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Neues nicht, aber immer neu zu Bedenkendes

  • Reinhard Brandt / Steffen Schmidt (Hg.): Mythos und Mythologie. Berlin: Akademie 2003. 257 S. Gebunden. EUR (D) 49,80.
    ISBN: 3-05-003775-X.
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Der vorliegende Band, der auf eine Marburger Ringvorlesung im Rahmen des Studium generale im WS 2001/02 zurückgeht, ist, um das gleich vorweg zu schicken, nicht auf dem aktuellsten Forschungsstand, und zudem im wesentlichen nur auf die deutsche Forschung konzentriert; die gesamte etwa französische Diskussion und auch die Ethnologie bleiben ausgeblendet (bis auf den Beitrag von Schefold). Immerhin wird die in Deutschland immer noch vorherrschende einseitige Orientierung am griechischen Mythos durchbrochen; der Band wird mit Beiträgen zu Ägypten und Mesopotamien eröffnet, an 4. und 5. Stelle folgen Beiträge zu Israel und Indonesien, der letzte Aufsatz gilt dann der chinesischen Mythologie (ausgehend vom Mythos des Gelben Kaisers).

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Recht konventionell ist schon die Einleitung von Reinhard Brandt geraten. Von der »Mythenforschung« nennt er nur Cassirer, Adorno / Horkheimer und Blumenberg. Er differenziert zwischen drei Theorien über den Ursprung der Mythen: entweder bilde das Epistemische, das Emotional-Triebhafte oder der politische Wille den Ursprung der Mythen. Die Beiträge des folgenden Bandes seien »am Inhalt der Mythen und vorwiegend an ihrer gesellschaftlichen Funktion, also an ihrer Bedeutung für die Praxis interessiert« (S. 19).

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Jan Assmann zeigt in seinem Beitrag, dass es in Ägypten »eigentlich nur drei absolut, d.h. überlokal und überzeitlich dominierende und verbindliche mythische Komplexe« gegeben habe: »die Kosmogonie von Heliopolis, den Osiris-Mythos und den Mythos vom Sonnenlauf« (S. 23). Der Heidelberger Altorientalist Stefan M. Maul untersucht dann die Wechselbeziehung zwischen dem babylonischen Königtum, der altorientalischen Tempelstruktur und den mythischen Texten Mesopotamiens.

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Im Mittelpunkt der folgenden Beiträgen steht die griechische und römische Antike. In Arbogast Schmitts Rekonstruktion von Platons Verständnis der Mythen geht es um die Auflösung der scheinbar widersprüchlichen Aussagen Platons zum Mythos. Dass Platon, so das Ergebnis, »zwischen einem mythischen und einem streng rationalen Zugang zur Wirklichkeit unterscheiden kann, hat seinen Grund [...] in der Differenz von Erscheinungsform und Sache« (S. 83). Leider fehlt in seinem Beitrag eine Auseinandersetzung mit den Forschungen von Luc Brisson, aber auch mit Havelock. Auch die Studie von Iris Därmann zu Platons Auffassung der Malerei bleibt ohne Berücksichtigung. Der Latinist Leonhardt und die Kunsthistorikerin Krause behandeln Ovid und seine Wirkung in der Kunst der Neuzeit, und zwar am Beispiel der Actaeon-Geschichte und seiner bildlichen Umsetzung durch Tizian (wobei merkwürdigerweise auf das Jenaer Projekt von Huber-Rebenich nicht Bezug genommen wird). Die Berliner Religionswissenschaftlerin Renate Schlesier zeichnet Freuds Deutung des Dionysos nach und geht in diesem Zusammenhang auch auf Nietzsche ein, aber auch auf Salomon Reinach.

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Der altdeutschen Mythologie am Beispiel des Nibelungenliedes gilt der Beitrag von Joachim Heinzle, wobei hier die Abgrenzung von Mythos und Heldensage schwierig wird. Der Hamburger Soziologe Stefan Breuer verfolgt den Topos vom »Dritten Reich« in Literatur und Politik (von Ibsen bis ins 20. Jahrhundert), wobei es unklar bleibt, ob wir es hier wirklich mit einem Mythos zu tun haben. Der Politiktheoretiker Herfried Münkler untersucht die Bedeutung der Mythen für die Politik am Beispiel des antifaschistischen Widerstands als Gründungsmythos der DDR im Unterschied zum Wirtschaftswunder als dem Gründungsmythos der BRD.

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Den Band beschließen Hinweise zu den Autoren; es fehlt leider ein Sach- und – was noch wichtiger gewesen wäre – ein Personenregister.