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Handbuch Frauenlob.

  • Claudia Lauer / Uta Störmer-Caysa / Anna Sara Lahr: Handbuch Frauenlob. Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2018. XXII, 285 S.
    ISBN: 978-3-8253-6952-1.
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Seit der Göttinger Frauenlob-Ausgabe (1981), die die Arbeit an den teils elaborierten Texten eines bis dahin oft unverstandenen Lyrikers auf eine verlässliche philologische Grundlage stellte, sind vier Jahrzehnte ins Land gegangen. Das lange belächelte Spätmittelalter wurde in der Mittelalterphilologie endgültig als Epoche eigenen Rechts begründet, seine Literatur erfuhr die notwendige Tiefenforschung, die deren Komplexität hinlänglich ausstellte. Der gegen 1320 verstorbene und angeblich im Mainzer Dom beigesetzte Heinrich von Meißen, genannt Frauenlob, stieg darüber in den Rang eines Klassikers auf. Seit einem guten Vierteljahrhundert nähern sich gewichtige Monographien und Abhandlungen in Tagungsbänden seiner komplexen, mitunter hermetischen Lyrik an. Anspruchsvolle Textdeutungen gingen zunächst Seite an Seite, später Hand in Hand mit der neu angestoßenen Überlieferungsphilologie. Es ist eine gute Zeit, die gleichsam explodierten Wissenstände zum dichterischen Werk Frauenlobs zu ordnen, ehe sie unübersehbar werden. Wäre das Jahr 1318 tatsächlich als Todesjahr nachweisbar, spräche auch von daher nichts gegen die feierliche Einführung des von den Mainzer Kolleginnen Claudia Lauer und Uta Störmer-Caysa verantworteten Frauenlob-Handbuchs zum »700. Todestag« (S. XX).

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Aufbau

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In zehn selbständigen Artikeln, die in vier Abteilungen geteilt wurden, bringen die Autorinnen und Autoren das, was man über Frauenlobs Werk sagen kann, in eine handhabbare, durch zwei kurze Verzeichnisse (Werkstellen, Personen und Werke) erschließbare Form. Block I (3-26) gilt den »Texten und Melodien«, Block II (29-105) den von Frauenlob genutzten Gattungen; Block III verhandelt »systematische Aspekte« (109-170), Block IV die Rezeption (173-267). Die blockbildende Grundordnung ist also sinnvoll, lediglich die explizite Systematik und die Abfolge nicht immer glücklich. Block I etwa handelt eigentlich nicht von »Texten«, sondern von Handschriften und Editionen (Burghart Wachinger, 3-12) sowie metrischen Strukturen und Melodien (Horst Brunner, 13-26). Block III bindet den Theologen und Philosophen Frauenlob (Christoph Huber, 109-146) mit einer Abhandlung zur Stilistik (Sabine Obermaier, 147-170) zusammen. Hätte die alte Forschungsfrage nach dem ›Geblümten Stil‹ Antworten auf die neuere Frage nach dem das Wort suchenden Philosophen Frauenlob gegeben, hätte mir die gewählte Reihenfolge mehr eingeleuchtet. Block IV wird sehr schön eingeleitet durch einen substantiellen Beitrag zur meisterlichen Lyrik des 14.-16. Jahrhunderts, die sich großteils explizit, teils aber auch implizit auf den Tonautor Frauenlob bezieht (Franziska Wenzel, 173-205). Im Anschluss freilich hätte sich der Beitrag zur literarischen Frauenlob-Rezeption angeboten (Marco Lehmann, 235-267), in dem die drei marginalen Frauenlob-Opern des 19. Jahrhunderts, die hier (nur systematisch zu Unrecht) einen eigenen Platz erhielten (Dennis Disselhoff, 207-233), auch hätten aufgehen können.

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Ein Resümee der Forschung

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Des ungeachtet haben wir es mehrheitlich mit Beiträgen zu tun, die sich mit großer Sorgfalt bemühen, die in der Forschung teilweise recht pointierte Frauenlob-Deutung auf die Absichten eines orientierenden Handbuchs hin zu bündeln. Dies gelingt zumal in den Artikeln zu den Gattungen (Block II): zur Leichdichtung (Jens Haustein, 29-46), zur Sangspruchdichtung (Claudia Lauer, 47-76) und zum Minnesang (Annette Gerok-Reiter, S. 77-105). Alle Beiträge sind klar gegliedert, arbeiten mit zentralen Textbeispielen und unter Berücksichtigung der neuesten Forschung. Dies gilt in ähnlicher Weise auch für zwei Beiträge, deren Verfasser gleichsam als Begründer der von ihnen skizzierten Felder gelten dürfen. Horst Brunner (13-26) ist der wohl beste Kenner der Formgeschichte des Sangspruchs. Dass metrische Schemata heute in der Regel keinen Platz mehr im akademischen Unterricht haben, was wiederum auch für die diesbezügliche Kompetenz nachwachsender Kollegen fatale Folgen hat, entbindet ja nicht von einer Kenntnisnahme deren Vorhandenseins. Der Verfasser gibt sich, einmal mehr, in der Diktion alle Mühe, die allein durch ein fern gerücktes Vokabular fassbaren Strukturen nachvollziehbar zu machen. Ähnlich eingängig verfolgt Christoph Huber (109-146) die von ihm seit den 1970er Jahren gestellten, seither vielfach aufgegriffenen und diskutierten Fragen nach (sprach-)philosophischen und theologischen Konzepten in der Dichtung Frauenlobs. Der einzige Beitrag, der in mancher Hinsicht hinter den Erwartungen zurückbleibt, ist ausgerechnet Burghart Wachingers einleitender Abriss zu Handschriften und Editionen (S. 3-12). Wachinger geht, obwohl er in einer frühen Anmerkung auf ihn verweist, über den zentralen Tagungsband zur ›Jenaer Liederhandschrift‹ und ihrem Umfeld (2010) hinweg. Indem er die dort geführte Diskussion über die raumzeitliche Verortung des wichtigsten Frauenlob-Überlieferungszeugen unterschlägt, müssen seine eigenen Angaben zum »westelbischen, vermutlich klösterlichen Skriptorium in der Altmark« (4) als ungesichert gelten. Das kann der Sinn eines Handbuch-Beitrags nicht sein.

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Sieht man von diesem Beitrag ab, darf man das vorgelegte Handbuch Frauenlob als ein geglücktes, seine expliziten wie impliziten Absichten einholendes Vorhaben bezeichnen. Es ist handlich, verständlich geschrieben und hegt verantwortungsvoll ein, was seit der Göttinger Ausgabe an »gränzenloser Auslegung« (Jean Paul) in Umlauf ist.