dagmar Hirschfelder, Katja von Baum, Bd. I: Franken, Teil 1 und 2. Regensburg 2019.

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Alfred Stange: Kritisches Verzeichnis der deutschen Tafelbilder vor Dürer, Bd. 3: Franken, bearb. von Peter Strieder und Hanna Härtle. München 1978.   zurück
10 
Weniger 2019, S. 47.   zurück
11 
Suckale 2009, S. 10.   zurück
12 

Stefan Roller: Die Tafelmaler. In: Der Zwickauer Wolgemut-Altar: Beiträge zu Geschichte, Ikonographie, Autorschaft und Restaurierung. Hrsg. von Steffi Bodechtel und Winfried Werner. Görlitz [u.a.] 2008, S. 78-102.

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13 

Vgl. Stefan Roller: Die Gemälde des Crailsheimer Hochaltars und Michael Wolgemut. In: Steiger 2020 (vgl. Anm. 7).

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14 
Suckale verwendet den Namen „Meister von 1486/87“. Vgl. Suckale 2009, Bd. 1, S. 247-256. – Die „Geburt Christi“ des ehemaligen Hochretabels der Pfarrkirche Striegau im Warschauer Muzeum Narodowe w Warszawie ist ein Zeugnis der Aktivität und Qualität dieses Kreises.   zurück
15 
Patała 2019, S. 98.   zurück
16 
Agnieszka Patała: Die Tätigkeit des Meisters des Giessmannsdorfer Altars im nordwestlichen Schlesien um 1496-1520. In: Peter Knüvener / Werner Ziems (Hrsg.): Flügelaltäre um 1515 – Höhepunkte mittelalterlicher Kunst in Brandenburg und in den Nachbarregionen (Arbeitshefte des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum 42). Berlin 2016, S. 48-64.   zurück
17 
Eine Publikation von Manuel Teget-Welz dazu ist geplant.   zurück
18 
Die Zeichnung wurde von Daniel Hess erstmals publiziert in Von nah und fern. Zuwanderer in die Reichsstadt Nürnberg. Ausst.-Kat. Stadtmuseum Fembohaus Nürnberg 2014. Hrsg. von Brigitte Korn, Michael Diefenbacher und Steven M. Zahlaus. Petersberg 2014, Nr.  28.   zurück
19 
Herz 2019, S. 124.   zurück
20 
Becher/Münch 2019, S. 138.   zurück
21 
Hans Rupprich: Dürer. Schriftlicher Nachlass, Bd.  1: Autobiographische Schriften/Briefwechsel/Dichtungen. Beischriften, Notizen und Gutachten. Zeugnisse zum persönlichen Leben. Berlin 1956, S. 31.   zurück
22 
Georgi 2013, S. 35.   zurück
23 
Georgi 2013, S. 35, 148-159.   zurück
24 
Ingrid Bierer: Geleitwort. In: Michael Wolgemut 2019, S. 9.   zurück